Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

SAMSTAG, 18. OKTOBER 2003 VOLKS I 
I M I A IVin IM GESPRACH MIT BLATT I 
I IM LMIM 
U OECD-BOTSCHAFTER JAGGI 
5 Grosse Ziele • VADUZ - Die Organisation für Wirtschaftli­ che Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, hat sich zum Ziel gesetzt, die Wirt­ schafts-, Währungs- und Entwicklungspolitik seiner Mitglieder zu fördern und zu koordi­ nieren, wie im «Der Fischer Weltalmanach } 2003» zu lesen. Zurzeit gehören der OECD 30 Mitglieder an, darunter die Schweiz, die Gründungsmit- glied ist, und auch die EU-Kommission - nimmt an der Arbeit teil. Gegründet mit dem • Pariser Übereinkommen vom 14. Dezember 1960, berät die OECD ihre Mitglieder auf al­ len wirtschaftlich und sozial relevanten Ge­ bieten, wie Handel, Entwicklungspolitik, -Kapitalverkehr und -miirkte, Steuerwes'en, Landwirtschaft, aber auch Arbeitskräfte, So­ zialfragen, Umwelt-, Bildungs-, Wissen­ schaft-, Technologie- und Industrie-, Stadt- und Regionalpolitik. Jährlich veröffentlicht die OECD rund 12 000 Studien, darunter kritische Analysen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die OECD unterhält Sonderorganisationen, so die Internationale Energie-Agentur IEA und die Kernenergie-Agentur NEA. 
- Schweizer OECD-Botschafter Wilhelm B. Jaggi, der am Freitag in Vaduz einen Vortrag zum Thema «Die OECD und 1 die Globalisierung» hielt, ist seit März 2000 : Botschafter der Schweiz bei der OECD. Zu­ vor war er seit 1997 Exekutivdirektor bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, nachdem er ab 1991 Vizedirektor für die Bereiche Exportförde­ rung/OECD und Europäische Encrgiecharta war. Der 59-jährige Wilhelm B. Jaggi kommt aus Saanen im Kanton Bern, studierte an der Universität Bern Betriebswirtschaft und durchlief verschiedene Stationen im OECD- Dienst 
und im Wirtschaftsdienst der Schwei­ zerischen Botschaft in Washington. Bekämpfung der Steuerparadiese 2002 hatte die OECD in Paris eine schwar­ ze Liste der so genannten «Steuerparadiese» veröffentlicht. Die Initiative der führenden Industriestaaten gewann nach den Terroran­ schlägen vom 11. September 2001 zusätzlich an Bedeutung. Um die Finanzierung von Terrorismus­ gruppen zu unterbinden, wollen die «USA und ihre Verbündeten» die Steueroasen einer engeren Prüfung unterziehen. Auf der schwarzen Liste der 1989 von den G7-Staa- ten initiierten unabhängigen Organisation Arbeitsgruppe «Finanzielle Massnahmen ge­ gen Geldwäsche», FATF, sind immer noch 19 Länder aufgeführt. Aufgrund der umfas­ senden Reorganisation des Finanzplatzes . Liechtenstein strich die FATF Liechtenstein im Juni 2001 von der Liste der nicht koope­ rierenden Staaten. Global-Forum-Tagung Bei der Tagung der «Global Forum on Ta­ xation» der OECD, die am Donnerstag in Ot­ tawa zu Ende ging, haben die als «Steueroa- . sen» bezeichneten Länder der Verwendung von Bankinformationen für Steuerzwecke verbal weitgehend zugestimmt, so die Neue Zürcher Zeitung vom Freitag. Allerdings hät- • ten die «tax havens» ihr Einlenken schon vorher davon abhängig gemacht, dass die ; OECD selber tut, was sie andern predige. Konkret sei es der Pariser Organisation in Ottawa darum gegangen, den als «Steueroa­ sen» bezeichneten Nicht-Mitgliedern plausi­ bel zu machen, weshalb sie grundsätzlich ab Januar 2006 auf internationaler Ebene Bank­ informationen für Steuerzwecke zur Verfü­ gung stellen sollten, schreibt die NZZ. Aller­ dings hatte die OECD Mitte September unter den Mitgliedstaaten schon keinen Konsens \ erreicht. Die Schweiz, Luxemburg; Öster­ reich und Belgien hatten sich quer gelegt. Vorläufig sei nicht klar, ob die OECD* die L davon spricht, in Ottawa eine Krise vermie- l den zu haben, die Lage beschönige oder ob ? die so genannten «Steuerparadiese» ihren ] Entscheid aus politischen Gründen vor sich herschieben. 
Die sind vorbei CH-OECD-Botschafter Wilhelm B. Jaggi: «Die OECD und die Globalisierung» VADUZ - Die internationale Zu­ sammenarbeit kann beitragen, die positiven Auswirkungen der Globalisierung zu verstärken und schädliche Entwicklungen zu. vermeiden, sagt der Bot­ schafter der Schweiz bei der OECD, Wilhelm B. Jaggi. »Kflmella Pfeiffe r Volksblatt: Herr Botschafter Jaggi,' macht die Globalisierung die Welt immer mehr zum Dschungel, in dem jeder' gegen jeden kämpft, um des materiellen Reichtums willen? Wilhelm B. Jaggi: Die Globali­ sierung ist kein neues Phänomen, sondern die Fortsetzung einer Ent­ wicklung, die in der Schweiz sehr früh eingesetzt hat. Der enge Heim­ markt zwang die schweizerischen Unternehmen schon in der ersten Hälfte der 20. Jahrhunderts* die Grenzen zu sprengen und weltweit zu investieren. Durch die gestiege­ ne Mobilität von Kapital und Tech­ nologie und die neuen Kommuni­ kationsmittel hat sich die Interna- tionalisierung der Wirtschaft aller­ dings beschleunigt. Diese Entwick­ lung hat einen wesentlichen Bei­ trag zu unserem Wohlstand geleis­ tet. Sic zwingt uns aber auch zu DIE INTERNATIONA- . LISIERUNG DER WIRTSCHAFT HAT SICH BESCHLEUNIGT ständigen Anpassungen und diese führen verständlichcrweise zu Ver­ unsicherung. Unsere Volkswirt­ schaften sind jedoch dringend auf Wachstumsimpulsc von aussen an­ gewiesen, umso mehr, als unsere Sozialsysteme auf langfristig dau­ erhaftem Wachstum aufbauen. Sehen Sie Trends? Wie wirkt sich die Globalisierung in den ver­ netzten Ländern aus und wie in den Ländern, die nicht teilneh­ men? Das Bild ist ziemlich eindeutig. Länder, welche vernetzt sind und sich zunehmend in die internatio­ nale Arbeitsteilung integrieren wie die ASEAN-Staaten, China, Brasi­ lien und Chile haben bessere Wachstumschancen als weite. Teile Afrikas, die bisher nicht in diese Entwicklung einbezogen sind. Woran die Globalisierungsgegner allerdings zu Recht Anstoss neh­ men, ist die Feststellung, dass oft nur ein kleiner Teil der Bevölke­ rung von diesem Wachstum profi­ tiert und das grosse Wohlstandsge­ fälle in diesen Ländern nur langsam zurückgeht. Die Förderung und Koordination der Wirtschafts-, Währungs- und Entwicklungspolitik der 30 Mit­ gliedstaaten, das ist das allgemei­ ne Ziel der OECD seit 1961. Wel­ che neuen Parameter hat die Glo- balisierung gebracht? Die erste Aufgabe der OECD war zur Liberalisierung von Handel. ,und Investitionen. und zu einem freien Zahluhgs- und Kapitalver­ kehr beizutragen und so die Voraus­ setzungen für eine - und ich zitiere aus dem Mandat der OECD - «op­ timale Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung sowie einen steigen­ den Lebensstandard» zu schaffen. Schon früh hat sich die OECD aber auch mit der Frage befasst, wie den sozialen und ökologischen Proble­ men begegnet werden kann, welche 
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jmu }*$$ ,r* ; v. Wilhelm B. Jaggi, Botschafter der Schweiz bei der OECD, sprach am Freitag zum Thema «Die OECD und die Glo­ balisierung». Beim Besuch in Liechtenstein traf er auch Regierungschef Otmar Hasler. sich aus der globalen Arbeitstei­ lung und dem beschleunigten Strukturwandel ergeben. So wird gegenwärtig beispielsweise rnit ho­ her Intensität an einem Projekt zur Förderung der nachhaltigen Ent­ wicklung unter wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspek­ ten gearbeitet. Global operierende Unterneh­ men sind gefangen in einem Wettbewerb ohne Rücksicht, auf ökologische, soziale und kulturel­ le Nebenwirkungen. Wie sieht die OECD ein weltweites Regelwerk, um zu verhindern, dass der eine «plUndern» muss, weil der ande­ re «plündert»? Die Exzesse der 90er-Jahre mit längst nicht immer erfolgrei­ chen Megafusionen, der übertriebe­ nen Fixierung auf den «shareholder value» und unethisch hoher Gehäl­ ter und Abfindungen für Manager dürften zu diesem Bild des Wirt­ schaftens beigetragen haben. Von einzelnen schwarzen Schafen abge­ sehen, die irri Bereich des Abbaus von' Rohstoffen vielleicht etwas zahlreicher sind als in anderen Sek­ toren, entspricht dieses Bild aber nicht der Wirklichkeit. Die über­ wiegende Anzahl international täti­ ger Unternehmen aus dem 
OECD- DAS GROSSE WOHL­ STÄNDSGEFÄLLE GEHT NUR LANGSAM ZURÜCK Raum ist sich heute ihrer sozia­ len und ökologischen Verantwor­ tung bewusst. In den meisten OECD-Ländern bestehen auch gute gesetzliche Grundlagen und eine soziale Kontrolle, zu der insbeson­ dere die Presse, aber auch die NGOs beitragen. Die OECD hat mit ihren Verhaltensrichtlinien . für multi­ nationale Firmen und mit der Kon­ vention zur Vermeidung der Kor­ ruption in internationalen Transak­ tionen ebenfalls wichtige Leitplan­ ken gesetzt. Sie hat femer Grund­ sätze für die gute Untemehmungs- und Rejgierungsführung definiert, die sie nicht nur OECD-intern, son­ dern auch in den Entwicklung?-. und Transitionsländern propagiert. 
Die Stärkung der Verwaltung ist in diesen .Ländern entscheidend, um die sozialen und ökologischen Ver­ hältnisse zu verbessern. • Mit der Globalisierung be­ herrscht die Wirtschaft die Welt. Welche Zukunft hat da 
die Sozi­ alpolitik in den Staaten Europas? Ich sehe keinen Gegensatz zwi­ schen Wirtschaft und Sozialpolitik. Die gute Sozialpartnerschaft ist der . Schlüssel zum Erfolg der schwei­ zerischen und liechtensteinischen Wirtschaft. Diese ist heute mehr denn je gefordert, da durch den KEIN GEGENSATZ ZWISCHEN WIRTSCHAFT UND SOZIALPOLITIK Eintritt neuer Anbieter aus China, Indien, Osteuropa und anderen auf­ strebenden Volkswirtschaften der Wettbewerbs- und Kostendruck weiter steigt. Gleichzeitig werden unsere Volkswirtschaften durch die demographischen Veränderungen belastet: Der aktive Teil der Bevöl­ kerung nimmt ab, ein Problem, das die meisten unserer Konkurrenten ausserhalb der OECD nicht ken­ nen. Der Erfolg neuer Anbieter er­ öffnet aber auch uns neue Märkte in diesen Ländern. Allerdings dürf­ te in Zukunft ein grösserer Teil des wachsenden Kuchens von diesen aufstrebenden Wirtschaften bean­ sprucht werden. Unsere Volkswirt­ schaften müssen flexibel auf diese Veränderungen reagieren können und die langfristige Bewahrung un­ serer sozialen Sicherheit ist eine Herausforderung, der sich die Sozi­ alpartner in einem offenen und transparenten Dialog stellen müs­ sen. Die OECD liefert dazu nützli­ che Analysen. Von Paris aus berät die OECD auf vielen Gebieten. Dazu gehö­ ren Kapitalverkehr und Kapital­ märkte rund um den Globus. Was sind die aktuellsten Proble­ me, immer noch die Finanzie­ rung des Terrorismus? Zu den aktuellen Schwerpunkten in diesem Bereich gehören die. Nachhaltigkeit und Integrität der 
Pensionssysteme - ein akutes Pro­ blem in den meisten OECD-Län­ dern -, die Probleme der Versiche­ rungsmärkte im Lichte neuer Grossrisiken und die Stabilität, In­ tegrität und Transparenz der Fi­ nanzsysteme. Mit der Bekämpfung der Terro- rismusfinahzierung befasst sich die internationale Aktionsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei (GAFI), deren Sekretariat unter dem Dach der OECD angesiedelt ist. Diese Gruppe hat grosse Fort­ schritte gemacht und die Schweiz unterstützt diese Arbeiten sehr ak­ tiv. Für Länder wie die Schweiz und Liechtenstein, die das Bank­ kundengeheimnis kennen, ist es be­ sonders' wichtig, Missbräuche die­ ses Systems zu verhindern. Es ist erfreulich festzustellen, dass die internationale. Gemeinschaft heute weitgehend anerkennt; dass das Bankkundengeheimnis kein Hin­ dernis für eine erfolgreiche Be­ kämpfung krimineller Transaktio­ nen darstellt. Wenn Sie das Rad zurückdrehen könnten, würden Sie die Globali­ sierung verhindern, verlangsa­ men, kanalisieren? Ohne internationale Arbeitstei­ lung wäre die Schweiz - und wahr­ scheinlich .auch das Fürstentum Liechtenstein - heute noch ein Aus­ wanderungsland. Ich würde des­ halb nicht daran denken, , das Rad . zurückzudrehen. Ich glaube auch nicht, dass man die Weltwirtschaft mechanistisch steuern kann. Wir können aber durch die internationa­ le Zusammenarbeit auf das Verhal­ ten von Regierungen und Unter­ nehmen Einfluss nehmen und sozi­ ale und ökologische Konventionen und Leitplanken ausarbeiten, wel­ che dazu beitragen,, die positiven Auswirkungen der Globalisierung zu verstärken und unsinnige und schädliche Entwicklungen zo ver­ meiden. Dies ist zugegebenermas- sen oft ein langwieriger Prozess, der den unterschiedlichen Interes­ sen und den kulturellen Unterschie­ den. Rechnung zu tragen hat. Die 
1 OECD-Länder schliessen in ihr Konzept der nachhaltigen Entwick­ lung die Finanzierbarkeit der Sozi­ alversicherungssysteme ein: Für viele Entwicklungsländer ist dies heute noch kaum ein Thema..
	        

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