Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

DIENSTAG, 10. JUNI 2003 VOLKS II IVII A IVin FELDKIRCH-FESTIVAL BLATT 
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9 FINALE FURIOSO «Mein grösstes Werk» FELOKRICH - «Mein grösstes Werk» nannte Beethoven selbstbewusst die «Missa solemnis», vollendet 1824 nach mehr als vier Jahren mühevoller Kompo- sition. Mühevoll einstudiert vielleicht, aber glänzend und leicht vorgetragen, wurde das Werk vom Balthasar Neu­ mann Chor und -Orchester. • Geröll Hauser Der künstlerische Leiter des Festivals, Tho­ mas Hengclbrock. setzte mit diesem Ab- schluss des Festivals erneut ein Zeichen höchster musikalischer Qualität. Das Orches­ ter, vor allem aber der Chor und die Solisten und Solistinnen Simone Kermes (Sopran), Daniela Sindram (Alt). James Taylor (Tenor) und Mauriziö Muraro (Bass) zeigten, dass die «Missa solemnis», die den Ruf hat, sie sei selbst für geübte Klassikohren nicht ein­ fach «zu verdauen», ein musikalischer Ge- nuss sein kann. Beethoven als Bindeglied Mit der «Missa solemnis», dieser einzigar­ tigen Verbindung von Monumentalität einer Chorsymphonic und stiller Andacht einer Mcssfcier, zeigt sich Beethoven als Binde­ glied zwischen Klassik und Romantik, als Aufgeklärter, der zur Religion strebt. Er durchbricht die festumrissenen Strukturen des Barock und der Klassik und erahnt die romantische Welt. So ist es vielleicht folge­ richtig, dass Simone Kermes mit ihrem, auch in höchsten Höhen niemals unangenehm werdenden Sopran, die Töne meist sozusa­ gen von unten anpeilte und «hineinrutschte» in die richtige Lage, was einen sehnsüchti­ gen, eben fast romantischen Eindruck mach­ te. Der Alt von Daniela Sindram stand in sei­ ner Klarheit und Reinheit wie in Kontrast da­ zu. Sonor ertönte der Bass von Maurizio Mu­ raro und der Tenor James Taylor, einge­ sprungen für den verhinderten Will Hart­ mann, sang in berückender Reinheit seine Partie. Innen und Aussen Das Orchester und der fantastische Chor folgten Thomas Hengelbrock, der diesem Werk eine Tiefe gab, indem er das Innen und Aussen in die Mitte stellte, ein Innen und Aussen sowohl den Raum, die Zeit, aber auch das eigene Ich betreffend bis hin zur Bitte um inneren und äusseren Frieden. Grossartig, wie der Chor die an ihn gestellten höchsten Ansprüche meisterte, wie die Wechsel von schnellen Crescendi aus dem Nichts heraus (etwa bei «homo factus est») und der helle, weiche Klang im Zusammen­ spiel mit dem Solisten-Quartett gelangen, wie die Kontraste zwischen dem düsteren Moll des «passus et sepultus est» und der ge­ feierten Auferstehung «et resurrexit tertia die» heraus gearbeitet wurden. Romain Rolland verglich die «Missa solemnis» mit der Sixtinischen Kapelle: singulär und mo­ numental - das gilt wohl auch für das Feld­ kirch-Festival. 
«Gesandte des Geistes» Der Pianist Alexander Lonquich beim Feldkirch-Festival Alexander Lonquich, der Poet am Klavier, beim Feldkirch-Festival. 
Die Klanginstallation «Messiah In progress - Händel with Care» ver­ mochte nicht zu begeistern. FELDKIRCH - Als Poet am Kla­ vier wurde der Pianist Alexan­ der Lonquich angekündigt. Am Freitag traf das hauptsächlich auf die zweite Hälfte des Kon­ zerts mit VUerken von Andre Jo- livet und Maurice Ravel zu. »Geröll Häuse r Bei dem Stück «In Nomine IX» von John Bull (1563-1628) unter­ liefen Lonquich doch zu viele Feh­ ler - das Cembalo ist wohl nicht sein Instrument und das Stück wohl nicht in seinem Repertoire. Wie er allerdings am Hammerflügel bei 
«Pavana Lachrymae» von William Byrd (1543-1623) die Tränen des Zorns, der Trauer und der Freude auskostete, war beeindruckend. Bachs «Freie Fantasie» klang dage­ gen ein wenig konstruiert, während er Beethovens Sonate Es-Dur fan­ tastisch spielte. Spannung und Vehemenz Peter Coss£ schreibt über den Pi­ anisten, die Hände seien «speziali- sierte Gesandte des Geistes. Als kleine flinke, aber auch, bedächti­ ge, zögernde Übermittler des Ge­ dachten, des Erträumten "und im günstigsten Fall interpretatori-schen 
Gelingens auch als Gewährs­ instanzen des Unwiederholba- ren.» Das zelebrierte der 1960 in Trier geborene Pianist am moder­ nen Konzertflügel bei «Mana» von Andrd Jolivet (1905-1974) und «Gaspard de la Nuit» von Maurice Ravel. Wie er bei Jolivet liebevoll, zugleich voll Spannung dem Ver­ klingen der Töne nachlauschte, um dann mit Tempo und Vehemenz Akkordtürme aufzubauen, oder im Satz «La Vache» Rühe und Zufrie­ denheit zauberte mit schwebenden Klängen, das war Uberwältigend. Bei Ravels «Gaspard de la Nuit» wurden die Bilder der Gedichte 
von Aloysius Bertrand (die Was­ serjungfrau Undine, das Läuten des Totenglöckleins, der skurrile Zwerg in «Scarbo»), von denen sich Ravel zu diesem Werk inspi­ rieren Hess, geradezu sichtbar. Das Nachtkonzert des freitags hatte zwar einen guten Titel («Messiah in progress - Händel with Care»), was zu hören war, begeisterte aber wenig. Die Klanginstallation der sieben Musiker aus der Region (Manfred «Little» Konzett, Stefan Emser, Andreas Knapp, Mike Ma- this, Jürgen Natter, Christian Spiss und Daniel Knapp) klang doch zu gewollt und erzwungen. Musikalische Glanzpunkte Tradition und Moderne - Glanzlichter beim Feldkirch^Festival FELDKIRCH - Der Samstag brachte mit dem Münchner Kammerorchester und dem Vil- lon-Ensemble zwei weitere Glanzpunkte. «Die ewige Frage nach dem Sein» stand bei «The Unanswered Question» (Werke von Frank Martin, Johann Sebas­ tian Bach und Charles Ives), ebenso im Zentrum, wie beim Nachtkonzert («Mitternacht der Seele») mit Musik von Alfred Schnittke und Alexander Lon­ quich. »Gern» Häuse r Bach-Choräle in Verbindung mit «Polyptyque» (für doppeltes Streichorchester und Solovioline) 
von Frank Martin (1890-1974)! Das Münchner Kammerorchester (Leitung: Christoph Poppen) und die Geigerin Muriel Cantoreggi machten die sechs Sätze des Wer­ kes zum Erlebnis. Dass der Baltha­ sar Neumann Chor dazwischen Bach-Choräle einfügte, ist mehr als eine gelungene Kombination, zeichnet die Musik von Martin doch sechs Bilder der Lebensge­ schichte Christi nach. Auch wenn der Bogenstrich von Cantoreggi manchmal ein wenig zu hart klang - die Musiker/-innen boten die Werke mit grosser Gestaltungs­ kraft. Sieben Mal Nach der Pause fragte die Trom­pete 
in «The Unanswered Question» von Charles Ives (1874-1954) sieben Mal, ruhig, nur mit leichten rhythmischen Variationen, die «ewige Frage nach dem Sein»; sie­ ben Mal antwortet eine Bläsergrup­ pe, zunehmend ungeduldiger - ei­ ne grandiose Komposition. Den Abschluss bildete die Bach-Kanta­ te «Vergnügte Ruh, beliebte See­ lenlust». Hier zeigte Michael Chance, dass er einer der weltweit führenden Countertenöre ist. Nachtkonzert «Mitternacht der Seele» begann mit Alfred Schnittkes Sonata Nr. 2. Charlotte Grattard (Violine) und Cristina Barbuti (Klavier) gelang es, die Zerrissenheit und Hilflosig­keit 
unseres Lebens, die Schnittke im Spiel von Tonalität und Atona- lität deutlich macht, grossartig zu demonstrieren. Für die Musik- Schauspiel-Performance «Co'Stell' Azioni - Aktionen mit Sternen» hatte der Pianist Alexander Lon­ quich zu Texten von Enzo Moscato eindringliche Musik geschaffen, gespielt vom VillonrEnsemble (Muriel Cantoreggi, Charlotte Grattard, Violine und Cristina Bar­ buti, Alexander Lonquich, Kla­ vier). Cristina Donadio und Vin- cenza Modica sprachen und-spiel- ten die Texte in beeindruckender Korrespondenz von Text und Be­ wegung, oft so rhythmisch, dass die gesprochenen Worte selbst* zu Musik wurden. avon dehnte sich die Einöde au Cristina Donadio und Vincenza Modica und das Villon-Ensembie boten mit «Co'Stall'AzIonl - Aktionen mit Steinen» eine beeindruckende Muslk-Schau- splel-Performance.
	        

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