Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2005)

DIENSTAG, 16. AUGUST 2005 BLATT 
UNLAND 
3 «Die Staatsaufgaben auf das Wesentliche konzentrieren» Ansprache von S. D. Erbprinz Alois zum gestrigen Staatsfeiertag auf der Schlosswiese «Lasst uns «inen Staat schaffen, in dem soweit wie möglich dar Einzelne und so wenig wie möglich der Staat für den Einzelnen die Entscheidungen trifft oder treffen muss»: S. D. Erbprinz Alois gestern in seiner Ansprache. 
Liebe Liechtensteinerinnen. liebe Liechtensteiner Der Staatsfcicrtag ist ein Tag des Feierns, aber auch ein Zeitpunkt des Innehaltens, an dem wir uns tragen sollten: 1. Wo stehen wir? 2. Wohin wollen wir.' 3. Was müssen wir tun. um dorthin zu gelangen? Wo stehen wir? Wir sind in einer Zeit der Veränderungen. Uns geht es zwar weiterhin gut: • Wir leben in Frieden und 
Wohl­ in einer Zeit der Veränderungen stand und bezüglich der Wirtschaft geht es uns besser als vielen Staaten Kuropas. • Unsere Souveränität ist durch die UNO-Mitgliedschuft stärker abgesi­ chert als früher. Allerdings bleibt die Verteidigung der Souveränität für uns als Kleinstaat eine ständige Heraus­ forderung. • Der EWR, die EFTA-Freihandels- abkommen und die WTO 
er- Herausforderungen sind grösser geworden lauben unserer Wirtschaft den Zugang /u den Weltmärkten. • Und wir haben freundliche Nach­ barn. mit denen wir eng zusammenar­ beiten. Die Herausforderungen an uns sind aber in verschiedenen Bereichen grös­ ser geworden: • Die Globalisierung verstärkt den internationalen Wettbewerb und ver­ langt immer mehr von unseren Ar­ beitskräften. • Die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, besonders für den Finanz­ platz, werden schwieriger. • Das steigende Lebensalter der Be­ völkerung sowie andere gesellschaftli­ che Entwicklungen bringen enorme Kosten für unsere Sozialsysteme. Wir müssen erkennen, dass die traditionel­ len Wohlfahrtsstaatsmodelle, auch je­ nes unseres Landes, an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stossen: • Ihre Finanzierbarkeit wird mehr und mehr ein Problem. • Und gleichzeitig schränken sie un­ seren persönlichen Freiraum immer stärker ein. Wohin wollen wir? Unsere grund­ sätzlichen Wünsche an die Gemein­ schaft, in der wir leben, den Staat, bleiben dieselben. Wie bereits im er­ sten Artikel unserer Verfassung festge­ halten, haben wir unseren Staatsver­ band gebildet, um in Frieden und Frei­ heit miteinander leben zu können. Das bedeutet, dass der Staat uns vor allem Sicherheit bieten und grosse persönli­ che Freiräume gewähren soll. Sicherheit kann uns der Staat garan­ tieren, wenn er stark ist. Stark kann er nur sein, wenn er die 
not- Nur wenn der Staat stark ist wendigen Mittel hat, um einen ver- lässlichen Rechtsstaat und eine wirk­ same Aussenpolitik zu finanzieren, die uns vor Angriffen auf Leib und Leben schützen. * 
Langfristig kann sich der Staat nur finanzieren, wenn er sich auf eine ge­ sunde Wirtschaft stützen kann. Der Staat kann zwar kurzfristig hohe Steu­ ern einziehen und sich verschulden, langfristig bricht ihm dann aber die Wirtschaft und damit seine Finanz­ kraft zusammen. Denn die Wirtschaft braucht gute Rahmenbedingungen, damit sie sich gesund entwickeln kann. Der Staat soll uns nicht nur vor An­ griffen auf Leib und Leben schützen, sondern zusätzlich soziale Sicherheit bieten. Auch soziale Sicherheit kann er uns auf Dauer nur garantieren, wenn die Wirtschaft funktioniert und er dadurch über die notwendigen fi­ nanziellen Mittel verfügt. Niedrige Steuern und Abgaben sind wichtige Bestandteile von attraktiven Rahmenbedingungen für die 
Wirt- Freiheit, Sicherheit und Finanzierbarkeit schaft. Das bedeutet, dass uns dieser starke Staat nicht viel kosten darf. Er sollte es auch aus einem anderen Grunde nicht tun: Hohe Steuern und Abgaben schränken unsere Freiheit ein. Wir wollen also einen Staat, der die­ ses Spannungsfeld zwischen Freiheit, Sicherheit und Finanzier­ barkeit der Sicherheit bestmöglich or­ ganisiert. Was müssen wir tun, um dorthin zu 
gelangen, um diesen Staat zu schaf­ fen? Wir müssen die Rahmenbedin­ gungen für die Wirtschaft ständig op­ timieren, damit der Staat immer über die finanziellen Mittel verfügt, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benö­ tigt. Zu den wichtigsten Rahmenbe­ dingungen gehören heute: • Ein verlässlicher und kunden­ freundlicher Rechtsstaat, der Rechts­ sicherheit und Planungssicherheit ga­ rantiert. • Eine Aussenpolitik, die einen mög­ lichst freien Zugang zu den Weltmärk­ ten schafft. • Steuersysteme, Sozialsysteme und Regelwerke, che die Wirtschaft wenig belasten und keine Anreize für falsche Entscheidungen setzen. • Und eine hervorragend ausgebildete Bevölkerung. Dazu brauchen wir nicht das teuerste, sondern das beste Bildungssystem. Zusätzlich müssen wir sicherstellen, dass der Staat nur dort seine Finanz­ mittel einsetzt, wo es in unserem ge­ meinsamen langfristigen Interesse ist. Die Förderung verschiedenster Grup­ peninteressen nach dem Giesskannen- prinzip müssen wir hingegen vermei­ den. Dies können wir einerseits 
errei- Auf das Wesentliche konzentrieren chen, indem wir die Staatsaufgaben auf das Wesentliche konzentrieren, auf 
die Sicherung des Rechtsstaates und auf die Aussenpolitik sowie auf die Gewährleistung eines sozialen Sicher­ heitsnetzes, einer guten In­ frastruktur und Bildung, ohne dass der Staat unbedingt selbst überall als An­ bieter und Finanzierer auftritt. Und wir können dies andererseits erreichen, indem wir beim Verteilen der Finanzmittel Systeme verwenden, die möglichst gut auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Einzelnen Rücksicht nehmen und gleichzeitig möglichst viel Freiraum zur Eigeninitiative las­ sen. Wie dies erfolgen könnte, möchte ich am Beispiel unseres Systems der politischen Rechte erklären: Bei den politischen Rechten haben wir viele starke Mittel zur Eigeninitiative, und die Bürger können bei den 
Entschei- Starke politische Rechte als Vorbild düngen im Staat durch Referendum und Initiative sehr direkt mitsprechen. Wir haben damit in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Die Politik war gezwungen, ihre Entscheide nahe beim Volk zu treffen und sie genau zu begründen. Wenn es gelang, den Bür­ gern, deren langfristigen Wert zu er­ klären, waren auch scheinbar unpopu­ läre Schritte wie ein UNO- oder EWR-Beitritt trotz oder eher wegen dieser direkt-demokratischen Mittel möglich. « 
In anderen Bereichen wie bei den Sozialsystemen und bei der Bildung sind wir dem Beispiel vieler anderer Staaten gefolgt, die meist keine wirk­ lich direkte Demokratie kennen. Wir haben uns in der Vergangenheit für zentrale Plansysteme entschieden, die für Selbstbestimmung und Eigeniniti­ ative wenig Platz lassen. Für die Zu­ kunft sollten wir uns überlegen, ob wir nicht von unserem System der politi­ schen Rechte lernen können, und auch in anderen Bereichen des Staates wie bei der Bildung und sozialen Vorsorge dem Einzelnen wieder mehr das Heft in die Hand geben. Wie das Unternehmen ein gutes und klares Berichtswesen braucht, um sei­ ne Abläufe gezielt optimieren zu kön­ nen, so brauchen wir im Staat ein 
ein- Einfaches Steuer- und Finanzsystem faches und transparentes Steuer- und Finanzsystem, das uns den Blick für die notwendigen Reformen zu einem starken Staat erleichtert. Wir sollten dabei den Mut haben, uns für das be­ ste und modernste Steuer- und Finanz­ system zu entscheiden, das auch die volkswirtschaftlich richtigen Anreize setzt: • sei es beim einzelnen Steuerzahler, • sei es bei den Unternehmen, • oder sei es bei den Gemeinden durch einen fortschrittlichen Finanz­ ausgleich. Eine schlagkräftige, unabhängige Finanzkontrolle kann uns zusätzlich helfen, ständig zu prüfen und zu hinterfragen, ob wir die Staatsmittel effizient einsetzen. Ein Staat ist aber nicht nur stark, wenn er finanziell stark ist und effi­ ziente Strukturen hat, sondern wenn er auch moralisch stark ist. Dies ist er be­ sonders dann, wenn seine Bürger selbst moralisch stark sind. Der Staats- feiertag kann auch ein 
Zeit- Nur wenn Bürger selbst moralisch stark sind punkt zum persönlichen Innehalten sein. Daher ermutige ich Sie, die vor­ herigen Fragen etwas abgeändert auch sich selbst zu stellen: • Warum bin ich auf dieser Welt? • Was ist mein ganz persönliches Ziel im Leben? • Welche Aufgaben muss ich erfüllen, um dieses Ziel zu erreichen? • Und was für ein Verhältnis ergibt sich daraus zum Staat, in dem ich le- be'.' Ich denke, dass es eine Erfahrung vieler Menschen ist, dass der Einsatz für unsere Mitmenschen ein Ziel ist, das unserem Leben Sinn gibt. Nur wenn die Bilanz zwischen Geben und Nehmen in einer Gemeinschaft stimmt, bleibt die Freiheit für alle er­ halten. Wenn möglichst viele von uns sich diese Fragen stellen und dadurch eine klare Ausrichtung für ihr Leben und ihre Aufgabe im Staat finden, so helfen sie damit auch unserem Staat selbst. Liebe Liechtensteinerinnen, liebe Liechtensteiner Lasst uns einen Staat schaffen, in dem soweit wie möglich der Einzelne und so wenig wie möglich der Staat für den Einzelnen die Entscheidungen trifft oder treffen muss. « *
	        

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