Ein unblutiger „Einmarsch”
Trotz der Erschöpfung nähert sich die Kolonne auf dem aufgeweichten
Boden rasch der Grenze, und trotz des Bemühens, leise zu sein, läßt sich
das Kommen vor der liechtensteinischen Seite auf dem letzten Stück des
Weges nicht mehr verheimlichen. Aber da tauchen die Fahrzeuge und
Menschen schon auf; man erkennt zugleich, daß diese Truppen offenbar
die Grenze zu überrollen gedenken. Zu weiteren Überlegungen reicht
die Zeit nicht, zumal sie kaum weitergeführt hätten, so rätselhaft mußte
dieses Unterfangen erscheinen, das allen Nachrichten, Nutzenerwägun-
gen und politischen und militärischen Zielen widersprochen hätte. So
bleibt nur Zeit zu ersten Kontaktversuchen gemäß den bestehenden
Weisungen; sie fallen unbefriedigend aus — daher wird geschossen!
Doch: niemand wird verletzt, und so bleibt es der Spekulation überlas-
sen, ob es gezielte oder Warnschüsse waren und wie viele es gewesen
sind, denn das ist durchaus belanglos. Aber eine klare, befehlsgewohn-
te Stimme ertönt laut und deutlich sofort, nachdem geschossen wurde:
„Halt, nicht schießen! Hier ist ein russischer General!” Und das ist
zweifellos das letzte, was die beiden Schweizer Grenzwächter erwartet
haben...
Doch während sie noch versuchen, herauszubekommen, was hier
eigentlich geschieht, strömt die rätselhafte Truppe bereits über die Gren-
ze und macht erst ein ganzes Stück weiter halt - als feststeht, daß sie sich
mit dem gesamten Troß bereits auf neutralem, auf liechtensteinischem
Boden befindet. Also genau da, wo sie hinwollte.
Bevor wir nun weiter auf diese Geschehnisse eingehen, sind doch eini-
ge nähere Erklärungen notwendig, die unter Einbezug der Situation und
der Vorgeschichte das (Ganze verständlicher: machen sollen. Zunächst
zum Hintergrund aus heutiger Sicht.
In den diesem Buch vorangestellten zwei Sätzen des Fürsten Franz Josef
von Liechtenstein - jenes Monarchen, dem die Hunderte von Verfolgten.
um die es hier geht, ihr Leben verdanken - ist eigentlich alles enthalten,
oo