Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2003)

DONNERSTAG. 9. JANUAR 2003 VOLKS | 
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STANDPUNKT Zwei Fragen an Dr. Walter Kieber zur Venedig-Kommission Volksblatt: In öffentlichen Vorträgen referiert alt Regierungschef Mario Frick derzeit über das Papier der Venedig- Kommission: Was sagen Sie dazu? Dr. Walter Kleber:' Dr. Mario Frick kann über alles, was ihm beliebt, Vortrüge halten. Was die. Venedig-Kommission betrifft, macht der ganze Vorgang den Anschein einer abgekarteten Sache. Eines Tages wer-, den wir genau wissen, welche Seilschaften hier die Fäden gezogen haben. Der Inhalt und die Schlussfolgerungen des Gutachtens der Venedig-Kommission stützen sich weit­ gehend auf das von Liechtenstein aus gelie­ ferte Memorandum. Sogar der im Memo­ randum erfolgte Angriff auf wesentliche Elemente der Verfassung von 1921 wurde von der Venedig-Kommission 
übernorri- NJUGENDS NIEDERGELEGTES. • DEMOKRATIE-VERSTÄNDNIS' men. Die drei Professoren aus Dänemark, Belgien und den Niederlanden; die das Gut­ achten verfasst haben; mögen noch so gescheit und anerkannt sein, sie werden trotzdem niemanden überzeugen können, dass sie in kürzester Zeit Kenner des liech- •teiisteinischen Verfassungsrechts und der Verfassungswirklichkeit geworderi sind, die sich ein eigenes Urteil über. Liechtenstein zutrauen dürfen. Wer das Gutachten der Venedig-Kommisr sion genau liest, der spürt, dass uns zuge­ mutet wird, unsere duale.Verfassungsstruk­ tur anhand eines innerhalb des Europarates nirgends niedergelegten und von niemanden anerkannten philosophischen Demokratie- Verständnisses 
zu zerschlagen und unseren Staat nach dem Vorbild skandinavischer .Symbolmonarchien umzubauen. Liechten­ stein ist bisher schon eine Verfassungsmo­ narchie, die den Rechtsstaat und die demo­ kratischen Prinzipien respektiert. Die Liech­ tensteinerinnen und Liechtensteiner wollen und werden weiterhin selbst bestimmen, wie ihr Staat regiert werden soll. Wie wird diese Sache weitergehen? Ich bin kein Prophet, ich hoffe jedoch, dass es unserem Aussenminister Dr. Ernst Walch gelingt, die Venedig-Kommission dazu zu bringen, ihr verfehltes Gutachten zu revidieren und, was ebenso wichtig ist, zu verhindern, dass das von liechtensteinischen Politikern gelegte Feuer sich nicht in einen nicht mehr kontrollierbaren Flächenbrand ausweitet. ANZEIGE 9. JANUAR BIS 1. MÄRZ 2GD3' 
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Regierungschef Dr. Walter Kieber zur Initiative «Verfassungsfrieden» «Dualismus» ist das Wort des Jah­ res. Es ist im Rahmen der Verfas­ sungsdiskussion in aller Munde,, obwohl sich die wenigsten Rechen­ schaft geben, welchenlnhalt dieses Wort eigentlich hat. Der Begriff «Dualismus» entspringt der Staats­ fundamentalnorm, dem Art. 2 der Verfassung von 1921, wo bestimmt ist, dass die Staatsgewalt im Fürs­ ten und im Volk verankert ist und .von beiden nach Massgabe der Bestimmungen der.Verfassung aus­ geübt wird. «Dualismus» bedeutet, somit; 1. Die Staatsgewalt, die als sol­ che unteilbar ist, steht dem Fürsten . und dem Volk gemeinsam zu. 2. Die der Ausübung der Staats­ gewalt dienenden Kompetenzen sind in der Verfassung dem Fürsten als Staatsoberhaupt sowie dem Landtag als  :Vertretungsorgan 
des Volkes in dem Umfange zugewie­ sen, dass zwischen beiden macht- mässig ein ungefähres Gleichge­ wicht besteht. 3. Neben den" ihnen getrennt zustehenden Kompetenzen sind die' wichtigsten Geschäfte zur Gewähr­ leistung des Gleichgewichtes gemäss Verfassung vom Fürsten und,vom-Landtag im Konsenswege Zu besorgen (z.B. die Bestellung der Regierung). . Das der dualen Staatsstruktur innewohnende Konsensprinzip hat in der Verfassung von 1921 bei der Regelung der Gesetzgebunjg die konsequenteste Ausgestaltung gefunden: • Ohne Gesetzesbeschluss des Landtags oder des Volkes gibt es kein Gesetz. Der Fürst allein kann kein Gesetz; schaffen. • Ohne Sanktion eines vom Land­ tag oder vom Volk gefassten Geset­ zesbeschlusses durch den Landes­ fürsten gibt es kein Gesetz. Der Landtag oder das Volk allein kön­ nen kein Gesetz schaffen. • Zur Schaffung eines Gesetzes braucht es in allen Fällen einen Konsens zwischen Fürst und Land­ tag bzw. Volk als völlig gleichran­ gige Partner. Die Gesetzgebung greift neben den beiden anderen Staatstätigkei­ ten «Exekutive» und «Justiz» am stärksten in das staatliche, wirt­ schaftliche und gesellschaftliche Geschehen ein. Sie ist' die geStal-. tende Kraft im Staat und ordnet zukunftsgerichtet das Zusammen­ leben der. Menschen. Es liegt des­ halb auf der Hand, dass die • gleichrangige Mitwirkung des Lan- desfürsteh in der Gesetzgebung ein Herzstück des Dualismus und der Monarchie darstellt. Das Sanktionsrecht . Das Sanktionsrecht beinhaltet die Kompetenz des Fürsten, einem Gesetzesbeschluss durch Leistung seiner Unterschrift zuzustimmen oder ihm nicht zuzustimmen. Im Verfassungsleben der letzten 81 Jahre haben alle regierenden Fürs­ ten. zusammengenommen aus den nahezu 2000 Gesetzesbeschlüssen eine Handvoll nicht sanktioniert. Jedesmal lagen dafür im öffentli­ chen Interesse und nie im persönli­ chen Interesse des Fürsten liegende Gründe vor. Weder der Staat noch seine Bewohner hatten dadurch einen Nachteil oder gar einen 
Erachtet die «Frjedensinitiatlve» als eine gegen die Monarchie und gegen den Dualismüs gerichtete radikale Lösung: Alt Reglerungschef Walter kieber. Schaden erlitten. In einem Fall wyrde die Nicht-Sanktion sogar von der Regierung beantragt; in zwei Fällen wurde kurze Zeit spä­ ter. ein verbessertes Gesetz verab­ schiedet. Die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner haben kein Problem mit dem Sanktionsrecht des Fürsten, sondern sehen in ihm ein notwendiges Gegengewicht zu der immer mächtiger werdenden Parteiendemokratie, Täuschungsmanöver. Als Gegeninitiative zur Volks­ initiative des Fürsten und des Erb­ prinzen hat ein Initiativkomitee in letzter Minute die so genannte «Friedensinitiative» eingereicht,. die insgesamt fünf Verfassungsar­ tikel umfasst. Der zentrale Punkt dieser Initiative ist eine Neurege­ lung des in der Verfassung von 1921 verankerten Sanktionsrecht des Fürst^n f 
Dieser sieht vor, dass bei einer ausdrücklichen oder still­ schweigenden Ablehnung der Sanktion durch den Fürsten der Landtag eine Volksabstimmung durchführen kann, bei der dann entschieden wird, ob das betref­ fende Gesetz auch ohne Sanktion des Fürsten in Kraft tritt. Auf den ersten Blick ein prüfenswerter Vorschlag, Bei genauerem Hinse­ hen erweisen sich die vorgeschla­ gene Neuregelung und die dazu abgegebenen Erklärungen des Initiativkomitees jedoch als ein ausgeklügeltes Täuschungsma­ növer und zwar in dreifacher Hin­ sicht: 1. Die vom Initiativkomitee ver-, breitete Parole, «der Fürst hab? in der Gesetzgebung bisher das letzte Wort gehabt, nun bekomme das Volk das letzte Wort» ist eine ^ bewusste Irreführung. Wie schon - dargestellt, sind Fürst und Landtag heute in der Gesetzgebung zwei völlig gleichrangige Partner. Nur im Konsens beider kommt ein 
Gesetz zustande. Weder das Volk noch der Fürst hat heute das letzte v Wort. Dass die Sanktion logischer­ weise am Schluss eines Gesetzge- bungsverfahrens steht, hat mit dem , «letzten Wort» nichts zu tun. In der «Friedensinitiative» wird das bisher rige Macht-Gleichgewicht zwi­ schen Fürst und Volk zum Nachteil des Fürsten verschoben. Das Wesen des Konsensgeschäftes besteht darin, dass der eine Teil den Wiilen des anderen Teiles respektieren muss und dem anderen.Teil seinen Willen nicht aufzwingen darf. ' Wenn nun gemäss «Friedensinitia­ tive» in einer Volksabstimmung entschieden" wird, ob der Fürst in der Gesetzgebung mitwirken darf, und ob sein Wort etwas gilt oder nicht, so stellt.ein solcher Vorgang einen Bruch des bisherigen frucht­ baren Miteinaiiders dar und ist alles andere als friedensstiftend. . 2. Der Initiativtext «Verfassüngs- frieden» handelt nur von den Fäl­ len, in denen der Fürst die Sanktion ausdrücklich oder stillschweigend . abgelehnt hat. Das Initiativkomitee verschweigt geflissentlich alle jene. Fälle, bei denen der Fürst im Sinne von Art. 9 Abs.. 3 der «Friedens­ initiative» von vornherein von der Ausübung seines Sanktionsrechts ausgeschlossen wird, nämlich • wenn der Landtag einen Geset­ zesbeschluss fasst. und diesen von sich aus einer Volksabstimmung unterstellt und das Volk diesem Gesetzesbeschluss zustimmt, oder • wenn gegen einen Gesetzesbe­ schluss" des Landtags das Referen­ dum ergriffen wird und das Volk in der Volksabstimmung den Geset­ zesbeschluss annimmt, oder • wenn Stimmberechtigte eine Volksinitiative einreichen, die im . Landtag abgelehnt wird, und das, Volk in der Volksabstimmung die Volksinitiative annimmt. In diesen beschriebenen Fällen erhält der Fürst gar keine. Chance 
mehr, das Gesetz zu sanktionieren oder nicht zu sanktionieren, weil das Volk gemäss Art. 9 Abs. 3 der «Friedensinitiative» vorweg schon entschieden hat, dass das.* Gesetz ohne Sanktion des Fürsten in Kraft treten wird. Eindriicklicher kann das Ende des Dualismus nicht mehr.demonstriert werden. 3. Die wohl schwerwiegendste Folge der Neuregelung des Sankti­ onsrechts in der «Friedensinitiati- .ve» ist die dadurch eröffnete Mög­ lichkeit, durch Volksinitiativen und/ damit verbundenen Volksabstim­ mungen dem Fürsten die verfas­ sungsmässigen Kompetenzen Stück um Stück wegzunehmenund so die Monarchie langsam aber sicher auszuhöhlen, ohne dass der Fürst dazu noch ein einziges Wort zu sagen hätte. . Gegen die Monarchie . Die vom früheredLandtagspiiisi- denten Dr. Peter Wolff in den Jah­ ren 1996 bis 2000 präsidierte Ver­ fassungskommission hatte eine ähnliche Regelung des Sa'nktions- rechts vorgeschlagen, wie sie in der «Friedensinitiative» enthalten ist. Die Kommission wollte dem Pürs­ ten jedoch.eine gewisse Rück­ sichtnahme und Fairness entgegen­ bringen. Sie hatte deshalb im Ver­ fassungsentwurf vorgesehen, dass für eine Aufhebung oder Abände­ rung von Verfassüngsartikein, welr che die Rechtsstellung oder die Kompetenzen des Fürsten betref­ fen, die Sanktion des Ländesfürs­ ten notwendig ist und. durch eine Volksabstimmung nicht ersetzt werden kann. Eine soiefie:Rück­ sichtnahme und Fairness gegen­ über dem, Fürsten hat das' Initiativ- kommitee «Verfassungsfrieden» nicht für nötig gehalten ̂Deshalb entpuppt sich die «Friedensinitiati­ ve» als eine gegen die Monarchie lind gegenließ Dualismus gerichte­ te 
radikale Lösung.
	        

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