Volltext: Staat und Kirche

Herbert Wille österreichische Rechtsvorschriften aus. Dieser Umstand trägt nicht zu einem einheitlichen Bild des Staatskirchenrechts bei, macht es kaum durchschaubar und erschwert eine Analyse.2 Daneben fehlen auch wich­ tige einschlägige Regelungen, die in andern Staaten, z.B. aus Gründen der Religionsfreiheit oder des religiösen Friedens, zum festen Bestand des Staatskirchenrechts zählen.3 Dieser fragmentarische Charakter des liech­ tensteinischen Staatskirchenrechts bzw. der heute unbefriedigende Rechtszustand erklärt sich daraus, dass der katholische Konfessionsstaat - man spricht vom «katholischen Land»4 - keiner religionsrechtlichen Vorschriften bedurfte. Dazu kommt die Tradition, die auf religiösem Ge­ biet eine beherrschende Rolle spielt. Heute behilft man sich in der Praxis, wenn sich Konflikte ergeben sollten, mit pragmatischen Lösungen.5 Zu beachten ist auch, dass namentlich die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Verfassung6 in der Auseinandersetzung mit der ka- 2 Das von Österreich rezipierte Recht unterscheidet zwischen gesetzlich anerkannten und nicht anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Das von Osterreich rezi­ pierte Strafgesetzbuch vom 24. Juni 1987, LGB1. 1988 Nr. 37, LR 311.0, spricht in den §§ 188 und 189 von einer «im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft», worunter in Österreich nicht nur die anerkannten, sondern auch die nicht anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften verstanden werden. Vgl. Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici; Beiheft 6), Essen 1992, S. 386. Dem Rechtscharakter einer gesetzlich aner­ kannten Kirche dürfte in etwa die öffentlichrechtliche Rechtsstellung der römisch­ katholischen Kirche als Landeskirche und dem Terminus der nicht anerkannten Kir­ chen und Religionsgesellschaften die privatrechtlich organisierten Kirchen und Religionsgesellschaften entsprechen. Dazu hinten S. 83 ff und 89 f. 3 Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang etwa die Religionsmündigkeit oder der Ein- und Austritt aus einer Kirche oder Religionsgemeinschaft. 4 So Bischof Georgius von Grüneck in seiner Rede am Liechtensteiner Katholikentag vom 8. September 1921, in: Oberrheinische Nachrichten Nr. 75 vom 28. September 1921. Vgl. auch Herbert Wille, Die Verfassung von 1921: Parteien und Kirche, in: Das Fürstentum Liechtenstein (Veröffentlichung des Alemannischen Instituts Freiburg i. Br. Nr. 50), S. 93 (110). Rücksicht auf die katholische Kirche und damit auch auf das religiöse Empfinden der grossen Mehrheit der Bevölkerung wird in der Gesetzgebung heute noch genommen. Ein signifikantes Beispiel ist die Regelung des Schwanger­ schaftsabbruchs in den §§ 96 bis 98a des Strafgesetzbuches (StGB) vom'24. Juni 1987, LGB1. 1988 Nr. 37, LR 311.0, das in diesem Punkt von der österreichischen Rezep­ tionsgrundlage abweicht. 5 Z.B. im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit im Erziehungs- und Unterrichts­ wesen. Erziehungsberechtigte können ihre Kinder ohne Angabe von Gründen vom Religionsunterricht abmelden. In der Praxis wird Schülern islamischen Glaubens auf Gesuch hin eine Dispens für das Freitagsgebet erteilt. Auch können Mädchen islami­ schen Glaubens von der Teilnahme am Schwimmunterricht mit Knaben dispensiert werden. 6 Dazu zählen die Art. 14, 15, 16 Abs. 1 und 4, 37, 38, 39, 54 Abs. 1 und 109. 80
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.