Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

DIENSTAG, 28. OKTOBER 2003 
VOLKS BLATT 
INLAND 
INTERVIEW MIT WALTER SCHWIMMER 
7 EUROPARAT .25 Jahre Liechtenstein im Europarat «Ein Austritt aus dem Europarat ist keine re­ ale Option», sagte am Mootagider General­ sekretär des Europarats, Walter Schwimmer, bei einer Medienkonferenz. 45 Länder sind Mitglieder im Europarat. Als letztes wurde der neue Staatenbund Serbien und Montene­ gro aufgenommen. Einzig Griechenland-ist zu Zeiten seiner Militärdiktatur ausgetreten. Im Augenblick wird das Beitrittsgesuch Mo­ nacos überprüft. Nicht-Mitglied des Europa­ rats ist von den europäischen Staaten noch Weissrussland. Liechtenstein ist Mitglied seit 1978 und musste damals die Verpflich­ tung erfüllen, das. Frauenstimmrecht einzu­ führen. Zweimal hatte" Liechtenstein den Vorsitz im Europarat, zuletzt 2001. Am 12. November wird Liechtenstein im Europarät in Strassbürg und im Land selbst seine 25- jährige Mitgliedschaft feiern. Menschenrechte und Demokratien Zehn Staaten gründeten am 5. Mai 1949 in London den Europarat, quasi die Vereinten Natione'rr.für Europa. Ziel war ein engerer Zusaipmenschluss, um das gemeinsame Erbe zu bewahren und wirtschaftlichen und <sozia­ len Fortschritt zu fördern. Der -Schutz der Menschenrechte und der pluralistischen De­ mokratie stand im Mittelpunkt. Eine gemein­ same Aufgabe ist zudem; Lösungen für die grossen gesellschaftlichen Probleme zu su­ chen: Minderheiten,' Fremdenhass, Intole 
; ranz, Umweltverschmutzung, illegale Dro­ gen, Krankheiten. Die Mitglieder pflegen ei­ ne enge politische Partnerschaft mit den neu­ en Demokratien Europas und leisten Hilfc- stcllung'bei deren politischen, gesetzgeberi­ schen und verfassungsrechtlichen Reformen. Eine Aufgabe, die jnit der EUrOsterweite- rung sehr aktuell ist. Europäische Menschenrechtskonvention - Das Ministerkomitee der 45 Aussenminis- ter tagt halbjährlich und legt Richtlinien fest. Am 5. und 6. November wird das Minister­ komitee in Moldawien das 3. Gipfeltreffen des Europarates vorbereiten, in dem die künftige'europäischc Architektur und die enr gere Zusammenarbeit zwischen Europarat und Europäischer Kommission das Haupt­ thema sein wird. Die Parlamentarische Ver­ sammlung des Europarats setzt sich aus Ab-, geordneten der Parlamente der Mitgliedstaa­ ten zusammen. Die Frage, ob Liechtenstein fiinem.Monitoring-Verfahren unterstellt wird oder nicht, steht in der Parlamentarischen Versammlung am 25. November auf der Ta­ gesordnung. Die Versammlung tagt dreimal jährlich und gibt jeweils die Impulse. Im Rahmen des Europarats entstanden bisher 189 Konventionen, Protokolle und Vertrags­ werke. Die bekannteste ist die vor 50 Jahren, 1953, in Kraft getretene Europäische Men­ schenrechtskonvention (EMRK). Generalsekretär Walter Schwimmer Leiter des Europafates ist seit 1. Septem­ ber 1999 der Jurist Walter Schwimmer (Bild). Seit 1991 übte der Generalsekretär verschiedene Funktionen im Europarat aus: als Mitglied der österreichischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung, Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei-Christdemokraten, Mitglied des Präsidiums der Versammlung, Vorsitzender des Unterausschusses für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 
stellvertretender Vorsitzender des Rechts- und Menschen­ rechtsausschusses, Vizepräsident der Ver­ sammlung. Sein 
jüngstes Buch heisst «Der Traum Europa» und ist erschienen im Sprin- ger-Verlag, Heidelberg und wurde auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. . 
«Europarat ist das volle Glas» Generalsekretär Walter Schwimmer: Offenheit ist die beste Strategie VADUZ - Ob Liechtenstein sich auf ein» Monitoring-Verfahren einstellen muss? Falls es zii ei- . nem Monitoring in. Liechten­ stein komme, sei das nicht mit den bisherigen Monitoring-Ver­ fahren zu vergleichen, sagt Walter Schwimmer, Generalse­ kretär des Europarats. .«Komaila Pfeiffe r  • " Volksblatt: Herr Generalsekre­ tär Schwimmer, Sie, scheinen Liechtenstein gut zu .kennen? Generalsekretär Walter Schwimmer: «Min Vatter ischt an Brägezer gsi.» Als 
Österreicher mit Vorärlberger Wurzeln habe ich ein gewisses Nahverhältnis zu Liech­ tenstein. Mein Grossvater kam als Kind aus dem Eläass nach Vorarl­ berg und hat in den 30er-Jahren als autodidaktischer" Heimatforscher, mit Fürst Franz-Josef Uber heimat­ kundliche Fragen korrespondiert. Und in der Naturschau «inatura» in Dornbirn liegt das Herbarium tles Grossvaters bestehend aus 30 Ö00 Pflanzen, also alle Pflanzenarten, die es. zu seiner Zeit in Liechten­ stein und Vorarlberg gab. Liechtenstein ist im europäischen Konzert eine Stecknadel. Wo kann sich ein Kleinstaat im Euro- pärat einbringen? Liechtenstein hat vor zwei Jahren mit Äussenminister Ernst Walch , und dem damaligen Botschafter in Strassbürg-Josef Wolf, gezeigt, dass es einen grossen Platö im europäir sehen Konzert einnehmen kann, als das Land den Vorsitz im Minister­ komitee des Europarates innc hatte. Der Etiroparat will genau das: grosse und kleine, östliche und westliche Länder, .in jeder Bezie v hung gleich behandeln. Die Klein­ staaten spielen' eine gleichrangige " Rolle und müssen sich daher auch gefallen lassen.,, dass sie. völlig gleichberechtigt unter die Lupe ge­ nommen 
werden. Und sie spielen auch eine positive Rolle in dem Sinne, dass im internationalen Kon­ zert typische' menschliche Eigen­ schaften zum Zuge kommen sollen: Rücksichtnahme und Solidarität. Der Kleinstaat Liechtenstein ist zurzeit unter Beschuss.'Im Euro- parat wie im EWR. Ist die Stim­ mung schlechter ajs die Lage? . In der Aussenpolitik braucht es. eine gewisse Gelassenheit, gleich, . ob es zu einem Monitoring-Verfah- ren kommt oder nicht kommt. Das Monitoring wurde vor zehn Jahren eingeführt mit . Blickrichtung., auf die neuen Mitgliedsländer. Dann aber haben sich Ministerkomitee und Parlamentarische Versamm­ lung zu einem grösseren Monito- ' ring entschlossen: ein Monitoring, das alle Mitgliedstaaten 
umfasst und nicht zur Bestrafung dient oder dazu, ein Land an den Pranger zu stellen, sondern um festzustellen, ob ein Land in einer besonderen Weise des Rates oder der Hilfestel­ lung seitens des Europarats bedarf. Ist Liechtenstein ein Prüzidenz- fall? Liechtenstein könnte ein Präzi- denzfair sein. Es müsste ja sehr bald der Tag eintreten, wo alle neu­ en Mitgliedsländer ihre Verpflich­ tungen erfüllen. - Dann ergibt das -Monitoring-uVerfahren nur einen Sinn, wenn man sich um Probleme kümmert, die in einem Mitglieds­ land auftreten, und nicht das Land insgesamt unter ein Monitoring- Verfahren stellt. 
«Es wäre gut, wir kämen überhaupt von dem negativen Beigeschmack des Monitorings weg.» Ein Monitoring in Liechtenstein •ist ja nicht mit dem üblichen Moni­ toring-Verfahren zu vergleichen. Sinn und Zweck eines Monitoring- Verfahrens müsste 
sein, die zukünf­ tige Entwicklung zu beobachten. Wie ich schon am Tag.der Volksab 
: Stimmung 
gesagt habe, kommt es in. einer konstitutionellen Monar­ chie auf die Verifassungswirklich- keit an. Und ob die Befürchtungen der Verfassüngsgegner eintreten, könnte Ziel eines zielgerichteten und eingeschränkten Mönitorings sein. Gibt es Bedarf für diese neue. Form von Teil-Monitoring-Ver­ fahren auch in den .44 anderen Mitgliedsländern des Europa­ rats? Es gibt immer wieder Fragen der Menschenrechte, der Rechtsstaat­ lichkeit und der Demokratie, Fra­ gen, die im Lande höchst umstrit­ ten sind; Zuwanderungsgesetze in Deutschland, Asylgesetze in Öster­ reich, grundlegende Änderungen in der Zusammensetzung des Ober­ hauses in~Grossbritannien. Damit stellt die Diskussion in der Parlamentarischen Versamm­ lung des Europarates Uber, ein Monitoring Liechtenstein nicht mehr auf eine Stufe mit der Ukraine?- . Erstens wissen wir noch nicht, ob die Versammlung das Monitoring • einführt und die Einführung selbst ist ein mehrstufiges Verfahren. Als «drohendes Monitoring-Verfahren» würde ich die Sache nicht betrach­ ten. Liechtenstein ist so transpa- rent. Auch die Diskussion um den Ver­ fassungsentwurf und das Referen­ dum waren absolut transparent. Plötzlich hat ganz Europa auf das kleine Liechtenstein geschaut. Liechtenstein hat nichts zu verber­ gen. Was soll also drohen bei einem Monitoring-Verfahren? «Monito­ ring» bedeutet «beobachten».; 
Für die Wirtschaft Liechten­ steins, für das Image des Landes - bleibt da nicht doch ein Nach-' geschmack? . Es Wäre gut, wir kämen; über­ haupt von dem negativen Beige-, schmack des Monitorings weg. Das Hechtensteinische'Parlament hat .vergangene Woche eine Reso­ lution verabschiedet mit der Bit­ te, von einem Monitoring abzuse- . hen. Wie reagieren die Organe des Europarats auf Versuche der Gegenwehr? Äbwehrversuche dieser Art könn­ ten kontraproduktiv. sein und den Eindnick erwecken,, dass es tatsäch­ lich etwas zu verbergen gibt. Die grösst mögliche Transparenz, eine . Vorwärtsstrategie, scheint mir das Beste: Europa'ist willkommen in Liechtenstein, das über bestimmte Fragen sogar diskutieren will, bei­ spielsweise Über die Anerkennung der liechtensteinischen. Souverä­ nität durch zwei andere Mitglieds­ staaten des Europarats! Die Haltung würde ich einnehmen, auch wenn es zum Monitoring-Verfahren kommt. Offenheit ist im Falle Liechten­ steins die beste Strategie. 
Äiich in Sachen EWR-Erweite- rungsvertrag .ist Liechtenstein unter Druck gekommen. EFTA- Länder haben, die EWR-Oster- weiterung blockiert, weil Liech­ tenstein von Tschechien lind der Slowakei eine Anerkennung der Souveränität fordert. Wie schät­ zen Sie diese Situation ein? Ich würde eine definitive Lö­ sung für gut halten. Dass Mitglie­ derländer 
des Europarates sich gegenseitig nicht anerkennen, kei­ ne echten diplomatischen Bezie­ hungen pflegen, ist kein gesunder Zustand. Und. für mich steht es ausser Frage, dass Liechtenstein seit mehr als .100 Jahren ein sou­ veräner Staat ist. Liechtenstein ist schon seit 25 Jahren Mitglied des Europarats, der wiederum diskutiert nun Uber die eigene Rolle in der Zu­ sammenarbeit mit der EU. Die künftige europäische Architek­ tur soll beim 3. Gipfeltreffen Thema sein, das die Ministerses- sion nächste Woche in Molda­ wien vorbereiten wird. Was steht an? ' Übrigens: In Moldawien läuft ge­ rade 
-ein Monitoring-Verfahren ab. Ein Monitoring 
führt also nicht in eine Ausseriseiterrolle. Zu Europa: Die EU wird grösser und nach in­ nen mit dem Verfassüngsvertrag stärker Strukturiert. Sie. ist kein Staat, agiert aber in vielen Fragen wie ein Staat, hat teilweise Kompe­ tenzen wie ein Staat. 
Der Europarat ist der .gesamteuropäische Zu- sammerischluss der europäischen Nationen" basierend auf Menschen­ rechten, Demokratie, Rechtsstaat­ lichkeit und doch mit einer weite­ ren Aufgabenstellung. Der Europa­ rat ist die multilaterale Organisa­ tion für Europa - quasi die Verein­ ten Nationen für Europa. Im Rah­ men einer solchen multilateralen Zusammenarbeit braucht man ein neues Gebilde wie die Europäische Union mit dabei. Europarat und Europäische Union sind Geschöpfe 
- der gleichen, zukunftsweisenden Vision nach dem Zweiten Welt­ krieg. • Der Europarat hat. die pan-euro- päische Ausrichtung, die EU ist mit ihrer wirtschaftlichen Zusammen­ arbeit attraktiv für die neuen De­ mokratien. Das Zusammenwirken muss neu strukturiert werden. Der Europarat muss in Wanderungsfra­ gen viel stärker mit der EU zusamr men arbeiten. Zugleich ist der Euro­ parat nach der Erweiterung der EU wichtiger denn je. Europa ist grös­ ser als das Europa der 25; Die EU ist das halbe Glas,-der Europarat ist das volle Glas und die Vision nach dem Zweiten Weltkrieg war, ganz Europa zu vereinigen. ANZEIGE Die weltberühmten Käs-KnöpfIi von sowie weitere Bärgerspezialitäten gibt es am Mittwoch, den 29. Oktober bis 1. Dezember im Unsere Öffnungszeiten: IVlo - Sa ab 17 Uhr- Reservationen unter 770 55 59 öder 262 57 77
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.