Volltext: Liechtensteiner Landeszeitung (1867)

man den Zug nicht eher weiter gehen lassen dürfe, als 
bis ein in entgegengesetzter Richtung ankommender Waa 
renzug die Station werde passirt haben. Er ist arretirt 
und sieht einer strengen Bestrafung entgegen. Der Zu 
sammenstoß war furchtbar, die beiden LocomotiveN bäum 
ten sich an einander auf und blieben aufrecht stehen. 
Die ersten Personenwagen wurden in Trümmer zer 
malmt. Die Beamten der Bahn, die Behörden, die Be 
wohner der nahen Dörfer eilten herbei und arbeiteten 
unausgesetzt die ganze Nacht, um die Bahn freizumachen 
und die Todten und Verwundeten unter den Trümmern 
hervorzuholen. Unter den Todten werden fünf „badische" 
Soldaten, ohne nähere Angabe des Namens, unter den 
Verwundeten ein badischer Soldat, Wilhelm Wurfch, und 
zehn „deutsche" Soldaten aufgeführt. Wahrscheinlich 
waren die Unglücklichen Deserteure, die sich in Frankreich 
zur Fremdenlegion hatten anwerben lassen. 
Die Herren Preußen haben sich selbst ein Weihnachts 
geschenk gemacht: Schleswig-Holstein. Die Kammer 
hat die Einverleibung von Schleswig-Holstein, die von 
der Regierung beantragt war, mit großer Mehrzahl an 
genommen. Die Preußen kommen den Schleswig-Hol- 
steinern vor wie das Riesenfräulein in der Sage, das 
sich den Bauer sammt Pferd und Wagen und Pflug 
in der Schürze holt zum Spielzeug; die Preußen fin 
den aber diesen Vergleich sehr unpassend; denn 1) sa 
gen sie, hätten sie Schleswig-Holstein mit ihrem Blute 
erobert und 2) nicht zum Spielzeug, sondern zur Stär 
kung deutscher Macht , namentlich zur See; auf dem 
deutschen Meere solle die deutsche Flotte schwimmen. 
Ueber das Recht, Schleswig-Holstein einzuverleiben, 
machten die Redner nicht viel Worte. Twesten sagte 
mit öürren Worten, einen Rechtstitel habe Preußen 
nicht; denn das Gutachten der Kronsyndici mache der 
preußischen Jurisprudenz ungefähr eben so viel Ehre 
als der Obertribunalsbeschluß vom 29. Januar — d. 
h. keine. Das einzige Recht gebe Preußen die Zukunft 
Deutschlands; im Namen dieser Zukunft sei Schleswig- 
Holstein einzuverleiben. Abgeordneter Kanngießer 
fügte hinzu, die Geschicke der Staaten könnten nicht 
immer nach dem geschriebenen Rechte entschieden wer 
den; die Entscheidung sei nicht nach preußischen oder 
schleswig-holsteinischen Sonderinteressen, sondern nach 
dem nationalen deutschen Gesammtinteresse zu fassen, 
und dieses verbiete die Aufrichtung eines neuen Klein 
staates. Graf Bismarck erklärte, Erbprinz Friedrich 
von Schleswig-Holstein habe die Bedingungen Preußens 
nie aufrichtig angenommen, sondern sich immer Hinter 
thüren offen gehalten. Wenn im Juni d. I. die preu 
ßischen Truppen weniger schnell gewesen wären, so hät 
ten sich an das östreichische Gablentzsche Corps Hanno- 
versche und Augustenburgsche Truppen angeschlossen und 
wärm gegen Berlin marschirt. Ueber Nordschleswig 
müsse die Bevölkerung selber abstimmen, ob sie zu Preu 
ßen oder zu Dänemark wolle; das sei eine Bestimmung 
des Nikolsburger Friedens, die Frankreichs wegen nicht 
habe umgangen werden können; es sei aber dafür ge 
sorgt, daß die Abstimmung ganz frei stattfinde. 
Die Frankfurter sind nicht sehr erbaut über den 
heiligen Christ; denn er kam zu ihnen als Knecht Ru 
precht mit dem — preußischen Strafgesetzbuch. 
König Ludwig von Bayern dankt den fränkischen 
Provinzen in einer Proclamation für die Liebe und 
Treue, die ihm in Stadt und Land entgegenkam. „Ich 
erkenne darin einen neuen mächtigen Impuls, in dem 
Glücke meines Volks den Zielpunkt meiner Bestrebungen 
wie in dessen Liebe meinen höchsten irdischen Lohn zu 
suchen." Sehr gut, nur niemals vergessen! 
In Berlin hat sich vor etwa zwei Jahren ein Ver 
ein von Rauchern gebildet, welcher in möglichst weiten 
Kreisen die abgeschnittenen Spitzen der Cigarren sammeln 
ließ, um aus dem Erlös einen wohlthätigen Zweck zu 
verfolgen. Der Verein hat mit diesem anscheinend so 
kleinen Mittel die Möglichkeit gefunden, den Jahresun 
terhalt von 22 Waisenhauskindern zu bestreiten. 
Ueber die unterbrochene Hinrichtung Künschners 
in Leipzig theilen die L. Nachrichten folgende Einzelhei 
ten mit. „Die Scharfrichter kippten das Bret vornüber, 
so daß Künschner auf dem Bauche lag, schoben es et 
was vorwärts und wollten eben das obere Halseisen 
niederlassen, als weiterher von der Straße ein lautes 
vielstimmiges Rufen erschallte. Alles stutzte und auch 
die Männer auf dem Schaffst hielten in ihrer schreckli 
chen Arbeit inne; da sich jedoch der Ruf nicht wieder 
holte, wollten sie fortfahren, als man deutlicher „Halt! 
Halt doch!" rufen hörte. Wieder lauschte alles und 
blickte in athemloser Spannung nach dem Eingang, auch 
Künschner erhob sein stark geröthetes Gesicht und starrte 
offenen Mundes, die schrecklichste Angst in jeder Miene, 
dorthin. Als sich aber auch jetzt Niemand dort zeigte 
und nur undeutliches Toben zu vernehmen war, trat 
Dr. Lucius hervor und sagte zum Scharfrichter.' „Was 
ist denn? Thun Sie doch Ihre Schuldigkeit!"' Aber in 
demselben Augenblick erscholl der durchdringende Ruf 
„Halt! Halt!" aus Hinderten von Kehlen nochmals 
und durch die Hintere Thür des Hofes stürzte alsbald 
in größter Hast ein Telegraphenbeamter, ein weißes 
Blatt Papier in der Hand haltend. Dr. Lucius nahm 
und entfaltete es und sprach dann, kein Athemzug ward 
hörbar — die Worte: „Ich theile dem Publikum und 
insbesondere den Mitgliedern des Gerichtshofes mit, daß 
ich soeben von Sr. Maj. dem König folgende Depesche 
empfange: „Erecution bis auf weiteres aufzuschieben. 
Näheres brieflich von Dresden. Johann." Die tele 
graphische Depesche war sofort ohne Couvert befördert 
worden, der betr. Beamte lief so rasch wie ihn seine 
Füße tragen konnten und schlug den kürzesten Weg zur 
Richtstatt ein; nur die dichten Massen von Leuten am 
Eingange des Gerichts verursachten kmze Verzögerung. 
Von einer Secunde hing ein Menschenleben ab." 
Welch' mächtiger Vermittler des Weltverkehrs ist der 
überseeische Telegraph! Vor ein paar Tagen mach 
ten Kaufleute in London Bestellungen auf Wtizen in 
Kalifornien; Morgens ging die Depesche ab, Abends 
langte die Antwort an: der Kauf war abge 
schlossen. 
— In den letzten Wochen des Jahres t866 machte 
der König v. Sachsen seinen Besuch am Hof in Ber-
	        

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