Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

! DONNERSTAG, 8. MAI 2003 VOLKS I 
I |V| I A |V| H DIEBEZIEHUNGEN BLATT I 11 ll LM IM Li ZUR SCHWEIZ SCHWEIZ-FL Drei Fragen an Otmar Hasler Volk'sblätt: Herr Regierungschef, Sie waren am EU-Gipfel iii Athen, Bundes­ präsident Pascal Couchepin war auch dort. Haben Sie in Athen mit ihm gespro­ chen? Otmar Hasler: Ja, wir haben uns auch am Rande des EU-Treffens untcrhalten. Wir haben nicht den gleichen Iniegrationsstand: Die Schwciz verhandelt über bilaterale Ver­ träge, Liechtenstein ist EWR-Mitglied. Aber im Grundsatz decken sich unsere Überzeu­ gungen, nämlich dass Europa weiter zusammenwachsen soll. Dass es einen gemeinsamen Sichcrhcitsraum in Europa geben soll. Neben diesen aktuellen Fragen, die im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel standen, haben wir noch verschiedene ande­ re Fragen erörtert, die zwischen Liechten­ stein und der Schweiz aktuell sind. Sie haben an der Sarganser* Industrie- und Gewerbeausstellung als Diskussions­ partner teilgenommen, zusammen mit Bundesrat Joseph Deiss. Gibt es bei sol­ chen kurzen Zusammenkünften auch Gespräche zwischen Bundesrat und Regierungschef? Bei jedem Zusammentreffen nützen wir natürlich die Gelegenheit für einen Gedan­ kenaustausch, auch wenn nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Obwohl die Zeit knapp war an 
dieser Veranstaltung, haben wir die freundschaftlichen Bande mit Bundesrat Joseph Dciss benutzt, um ein paar.Fragen zu erörtern. 
Ich finde es sehr wichtig, dass wir die freundschaftlichen Beziehungen auch auf diese Art immer wieder festigen. Als früherer Ausscnminister hatte Bundesrat Joseph Deiss sehr viel mit Liech: tenstein zu tun. Als jetziger Wirtschaftsmi­ nister muss er sich ebenfalls immer wieder mit Liechtenstein-Fragen beschäftigen, die in sein Departement hineinreichen, denn Ausscnpolitik ist in der heutigen globalisier­ ten und vernetzten Zeit auch Aussenwirt- schaftspolitik. * Aus der Schweiz waren im Verlaufe der Verfassungsdiskussion auch negative Kommentare gegenüber Liechtenstein zu vernehmen. Wie beurteilen Sie diese Ein­ schätzungen in der Rückschau? Bei einer solchen Beurteilung müssen wir unterscheiden zwischen der Politik und den Medien. Wir haben leider feststellen müs­ sen, dass immer wieder sehr einseitig infor­ miert wurde in bestimmten Medien. Es ist für Aussenstehende sicher nicht einfach, das dualistische System Liechtensteins zu ver­ stehen, weshalb oft ein gewisses Unver- ständnis vorhanden war. Aber die Wahrnehmung der tatsächlichen Verhältnisse war natürlich im politischen Bereich anders. Die offizielle Schwciz bemühte sich um eine ausgewogene Hal­ tung. Von daher haben die freundnachbar­ lichen Beziehungen überhaupt nicht gelit­ ten. 
«Von der Regierungschef Otmar Hasler vor dem Besuch von Bundespräsident Couchepin ANZEIGE MöliEl FL y490 VADUZ www.lova.li 
VADUZ - Morgen Freitag wird der Schweizer Bundespräsident Pascal Couchepin unserem Land einen offiziellen Besuch abstatten. Im Interview weist Regierungschef Otmar Hasler auf die Bedeutung dieses Besuchs und vor allem auch auf die Bedeutung von guten nach­ barschaftlichen Beziehungen hin, wie sie mit der Schweiz seit Jahrzehnten bestehen. «Günther Meie r  ' Volksblatt: Herr Regierungschef, welches Thema werden Sie beim Gespräch mit Bundespräsident Pascal Couchepin zuerst anschneiden? Regierungschef Otmar Hasler: Wir werden sicher zwei Themen besonders besprechen. Das eine ist die Vaduzer Konvention, bei der es vor allem um den freien Personen­ verkehr geht. Bis zum 1. Juni in diesem Jahr, ajso in knapp einem Monat, muss die Gleichbehand- lung der Schweizer Bürger, die in Liechtenstein ihren' Wohnsitz haben, mit den EWR-Angehörigen umgesetzt sein. .Gleichzeitig gilt natürlich auch die Gleichbehand­ lung liechtensteinischer Bürgerin­ nen und Bürger in der Schweiz. Zweitens interessieren wir uns für einen Gedankenaustausch über die Wirtschaft und vor allem über Fragen, die den Finanzplatz betref­ fen. Hier stehen auf. europäischer und internationaler Ebene' wesent­ liche Fragen wie Zinsertragsbe­ steuerung oder :der Beitritt zurrt Schengen-Abkommen an. Die Ver­ handlungen der Schweiz über den Beitritt zum Schengen-Abkommen sind 
weit fortgeschritten, womit -sich für unser Land aus diesem Verhandlungsergebnis entspre­ chende Fragen ergeben werden. Gibt es weitere Sachthemen, die zwischen Liechtenstein und der Schweiz besprochen werden müssen? Neben diesen Hauptinteressens- gebieten gibt es natürlich eine Reihe von Fragen, die von Seiten der Schweiz oder von unserer Seite angesprochen werden. Bei diesen Fragen geht es meist um Informa­ tionen oder um Antworten auf spe­ zielle Nachfragen. Aber wir haben keinen Problemkatalog, der durch­ gegangen werden muss. Die Bezie­ hungen zwischen den beiden Län­ dern sind sehr gut. Es ist immer wieder zu hören, dass die Beziehungen zur Schweiz in den letzten Jahren etwas belastet worden sind. Die eigenständige Politik Liechten­ steins im Bereich der Telefonie und der Post sei nicht überall gut angekommen, Welchen Eindruck haben Sie in 
Ihrer jetzt zweijäh­ rigen Amtszeit gewonnen? Ich konnte den Eindruck gewin­ nen, dass die Beziehungen sowohl auf Regierungsebene als auch auf der Ebene der Beamten sehr offen, sehr gut und ohne Probleme sind. Gespräche sind von beiden Seiten immer sehr offen. Die Schweiz akzeptiert die Rolle Liechtensteins als souveräner Staat, der aüch eige­ ne Wege beschreitet. Wir werden von der Schweiz auch ermutigt, selbstständig unseren Weg zu gehen. Von dieser Seite gibt es keine Probleme. Ich glaube auch, 
«Diese Regierung legt sehr grossen Wert auf die Nachbarschaftspolitik»: Regierungschef Otmar Hasler. dass wir in den letzten zwei Jahren sehr viel beitragen konnten, um diese Beziehungen noch zu vertie­ fen. Die Schweiz akzeptiert den eigenständigen aussenpolitischen Weg Liechtensteins, vor allem in der Europapolitik. Auf der ande­ ren Seite aber steht doch auch das Begehren im Raum, dass die Schweizer gegenüber den EWR- Ausländern in Liechtenstein nicht schlechter gestellt werden sollten. Gibt es noch Benachteili­ gungen der Schweizer In unse­ rem Land? Auf den 1. Juni wird die Gleich­ stellung der in Liechtenstein wohn­ haften Schweizer Staatsbürger mit den EWR-Bürgcrn, wie ich schon gesagt habe, in Kraft gesetzt. Die erste Phase des in der Vaduzer Konvention vorgesehenen Prozes­ ses wird auf dieses Datum hin umgesetzt. Dann gibt es keine Benachteiligungen von wohnhaf­ ten Schweizer Staatsbürgern mehr im Vergleich zu den EWR-Staats- angehörigen. Bei meinem ersten Besuch in der Schweiz war mir ein besonderes Anliegen, dass wir diese Gleichstellung möglichst bald umsetzen wollen. Wenn wir die Nahebeziehungen zwischen der Schweiz und Liechtenstein betrachten," war diese Ungleichbe­ handlung eine gewisse Belastung für die Beziehungen. In welchen Bereichen waren die Schweizer bisher gegenüber den EWR-Bürgern benachteiligt? Die Verbesserungen für die Schweizer Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Liechtenstein betref­ fen insbesondere das Verbleibe­ recht nach Arbeitsaufnahme in einem anderen Land, die Wiederer­ teilung der Niederlassungsbewilli­ gung, die Aufnahme einer ^elbst- ständigen Tätigkeit, den Zugang zu den 
«freien Berufen», die Diplo­ manerkennung, den Familiennach­ zug und die Verlängerung von Kurzaufenthaltsbewilligungen. Die Regierung wird die Öffentlichkeit hierzu noch gesondert informieren. Die Schweiz geht den Weg über die bilateralen Vertrüge nach -Europa. Gibt es offene Fragen zwischen der Schweiz und Liech­ tenstein, die aus dieser Konstella­ tion Bilaterale - EWR entste­ hen? 
Grundsätzlich ist es natürlich so, dass es eine stetige Annäherung gegeben hat. Je mehr Abkommen oder Verträge die Schweiz mit der EU abgeschlossen und sich damit dieser angenähert hat, umso geringer wird das Gefälle ojler der rechtliche Unterschied zwischen Liechtenstein und der Schweiz. Es kommt immer wieder zu neuen Handlungsfeldern,, beispielsweise im Zusammenhang mit der Vaduzer Konvention. Die Schweiz hat bilaterale Verträge im Personenverkehr abgeschlossen, womit wir in die Lage versetzt.'wen­ den, diese Regelungen zwlschen dtfl* Schweiz und Liechtenstein anzupas­ sen. 
Es stellt sich bei jeder neuen Regelung, welche die Schweiz mit der Europäischen Union trifft, die Frage nach den Auswirkungen auf unser Land und auf unser Verhältnis . zur Schweiz. Wenn die Schweiz etwa beim Schengen-Abkommen oder bei der Frage der Zinsbesteue­ rung eine Vereinbarung mit der EU trifft, dann hat das in den meisten Fällen entsprechende Auswirkungen auf 
das bilaterale Verhältnis mit der Schweiz. Das Bankgeheimnis scheint im Moment international keine grosse Rolle mehr zu spielen. Haben sich die Schweiz. und Liechtenstein in dieser. Frage abgestimmt? Ich teile die Ansicht, dass das Bankgeheimnis international keine grosse Rolle mehr spielt, nicht. Gerade die letzten Beschlüsse der EU-Finanzminister bezüglich der Zinsertragsbesteuerung zeigen,' dass das Bankgeheimnis auch weiterhin eine Rolle spielen wird. Wir sind regelmässig im Gespräch, was grundsätzliche Posi­ tionen in Finanzplatz-Fragen betrifft. In dieser Beziehung haben beide Länder in rechtsstaatlichef Hinsicht die gleiche Überzeugung, dass nämlich der Schutz "der Pri­ vatsphäre ein wesentliches Rechts­ gut ist, das man schützen muss. Aus. dieser Grundhaltung herqus braucht es nicht bei jeder Verhandlung eine Abstimmung. Aber es ist wesent­ lich für unser Land, dass wir im Gespräch mit der Schweiz bleiben, wenn die Schweiz mit der EU ver­ handelt, denn das hat Auswirkun­ gen auf die Gespräche unseres Lan­ des mit der Europäischen Union. Wie steht es mit der Zusammen­ arbeit zwischen den beiden Län­dern 
in der Frage der EU-Zins­ besteuerung? Auch in diesem Bereich sind wir selbstständige Verhandlungspart­ ner mit der EU, doch wenn die Schweiz zu einem Verhandlungser­ gebnis kommt, dann wird dieses Ergebnis auch für die Verhandlun­ gen" mit Liechtenstein von Bedeu­ tung sein. Weil die Schweiz die gleiche Grundhaltung in dieser Frage hat, ist es wesentlich für uns, dass wir die Verhandlungsposi­ tionen kennen. Darum finden auch im' Berfefch der EU-Zinsbesteue- nmg: regelmässige ^Konsultationen mit der Schweiz statt. Die liechtensteinische Regie­ rung hat sich auf die Gespräche in der Zinsertragsbesteuerungsfrage sehr intensiv vorbereitet und natür­ lich auch das Verhandlungsangebot der Schweiz studiert. . l • Zur Nachbarschaftspolitik: Die Regierung hat bei ihrem Amts­ antritt andere Prioritäten in der Aussenpolitik versprochen, wo­ bei der Nachbarschaftspolitik grosse Bedeutung beigemessen wurden. Haben Sie in dieser Beziehung schon eine Bewegung festgestellt? Diese Regierung legt sehr gros­ sen Wert auf die Nachbarschaftspo- litik. Wir treffen uns regelmässig mit den Nachbar-Regierungen und haben einen regen Gedankenaus­ tausch, sei das mit Schweizer Bundesräten oder mit österreichi­ schen Regierungsmitgliedern. Dabei wollen wir uns auf dem Lau­ fenden halten, welche politischen Schwerpunkte in unseren Nachbar­ staaten gesetzt werden. An dieser Stelle, denke ich, ist auch einmal ein Dankeschön angebracht für all die Unterstützung, die wir immer wieder von der Schweiz und Öster­ reich entgegennehmen dürfen. Wie umschreiben Sie die Bezie­ hungen zum Nachbarland Schweiz?. Die Beziehungen sind sehr freundnachbarschaftlich geprägt. Es sind Beziehungen zwischen zwei ungleich grossen Ländern, aber zwischen zwei selbststän­ digen Staaten, die einander sehr gut verstehen. Wir haben in vielen Fragen die gleiche Auffassung. Und von daher wünsche ich mir, dass die Beziehungen auch in Zukunft aufrecht erhalten oder gar noch intensiviert werden können. ,
	        

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