Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

DIENSTAG, 18. FEBRUAR 2003 VOLKS I 
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3 Vortrag Verfassungs-Vergleich BENDERN - Im Foyer des Liechtcnsteini- . sehen Gymnasiums findet am Mittwoch, 19. Februar um 20 Uhr der letzte Vortrag einer Reihe von Referaten zur Verfassungsdiskus­ sion statt. Organisiert, wurde die Reihe von der Vereinigung «Frauen in guter Verfas­ sung». Der Referent, Zoltan Tibor Pdllinger, nimmt zu seinem Referat Stellung. «Die Kompetenzen des Fürsten von Liech­ tenstein im internationalen Vergleich» - was versteckt sich hinter diesem Titel? Zoltän Tibor Pdllinger: «Am 16. März 2003 stimmen die Liechtensteiner Stimmbür- gerinnen und Stimmbürger Uber zwei Initiati­ ven ab. Im Moment werden die beiden Ver­ fassungsinitiativen intensiv diskutiert. In die­ sem Zusammenhang wurde unter anderem auch die Frage aufgeworfen, ob die geltende Verfassung dem Fürsten mehr Macht ein­ räumt als anderen Staatsoberhäuptern oder ob sich die Verfassung Liechtensteins im europäischen Rahmen bewegt. Weiters wer­ fen die Kritiker der Fürsteninitiative dieser vor, sie verschiebe die Machtbalance zuguns­ ten des Monarchen. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion vergleiche ich die Rege­ lung der fürstlichen Kompetenzen gemäss der geltenden Verfassung und den beiden ; Initiativen mit den entsprechenden Regclun- , gen in anderen europäischen Monarchien. Um den Vergleich abzurunden werden auch die USA und Frankreich mit einbezogen. Was versteht man unter «Kompetenzen des Fürsten»? «Darunter versteht man die rechtlich an : den Fürsten übertragenen Aufgaben mit den dazugehörigen Vollmachten. In der Verfas­ sung des Fürstentums Liechtenstein sind diese Befugnisse hauptsächlich im II. Haupt­ stück geregelt. Sie umfassen zum Beispiel das Sanktionsrecht, das Recht der Begnadi­ gung etc. Welche Rolle spielen die Kompetenzen des ; Fürsten im Alltag der Bevölkerung? «Wie in jedem Rechtsstaat spielt auch in . Liechtenstein die Politik im Normalfall keine dominierende Rolle im Alltag. So kommt es, dass die Bevölkerung zumeist mit den sym­ bolischen und repräsentativen Aufgaben des Fürsten in Berührung kommt. Sei es am Staatsfeiertag, sei es anlässlich von Reden und Besuchen etc. Auf politischer Ebene sind insbesondere die offiziellen Anlässe wie die Eröffnung des Landtags oder die Ernennung der Regierung augenfällig.» Wie haben sich diese Kompetenzen im Lauf der Jahre verändert bzw. wie werden sie sich künftig verändern? «Seit dem 19. Jahrhundert verlagerten sich in Europa die politischen Kompetenzen der ; Monarchen immer mehr auf die Regierung und das Parlament. Mit der Verwirklichung der Demokratie beschränkt sich die Stellung 1 der Monarchen hauptsächlich auf symboli­ sche und repräsentative Aufgaben. Das Fürs­ tentum Liechtenstein hat diese Entwicklung nur teilweise mitgemacht. Den stark ausge­ bauten demokratischen Rechten.des Volkes stehen starke politische Kompetenzen des • Fürsten gegenüber. Unabhängig vom Aus- ii 
gang der Volksabstimmung glaube ich, dass ; über kurz oder lang die demokratischen i Kompetenzen des Volkes weiter ausgebaut i werden, was in der Praxis zu Lasten der | monarchischen Kompetenzen gehen wird.» 
Notrecht und Staatsgerichtshof Verfassungsarena gestern in Ruggell zur Initiative Verfassungsfrieden RUGGELL-Bei der Verfassungsr arena über die Initiative Verfas­ sungsfrieden wurden gestern Abend in Ruggell die vier Kern­ punkte dieser Initiative diskutiert «Martini Frömmel t Ein erster Kernpunkt ist die Neu­ formulierung des Notstandsrecht- Artikels (Art. 10). Rupert Quaderer vom Arbeitskreis für Demokratie. und Monarchie sagte, die heutige Formulierung, wonach der Fürst «in dringenden Fällen das Nötige» vorzukehren habe, sei «eine Blan­ kovollmacht für den Fürsten». Der Begriff «das Nötige» sei zudem sehr unbestimmt. Die Friedens­ initiative sähe deshalb wichtige Einschränkungen vor. Quaderer: «Der Freiraum wird eingeschränkt. Nicht mehr eine Person allein soll über die ganze Notverordnung ent­ scheiden können; Neu sollen Not­ verordnungen der Zustimmung des Landtages bedürfen. Hier sehe ich einen ganz Wesentlichen Fort­ schritt. Es ist eine wesentlich bes­ sere Bestimmung als im Vorschlag des Fürstenhauses.» «Die Flügel etwas gestutzt» Quaderer anerkennt zwar, dass die Initiative des Fürstenhauses eine zeitliche Begrenzung vorsieht und dort neu gewisse Grundrechte garantiert werden. Seiner Ansicht nach geht dieser Vorschlag jedoch nicht weit genug, denn der Fürst solle nicht mehr im gleichen Aus- mass wie bisher das Sagen haben. Rupert Quaderer sagte, dem Für­ sten würden hier «die Flügel etwas gestutzt und ein paar Beisszähne gezogen», für eine Einzelperson würde ihm dennoch weiterhin ein sehr weit reichendes Notstands­ recht bleiben. 
Vertraten In Ruggell die Initiative Verfassungsfrleden (v.l.): Rupert Quaderer, Carl Walser, Lorenz Heeb, Christel Hilti, Cornelia Batllner und Ursula Wächter. Staatsgerichtshof-Kompetenz Ein zweiter Punkt ist die Ausle­ gungskompetenz des Staatsge­ richtshofes (StGH), die im Gegen­ satz zur Initiative des Fürstenhau­ ses durch der Initiative Verfas­ sungsfrieden beibehalten werden soll. Christel Hilti: «Die Friedens­ initiative will auf gar keinen Fall auf diesen Artikel 112 verzichten.» Laut Christel Hilti . sei diese Bestimmung, die dem StGH die Kompetenz gibt, bei Meinungsver­ schiedenheiten über die Auslegung von Verfassungsbestimmungen zu entscheiden, «kein alter Zopf», gerade unser duales System brau­ che dringend eine unabhängige Instanz, die in solchen Fällen ent­ scheide. Die Konsequenzen einer Streichung wäre ihrer Meinung nach, dass es dann keine Instanz 
mehr geben würde, die im Kon­ fliktfall die Verfassung verbindlich ausgelegt. Dann sei man dem Ermessen des Monarchen ausgelie­ fert, da dann das Recht des Stärke­ ren gelten würde. In ihrer Initiative würden sie eine Präzisierung vor­ nehmen, wonach sich bei Mei­ nungsverschiedenheiten sowohl Fürst, Landtag und Regierung än den Staatsgerichtshof wenden kön­ nen. Verfassungsgerichtsbarkeit . Den Einwand, dass Artikel 112 im Widerspruch zu Artikel 111 steht, wonach gemäss dem liech­ tensteinischen Verfassungsrecht die authentische Verfassungsinter­ pretation nur dem Verfassungsge­ setzgeber (Volk und Fürst) zusteht, liess Christel Hilti nicht gelten. 
Wenn der Landtag und der Fürst §ich nicht einig werden,' dann müsse man ein Gericht anfufen können. Die Ansicht, dass dem Staatsgerichtshof mit Artikel 112 die Stellung eines Übersouveräns eingeräumt wird und Liechtenstein somit zu einem Richterstaat wird, sei für sie nicht nachvollziehbar. Der Richter werde ja erst gefragt, wenn es um eine Konfliktlösung gehe. Auf den Einwand, dass auch die Schweiz diese Verfassungsge­ richtsbarkeit nicht kennt, wurde entgegnet, dass die Schweiz im Gegensatz zu Liechtenstein keine Monarchie sei. Ursula Wächter sagte, es sei nicht zielführend, wenn man im Streitfall jedes Mal zum Landtag gehen müsse, damit dieser dann eine authenti­ sche Interpretation vornehme. Absolut oder relativ Verfassungs-Arena diskutierte über Richterwahl und Sanktionsrecht RUGGELL - Die Wahl der Richter ist in allen Staaten der Welt ein sensibles Thema. Das Sankti­ onsrecht des Fürsten ist ein Kernpunkt der liechtensteini­ schen Verfassung. Vertreter der Volksinitiative «Verfassungs­ frieden» diskutierten im Gemeindesaal in Ruggell ihre Vorschläge - im Vergleich zur bestehenden Verfassung von 1921 und zur Fürsteninitiative. r • Komella Pfeiffe r  . «Wie der Fürst will die breite Bevölkerung die Richterbestellung demokratisieren», betonte Lorenz Heeb. Der frühere VU-Landtags- abgeordnete erklärte den Unter­ schied zwischen Friedensinitiative und Fürsteninitiative. Auch der Fürst wolle die Richterwahl entpo­ litisieren, sprich von Parteipolitik befreien. Seine Initiative .schlage (in Artikel 96) ein gemeinsames Gremium zwischen Landesfürst und Landtag vor, in dem der Fürst Vorsitz und Stichentscheid habe. Gleichgewicht zerstört Damit aber erhalte der Fürst ein zusätzliches Recht, kritisierte Lorenz Heeb. Dieses Vetorecht zer­ störe das Gleichgewicht und führe eine Situation herbei die «von Par­ teinahme strotze». Das bisherige 
Ernennungsrecht werde gegen das Vorschlagsrecht ausgetauscht. Die Volksinitiative «Verfassungsfrie­ den» schlage (mit Artikel 107 bis) ein Richterauswahlverfahren vor, womit es im Landtag eine zwei Drittel Mehrheit für die Wahl der Richter bedürfe. Damit, so Lorenz, Heeb, sei die Eritpolitisierung auf einifache Art und Weise gegeben. «Nicht zeitgemäss» Als Knackpunkt bezeichnete die Rechtsanwältin Ursula Wächter von der Friedensinitiative Artikel 9 der Verfassung. Die Fürsteninitiati­ ve. schlügt vor, das Sanktionsrecht 
des Fürsten als verweigert zu betrachten, wenn die Sanktion eines Gesetzes nicht innerhalb von sechs Monaten erfolgt. Dies sei nicht mehr zeitgemäss, hielt Ursula Wächter in Ruggell dagegen. Die Friedensinitiative schlage eine Stärkung der Volksrechte vor. Wenn der Landesfürst die Sankti­ on ablehne, so könne der Landtag beschliessen, über das Gesetz eine Volksabstimmung durchführen zu lassen. Und wenn das Volk bei der Gesetzgebung das letzte Wort habe, dann brauche es keine Sanktion des Fürsten mehr. Damit werde ein absolutes Recht in ein relatives Christel Hilti, Cornelia Batllner und Ursula Wächter. 
umgewandelt, fügte Rupert Quade­ rer, Vertreter des Arbeitskreises für Demokratie und Monarchie, an. Der Fürst habe ein Vetorecht, aber kein absolutes mehr. Im Konfliktfall eindeutig Eine Verfassung beinhalte Spiel­ regeln, nach denen ein Staat funk­ tionieren solle, so Ursula Wächter, und die mUssten auch im Konflikt­ fall eindeutig sein. Die Initiative «Verfassungsfrieden» habe im Sinn, die liechtensteinische Verfas­ sung zeitgemäss weiterzuent­ wickeln. An die Podiumsdiskussion mit sechs Vertretern der «Verfassungs­ initiative» schloss sich im Gemeiri- desaal eine Diskussion mit dem Publikum an. FL-Landtagsabge- ordneter Paul Vogt stellte dem Bild, das Rupert Quaderer für den liechtensteinischen Dualismus von Fürst und Volk gezeichnet hatte, ein anderes Bild entgegen. Dem Dualismus entspreche vielmehr das Bild von einem «rohen Ei». Die Schale sei die Verfassung, Eiweiss und Eigelb' gehörten zusammen wie Fürst und Volk. Dabei sei der Fürst der. ruhende Pol,, der integriere und dem Staat Dauerhaftigkeit verleihe, während das Volk der unruhige, der verän­ dernde Pol sei.
	        

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