Volltext: Die Normenkontrolle im liechtensteinischen Recht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes

Entscheidungsinhalte und Entscheidungswirkungen 2. Fehlende Rechtsgrundlage156 Dem Staatsgerichtshof ist die mangelnde Verfassungs- und Gesetzes­ grundlage für Appellentscheidungen bewusst. Er nimmt es jedoch zu leicht oder macht es sich zu einfach, wenn er sich diese Erweiterung sei­ ner Entscheidungsbefugnis in der Praxis unter Bezugnahme auf eine rechtspolitische Lücke beziehungsweise eine planwidrige Unvollstän- digkeit im Staatsgerichtshofgesetz zugesteht.157 Auf diese Art kann sich der Staatsgerichtshof keine zusätzliche Entscheidungsbefugnis erschlies- sen. Der Staatsgerichtshof bleibt als Verfassungsgerichtshof nach der klaren Aussage von Verfassung und Gesetz auf kassatorische Entschei­ dungen beschränkt.158 Danach sehen Art. 104 Abs. 2 der Verfassung und Art. 38 StGHG als Sanktion einer von ihm festgestellten Verfassungs­ widrigkeit eines Gesetzes oder Gesetzwidrigkeit einer Verordnung nur LES 1/1990, S. 1 (4). In diesem Sinn auch schon die frühere Praxis des Staatsgerichts­ hofes. Vgl. StGH 1966/2, Entscheidung vom 13. April 1966, ELG 1962 bis 1966, S. 230 (235). Danach kann der Staatsgerichtshof gemäss Art. 104 Abs. 2 der Verfassung bzw. Art. 38 Abs. 2 StGHG nur kassatorisch urteilen. In diesem Sinn auch Stefan Becker, Anmerkungen zum Urteil des Staatsgerichtshofes StGH 1993/4 vom 30. Ok­ tober 1995, S. 26, der sich kritisch mit der "Spaltung" des Begriffes der Kassation im Sinn von Art. 104 Abs. 2 der Verfassung durch den Staatsgerichtshof und der "Ambi­ valenz" seiner Rechtsprechung auseinandersetzt (27 ff.). Vgl. auch vorne S. 294 f. 156 Für Michael Bertrams, Verfassungsgerichtliche Grenzüberschreitungen, S. 1037, be­ deutet es eine "Grenzüberschreitung", wenn Verfassungsgerichte Entscheidungsfor­ meln in die Welt setzen oder Aufforderungen an den Gesetzgeber oder die Exekutive richten, welche die verfassungsgerichtlichen Prozessordnungen nicht vorsehen. 157 So StGH 1995/20, Urteil vom 24. Mai 1996, LES 1/1997, S. 30 (38), unter Bezugnahme auf Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, Zürich 1993, S. 322 f., sowie Ulrich Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 3. Aufl., Zürich 1993, S. 39. Auch das Argument einer "durchaus gefestigten Praxis sogenann­ ter Appellentscheidungen", das der Staatsgerichtshof zusätzlich ins Feld führt, vermag daran nichts zu ändern. 158 Nach StGH 1964/4, Entscheidung vom 22. Oktober 1964, ELG 1962 bis 1966, S. 215 (217), und StGH 1982/37, Urteil vom 1. Dezember 1982, LES 4/1983, S. 112 (116), sind die Funktionen des Staatsgerichtshofes in Art. 104 der Verfassung abschliessend aufgezählt. Der Staatsgerichtshof verweist dabei auch auf die ständige Rechtspre­ chung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, wonach seine Kompetenzen ebenfalls durch die Bundesverfassung grundsätzlich erschöpfend festgelegt sind. Es überzeugt auch nicht, wenn sich der Staatsgerichtshof in StGH 1995/20, Urteil vom 24. Mai 1996, LES 1/1997, S. 30 (38 f.) auf die deutsche und schweizerische Judika­ tur beruft. In Deutschland stellt die Appellentscheidung einen "Sonderfall der Ver­ einbarkeitserklärung" dar, die gesetzlich geregelt ist. Vgl. dazu Martin Schulte, Ap­ pellentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, S. 1201, und Klaus Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, S. 248/Rdnr. 396. Für die Schweiz siehe etwa Alfred Kölz, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1984, in: ZBJV Bd. 122 (1986), S. 326 f. 324
	        

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