Auslegung des Verfassungs- und Verwaltungsrechts
3. Echte Lücken
Eine echte Lücke liegt vor, wenn ein Gesetz eine für dessen Anwendung
notwendige Frage nicht beantwortet. Die Verwaltungsbeschwerde-
instanz formuliert dies so: “Im öffentlichen Recht kann es ... eine Lücke
nur dann geben, wenn das Gesetz einen logischen Widerspruch auf-
weist, d.h. wenn es eine unvollständige Antwort gibt, z.B. wenn es für
die Behörde eine Pflicht statuiert, aber sich über Zuständigkeit oder Ver-
fahren ausschweigt”!?, Es handelt sich also um eine “planwidrige”!?
und damit unbeabsichtigte Lücke. Eine Gesetzeslücke wird nach ständi-
ger Praxis und den allgemein anerkannten Grundsätzen in analoger An-
wendung von Art. 1 Abs. 3 PGR'®% bzw. Art. 1 Abs. 2 SR!7/ bzw.!2 6 7
ABGB'? gefüllt.
Die Verwaltungsbeschwerdeinstanz hat zum Beispiel Art. 21" Ziff. 2
lit. b des Baugesetzes als lückenhaft angesehen, da nicht ersichtlich ist,
“zu welcher Vollgeschossfläche die errechnete “anzurechnende Ge-
schossfläche” in Relation zu setzen” ist. Die Lücke ist durch Gewohn-
heitsrecht!?, und wo ein solches fehlt, nach derjenigen Regel zu füllen,
die der Richter als Gesetzgeber aufstellen würde. Die Verwaltungsbe-
“4 VBI 1946/12, Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 1946—7, S. 60 (64) oder siehe z.B.
StGH 1988/9, Urteil vom 26.10.1988, LES 1989, S. 59 (61): “Das Steuergesetz enthält
indessen keine Regelung für die Zuordnung von Anlagekostenanteilen im Fall der Auf-
teilung eines Grundstücks in Stockwerke, es besteht insoweit also eine Gesetzeslüke.”;
VBI 1947/8, Entscheidung vom 10.4.1947, ELG 1946-47, S. 64 (65 f.); Häfelin/Haller
Nr. 116; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Nr. 136; Bydlinski, S. 245.
25 StGH 1991/14, Urteil vom 23.3.1993, LES 1993, S. 73 (76); Walter/Mayer, Bundesver-
fassungsrecht Nr. 136.
1% Vgl. VBI 1985/34, Entscheidung vom 17.6.1987, LES 1988, S. 10 (19); VBI 1946/12,
Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 1946-47, 5. 60 (63).
127 Vgl. VBI 1946/12, Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 1946-47, S. 60 (63).
28 Der oberste Gerichtshof verwendet m.E. zu Recht stattdessen die Bezeichnung “$ 7
ABGB in Zusammenhalt mit Art. 1 PGR”, vgl. OGH E 323/8714 und E 1116/87-14,
Beschluss vom 7.1.1988, LES 199, S. 32 (35).
‘29 Vgl. SIGH 1991/14, Urteil vom 23.3.1993, LES 1993, S. 73 (76); vgl. auch StGH, Urteil
vom 6.10.1960, ELG 1955-61, S. 151 (154); StGH, Urteil vom 6.10.1960, ELG 1955—61,
S. 169 (171); VBI 1946/12, Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 19467, S. 60 (63);
OGH 3 C 144/87, Beschluss vom 25.5.1992, LES 1992, S. 144.
VBI 1988/3, Entscheidung vom 11.5.1988, LES 1989, S. 1 (2) spricht irrtümlicherweise
vom Ortsgebrauch; richtigerweise muss hier das Gewohnheitsrecht in die Lücke treten,
da der Ortsgebrauch nur kraft ausdrücklichen gesetzlichen Verweises zur Geltung
kommen kann, vgl. Antoniolli/Koja, S. 192 f.; Andreas Kley, Kantonales Privatrecht,
St.Gallen 1992, 5. 41 f.
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