Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

SAMSTAG, 22. NOVEMBER 2003 VOLKS I 
IIVII A MlY BOTSCHAFTER-INTERVIEW BLATT I 
I I >8 
LH l\8 L? EUROPARAT-JUBILÄUM 
3 •6 
25 JAHRE EUROPARAT Churchill ist der Väter VADUZ/STRASSBURG - Seit 25 Jahren ist Liechtenstein nun Mitgliedsstaat im Eu- roparat und Teil der Gemeinschaft, wel­ cher sich bislang weitere 45 Länder an­ geschlossen haben. Mit dem Fürstentum Monaco wird im kommenden Jahr mit grösster Wahrscheinlichkeit ein weite­ rer Staat in die europäische Gemein­ schaft aufgenommen werden. -   * Petar Klndla . 196000 Franken bezahlte Liechtenstein im laufenden Jahr an die Institution Eufoparat, um von den vielfältigen Kontakten und.des Gremiums profitieren "zu dürfen: eigentlich eine bescheidene Summe, bedenkt man, dass das Gesamtbudget eines Jahres gut 175 Millionen Euro'beträgt. Dazu kommen noch' freiwillige Beiträge, wie der von Regierungs­ rat Ernst Waich an der Feier anlässlich der 25-jährigen Mitgliedschaft angekündigte Beitrag von CHF. 50 000" an den Europäi­ schen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Europarat wurde am 5. Mai 1949 als erste politische Organisation in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. 10 Staa­ ten (Belgien, Dänemark. Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden, Vereinigtes Königreich) unter­ zeichneten das Gründungsstatut in London. Die Idee der. Gründung einer europäischen Organisation war an. sich nicht neu. Die euro­ päische «Einigungsidee» fand ihren wohl mächtigsten Vertreter in Sir Winston Churchill, der die Gründung eines '«Europarats» in einer Rundfunkansprache bereits 1943 vorschlug. «Never ever» waren die Schlussfolgerungen nach dem Zweiten Weltkrieg: derartige Ereig- . nisse dürften sich nie wieder wiederholen. Ein Jahr nach der Gründung zählte der Eu­ roparat bereits stolze 14 Mitgliedsstaaten. Nach und nach traten weitere westeuropäi­ sche Staaten;der Organisation bei. Im Jahre -1989 kam .dann dem.Eürdparat die neue Auf­ gabe zu, gesamteuropäischer Einigungsträger zu werden. Ab 1990 wurden nach und nach die (damaligen)-osteuropäischen Staaten in den Bund der Organisation aufgenommen. Für Liechtenstein waren insbesondere die beiden Präsidentschaften in den Jahren 1986 und 2001 die Höhepunkte der nün während 25 Jahre andauernden Mitgliedschaft. Die untenstehenden Impressionen lassen die Ge­ schichte des letzten Vierteljahrhunderts Wie­ deraufleben. .1986: Hans Brunhart übernimmt die Europa­ ratspräsidentschaft von der Türkei. Gerard Batliner in Strassburg. 2001: Zweite Präsidentschaft im Europarat mit Ernst Walch, S. 0. der Landesfürst und Europarats-Generaisekretär Walter Schwim­ mer. 
«Ein Geben und Nehmen» Botschafter Josef Wolf zum Thema 25-jährige Mitgliedschaft beim Europarat VADUZ - Morgen jährt sich die Aufnahme Liechtensteins jn den Europarat zum 25. 
Mal. Der pro- funde Europaratskenner Josef Wölf, der unser Land bis Mai 2002 während zehn Jahren als Botschafter vertreten hat und heute als Botschafter in Berlin Wirkt, zieht Bilanz und nimmt dabei auch Stellung zu der nach Strassburg-getragenen Verfas- sungskontroverse. »Martin Frömmel t  •' Volksblatt: Inwiefern hat der Eu­ roparat von der Mitgliedschaft Liechtensteins profitiert? josefWolf: Dei 
1 Europarat hat in mannigfaltiger Weise vom Engage­ ment unserer Vertreter Sowohl in det Parlamentarischen Versamm­ lung als auch im Ministerkomitee., profitiert'.' 'Was die- Parlamentari­ sche Versammlung anbelangt, so möchte ich nur zwei Beispiele auf­ führen: Zu Beginn der 90er-Jahre war Walter Oehry der hauptsächli­ che Berichterstatter für die Aufnäh­ me Litauens in den Europarat, spä-' ter und auch heute noch übernimmt Renate Wohlwend immer wieder die Aufgabe, einer Berichterstatte­ rin zu grundlegenden Fragen der Organisation. Der Name Liechten­ stein taucht somit im internationa­ len Kontext auf. Was für die Parlamentarische Ver­ sammlung gilt, gilt auch für das Mi­ nisterkomitee bzw. das Komitee der Ministerdelegierten (die Botschaf­ ter). Im Jahr 1987 hatten der dama­ lige. Regierungschef Hans Brünhart und S.D. Prinz Nikolaus von Liech­ tenstein den Vorsitz im.Ministerkov . mitee, und im Jahre 2001 fiel diese . Aufgabe Regierungsrat Ernst Walch und mir zu. In Strassburg istzudem der dienstälteste Botschafter auch Doyen - eine Aufgabe, die sowohl S.D. Prinz Nikolaus von Liechten­ stein als auch ich während mehreren Jahren wahrgenommen haben. Es ist natürlich, dass jemand, der mehrere Jahre.aüf dem Posten verbleibt, sich eine reiche" Erfahrung aneignen kann, die wiederum der Organisa- Ü911 zugute kommt. Insbesondere in delikaten Sach- und Personalge­ schäften hatte das Wort des Doyens einen besonderen Stellenwert. Erwähnenswert sind . hier auch die finanziellen Zuwendungen/die von Liechtenstein zu Gunsten des Europarates gemacht wurden. Es waren dies finanzielle Zuwendun­ gen, die über den von den Statuten festgesetzten ordentlichen Beitrag hinausgingen. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang auch be­ deutende Beiträge von privaten Stiftungen für bestimmte Projekte des Europarates; erwähnen muss ich hier die Peter Kaiser-Gedächt­ nisstiftung und die Stiftung Propter Homjnes. Ohne eine substantielle Zuwendung der zuerst - genannten privaten Stiftung wäre beispiels- " weise das Grazer Fremdsprachen- , Zentrum des Europarates nicht zu­ stande gekommen. Wie überhaupt sowohl die ausserordentlichen Bei­ träge der Regierung als auch die Spenden privater Stiftungen insbe­ sondere zur Festigung von Demo­ kratie und Rechtsstaatlichkeit in den mittel- und osteuropäischen Ländern verwendet wurden! Noch jetzt werden Akademien für politi­ sche Bildung im südosteuropüi- schen Raum unterstützt. ' Inwiefern hat Liechtenstein von der Mitgliedschaft profitiert? Das Profitieren war gegenseitig, ein echtes Geben und Nehmen; Die Aufnahme in den Euröparat Hess. 
«Ich kann mich nicht entsinnen, dass über die Standards der Demokratie je im Ministerkomitee diskutiert wurde»: Botschafter Josef Wolf! uns das Trauma von der Nicht-Auf­ nahme in den Völkerbund verges­ sen. Mit dem Beitritt zum Europa­ rat 19.78 erreichten wir die europa­ weite Anerkennung unserer Souve­ ränität, gleichzeitig auch die Aner­ kennung als Rechtsstaat. Der bald nach der Aufnahme erfolgte Beitritt zur Europäischen Menschenrechts^ konvention 
(EMRK) war ein ausserordentlich- wichtiges Ereig­ nis. Ich Habe, den Europarat kennen gelernt-in einer Zeit, da ich noch- Schulamtsvorstand war. Für mich war die Teilnahme an den Sitzungen des Direktionskömitees für Bildung und Kultur eine echte Erweiterung des Horizontes. Daraus entstanden viele Anregungen. Wie mir erging es auch den anderen Experten, die nach Strassburg kamen. Dieses Par­ tizipieren an europaweiten Erfah­ rungen erstreckte sich auch auf die­ jenigen Personen, die für Liechten­ stein richterliche Funktionen-in der früheren Europäischen Menschen­ rechtskommission wahrgenommen haben, nämlich Gerard Batliner und später Benedikt Marxer. Belastet die Verfassungs-Diskus-, sion die Zusammenarbeit zwi­ schen dem Europarat und Liech­ tenstein? v Ich darf für mich beanspruchen, dass ich die Entstehung des Moni- 
1 toringrVerfahreris im Europarat von der ersten Stunde an miterlebt 
ha- DIE VERFASSUNGS- DISKUSSION be. Ziemlich bald nach dem ersten Gipfeltreffen des Europarates in Wien unterbreitete die jetzige Staatspräsidentin von Finnland, Frau Halonen, einen Resolutions­ entwurf zur Einführung von: Kon­ trollmechanismen. Dieser Schritt war nötig geworden, weil zu Be­ ginn der 90er-Jahre sehr viele Neu­ aufnahmen stattfanden. Man kann von einer-eigentlichen Äufriahme- invasion sprechen. . Bei der Aufnahme gehen die neu­ en Staaten bestimmte Verpflichtun­ gen ein. Bei unserer Aufnahme wah­ ren es im Wesentlichen noch zwei 
Verpflichtungen, bei den mittel- ' und osteuropäischen Staaten wurde die Liste der Verpflichtungen im- . mer länger. Bei der Aufnahme 
von Russland waren es - ich schreibe das aus der Erinnerung heraus - mindestens 25. Viele Beobachter beurteilten. die^e. Aufnahmen „als,, 1 übereilt und sprachen, von.'einem .. Ausverkauf der Wertegemein­ schaft. Die Einführung eines Moni­ toring war in dieser Situation eine • Alarmglocke oder sie können auch sagen: eine Notbremse. - Vorerst entwickelte sich ein lan­ ges Seilziehen darüber, wie dieses Monitoring-Verfahren einzurichten sei, welche Vorgehensweise im 
Mi- EINE NOTBREMSE njsterkomitee' und welches in der Parlamentarischen Versammlung zu wählen sei. Und zu Beginn war die­ se Massnahme nur für die neu auf­ genommenen Staaten gedacht. Erst einige Jahre später wurde die Reso­ lution so gefasst, dass sie auf alle Staaten Anwendung finden konnte. Es gibt nicht wenige politische Beobachter, die den Versuch der Verfassungseinmischung durch Europarats-Kreise als sehr prob­ lematisch 
für den Europarat selbst einstufen: Wie sehen Sie -das als erfahrener Europarats- Kenner? Dazu möchte ich zuerst ausfüh­ ren, dass bei unserer Aufnahme in den Europarat im Jahr 1978 an der liechtensteinischen . Verfassung nichts ausgesetzt wurde. Es wurde .lediglich die möglichst baldige Ein­ führung des Frauenstimmrechts verlangt. Über die Abänderungen der Ver­ fassung gab es grosse Meinüngs- - unterschiede. Mich haben die ver­ schiedenen Kommentare von Alt- Regierungschef Walter Kleber über­ zeugt und in der Auffassung bestä­ tigt, dass es in hohem Mass auf die Verfassungswirklichkeit ankommen wird, d. 
h. wie sich diese Abände­ rungenini praktischen Leben der nächsten Jahre auswirken werden. • Wenn ich diesen liechtensteini­ schen Verfassungskomplex be­trachte 
und daneben die riesigen verfassungsmässigen Mängel, die gerade m den neu hinzügekpmme- nen Ländern noch sichtbar sind, so bestärkt mich das in der Auffas­ sung, idass wir vom theoretischen Streit jetzt ablassen.und die Verfas- sungsWirklichkeit in-den nächsten Jähren genau beobachten sollten. Als langjähriger Kenner der Ar­ beitsweisen im Europarat >yeiss ich auch, wie parlamentarische Berichte zustande kommen. Sie sind oft zu­ wenig systematisch und zu stark vom politischen Credo eines Abge­ ordneten beeinflusst. Im Monito- ring-Bericht über unser Land vom 18. August 2003 wird zum Teil ober­ flächlich und lückenhaft ai£unien- tiert. Es ist auch interessant zu wis­ sen, dass der Generalsekretär Walter Schwimmer dies auch bemerkt hat." Ich-habe in den vielen Jahren meiner Tätigkeit in Strassbuig auch beob­ achten können, wie gelegentlich 
Be- OBERFLÄCHLICH UND LÜCKENHAFT richterstatter, die Uber die Aufnahme eines neuen Mitgliedes eine Emp­ fehlung abgeben sollten, das gute ' Maß überschritten und zu viel Sym­ pathie flir die Neulinge gezeigt ha 
: ben. Von der einigen Vertretern der Parlamentarischen Versammlung in­ newohnenden Reiselust möchte ich hier ganz schweigen. Ich möchte nicht das Kind mindern Bade, aus­ schütten: Daneben  hab e ich auch hervorragende Berichte von einzel­ nen Parlamentariern gelesen. . 1 Zu den so genannten europäi­ schen Standards der Demokratie: Es wird so getart, als ob diese Stan­ dards irgendwann näher definiert worden seien. Ich kanil mich nicht entsinnen, dass über die europäi­ schen Standards der Demokratie je im Ministerkomitee diskutiert wur^ de, wobei ich hinzufügen muss, dass ich während- gut zehn Jahren an den.Sjtzungen dieses Komitees teilgenommen habe. Es gab Versu­ che in den 80er-Jahren, diese Stan­ dards näher zu definieren.- Ich möchte in diesem Zusammenhang das Institut für- Demokratie erwäh­ nen und dessen Einsatz für eine «Ddmöcratie v£ritable» lobend er­ wähnen. Aus dieser Gesamtbetrach­ tung heraus lehne ich ein Monito­ ring-Vefahren nach der Resolution 115 (1997) ab/Zur Beurteilung.der Frage, wie sich die neuen Verfas­ sungsbestimmungen auswirken wer­ den, gibt es andere Möglichkeiten als , dieses strenge Verfahren - und um die 'Verfassungswirklichkeit zu beurteilen, muss vorerst eine gewis­ se Zeit verstreichen, bevor man dies tun 
kann. • Was warfin Ihre schönsten Erleb­ nisse in Strassburg? : Ein Ereignis, das ich nie verges­ sen werde, war der «Liechtenstein- Tag» am 20. September 2001 - der Höhepunkt während unserer zwei­ ten Präsidentschaft im Ministerko­ mitee. Das liechtensteinische Sym­ phonie-Orchester unter-der bewähr­ ten Leitung von Albert Frommelt führte Werke von Rheinberger auf. Die Kirche war voll besetzt, als ich als Ehrengast S.D. Fürst Hans- Adam 
II von Liechtenstein in die Kirche hineinbegleiten durfte. Ein anderes schönes Erlebnis war die Verabschiedungszeremonie; die mir nach Beendigung der Präsident­ schaft zuteil wurde. Mehrere Dele­ gationen stellten während,detDan-, kesrede Blumen auf meinen Tisch'. V . . • . - : ' •'
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.