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decken. Was die Förderung des Fremdenver
kehrs anbetrifft, jo liegt das Interesse noch in
seitiger auf liechtensteinischer Seite, ohne daß
jedoch irgendwie eine fühlbare Konkurrenz des
schweizerischen Gastwirtschaftsgewerbes eintreten
wird. Alles in allem ist also zu sagen, daß der
Anschluß Liechtensteins an das schweizerische
Wirtschaftsgebiet nicht irgend eine künstliche
Maßnahme ist, sondern vielmehr eine natürliche
Wirtschaftseinheit herstellt, die bisher durch
künstliche Schranken unterbunden war.
Wir haben freilich damit noch keineswegs alle
Borteile erschöpft, die Liechtenstein durch den
Anschluß gewinnen wird. Die Herstellung der
Wirtschastseinheit wird sich auch mit der Zeit auf
dem wichtigen Gebiete der Kapitalbeschaffung
zeigen. Die großen Unterschiede, welche heute
noch in den Kreditverhältnissen zwischen Liech
tenstein und der Schweiz bestehen, werden sich
naturnotwendig ausgleichen, wenn die liechten
steinische mit der schweizerischen Volkswirtschaft
vereint sein wird, wie dies durch den Zollan
schluß automatisch eintreten wird. Der Anschluß
des an sich schwachen Liechtensteins an einen
gesunden Wirtschastskörper muß das Wirtschafts
leben in bedeutendem Grade anregen und wird
zur Erholung des Landes sehr viel beitragen.
2■ Bisher haben wir von der Zollvereinigung
mit der Schweiz bezw. von der wirtschaftlichen
Bereinigung der beiden Staaten gesprochen, ohne
uns über den Charakter der schweize
rischen Zollpolitik zu äußern. Wir ha
ben ohne weiteres vorausgesetzt, daß die schwei
zerische Zollpolitik den liechtensteinischen Bedürf
nissen angemessen sei. Nun ist zu untersuchen,
ob dies auch wirklich der Fall ist.
Wir treten an diese Frage heran, indem wir
zunächst den Charakter der schweize
rischen Zollpolitik im allgemeinen
behandeln (b); in zweiter Linie prüfen wir die
schweizerische Zollbelastung und
den Zollschutz unter liechtensteinischem Ge
sichtswinkel (b); sodann wollen wir untersuchen,
was von gewissen außerordentlichen
Maßnahmen der äußeren Handelspolitik
der Schweiz mit Bezug auf die liechtensteinischen
Interessen zu halten ist (Einfuhrpolitik, c); end
lich wird uns die Frage derPreiseundLe-
benskosten im besonderen beschäftigen (d).
a) Der Charakter der schweizeri
schen Zollpolitik ist durch zwei Umstände be
stimmt: durch die Bundesverfassung und durch
die internationalen handelspolitischen Verhält
nisse. Die Bundesverfassung gibt die Grundsätze
wieder, auf der die schweizerische Handelspolitik
aufgebaut sein soll die internationalen poli
tischen Verhältnisse bestimmen, inwiefern diese
Grundsätze eingehalten werden können.
Die Grundsätze, welche die Bundesverfas
sung (Art. 25) der Eidgenossenschaft aufstellt,
sind die folgenden:
1. Eingangsgebühren:
a) die für die inländische Industrie erforder
lichen Stosse sind im Zolltarif möglichst
niedrig zu taxieren;
b) ebenso die zum notwendigen Lebensbe
darf erforderlichen Gegenstände;
c) die Gegenstände des Luxus unterliegen
den höchsten Taxen.
2. Durchgangsgebühren und in der Regel auch
die Ausgangsgebühren sind möglich mäßig
festzusetzen.
3. Durch die Zollgesetzgebung sind zur Siche
rung des Grenz- und Marktverkehrs geeig
nete Bestimmungen zu treffen. Dem Bunde
bleibt immerhin das Recht vorbehalten, unter
außerordentlichen Umständen, in Abweichung
von vorstehenden Bestimmungen, vorüber
gehend besondere Maßnahmen zu treffen.
Zur Zeit der Annahme des Verfassungsarti
kels herrschten in der Schweiz die Freihan
dels-Ideen. Indesien zeigte es sich im
Laufe der 50er Jahre, daß der niedere Tarif der
Abschließung von Handelsverträgen nicht nur
nicht dienlich, sondern im Gegenteil geradezu
hinderlich war. Das Ausland war an der wei
teren Erniedrigung der schweizerischen Zölle
nicht interessiert und hielt sich die schweizerischen
Waren durch Differentialzölle fern. Das führte
— zusammen mit einem größeren Finanzbedürf
nis des Bundes — zu einer Revision der
Anschauungen. Im Jahre 1887 — nach
beinahe vier Jahrzehnten bitterer Erfahrungen
mit der grundsätzlichen Freihandelspolitik — kam
man zur Ueberzeugung, daß die Schweiz den
schutzzöllnerischen Bestrebungen des Auslandes
nur dann gewachsen sei, wenn auch sie
einen gewissen Zollschutz aufstelle.
So kam der Tarif von 1887 zustande. Von dann
datieren die Erfolge der Schweiz auf dem Ge
biet« der Handelspolitik. Im Jahre 1888 kamen
mit Oesterreich und Deutschland Verträge zu
stande. 1889 folgte Italien. Im Jahre 1892
liefen diese Verträge ab. Ein neuer höherer
Tarif war die Grundlage zu neuen Verhand
lungen und hatte den Erfolg, schon im Jahre
1891 neue Verträge mit Oesterreich und Deutsch
land, 1892 einen solchen mit Italien zu erreichen.