feudal bestimmte ständische Gesellschaft in eine vorwiegend industrie-bür-
gerlich und -proletarisch bestimmte Gesellschaft [...] überführte. Die Aus-
gangslage der Bauernbefreiung um 1800 war in Deutschland weit stärker
agrarisch akzentuiert als der Abschluss des Prozesses, der hier in die Indu-
strialisierung fiel und mit der politisch-sozialen revolutionären Erschütte-
rung um 1848 zusammenhing.»?
Nach diesen einleitenden Vorbemerkungen möchte ich nun zuerst einen
Überblick über die agrarwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse
in Liechtenstein um die Wende vom 18. zum 19, Jahrhundert geben. Es han-
delt sich dabei um den Endzustand einer jahrhundertelangen Entwicklung,
der seinerseits den Ausgangspunkt der Bauernbefreiung in Liechtenstein
bildete.
Der Bauer lebte damals in der doppelten Gebundenheit als Untertan der
Landesherrschaft und als Genosse einer Dorf- oder Markgenossenschaft.
Herrschaft und Genossenschaft bestimmten sein Leben.
Das herrschaftliche Prinzip
Der Bauer in Liechtenstein lebte in einer Ordnung, die in ihren Wurzeln auf
die Sozial- und Wirtschaftsstruktur der Karolingerzeit zurückging. Der
Herrschaftsgedanke prägte wesentlich die Ordnung des menschlichen Zu-
sammenlebens. Die Agrarverfassung beruhte zu einem grossen Teil auf der
Grundherrschaft. Leibherrschaft, Gerichtsherrschaft und Landesherrschaft
waren weitere Formen, in denen sich der Herrschaftsgedanke als einheit-
liche Grundauffassung verwirklichte. Die Grundherrschaft beruhte auf dem
Herreneigentum an Land, die Leibherrschaft auf dem Herreneigentum an
Menschen, auf Fakten, die in der Wirklichkeit oft miteinander verbunden
waren. In wirtschaftlicher Hinsicht bedeutete Grundherrschaft, dass das grund-
herrliche Land, aber auch gewisse gewerbliche Monopolbetriebe (Mühlen,
Tavernen, Brauereien, Ziegeleien etc.), zwecks Bewirtschaftung verliehen
wurden. Als Gegenleistung erhielt der Grundherr einen Anteil am Ertrag in
Form von Abgaben und eventuell auch verschiedene Dienstleistungen. Die
Grundherrschaft beruhte auf einer personalrechtlichen Beziehung, die we-
nigstens formal bis zur Aufhebung dieser gesamten Ordnung im Zuge der
Bauernbefreiung aufrechterhalten wurde. Die Grundherrschaft war ein sehr
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