man den Zug nicht eher weiter gehen lassen dürfe, als
bis ein in entgegengesetzter Richtung ankommender Waa
renzug die Station werde passirt haben. Er ist arretirt
und sieht einer strengen Bestrafung entgegen. Der Zu
sammenstoß war furchtbar, die beiden LocomotiveN bäum
ten sich an einander auf und blieben aufrecht stehen.
Die ersten Personenwagen wurden in Trümmer zer
malmt. Die Beamten der Bahn, die Behörden, die Be
wohner der nahen Dörfer eilten herbei und arbeiteten
unausgesetzt die ganze Nacht, um die Bahn freizumachen
und die Todten und Verwundeten unter den Trümmern
hervorzuholen. Unter den Todten werden fünf „badische"
Soldaten, ohne nähere Angabe des Namens, unter den
Verwundeten ein badischer Soldat, Wilhelm Wurfch, und
zehn „deutsche" Soldaten aufgeführt. Wahrscheinlich
waren die Unglücklichen Deserteure, die sich in Frankreich
zur Fremdenlegion hatten anwerben lassen.
Die Herren Preußen haben sich selbst ein Weihnachts
geschenk gemacht: Schleswig-Holstein. Die Kammer
hat die Einverleibung von Schleswig-Holstein, die von
der Regierung beantragt war, mit großer Mehrzahl an
genommen. Die Preußen kommen den Schleswig-Hol-
steinern vor wie das Riesenfräulein in der Sage, das
sich den Bauer sammt Pferd und Wagen und Pflug
in der Schürze holt zum Spielzeug; die Preußen fin
den aber diesen Vergleich sehr unpassend; denn 1) sa
gen sie, hätten sie Schleswig-Holstein mit ihrem Blute
erobert und 2) nicht zum Spielzeug, sondern zur Stär
kung deutscher Macht , namentlich zur See; auf dem
deutschen Meere solle die deutsche Flotte schwimmen.
Ueber das Recht, Schleswig-Holstein einzuverleiben,
machten die Redner nicht viel Worte. Twesten sagte
mit öürren Worten, einen Rechtstitel habe Preußen
nicht; denn das Gutachten der Kronsyndici mache der
preußischen Jurisprudenz ungefähr eben so viel Ehre
als der Obertribunalsbeschluß vom 29. Januar — d.
h. keine. Das einzige Recht gebe Preußen die Zukunft
Deutschlands; im Namen dieser Zukunft sei Schleswig-
Holstein einzuverleiben. Abgeordneter Kanngießer
fügte hinzu, die Geschicke der Staaten könnten nicht
immer nach dem geschriebenen Rechte entschieden wer
den; die Entscheidung sei nicht nach preußischen oder
schleswig-holsteinischen Sonderinteressen, sondern nach
dem nationalen deutschen Gesammtinteresse zu fassen,
und dieses verbiete die Aufrichtung eines neuen Klein
staates. Graf Bismarck erklärte, Erbprinz Friedrich
von Schleswig-Holstein habe die Bedingungen Preußens
nie aufrichtig angenommen, sondern sich immer Hinter
thüren offen gehalten. Wenn im Juni d. I. die preu
ßischen Truppen weniger schnell gewesen wären, so hät
ten sich an das östreichische Gablentzsche Corps Hanno-
versche und Augustenburgsche Truppen angeschlossen und
wärm gegen Berlin marschirt. Ueber Nordschleswig
müsse die Bevölkerung selber abstimmen, ob sie zu Preu
ßen oder zu Dänemark wolle; das sei eine Bestimmung
des Nikolsburger Friedens, die Frankreichs wegen nicht
habe umgangen werden können; es sei aber dafür ge
sorgt, daß die Abstimmung ganz frei stattfinde.
Die Frankfurter sind nicht sehr erbaut über den
heiligen Christ; denn er kam zu ihnen als Knecht Ru
precht mit dem — preußischen Strafgesetzbuch.
König Ludwig von Bayern dankt den fränkischen
Provinzen in einer Proclamation für die Liebe und
Treue, die ihm in Stadt und Land entgegenkam. „Ich
erkenne darin einen neuen mächtigen Impuls, in dem
Glücke meines Volks den Zielpunkt meiner Bestrebungen
wie in dessen Liebe meinen höchsten irdischen Lohn zu
suchen." Sehr gut, nur niemals vergessen!
In Berlin hat sich vor etwa zwei Jahren ein Ver
ein von Rauchern gebildet, welcher in möglichst weiten
Kreisen die abgeschnittenen Spitzen der Cigarren sammeln
ließ, um aus dem Erlös einen wohlthätigen Zweck zu
verfolgen. Der Verein hat mit diesem anscheinend so
kleinen Mittel die Möglichkeit gefunden, den Jahresun
terhalt von 22 Waisenhauskindern zu bestreiten.
Ueber die unterbrochene Hinrichtung Künschners
in Leipzig theilen die L. Nachrichten folgende Einzelhei
ten mit. „Die Scharfrichter kippten das Bret vornüber,
so daß Künschner auf dem Bauche lag, schoben es et
was vorwärts und wollten eben das obere Halseisen
niederlassen, als weiterher von der Straße ein lautes
vielstimmiges Rufen erschallte. Alles stutzte und auch
die Männer auf dem Schaffst hielten in ihrer schreckli
chen Arbeit inne; da sich jedoch der Ruf nicht wieder
holte, wollten sie fortfahren, als man deutlicher „Halt!
Halt doch!" rufen hörte. Wieder lauschte alles und
blickte in athemloser Spannung nach dem Eingang, auch
Künschner erhob sein stark geröthetes Gesicht und starrte
offenen Mundes, die schrecklichste Angst in jeder Miene,
dorthin. Als sich aber auch jetzt Niemand dort zeigte
und nur undeutliches Toben zu vernehmen war, trat
Dr. Lucius hervor und sagte zum Scharfrichter.' „Was
ist denn? Thun Sie doch Ihre Schuldigkeit!"' Aber in
demselben Augenblick erscholl der durchdringende Ruf
„Halt! Halt!" aus Hinderten von Kehlen nochmals
und durch die Hintere Thür des Hofes stürzte alsbald
in größter Hast ein Telegraphenbeamter, ein weißes
Blatt Papier in der Hand haltend. Dr. Lucius nahm
und entfaltete es und sprach dann, kein Athemzug ward
hörbar — die Worte: „Ich theile dem Publikum und
insbesondere den Mitgliedern des Gerichtshofes mit, daß
ich soeben von Sr. Maj. dem König folgende Depesche
empfange: „Erecution bis auf weiteres aufzuschieben.
Näheres brieflich von Dresden. Johann." Die tele
graphische Depesche war sofort ohne Couvert befördert
worden, der betr. Beamte lief so rasch wie ihn seine
Füße tragen konnten und schlug den kürzesten Weg zur
Richtstatt ein; nur die dichten Massen von Leuten am
Eingange des Gerichts verursachten kmze Verzögerung.
Von einer Secunde hing ein Menschenleben ab."
Welch' mächtiger Vermittler des Weltverkehrs ist der
überseeische Telegraph! Vor ein paar Tagen mach
ten Kaufleute in London Bestellungen auf Wtizen in
Kalifornien; Morgens ging die Depesche ab, Abends
langte die Antwort an: der Kauf war abge
schlossen.
— In den letzten Wochen des Jahres t866 machte
der König v. Sachsen seinen Besuch am Hof in Ber-