Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2004)

DONNERSTAG, 12. AUGUST 2004 
VOLKS BLATT 
SPORT 
OLYMPIONIKE OLIVER GEISSMANN IM VOLKSBLATT-INTERVIEW 
17 OLYMPIA-SPLITTER Fast alle Schweizer gesetzt Einen Tag vor der Auslosung hat der Inter­ nationale Tennis-Verband die Gesetztenlis- ten für das olympische Tennisturnier be­ kannt gegeben. Roger Federer ist topgesetzt, Patty Schnyder die Nummer 10 und das Doppel Myriam Casanova/Schnyder die Nummer 6. Einzig das Doppel Yves Alle- gro/Federer schaffte den Sprung in die Setz­ liste nicht. • (si) Gail Devers will 100 m laufen Marion Jones, die Olympiasiegerin von 2000, muss ihre letzte Hoffnung auf einen 100-m-Start bei den Olympischen Spielen in Athen begraben. Gail Devers (37), die Vierte der US-Trials, will auch Uber 100 m antreten - falls die des Dopings überführte Torri Edwards gesperrt bleibt. (si) Marc Raquil nicht in Athen Der französische 400-m-Läufer Marc Ra­ quil (27) kann nicht in Athen teilnehmen. Der WM-Dritte verletzte sich im Training an der linken Wade und muss fünf bis sechs Wochen pausieren. (si) Zielscheibe des Spotts Die Olympia-Maskottchen haben im Mo­ ment kein leichtes Leben. Die nach den griechischen Göttern Phevos und Athena be­ nannten Figuren werden in den Medien wegen ihres unförmigen Körpers verspottet - da als «aufgeblasene Kondome», dort so­ gar geschmacklos als «Mutanten eines Atomunfalls». (si) Doping ist russisches Roulette Die Antidoping-Weltagentur (WADA) will in Athen mehr als 3000 Tests durchführen: Das ist Rekord. «Wer auch immer jetzt dopt, der geht das Risiko eines russischen Roulet­ tes ein», sagte der kanadische WADA-Chef Dick Pound. (si) Schweiz marschiert früher ein Nicht an 180. Position wie sonst, sondern bereits als 50. Nation wird das von Roger Federer angeführte Schweizer Team am Freitag bei der Eröffnungsfeier ins Olympia­ stadion von Athen einmarschieren. Norma­ lerweise wird für den Einmarsch der Natio­ nen das olympische Protokoll mit Englisch als Hauptsprache angewendet: Switzerland figuriert dabei weit hinten im Alphabet. Im Griechischen, das im Ursprungsland Olym- pias zur Anwendung kommt, heisst die Schweiz jedoch Helvetia resp. Elvetia. (si) Olympisches Schnellgericht Zum dritten Mal nach Atlanta 1996 und Sydney 2000 wird eine Adhoc-Kammer des in Lausanne angesiedelten Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) über alle Streitig­ keiten während der Olympischen Spiele in Athen entscheiden. Jeder Athlet, die 202 Nationalen Olympischen Komitees (NOKs), die 28 internationalen Verbände und das IOC selbst können den CAS anrufen. Seine Entscheidung ist endgültig, unwiderruflich und vollstreckbar. Als Streitfalle kommen vor allem Dopingvergehen in Frage. (si) IN ATHEN GELANDET 
Ohne Risiko kein Erfolg Oliver Geissmann über das Casino, die Checkliste und das Memoryspiel Olympia nimmt Geissmann nicht auf die leichte Schulter: «Wie kann ein Wettkampf, der nur alle vier Jahre stattfindet, gleich sein wie jeder andere?» Heidemarie Hainschwang, Präsidentin des liechtensteinischen Schützenverbandes und Olympia-Starter Oliver Geissmann sind ges­ tern auf dem Athener Flughafen gelandet. 
SCHAAN - Im Spielcasino ist Oliver Geissmann kein guter Gambler. Im Olympiawettbe­ werb am kommenden Montag hofft der beste Liechtensteiner Schütze aber, die richtige Mi­ schung zwischen Risiko, Kon­ zentration, Präzision und Ruhe zu finden. Und zwar trotz gren­ zenloser Nervosität. • Cornelia Hote r Volksblatt: Sind Sie ein guter Spieler, Oliver Geissmann? Oliver Geissmann: Im Casino überhaupt nicht,' nein! (lacht). Im Schiessen dagegen gehört das Risi­ ko dazu. 
Die Schwierigkeit besteht darin, zu spüren, wann ich wie viel Risiko auf mich nehmen kann. Und eines ist klar, ohne Risiko ist auch kein Erfolg möglich im Schiessen! Steht das Risiko nicht im Wider­ spruch zur Konzentration, Präzi­ sion und Ruhe, die ein guter Schütze haben muss? Nein, im Widerspruch steht das Risiko nicht. Es ist vielmehr ein weiteres Puzzleteil des grossen Bil­ des, das schliesslich ein gutes Re­ sultat ausmacht. Und vor allem ist es die Kunst des Schiesssports, die richtig Mischung der verschiede­ nen Faktoren zu finden. Es ist nicht der Körper, der mir Probleme machen wird, sondern der Kopf Wie viele und welche Puzzletcile müssen am Montag zusammen­ finden, damit Oliver Geissmann sagen kann, einen guten Olympia­ wettkampf gehabt zu haben? Zu allererst muss ich mit Selbst­ vertrauen im Schützenstand stehen. Fehlt das, muss ich erst gar nicht an­ treten, denn dann werde ich weder den Mut zum Risiko noch die nötige Ruhe finden. Der zweite ganz wich­ tige 
und entscheidende Punkt wird sein, die Nervosität in den Griff zu kriegen, ich weiss bereits heute, dass ich an diesem Tag sehr nervös sein werde, denn der Olympiawett­ kampf ist etwas Spezielles, auch wenn viele Athleten sagen, es sei ein 
Weitkampf wie jeder andere. Damit lügt man sich aber selber an, denn, wie kann ein Wettkampf, der nur al­ le vier Jahre stattfindet, gleich sein wie jeder andere? Wie werden Sie Ihr Nerven zü­ geln? Daran arbeite ich seit Monaten ganz intensiv, denn, es ist nicht der Körper, der mir in diesen 105 Minu­ ten des Wettkampfes Probleme ma­ chen wird, sondern der Kopf. Ich habe das in Sydney vor vier Jahren am eigenen Leib erfahren. Vor Au­ stralien lief es glänzend, dann kam ich nach Sydney, stand im Ring und war total nervös. So ner­ vös, wie nie zuvor. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen musste und das 
Resultat waren enttäuschende 582 Punkte. Heute weiss ich, dass ich auch in Athen nervös sein werde und 
das ist okay, denn Nervosität braucht es. Ich weiss aber auch, wie ich 
diese Nervosität überwinden und mich davon befreien kann ... ... und wie werden Sie das tun? Wer nervös ist, atmet nur ober­ flächlich und der ganze Körper ist verspannt. Tiefes Durchatmen wird denn auch wichtig sein und mir hel­ fen, meinen Körper zu spüren und den Rhythmus zu finden. Dann gilt es, vor der Schussabgabe voll kon­ zentriert und in kürzester Zeit eine ganze Checkliste durchzugehen: stimmt die Nullstellung? Wackelt der Körper? Stimmt die Höhe? Und dann: Peng. eine Zehn! (lacht). Das tönt, als ob sich Oliver Geiss­ mann für ein paar Sekunden von aussen betrachten könnte? Ja, das wäre der Optimalfall, denn es ist ja nicht so, dass ich meinen Körper von oben bis unten anschau­ en und feststellen kann, ob und wo er wackelt und unruhig ist, oder dass ich die Höhe nachmessen oder die Nullstellung wirklich überprüfen könnte. Optimal wäre, wenn alles automatisch stimmen würde oder ich zumindest spüre könnte, wo ich was noch verändern muss. Das Wichtigste aber ist das Wissen, dass diese 105 Minuten Wettkampfzeit harte Arbeit sind und jeder Schuss hart erarbeitet werden muss. Sind die Vorzeichen mit nicht nach Wunsch verlaufener Olym­pia-Hauptprobe 
in Athen und dem letzten Weltcup in Mailand deshalb gar nicht so wichtig? (Überlegt). Ja und nein. Einer­ seits geben gute Resultate natürlich Selbstvertrauen und das brauchst du als Sportler. Meine Resultate in Athen und Mailand haben mir denn auch zu denken gegeben und mich verunsichert. Das war für mich kei­ ne einfache Zeit. Andererseits ist ein Topresultat von heute keine Ga­ rantie, dass ich auch morgen ein gutes Ergebnis erzielen kann. Ge­ nauso, wie du heute im Memory­ spiel jede Kombination aufdecken Noch 1 Tag TMO ATHENS 2004 und dir genau merken kannst, wo die Karten versteckt sind und du morgen kein einziges Kartenpaar findest, ist es auch mit der Verfas­ sung eines Schützen. Es gibt Tage, da kann ich mich besser konzen­ trieren, der Körper wackelt kaum und ich bin bereit, Risiko einzuge­ hen ... ... und dann gibt es diese anderen Tage. . Ja, leider! Es gibt einfach Tage, an denen nichts zusammenpasst und kein Rezept hilft. Das ist im Sport so und darüber musst du als Athlet stehen. Die Welt geht des­ wegen nicht unter und es ist wich­ tig, dass man sich nach einem Miss­ erfolg auf das nächste Ziel konzen­ triert und sich auf die nächste Chan­ ce freut. Jeder Wettkampf ist näm­ lich eine neue Chance und somit auch eine neue Möglichkeit, sich dort sein Glück zu erarbeiten. Wenn ich nach einem schlechten Resultat aber denke, das nächste Mal muss es klappen, wird es ziemlich sicher 
wieder misslingen, denn erzwingen lässt sich das Glück nicht. Nach dem missglückten Wcltcup- einsatz von Mailand muss Ihre Vorfreude auf Athen nun sehr gross sein. Ja, das kann man sagen und ich wünschte, es wäre bereits der 16. August, mittags um 12 Uhr! Das war natürlich nicht immer so, denn nach Mailand war ich eine Zeit lang ziemlich Tatlos 
und wünschte mir, Athen würde noch lange auf sich warten lassen. Glücklicher­ weise stellte sich dann heraus, dass etwas mit meinem Gewehr nicht stimmte, das zwischenzeitlich be­ hoben werden konnte. Seither stim­ men die Trainingsresultate wieder und die Freude und die Zuversicht sind zurückgekehrt. Jetzt kann ich es denn auch kaum mehr erwarten und wäre froh, wenn ich die Zeit nach vorne drehen könnte. Es hat seit Monaten kaum noch einen Tag gegeben, an dem ich nicht an die Olympischen Spiele in Athen ge­ dacht hätte und die Olympiavorbe­ reitung hat meinen Alltag ganz klar bestimmt und dominiert. Als einziger liechtensteinischer Olympionike mussten 
Sie in letz­ ter Zeit auch ständig Rede und Antwort stehen. Welche Journalis­ tenfrage kann Oliver Geissmann schon gar nicht mehr hören? (Lacht). Das ist mir eigentlich egal. Ich beantworte immer noch alle Fragen und eigentlich ist es ja schön, wenn sich jemand für den Schicsssport interessiert. Könnte ich aber zwei Fragen unbeantwortet lassen, wären es die nach meinen Zielen und die, wie es ist, der einzi­ ge liechtensteinische Athlet zu sein. Weshalb? Weil in jedem Wettkampf alles möglich ist, auch in Athen, und es logisch ist, dass dort ein gutes Re­ sultat mein Ziel ist. Dafür arbeite ich seit vier Jahren und daran glau­ be ich auch, trotz des Wissens, dass in Athen 
nur die Besten der Welt an­ treten und ich noch immer einer der Jüngsten bin. Helfen kann mir dabei aber niemand, das muss ich selber tun und deshalb spielt es keine Rol­ le, ob die Liechtensteiner Delega­ tion aus zehn Athleten oder eben nur aus meiner Person besteht... 
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