Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

DONNERSTAG, 3. APRIL 2003 
VOLKS I I IVI I A IVI r% EIN RUCK- UND AUSBLICK BLATT I I IAS LMIM 
U IM ASYL- UND FLÜCHTLINGSBEREICH 
9 IN KÜRZE Abschied und Neuanfang VADUZ - Hans Pcler Röihlisherger wird nach 18 Jahren im Asvlhereich eine nene Herausforderung innerhalb der Landesver­ waltung annehmen. Sein Nachfolger ist bereits bestimmt. Es ist der Balzncr Thomas Gstöhl. Herr Röthlisberger - was wünschen Sie ihrem Nachfolger? Dass er im Umgang mit den vorhandenen Zielkonflikten einen guten Weg finden wird und dass er genügend Ressourcen haben wird um die strategische Weiterentwicklung des Asylbereichs an die Hand zu nehmen. Ich hoffe auch, dass es ihm gelingen wird, sich immer wieder unvoreingenommen auf die einzelnen Asyl Suchenden einzulassen. VVeiters wünsche ich ihm den «Bergsteiger­ gang». d.h. stetig und beharrlich voran zu gehen, im Bewusstsein, dass der Weg noch steiler werden könnte ...! Wie sieht ihre berufliche Zukunft aus? Nach 18 Jahren im Asylbereich werde ich ab Mai im Amt für Volkswirtschaft die Lei­ tung der Abteilung Arbeit übernehmen und ich freue mich schon auf diese neue Heraus­ forderung. 
Er glaubt an sein Konzept Im Gespräch mit Hans Peter Röthlisberger, der sich vom Asylwesen verabschiedet STATISTIK Entwicklung Bestandeszahlen Die Entwicklung der Bcstandeszahlen im Asyl- und Flüchtlingsbereich in den vergan­ gen Jahren zeigt eindrücklich den Trend der Entwicklung auf. Die Höchstzahl von 61.1 Asylsuchenden wurde im Juli 2000 während der Krise im Kosovo erreicht. Seither waren die Zahlen rückläufig und haben sich bei einem Stand von 100 Personen eingependelt. BRENNPUNKT Asylkonferenz BERN - In der Schweiz findet morgen Freitag die nationale Asylkonferenz statt. An dieser Konferenz werden alljährlich neue Wege in der schweizerischen Asylpoli­ tik diskutiert und nach Lösungen gesucht. Immer wieder werden an dieser Konferenz Forderungen gestellt, die Kosten im Asylbe­ reich zu mindern. Vielleicht könnte ausnahmsweise einmal der kleine Nachbar Liechtenstein dem gros­ sem Nachbarn Schweiz Tipps und Tricks für den Asylbereich vermitteln. ANZ.l K.l RaTUrvMöb«! • tnn*n*lnrkhtung*n MJTU 
und Leo ktadder 
Ritun-Cemff AG fl-9490 VJdüJ, im Lcva-C»flief Tel. •4?3'303 38 50 Fa* •423/399 30 51 
VADUZ - Im Sommer wird das Gesetz für Asyl Suchende und Flüchtlinge fünf Jahre alt. Hans Peter 
Röthlisberger hat als Flüchtlingskoordinator und Lei­ ter der Asylabteilung im Aus­ länder- und Passamt die Ent­ wicklung des Asylwesens in den letzten Jahren entschei­ dend mitgeprägt. Er wird sich Ende April vom Ausländeramt verabschieden und eine neue Aufgabe in Angriff nehmen. Ein Rück- und ein Ausblick. • Karin Hasslc r Volksblatt: Wenn Sic auf die letz­ ten Jahre zurück blicken. Was waren die grossen Herausforde­ rungen im Bereich Asyl? Hans Peter Röthlisberger: Einerseits bestand die Herausfor­ derung darin, gestützt auf die gesetzlichen Bestimmungen ein Gesamtkonzept für die Betreuung im Aufnahmezentrum zu erarbei­ ten. Weiters gab es keine geltende Rechtssprechung, auf die wir zu­ rückgreifen konnten - alles wurde neu erarbeitet. ZIELSETZUNGEN IM KR I C INEN Hl IT BRINGEN Andererseits mussten wir auch sich widersprechende Zielsetzun­ gen unter einen Hut bringen. Fast gleichzeitig mit dem Bau des Auf­ nahmezentrums und der Ein­ führung des Flüchtlingsgesetzes eskalierte die Krise im Kosovo und innert kürzester Zeit suchten meh­ rere hundert Vertriebene Zuflucht in Liechtenstein. Wir mussten also die im Kopf vorhandenen Konzepte sofort praktisch umsetzen. Die Flüchtlingshilfe und meine zwei hervorragenden Mitarbeiterinnen haben in dieser Zeit einen unglaub­ lichen Einsatz gezeigt. Mit ihnen zusammen ist es gelungen, diese Menschen unterzubringen, zu beschäftigen, zu befragen, Entschei­ de 
vorzubereiten, Rückkehrpro­ gramme zu entwickeln und die Rückkehr nach Ende des Krieges erfolgreich anzugehen. Sie sprechen von widersprüchli­ chen Zielsetzungen. Was genau meinen Sie damit? Unser Konzept geht von einigen wichtigen Grundsätzen aus, die sich teilweise gegenseitig im Wege stehen. Einerseits soll eine mög­ lichst hoher Beschäftigungsgrad, der Asyl Suchenden erreicht wer­ den um sie von der Strasse weg zu haben und ihnen eine sinnvolle Tagesslruktur zu geben. Anderer­ seits wollen wir als Zielland nicht zu attraktiv werden. Wichtige Fak­ toren sind auch die anfallenden Kosten, ein vernünftiger Personal­ aufwand und die Bewahrung eines guten sozialen Klimas im Land. Die Menschen sollen nicht überbe­ treut werden, aber wissen, was bei uns die Gepflogenheiten sind, sich aus eigener Kraft die Rückkehr erarbeiten und nicht einfach von der Sozialhilfe leben. All diese Ziele sind gar nicht so einfach auf einen Nenner zu bringen. Ist es Ihnen gelungen, den ver­ schiedenen Ansprüchen gerecht zu werden? 
Wir haben ein gutes Konzept entwickelt, dass sich sehr bewährt hat und mittlerweile auch bei aus­ ländischen Behörden Beachtung findet. Wir haben im Vergleich mit anderen Staaten kurze Verfahrens­ fristen, sensationell tiefe Kosten, wenig soziale Probleme im Land und eine ausserordentlich hohe Rückkehrerquote. Diese Tatsache allein zeigt, dass unser Konzept funktioniert und sich bewährt hat. Immerhin hat der Asylbcreich in den vergangenen fünf Jahren, trotz Höchstzahlen von 620 Asylsuchenden, kein par­ teipolitisches oder mediales Hick- hack ausgelöst. Wenn Asyl in der Öffentlichkeit kein Thema ist, läuft es gut. Die konjunkturelle Lage hat natürlich vieles erleichtert. Das wird jetzt sichcr schwieriger. Wie war der Umgang mit schwie­ rigen Personen, beispielsweise solchen, die sich nicht an die gel­ tenden Regeln im Land gehalten haben - Kriminelle? Unser Grundsatz, eine dichte Tagesstruktur und damit ebenfalls eine dichte soziale Kontrolle zu haben, ist nicht unbedingt attraktiv für Personen, die zwielichtigen Geschäften nachgehen wollen. Sie fallen relativ schnell auf. Wir hat­ ten sehr wenige Fälle von Delin­ quenz. Die wenigen Fälle, die wir gehabt haben, hatten wir gut im Griff. Die Zusammenarbeit mit der Landespolizei und mit den Gerich­ ten funktioniert sehr gut. Nicht attraktiv für 
Zwielichtige Die Gesuche von solchen Perso­ nen behandeln wir prioritär. Das heisst, solche Entscheide werden vorgezogen und allfällige Wegwei­ sungen erfolgen unverzüglich. Denken sie, 
dass Asyl Suchende generell dazu neigen, kriminell zu werden? Nein - dagegen wehre ich mich vehement. Aber stellen sie sich vor, sie gehen aufgrund der wirtschaftli­ chen oder politischen 
Lage ins Aus­ land. Ihre Familie in der Heimat hat natürlich Erwartungen an sie. Wie erfüllen sie diese - wenn sie auf legalem Weg kein Geld verdienen können, den ganzen lieben Tag lang nur auf den Asylentschcid warten müssen? Wie würden Sie mit die­ sem Druck umgehen? Schwarzar­ beit? Drogenhandel? Ladendieb­ stahl? Bettelei? Es gellt dämm, den Menschen die Möglichkeit zu geben, nach dem Prinzip der Gegen­ seitigkeit zu leben und nicht nur Almosenempfänger zu sein. In die­ sem Sinne tragen wir auch eine Ver­ antwortung für das, was geschieht oder eben nicht geschieht. In welchen Kernpunkten unter­ scheidet sich das liechtensteini­ sche System vom schweizeri­ schen? Wir hier in Liechtenstein haben sehr kurze Wege im Verfahren. Glasklare Fälle können innert Stun­ den erledigt 
werden. Natürlich gibt es auch solche, die einen hohen Abklärungsbedarf erfordern und sich über Monate hinziehen. Durch die kurzen «Anuswege» können wir sehr rasch reagieren. Alle Fäden laufen an einem Ort zusammen. Ein 
Hans Peter Röthlisberger ist von seinem Konzept überzeugt und hofft, dass es auch in Zukunft weiter angewendet wird. weiterer Aspekt ist der Umgang mit den Menschen. Während die Schweiz bisher einen restriktiven Weg gegangen ist und die Men­ schen vom Arbeitsmarkt mehr oder weniger ausschliesst, ist unsere Devise: die Menschen dort einset­ zen, wo sie ihre Fähigkeiten ein­ bringen können und die vorhande­ nen Ressourcen nutzen. Fähigkeiten der Menschen nutzen Dies hilft auch, das bestehende negative Bild von Asyl Suchenden in der Bevölkerung zu korrigieren. Der grosse Unterschied sind die emorm tiefen Sozialhilfekosten in Liechten­ stein. Die Tatsache, dass die Men­ schen bei uns arbeiten, über das Geld aber erst bei Asylgewährung oder bei der Rückkehr verfügen können, erleichtert sehr oft die Rückkehr. Sehen sie das liechtensteinische Modell gar als Vorbild? Unser Konzept ist massgeschnei- dert und nicht einfach auf andere übertragbar. Aber die grundsätzli­ chen Überlegungen könnten für andere Staaten sehr interessant sein. Wenn ich nach Zürich blicke und den 10 Punkte-Plan des Zürcher Stadtra­ tes sehe, haben wir vieles, was dort gefordert wird, bereits erfolgreich umgesetzt. Insofern können wir sicher als Schrittmacher gelten. Warum ist die konjunkturelle Lage so wichtig? Sehen Sie, wenn genügend Nach­ frage nach Arbeitskräften da ist, funktioniert das Konzept optimal. Wenn ein Staat jedoch selbst schon eine hohe Arbeitslosenquote hat, müssen andere Wege gefunden wer­ den. Der Grundgedanke bzw. das Hauptziel, bleibt sich aber gleich - weg von der Strasse, sinnvolle Beschäftigung, Rückkehrfähigkeit hoch halten. Was sich verändert, sind die Mittel. Es geht darum, aus den Asyl Suchenden nicht sozial invalide und vom Staat abhängige Menschen zu machen sondern ihnen auch Perspektiven für die Rückkehr zu ermöglichen. Aber wer in einer konjunkturell schlechten Zeit nicht arbeiten kann - verursacht Kosten? Wie schon gesagt, es geht darum, den Menschen Perspektiven für den Fall der Rückkehr zu ermöglichen. Und das betrifft immerhin die ganz grosse Mehrheit der Gesuchsteller. 
Perspektiven aufzeigen Dieses Ziel kann auch im Rahmen von Ausbildungs- und Beschäfti­ gungsprogrammen erreicht werden. Natürlich ist. dies mit finanziellem Aufwand verbunden. Ich bin aber überzeugt, dass sich dieser länger­ fristig lohnt. Die Entscheidung, nach welchen Grundprinzipien der Asyl­ bcreich geführt werden soll, ist aber eine politische. Die Politik muss sich die Frage stellen: Was wollen wir? Eine aktive oder eine passive Asyl­ politik? Dann geht es darum, ent­ sprechende Lösungsansätze konse­ quent durchzuziehen. Es ist wie mit Medikamenten; neben der er­ wünschten Wirkung gibt es immer auch unerwünschten Nebenwirkungen. Die perfekte Lösung gibt es nicht. Wo sehen Sie persönlich die Knackpunkte der zukünftigen Politik im Bereich Asyl- und Flüchtlingswesen? In der Vergangenheit haben wir eine grosse Anzahl an Gesuchen bewältigt. Es gilt zu beachten, dass diese Menschen fast ausschliesslich aus 
dem Balkan gekommen sind. Die Beschaffung von Informationen war einfach, da wir uns an einem grossen . Informationsnetzwerk beteiligen konnten. In Zukunft - und der Trend hat bereits begonnen - werden vermehrt Personen unter­ schiedlichster Herkunftsländer nach Liechtenstein kommen. Derzeit sind vor allem die ehemaligen Sowjet­ republiken im Kommen. Ein Wandel STEHT BEVOR Dies bringt einen erhöhten Abklärungsaufwand, da die not­ wendigen Informationen neu und für diverse Länder zusammenge­ sucht werden müssen. Parallel dazu muss das Flüchtlingsgesetz überar­ beitet und angepasst werden. Beides geht nur, wenn die personellen Res­ sourcen zur Verfügung gestellt wer­ den. Dies ist ein politischer Ent­ scheid. Auf der Betreuungsseite stellt sich die Frage, ob an den bis­ herigen Grundsätzen festgehalten oder die Politik der Nachbarstaaten kopiert werden soll. Politiker, die solche Fragestellungen wälzen, sollten sich auf jeden Fall der Auswirkungen ihrer Entscheide bewusst sein.
	        

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