Grundsätze des Verwaltungsverfahrens
Der Grundsatz von Treu und Glauben beinhaltet als spezifische Aus-
prägung auch das Verbot des Rechtsmissbrauchs. Art. 2 Abs. 2 PGR und
Art. 2 Abs. 2 SR umschreiben diesen elementaren Grundsatz der gesam-
ten Rechtsordnung, der auch im öffentlichen Recht gilt. Rechtsmiss-
brauch liegt insbesondere vor, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur
Verfolgung von Interessen eingesetzt wird, welche dieses Rechtsinstitut
gar nicht schützen will®. So liegt beispielsweise ein Rechtsmissbrauch
vor, wenn eine Ausländerin eine Ehe mit einem Landesbürger eingeht,
um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer
zu umgehen. Das Rechtsmissbrauchsverbot verbietet ferner die zweck-
widrige Inanspruchnahme von Rechtsschutz. So besteht in keinem Falle
eine Beschwerdelegitimation nur zu Zwecken “experimenteller Juris-
prudenz””, Ein Rechtsmissbrauch darf allerdings nicht leichthin ange-
nommen werden, sondern er muss sich offenkundig, d.h. qualifiziert
aussern?8.
»* Vgl. das klassische Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts, EVGE 1951, S. 205 ff. betref-
fend die Hinterlassenenrente für eine Frau, die ihren Ehemann getötet hat. Der schwei-
zerische Bundesgesetzgeber hat mit dem Erlass des Invalidenversicherungsgesetzes 1960
(Art. 82) das AHV-Gesetz entsprechend ergänzt und in Art. 18 Abs. 1 einen zweiten
Satz eingefügt: “Hat eine Witwe oder Waise den Tod des Versicherten vorsätzlich oder
grobfahrlässig herbeigeführt, so können die Renten dauernd oder vorübergehend ver-
weigert, gekürzt oder entzogen werden”.
VfSig. 9344/1982 und dazu Adamovich/Funk, S. 60; vgl. VBI 1994/1, Entscheidung vom
16.3.1994, LES 1994, S. 118 (119); BGE 122 II 98 m.H.
® Vgl. SCGH 1984/2, Urteil vom 30.4.1984, LES 1985, S. 65 (69).
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