Volltext: Liechtenstein und die Revolution 1848

Reichsständen — beseitigt und zerschlagen worden war, mussten neue For- 
men politischer Partizipation gefunden werden — das «Volk in seiner Ge- 
samtheit» war nun gefordert, jenes Volk also, welches durch das einheitliche 
bürgerliche Recht erst zu einem solchen einheitlichen Staatsvolk gemacht 
worden war.°° 
Wer aber war — in der politischen Landschaft des 19. Jahrhunderts — dieses 
Volk? Wer konnte zur Mitgestaltung des politischen Lebens berufen sein? 
Jedermann, auch der bisher unfreie, ungebildete Bauer, der Taglöhner? Die 
traditionellen Ständevertreter, welche auf die Wiederherstellung ihrer ver- 
lorenen Mitspracherechte pochten? Oder, nach französischem Vorbild, jene 
Staatsbürger, welche eine entsprechende Steuerleistung erbrachten? Oder 
auch jene, welche zwar nichts besassen, aber gebildet und politisch infor- 
miert waren, jene bildungsbürgerlichen Gruppen also, wie Lehrer, Professo- 
ren, Juristen, Beamte, die dem modernen Staat ihre Existenz verdankten? 
Unlösbar vielfältige Fragen, auf die es 1848 noch zu viele Antworten gab, um 
zu einem einzigen befriedigenden Ergebnis zu gelangen; es bedeutet eine 
politische Höchstleistung, dass es trotz dieser Schwierigkeiten zur Zusam- 
mensetzung der deutschen, ungarischen und österreichischen Parlamente ge- 
kommen ist. In Frankreich war die Umwandlung der Generalstände in eine 
französische Nationalversammlung sehr viel weniger schwierig gewesen — 
dort hatte der Wandel von der ständischen Repräsentation zur modernen 
parlamentarischen Verfassung auf der Basis des Zensuswahlrechts im Zuge 
der grossen Revolution relativ rasch erfolgen können. Dafür hatte bereits das 
ausgeprägt absolutistische System des 18. Jahrhunderts gesorgt gehabt.” 
In Mitteleuropa — mit seiner dualistischen und feudalen Reichstradition — 
erwies sich ein solcher Wandlungsprozess als ungleich schwieriger. Und hier 
kam vor allem — entscheidende Hypothek des 19. Jahrhunderts — im Gegen- 
satz zu Frankreich die nationale und ethnische Vielfalt hinzu. 
Dennoch, noch einmal gefragt, wer war, in ethnisch-nationalen Kategorien 
gesprochen, das Volk? Insbesondere in gemischtnationalen Gebieten wie 
Böhmen, Ungarn, Italien, Österreich? Wie konnten im Rahmen eines gesamt- 
österreichischen Nationalparlaments alle «Nationen» gerecht vertreten sein? 
Und umgekehrt, wo diese auf ihre Autonomie pochten, war es da für sie 
überhaupt sinnvoll, einem solchen «österreichischen», oder gar «deutschen» 
Parlament beizuwohnen? Was hatten Böhmen und Italiener in Frankfurt 
verloren, wenn sie ihre nationale Unabhängigkeit erlangen wollten?” 
1C
	        

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