Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

MONTAG, 16. DEZEMBER 2002 
VOLKS I 
I IVB B Ahm VERFASSUNG: VENEDIG-KOMMISSION BLATT I IIMLMIvU STELLUNGNAHMEN 
3 FORUM De-Se: «Fürsteninitiative würde FL in Europa isolieren» Die Venedig-Kommission des Europarates hat in ihrer Plenarversammlung vom 13./14. Dezember eine einhellige Stellungnahme zur liechtensteinischen Verfassungsrevision abge­ geben: Die Fürsteninitiative ist mit grundle­ genden Prinzipien des Europarats nicht ver­ einbar. Die Friedensinitiative hingegen ent­ spricht den europäischen Standards vollum­ fänglich. Im Wesentlichen gelangt die Vene­ dig-Kommission zum Schluss, dass die Vor­ schläge der Fürsteninitiative einen emsthaften Schritt zurück ^«a serious step backwards») darstellen würden. Kritisiert wird vor allem, dass der Monarch nach einer Annahme der Fürsteninitiative zu grosse Macht hätte und ohne jegliche demokratische Kontrolle oder gerichtliche Überwachung tätig werden könn­ te. Ein solcher Schritt rückwärts würde Liech­ tenstein in der europäischen Gemeinschaft isolieren und könnte seine Mitgliedschaft im. Europarat problematisch machen. Weder der Europarat noch die Europäische Union wür­ den eine Beeinträchtigung des «acquis europden» (der europäischen Standards) akzeptieren. Zu viel Macht für den Fürsten In der Stellungnahme heisst es weiter, dass alle anderen Monarchien in Europa demokra­ tisch regiert würden. Auch wenn in ihren Ver­ fassungstexten, die teilweise noch aus dem frühen 19. Jahrhundert stammten, nominell die Monarchen weitgehende Rechte hätten, so sei klar, dass diese Rechte nur in Überein­ stimmung mit den Parlamenten und den Regierungen ausgeübt werden dürften. Die Vorschläge der Fürsteninitiative hingegen würden es in das alleinige Ermessen des Für­ sten stellen, ob er eine Regierung entlassen, ein Gesetz sanktionieren oder eine Notverord­ nungen erlassen will. Thomas Nigg, einer der 53 Liechtensteine­ rinnen und Liechtensteiner, die mit der Anfra­ ge an den Europarat gelangt sind: «Die Reakti­ on der Venedig-Kommission zeigt, dass wir mit unserer Sorge leider richtig lagen. Es ist viel sinnvoller, wenn wir vorgängig abklären. Das Signal, Liechtenstein habe eine Verfas­ sungsänderung durchgeführt, welche die Grundprinzipien des Europarats verletzt, wäre fatal und würde das Verhältnis zum Europarat und der EU sehr belasten. Einen zusätzlichen Druck aus dem Ausland können wir uns aber keinesfalls leisten. Ich hoffe darum, dass sich alle Parlamentarier die Bedenken der Venedig- Kommission zu Herzen nehmen, wenn sie in dieser Woche über die beiden Initiativen bera­ ten.» Mario Frick vom Demokratie-Sekreta­ riat: «Die Venedig-Kommission spricht Klar­ text: Wir verlieren demokratische Rechte, wenn die Verfassungsinitiative des Fürsten angenommen wird. Ich appelliere an die Landtagsabgeordneten, ihrer Verantwortung nachzukommen und der Fürsteninitiative eine klare Absage zu erteilen. Sie sind es den Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Lan­ des, sie sind es unseren Kindern und sie sind es vor allem sich selber schuldig.» Venedig-Kommission kennt auch Fürsten-Gutachten Die Venedig-Kommission («Europäische Kommission für Demokratie durch Recht») ist ein beratendes Organ der Parlamentari­ schen Versammlung des Europarates und setzt sich aus unabhängigen Staats-, Verfas- sungs- und Völkerrechtlern aus allen Staaten Europas zusammen. Drei Gutachter alis den Königreichen Niederlande, Belgien und Dänemark haben sich mit den beiden Initiati­ ven zur Verfassungsrevision in Liechtenstein auseinandergesetzt und für die Plenarver- . Sammlung der Venedig-Kommission die Stel­ lungnahme erarbeitet. Diese wird von der Par­ lamentärischen Versammlung des Europarats weiter behandelt werden. Den Gutachtern lagen zur Beurteilung der Verfassungsinitiati­ ven alle relevanten Texte vor, also auch die Gutachten von Prof. Winkler und Prof. Mat­ scher, die im Auftrag des Fürsten erstellt wor­ den sind. Demokratie-Sekretariat 
«Unzulässige Einmischung» Stellungnahme des Fürstenhauses zum Vorgehen der «Venedig-Kommission» Die Venedig-Kommission des Europarates befasste sich in ihrer jüngsten Sitzung am 13./14. Dezember mit der Voiks- Jnitiative des Fürstenhauses zur Verfassungsreform in Liechten­ stein. Dieser bis heute einmalige Vorgang stellt eine unzulässige Einmischung einer internationa­ len Organisation in den auto­ nomen Gesetzgebungsprozess eines souveränen Mitgliedsstaa­ tes des Europarates dar. Die Bestimmungen der vom Fürs­ tenhaus gestarteten Volksinitiative zur Abänderung der derzeitigen Verfassung aus dem Jahre 1921 wurde im Rahmen des Zulassungs­ verfahrens von der Liechtensteini­ schen ' Regierung auf ihre völker­ rechtliche und verfassungsrechtli­ che Vereinbarkeit geprüft und aus­ drücklich als völkerrechtskonform anerkannt. Diese Einschätzung wird auch durch mehrere interna­ tional renommierte Verfassungs- rechtler geteilt. Die Initiative ist damit mit den Regeln des Statuts des Europarates und der Europäischen Menschen­ rechtskonvention konform. Der liechtensteinische Landtag ist die­ ser Rechtsauffassung der Regie­ rung (mit 20 zu 5 Stimmen) gefolgt und hat die Volksinitiative für zulässig erklärt. Um die Initiative zur Volksab­ stimmung zu bringen, waren 1500 Unterschriften von liechtensteini­ schen Bürgerinnen und Bürgern notwendig - 6242 Personen (über 37 % der Wahlberechtigten) haben die Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützt. Dies ist wesentlich mehr als bis jetzt eine Initiative je erreicht hat und vor allem 3 mal so viel wie die konkurrierende so genannte «Friedensinitiative». Einmaliger Eingriff Es ist wohl einmalig, dass eine internationale Organisation gegen einen Mitgliedsstaat auf Ersuchen einiger weniger Bürger, die aus­ schliesslich aus politisch motivierten 
Kein Verständnis für einseitige Aussagen der «Venedig-Kommission»: S.D. Landesfürst Hans-Adam II. und S.D. Erbprinz Alois. Gründen handeln, tätig wird und so in ein Gesetzgebungsverfahren ein­ greift, welches ausschliesslich in der Autonomie eines ihrer Mitglieds­ staaten liegt. Das liechtensteinische Mitglied der Venedig-Kommission, Dr. Gerard Batlincr, einer der promi­ nentesten und engagiertesten Geg­ ner der Volksinitiative des Fürsten­ hauses hat entscheidenden Einfluss auf diese Vorgangsweise genom­ men. Dass die «Meinungsbildung» in der Venedig-Kommission vor allem auf unvollständigen, einseiti­ gen, teilweise falschen und veralte­ ten Informationen beruht, ist mehr als bedauerlich. Regierung beantragte Vertagung Die Liechtensteinische Regierung hat in ihrem Statement vom 5. Dezember 2Ö02 aus diesem Grund eine Vertagung beantragt und auch verlangt, als zuständiges staatliches Organ gehört zu werden, um eine ausführliche Stellungnahme abge­ ben zu können. Die Liechtensteinische Regierung hat vor allem folgende Punkte am Bericht der Venedig-Kommission und am Vorgehen des Europarates kritisiert: I. Zunächst ist der Regierung 
nicht bekannt gegeben worden, wel­ cher inhaltliche Auftrag den Verfas­ sern des Berichtes erteilt wurde. Der Bericht selbst gibt darüber keine Auskunft. 2. Dem . Bericht fehlt eine nach­ vollziehbare Gegenüberstellung der geltenden Vorschriften der Verfas­ sung von Liechtenstein und der durch die Initiative des Fürsten und des Erbprinzen vorgeschlagenen Abänderungen im Wortlaut. 3. Dem Bericht fehlt auch eine Gegenüberstellung der Regelungen der geltenden Verfassung, der Neu­ regelungen der Reformvorschläge einerseits und der in Frage kommen­ den Vorschriften des Statuts des Europarates und der EMRK ande­ rerseits. 4. Der Bericht ist eine Zusammen­ fassung dreier Vorberichte seiner drei Verfasser, die sich wiederum auf Gutachten aus dem Jahr 2000 stützen, welche die frühere Regie­ rung im November 1999 in Auftrag gegeben hatte. Diese bezogen sich alle auf einen Verfassungsentwurf, der seither mehrmals überarbeitet wurde. Die zwei Gegengutachten der Professoren Matscher und Wink­ ler, ebenfalls aus dem Jahr 2000, werden entweder unzureichend 
gewürdigt oder bleiben überhaupt unbeachtet. 5. Dem Bericht ist verborgen geblieben, dass die vier Gutachten aus dem Jahr 2000 Vergleiche der Reformvorschläge mit der geltenden Verfassung vermissen lassen; femer lassen sie unbeachtet, dass die gel­ tende Verfassung von Liechtenstein anlässlich des Beitritts von Liech­ tenstein vom Europarat als mit der Satzung des Europarates für verein­ bar befunden wurde, dass die Reformvorschläge der Initiative des Fürstenhauses im Konsens mit der Verfassungskommission des Land­ tages verbessert wurden und auch einzelne Bestimmungen der Initiati­ ve des Fürstenhauses die bestehende Rechtsstellung des Fürsten als Staatsoberhaupt einschränken. 6. Der Bericht stützt sich unter anderem auf die Kritik im Memo­ randum des Demokratie-Sekreta­ riats, Die Regierung befasst sich derzeit mit der Ausarbeitung einer eingehenden Stellungnahme zu diesem Memorandum, die sie der Venedig-Kommission umgehend zukqpimen lässt. Bedauerliches Vorgehen Es ist zu bedauerlich, dass die Venedig-Kommission nicht dem Antrag der Regierung gefolgt ist, die Behandlung zu vertagen und die bereits schon zugesandten zusätzli­ chen Informationen zu berücksichti­ gen, insbesondere die Berichte der Regierung an den Landtag und wei­ tere Gutachten jüngeren Datums. Die Kritik der Venedig-Kömmis­ sion richtet sich nicht nur gegen die Reformvorschläge, sondern vor allem auch gegen die bestehende Verfassung des Fürstentum Liech­ tensteins. Schliesslich erstaunt es, dass die Venedig-Kommission von der bevorstehenden Veröffentlichung des Berichtes über das Fürstentum Liechtenstein bis jetzt nur das Demokratie-Sekretariat informiert hat und nicht die liechtensteinische Regierung. Auch die Regierung wehrt sich Einmischung der «Venedig-Kommission» in innerstaatlichen Gesetzgebungsprozess VADUZ - Die Venedig-Kommissi- on des Europarates behandelte anlässlich ihrer Sitzung vom 12./13. Dezember die Volksinitia­ tive des Fürstenhauses zur Ver­ fassungsreform. Den Auftrag zur Erstellung dieser Stellungnahme erhielt die Venedig-Kommission vom Büro der Parlamentarischen Versammlung, des Europarates, nachdem das Demokratiesekre­ tariat direkt an den Europarat gelangtwar. Die Stellungnahmen der von der Venedig-Kommission eingesetzten Gutachter stützen sich auf einen früheren Verfassungsentwurf, der zwischenzeitlich mehrmals überar­ beitet worden ist. Die Regierung stellte daher im Vorfeld der Kommissions-Tagung einen Vertagungsantrag und ver­ langte als zuständiges staatliches Organ gehört zu werden, um eine ausführliche Stellungnahme abge­ ben zu können. Die Kritik der Regierung Die Regierung kritisierte insbeson­ dere folgende Punkte: 
1. Zunächst ist der Regierung nicht bekannt gegeben worden, welcher inhaltliche Auftrag den Verfassern des Berichtes erteilt wurde. Der Bericht selbst gibt darüber keine Auskunft. 2. Dem Bericht fehlt eine nach­ vollziehbare Gegenüberstellung der geltenden Vorschriften 
7 der Verfas­ sung von Liechtenstein und der durch die Initiative des Fürsten und des Erbprinzen vorgeschlagenen Abänderungen im Wortlaut. 3. Dem Bericht fehlt auch eine Gegenüberstellung der Regelungen der geltenden Verfassung, der Neure­ gelungen der Reformvorschläge einerseits und der in Frage kommen­ den Vorschriften des Statuts des Europarates und der EMRK anderer­ seits. 4. Der Bericht ist eine Zusammen­ fassung dreier Vorberichte seiner drei Verfasser, die sich wiederum auf Gutachten aus dem Jahr 2000 stüt­ zen, welche die frühere Regierung im November 1999 in Auftrag gege­ ben hatte. Diese bezogen sich alle auf einen Verfassungsentwurf, der seither mehrmals überarbeitet wurde. 
Die zwei Gegengutachten der Pro­ fessoren Matscher und Winkler, ebenfalls aus dem Jahr 2000, werden entweder unzureichend gewürdigt oder bleiben überhaupt unbeachtet. 5. Die vier Gutachten aus dem Jahr 2000 lassen Vergleiche der Reform­ vorschläge mit der geltenden Verfas­ sung vermissen; femer lassen sie unbeachtet, dass die geltende Verfas­ sung von Liechtenstein anlässlich des Beitritts von Liechtenstein vom Europarat als mit der Satzung des Europarates für vereinbar befunden wurde, dass die Reformvorschläge der Initiative des Fürstenhauses im Konsens mit der Verfassungskom­ mission des Landtages verbessert wurden und auch einzelne Bestim­ mungen der Initiative des Fürsten­ hauses die bestehende Rechtsstellung des Fürsten als Staatsoberhaupt ein­ schränken. 6. Der Bericht stützt sich unter anderem auf die Kritik im Memoran­ dum des Demokratie-Sekretariats. Die Regierung befasst sich derzeit mit der Ausarbeitung einer eingehen­ den Stellungnahme zu diesem Memorandum, die sie der Venedig­Kommission 
umgehend zukommen lassen wird. 7. Die Regierung gab der Venedig- Kommission auch zu bedenken, dass zur Überprüfung der Initiative des Fürstenhauses derzeit zwei Verfah­ ren beim Staatsgerichtshof anhängig sind, die ohne Beeinträchtigung von aussen ungestört ablaufen müssen. Zudem wurde auf das Liechtenstein als souveräner Staat und Mitglied des Europarates zustehende Recht auf ungestörte Ausübung seiner Ver­ fassungsautonomie verwiesen. Keine Verbindlichkeit Die Venedig-Kommission hat aus den drei Stellungnahmen einen kon­ solidierten Bericht verabschiedet und zu Händen des Büros der Parla­ mentarischen Versammlung des Europarates übermittelt. Der Bericht der Venedig-Kommission hat für den Europarat keine Verbindlichkeit, sondern lediglich Empfehlungscha­ rakter. Wie und wann sich die Parla­ mentarische Versammlung des Europarates mit diesem Bericht aus­ einandersetzen wird, bleibt vorerst noch offen. (pafl)
	        

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