Volltext: Grundriss des liechtensteinischen Verwaltungsrechts

Verhältnismässigkeitsprinzip 
{n diesem Sinne hat es der Staatsgerichtshof beispielsweise als verhält- 
nismässig angesehen, eine Pflichtmitgliedschaft bei der Gewerbe- und 
Wirtschaftskammer vorzusehen). 
[I. Verankerung 
Das Verhältnismässigkeitsprinzip ist allgemein nicht ausdrücklich in der 
liechtensteinischen Rechtsordnung verankert. Es gilt aber gleichwohl als 
allgemeiner oder allenfalls sogar als verfassungsrechtlicher Rechtsgrund- 
satz*. Dies ergibt sich namentlich aus den Grundrechtsgewährleistungen 
und insbesondere aus dem Rechtsgleichheitsgebot des Art. 31 Abs. 1 LV7. 
Der Staatsgerichtshof und die Verwaltungsbeschwerdeinstanz haben 
sich zwar zur Frage des Ranges des Verhältnismässigkeitsprinzips nicht 
geäussert. Die Ansiedlung des Grundsatzes auf der Stufe der Verfassung 
drängt sich aber aus folgenden Gründen auf. 
Die je ähnlich lautenden Absätze 2 der Art. 8-11 EMRK behalten 
Eingriffe in diese Rechte vor, “die in einer demokratischen Gesellschaft” 
“notwendig” (Art. 8, 9, 11 EMRK) oder “unentbehrlich” (Art. 10 
EMRK) sind. Dies bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Eu- 
ropäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, dass ein Eingriff in diese 
Rechte dem Erfordernis des Verhältnismässigkeitsprinzips genügen 
muss. Der Gerichtshof umschrieb diese Prüfung im Urteil Vogt gegen 
Deutschland prägnant®: 
“Das Adjektiv “unentbehrlich” i.S.d. Art. 10 Abs. 2 impliziert das Vor- 
liegen einer ‘dringenden gesellschaftlichen Notwendigkeit’. Die Ver- 
tragsstaaten haben bei der Feststellung des Vorliegens dieser Notwen- 
digkeit einen gewissen Beurteilungsspielraum, der jedoch mit der 
> Vgl. StGH 1985/11, Urteil vom 2.5.1988, LES 1988, S. 94 (100). 
Gstöhl, S. 146; Fehr, S. 266. Die Verhältnismässigkeit wird indessen in Spezialgesetzen 
ıls für den dortigen Sachbereich geltender Grundsatz angeordnet, so etwa durch Art. 22 
PolG für das polizeiliche Handeln, Art. 112 Abs. 3 und 4 LVG für das Zwangsvollstrec- 
kungsverfahren, vgl. S. 158 ff., Art. 135 Abs. 3 und 5 LVG betreffend den Einsatz der 
Schusswaffe oder Art. 136 Abs. 3 LVG betreffend sämtliche Zwangsmittel. 
Vgl. Adamovich/Funk, S. 166; Beck, Enteignungsrecht, S. 46; Häfelin/Müller Nr. 489; 
BGE 102 1a 71. 
Urteil vom 26.9.1995, Publications de la Cour Europeenne des Droits de I’Homme, 
Serie A, vol 323, $ 52 m.H. = EuGRZ 1995, 5. 597. 
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