Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2004)

DONNERSTAG, 24. JUNI 2004 VOLKSI 
IIVII AlVin JUBILÄUM BLATTI 
lIVLMIllLi 20 JAHRE FRAUENSTIMMRECHT 
7 FRAUENSTIMMRECHT Emma Eigenmann: Es war die erste Wahl nach der Einführung des Frauenstimmrechts und ich war sehr überrascht, dass ich als er­ ste Frau in den Landtag gewählt wurde. Ehr­ lich gesagt, ging es mir fast ein bisschen zu schnell. Wir Frauen hatten noch gar keine Zeit, in die Politik hineinzuwachsen. Als einzige Frau im Landtag war ich zu­ stündig für sämtliche Frauenthemen, ganz egal, ob es sich um das Familienrecht oder um einen finanziellen Beitrag für das Frau­ enhaus handelte. Während den sieben Jahren als Landtagsabgeordnete habe ich sehr viel gelernt, über Politik und Probleme, die mich vorher nur am Rand beschäftigt haben. Ich habe aber auch erfahren, dass man es nie al­ len recht machen kann. Den Sprung direkt in den Landtag würde ich aber so nicht mehr machen wollen. Ich würde mich zuerst in einer Kommission oder in anderen Gremien engagieren, um ei­ nen besseren Einblick in die Welt der Politik zu bekommen. Ich weiss, dass es nach wie yor schwierig ist, Frauen für politische Ämter zu begeis­ tern. Viele haben das Gefühl, sie seien den Anforderungen nicht gewachsen. Umso mehr begrüsse ich es, dass die FBP entschieden hat, eine grössere Anzahl Frau­ en in dpn Landesvorstand zu wählen. So wird ihnen die Möglichkeit geboten, die Ar­ beit in politischen Gremien kennen zu ler­ nen und damit die Scheu vor einem öffent­ lichen Amt zu verlieren. Emma Eigenmann war die erste Land- » tagsabgeordnetc in Liechtenstein. ? Alice Acrne: Wie war das damals? Sind es wirklich nicht mehr als zwanzig Jahre her, dass ein Gymnasiast seiner Lehrerin (einer damaligen Kollegin, die Wirtschaft und Recht unterrichtete) sagen konnte, er halte das Frauenstimmrecht für überflüssig? - Sie erinnerte ihn daran, dass schliesslich sie ihm politische und wirtschaftliche Zusammen­ hänge in ihrem Unterricht näher bringe. - Das mache sie ja schon recht, meinte der junge Mann, der vermutlich nicht unfreund­ lich sein wollte. Er glaube jedoch trotzdem, dass Frauen an der Urne oft «falsch» stimm­ ten...und deshalb sei es doch besser, die Dinge so zu lassen, wie sie nun mal seien. 1984 blieben die Dinge nicht so, wie man­ che sie weiterhin haben wollten, und das ist gut so. Die Mädchen und jungen Frauen in unse­ rer Schule können sich heute kaum mehr vorstellen, dass ihre Mütter und Grossmüt­ ter vor diesem Datum ihre Meinung an der, Urne nicht kundtun konnten. Für sie ist es^ natürlich, dass Frauen in der Öffentlichkeit ihren Platz einnehmen und ihre Stimme er­ heben. Viele von ihnen wissen auch, dass der Weg der Frauen an jene Plätze, die ihnen ihren Fähigkeiten und ihrem Talent entspre­ chend zustehen, noch nicht zu Ende ist. Gleichstellung in weiten Bereichen der Ge­ sellschaft ist das Ziel. Alicc Aerne ist Präsidentin des Vereines Bildungsarbeit Frauen. • j 
Chancengleichheit nicht erreicht Interview mit Bernadette Kubik-Risch zu 20 Jahre Frauenstimmrecht JUBILÄUMSFEST 20 Jahre Frauenstimmrecht: jubiläumsfest am 26. Juni VADUZ - Ende Juni und Anfang Juli 1984 wurde in Liechtenstein im dritten Anlauf das Frauenstimm- und -Wahlrecht 
mit einem denkbar knappen Volksentscheid der liech­ tensteinischen Männer eingeführt. Dieser zäh errungene Meilenstein in der Entwick­ lung der liechtensteinischen Demokratie liegt also 20 Jahre zurück. Das Frauennetz; Liechtenstein feiert dieses Jubiläum am 26. Juni 04 im VaduzenTaal mit einem Fest, zu dem alle eingeladen sind. Freier Eintritt. Programm 15.30 Uhr offizieller Teil: Grussworte, Vor­ trag, Vorstellung des Preises «DemoGra- zia»: Preis für Zivilcourage. 18 Uhr Abendessen. Von 14.30 bis 18 Uhr Kinderbetreuung. 20 Uhr: Es spielen die Frauen mit Zivilcou­ rage und Eigensinn Lieder, Tänze, Kabarett und Parodien. (Eing.) 
VADUZ - Wenn mehr Frauen in Kommissionen gewählt würden, dann 
hätten sie auch eher die Chance auf einen Sitz im Land­ tag. Diese Ansicht vertritt Ber­ nadette Kubik-Risch, Leiterin des Gleichstellungsbüros. In ei­ nem Interview versucht sie zu ergründen, wieso Frauen in der Politik auch nach 20 Jahren noch massiv untervertreten sind. «Doris Meie r Volksblatt: Seit 20 Jahren dürfen die Frauen in Liechtenstein nun zur Urne. Wie weit konnten die Frauen in dieser Zeit in der Poli­ tik Fuss fassen? Bernadette Kubik-Risch: Am besten dürfte diese Frage mit Zah­ len zu beantworten sein: Der Frau­ enanteil beträgt in der Regierung 20 Prozent, im Landtag 12 Prozent, im Gemeinderat 30 Prozent, bei den Vorstehern 0 Prozent, in den Landeskommissionen knapp 20 Prozent und in den Gemeindekom­ missionen knapp 27 Prozent. Diese Zahlen belegen, dass Frauen in den politischen Gremien noch stark untervertreten sind. Woran liegt es, dass Frauen in der Politik noch immer krass in der Minderheit sind? Obwohl Frauen mit mittlerweile 30 Prozent auf den Wahllisten ste­ hen, haben sie vor allem bei Land­ tagswahlen immer noch schlechte­ re Wahlchancen, Bei den letzten Landtagswahlcn hatten die kandi­ dierenden Männer eine Wahlchan-' ce von 50 Prozent und die kandi­ dierenden Frauen lediglich eine von 10 Prozent. Es werden zu wenig Frauen in Kommissionen bestellt Regierung, Landtag und Gemein­ derat sind zuständig für die Wahl der Kommissionsmitglieder auf Landes- bzw. Genieindeebene. Die Bestellung wird aufgrund der Vor­ schläge von Parteien, Kammern und Verbänden vorgenommen. Es ist also anzunehmen, dass zu weni­ ge Frauen für die Kommissionsar­ beit vorgeschlagen werden, denn in aller Regel werden die Vorschläge von den zu bestellenden Gremien gutgeheissen. Mit einem Politiklehrgang für Frauen wollen Sie Frauen unter anderem dazu motivieren, für ein politisches Amt zu kandidieren. Wieso sind solche Massnahmen überhaupt notwendig? prauen wollen und sollen in Par­ teien, Institutionen, Kammern, öf­ fentlichen Gremien und Vereinen mitreden, mitentscheiden und mit­ gestalten. Der Politiklehrgang er­ mutigt Frauen, ihre Talente und Fä­ higkeiten in die Gesellschaft einzu­ bringen. Es wird von Wahl zu Wahl schwieriger Frauen zu motivieren, Es ist von Wahl zu Wahl schwieriger, Frauen zu motivieren für ein politisches Amt zu kandidie­ ren. Dies ist unter anderem auf die geringeren Wahlchancen zurückzu­ führen. Frauen ist es sehr wichtig, dass 
Bernadette Kubik-Risch, Leiterin Stabsstelle Gleichstellungsbüro: «Frauen können in der Politik noch nicht viel beeinflussen, da die kritische Masse (30 Prozent) noch nicht erreicht ist.» sie gut vorbereitet sind und über das nötige Know-how verfügen, bevor sie beispielsweise eine Zusa­ ge zu einer Kandidatur bzw. zu ei­ nem politischen Amt geben. Der Politiklehrgang motiviert und ver­ mittelt Sicherheit für ein politi­ sches Amt. Was konnten die Frauen bisher in der Liechtensteiner Politik umsetzen? Seit der Einführung des Frauen- stimmrechts bestimmen und gestal­ ten Frauen die Politik in Liechten­ stein mit. Die Beeinflussung hält sich aber noch in Grenzen, da die kritische Masse (nach Empfehlung "der UNO wären dies 30 Prozent Frauen in Entscheidungsgremien) lediglich im Gemeinderat knapp er­ reicht ist. Nehmen wir beispiels­ weise den Landtag mit einem Frau­ enanteil von derzeit zwölf Prozent: Entscheidungen können von Frauen zu wenig beeinflusst werden Die Entscheidungsprozesse können von Frauen eindeutig zu wenig be­ einflusst werden. Nur wenn Frauen ihre Rechte und Pflichten wahrneh­ men (körinen), können sie auf künf­ tige Entwicklungen in Politik, •Wirtschaft und Gesellschaft Ein- fluss nehmen und mitgestalten. Was hat die Einführung des Frauenstimmrechts punkto Gleichstellung zwischen Mann und Frau beigetragen? Mit der Einführung des. Frauen­ stimmrechts wurde der Grundstein für 
die Gleichstellung von Frau und Mann gelegt. In der Folge wurde .1992 in der Verfassung verankert, dass Frau und Mann gleichberech­ tigt sind. Auf der rechtlichen Ebene wurde inzwischen sehr viel er­ reicht. Denken wir an die Revision des Ehegesetzes, an die Trennungs­ und Scheidungsrechts, die Revision des Landes- und Gemeindebürger- rechts, an die Einführung des Mut­ terschaftsurlaubs, an die AHV-Re- vision, an die Gesetzesanpassungen im Arbeitsvertragsrecht, an die Re­ vision der betrieblichen Pcrsohal- vorsorge, an die Einführung eines 
Gleichstellungsgesetzes, an das Wegwcisungsrecht bei Gewalt in Ehe und Partnerschaft usw. All diese Gesetzesanpassungen sowie verschiedenste Projekte wirken sich auf die Lebensrealitäten von Frauen positiv aus, und trotzdem wurde die tatsächliche Chancen­ gleichheit jedoch noch nicht er­ reicht. Machen Frauen anders Politik als Miinner? Die Lebensentwürfe von Frauen und Männern unterscheiden sich. Die beiden Geschlechter haben ei­ nen anderen Zugang und eine ande­ re Herangehensweise zu den The­ men. Die Sichtweisen werden er­ weitert und ergänzt. Zudem werden mitunter auch andere Prioritäten gesetzt. Am 10. Miirz 1999 wurde in Liechtenstein ein Gleichstel­ lungsgesetz verabschiedet. Was hatte dieses für einen Einfluss? Die Erreichung der rechtlichen Gleichstellung war ein Meilenstein in der liechtensteinischen Gleich­ stellungspolitik. Die Erreichung der tatsächlichen Chancengleich­heit 
wird, wenn sie in diesen klei­ nen Schritten der letzten Jahre vor­ anschreitet, 
nach einer Einschät­ zung der UNO noch mindestens weitere 60 Jahre benötigen. Es ist daher nötig, dass wir diesen Pro- zess mit griffigen Instrumenten und Quotenregelung könnte der Chancengleichheit helfen Massnahmen beschleunigen. Für Entscheidungs- und Füh­ rungspositionen könnte ein Instru­ ment die Einführung einer Quo- tenregclung sein, bis beispiels­ weise die 30-Prozent-Hürde in al­ len Entscheidungsgremien ge­ schafft wäre. Dabei bin ich mir bewusst, dass es schwierig sein würde, Mehrheiten für eine Quo­ tenregelung zu gewinnen. Ich würde mich freuen, wenn nach den nächsten Landtagswahlen 30 Prozent Frauen im Landtag vertre­ ten sind und wir es nicht mehr nö­ tig haben werden, über eine Frau­ enquote nachzudenken. UNTERLAGEN FÜR UNTERRICHT Frauenstlmmrecht auclf ein Thema in der Schule? VADUZ - Keine Frage - Ge­ schlechterrollen sind immer wie­ derein Thema in den liechtenstei­ nischen Schulen. Sei es in Projek­ ten und Kursen der. Lehrerinnen und Lehrer, bei denen es um Ko­ edukation; Chancengleichheit und Geschlechterrollen geht oder, in der direkten Arbeit mit den Kindern im Klassenzimmer. Den Lehrpersonen steht dazu ein vielfältiges Angebot an Lehr­ mitteln zur Verfügung. »Für die Didaktische Medienstelle war die Feier «20 Jahre Frauenstimm­ recht in Liechtenstein» eine gute Gelegenheit, die Medienkoffer «Gleichstellung und Geschlecht terrolien - auch ein Thejnä in den. Schulen» zu überarbeiten und die Lehrpersonen auf die entspre­ chenden Lehrmittel und Medien aufmerksam zu machen.- Die vier Medienkoffer für alle 
Schulstufen beinhalten ein reich­ haltiges Angebot für die Arbeit mit den Schülern und Schüler­ innen sowie auch Hintergrund- und Infomaterial für die Lehrper­ sonen. Diareihen, Unterrichts-ein­ heiten, Bilderbücher, Lesebücher und Spiele ermöglichen es, «Gleichstellung und Geschlech­ terrollen» in verschiedenen. 
1 Fä­ chern und Stufen auf interessante und spannende Art zum Thema zu machen. Nicht, nur für die Schu­ len/sondern auch flir Jugendar- beitsstelleii interessant 
1 sind Me­ dien wie z.B. CD-ROMs; und Fil­ me zur Vorbereitung auf die, Be- ] rufswahl oder Videofilme über Geschlechterrollen, früher und heute. - Am 26. Juni 2004 beim Jubi- - läumsaniass liegen die meisten dieser Medien an einem Infotisch auf. Ab Montag, 28.6.2004 kön­ nen sie wieder in der Didaktischen - Medienstelle von allen Interessier­ ten ausgeliehen werden..
	        

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