Volltext: Gutachten über den Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz

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welche infolge des Saisoncharakters der Arbeit 
die temporäre Auswanderung fördern. Diese 
zeitweilige, über die gute Jahreszeit stattfindende 
Auswanderung ist es aber, welche für Liechten 
stein vom größten Werte ist. Durch sie wird 
Sparkapital geäufnet und ins Land hineinge 
bracht. Das Auswanderungsgebiet ist nahe ge 
legen, so daß durch Reiseauslagen nur ein ganz 
kleiner Teil des Verdienstes verloren geht. Es 
ist nicht zu bezweifeln, daß der wirtschaftliche 
Zusammenschluß Liechtensteins mit der Schweiz 
jene früheren Zustände wieder herstellen 
wird, wo der liechtensteinische Bauarbeiter eine 
in der Schweiz häufige und gern gesehene Er 
scheinung war. Aus der Wanderarbeit in der 
Schweiz blühte mancher bescheidene Wohlstand 
im Lande Liechtenstein aus, der in der Folge 
allerdings durch die Ereignisse der Kriegszeiten 
verloren ging, nun aber aufs neue wieder wird 
erarbeitet werden können. Der schweizerische 
Arbeitsmarkt bedarf ferner fremder weiblicher 
Dienstboten. Auch an solchen wird Liechtenstein 
mehr als bisher zur Deckung des schweizerischen 
Bedarfes beitragen können. Die Frauen sind, in 
Liechtenstein an schwere Arbeiten gewöhnt, in 
der Schweiz stets geschätzte Arbeitskräfte gewe 
sen. Wenn durch die Beseitigung der wirtschaft 
lichen Grenzpfähle die Verbindung mit der 
Schweiz enger und namentlich der organische 
Zusammenhang mit der planmäßigen Stellen 
vermittlung hergestellt sein wird, werden sich 
auch liechtensteinischen weiblichen Arbeitskräften 
in der Schweiz neue Möglichkeiten eröffnen. Es 
ist allerdings anzunehmen, daß an weiblichen 
industriellen Arbeitskräften in den nächsten Jah 
ren kein großer Bedarf fein wird. Allein es 
ist dies auch nicht einmal das für Liechtenstein 
Wünschenswerte; denn bekanntlich gehören Fa 
brikarbeiterinnen weit weniger zu den sparenden 
Elementen, als Dienstboten, Wanderarbeiter 
und dergleichen. 
Heute, wo in ganz Europa die Arbeitslosig 
keit eine Erscheinung ist, der man vielfach ratlos 
gegenübersteht, ist es für Liechtenstein von be 
sonderem Werte, durch den Zollanschluß mit dem 
Arbeitsmarkte eines Landes Kontakt zu finden, 
das sich sonst gegen ausländische Arbeiter stark 
abschließt und dessen Lohnhöhe durchschnittlich 
weit über derjenigen steht, die alle sonst in Frage 
kommenden europäischen Länder ausweisen. 
à) Wir kommen endlich zur Frage der F ö r - 
derung des Fremdenverkehrs. Liech 
tenstein hat alle Voraussetzungen für eine Kur 
landschaft. Die eigene Bevölkerung ist zu klein, 
als daß aus dem Lande heraus eine wirtschaft 
liche Fruktifizierung der Landesschönheiten mög 
lich wäre. Gegen Deutschland u. Oesterreich türmt 
sich der Wall der Valuta; gegen die Schweiz 
hin steht die Grenzkontrolle dem freien Verkehr 
entgegen. Liechtenstein ist, so lange diese besteht, 
für die Schweizer immer noch Ausland im 
eigentlichsten Sinne. Besteht aber, so wird man 
fragen, überhaupt Aussicht, den Fremdenverkehr 
aus der Schweiz zu fördern? Hat denn die 
Schweiz nicht Fremdenkurorte im Ueberfluß? 
Letzteres ist nicht zu bestreiten; ja es ist zu sagen, 
daß der Anschluß Liechtensteins als Kurlandschaft 
für die ostschweizerische Hotelindustrie und das 
Gastgewerbe sogar bis zu einem gewissen Grade 
unerwünscht sein kann, so lange die àhweiz in 
so hohem Maße auf die Sommerfrischler aus der 
Schweiz angewiesen ist und der Fremdenstrom 
noch nicht wieder reichlicher zu fließen begonnen 
hat. Für Liechtenstein kann es sich natürlich nicht 
darum handeln, an eine eigentliche „Fremden 
industrie" zu denken. Vielmehr wird es sich 
für das Land nur um einen bürgerlichen 
Sommerfrische- und Passantenbetrieb handeln. 
Dieser wird alter Voraussicht nach durch 
den Zollanschluß an die Schweiz ganz er 
heblich gewinnen. Die Zurückschraubung der 
wirtschaftlichen Verhältnisse in der Schweiz 
zwingen einerseits viele Bürgerleute, mit ein 
facheren Gasthäusern vorlieb zu nehmen; ander 
seits haben aber in den letzten Jahren die Ar 
beiter- und Angestelltenserien einen enormen 
Aufschwung genommen. Wenn auch diese Leute 
mit bescheidenen Mitteln in die Sommerfrische 
gehen, so bringen sie doch immerhin Verdienst 
möglichkeiten. Außerdem hat die Touristik in 
den letzten Jahren gewaltige Fortschritte ge- 
niacht und das neue Alpengebiet wird zahlreiche 
Freunde gewinnen. Liechtenstein ist für die bei 
den Städte St. Gallen und Zürich leicht zu er 
reichen und sicher wird mit dem Wegfall der 
Grenzzölle auch manches Bedenken wegfallen, im 
Land Liechtenstein einmal einige Wochen zuzu 
bringen. Es unterliegt auch keinem Zweifel, 
daß der sonntägliche Ausflugsbetrieb nach Liech 
tenstein zunehmen wird, wenn einmal die 
Grenzformalitäten beseitigt sein werden. 
Ueberblicken wir die bisher gewonnenen Ein 
drücke, so ergibt es sich, daß die liechtensteinischen 
Interessen hinsichtlich des Exportes und der Be 
schäftigungsmöglichkeit liechtensteinischer Arbeits 
kräfte im nahen Auslande durchaus für eine 
wirtschaftliche Vereinigung mit der Schweiz spre 
chen, umso eher, als die liechtensteinischen In 
teressen in keiner Weise den schweizerischen zu 
widerlaufen, sondern vielmehr sich mit ihnen
	        

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