Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

DONNERSTAG, 28. NOVEMBER 2002 VOLKS I 
| EVI | A |V| T\ 
PLATTFORM BLATT I INI LM Iii LS VERFASSUNG FAZIT MEIN STANDPUNKT Zwei Fragen an Dr. Walter Kieber Volksblatt: Wie können die Gegner der «Fürsteninitifltive» verbreiten, dass Liechtenstein bei Annahme, dieser Initia­ tive seine demokratischen^ Errungen­ schaften verlieren und in die Zeit des Spätabsolutismus zurückgeworfen wird? Dr. Walter Kieber: Das ist ein blanker Unsinn. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sogar prominente Vertreter der Gegner­ schaft den Verfassungskompromiss-Entwurf überhaupt nicht gelesen haben, ansonsten sie nicht- immer wieder ihre alten Parolen •verbreiten würden. Es ist bedauerlich, dass einige von ihnen sich von ihrer fast zwang­ haften Fixierung auf die Person von Fürst Hans-Adam nicht lösen können. Bei der Beurteilung der Verfassungskompromiss- Vorlage sollte die Vernunft und nicht so sehr Emotionen und persönliche Ressentiments im Vordergrund stehen. Worin sehen Sie den Unterschied zwi­ schen der «Fürsteninitiative» und der so genannten «Friedensinitiative»? • Die Rcformvorlage des. Fürsten respek­ tiert die duale Verfassungsstruktur von 1921. Dadurch unterscheidet sie sich wesentlich von der" sogenannten «Friedens­ initiative», die dem Fürsten künftig eine echte Mitwirkung in der Gesetzgebung ver­ wehren möchte und damit das Konsensmo­ dell zunichte macht. • Die vom Fürsten und vom Erbprinzen ein­ gereichte Volksinitiative ist ein Kompro- miss, auf den sich die Verfassungskommis­ sion und die Regierung mit dem Fürsten und dem Erbprinzen durch Konsens geeinigt haben. Über die Zustimmung des Fürsten zur Rcformvorlage besteht damit Gewiss­ heit. Der Landes fürst wirbt mit dem Ver­ fassungskompromiss-Entwurf beim liech­ tensteinischen Volk für eine Erneue­ rung des demokratischen Grundkonsenses zwischen Fürst und Volk über die gemeinsa­ me Innehabung und Ausübung der Staatsge­ walt. , Die so genannte «Friedensinitiative» ist eine einseitige Aktion eines Komitees. Da das Komitee nicht einmal den Versuch gemacht hat, mit dem Fürsten ein Gespräch zu führen, fehlt der «Friedensinitiative» der Charakter eines durch Konsens mit dem' Fürsten zustandegekommenen Kompromis­ ses. Damit ist es eine Tatsache, dass die «Volksinitiative für Verfassungsfrieden», wie sie sich nennt, auf einen Bruch des seit 1921 zwischen Fürst und Volk bestehenden demokratischen Grundkonsenses zusteuert. ANZEIGE *>} •W 
iW 
h hoteMolm . y • ' . 9497Triesenberg 00423 237 79 79 info@hotelkulm.l www.hoteikulm.com Triesenberger-Wochen äde Walliser-Wochen juhee In nur 10 Min., aller Hektik entfliehen und die einmalige Aussicht bei Gerichten unserer eingewanderten Vorfahren geniessen Cafö - Restaurant 'aivtefr Tel. 00423 268 39 33 . E-Mail   kaihc@adon.li 
Macht bleibt im Gleichgewicht Alt Regierungschef Dr. Walter Kieber zur Völksinitiative des Fürsten Bekanntlich ist es der Verfas­ sungskommission und der Regie­ rung vor knapp vier Monaten gelungen, sich mit dem Fürsten und dem Erbprinzen auf einen gemeinsamen Verfassungskompro- miss-Entwurf zu einigen. Dieser Entwurf ist vom Fürsten und vom Erbprinzen als Volksinitiative ein­ gereicht worden. . Der Kompromiss-Entwurf ist keine Verfassungsvorlage; die den Wünschen .und Vorstellungen aller politischen, gesellschaftlichen oder sonst interessierten Gruppierungen unseres 
Landes entspricht. Dies gelingt letztlich keiner Regierung und keinem Parlament, in welchem \ Staat auch immer die Verfassung revidiert werden soll. Die jahrzehn­ telangen Verfassungsreform- Bcstrebungen in der Schweiz und das Ergebnis, das schliesslich her­ auskam, sind hiefür ein typisches Beispiel. Im Falle. Liechtenstein kommt hinzu, dass der Kompro- miss zwischen Fürst und Volk als den beiden Trägern der Staatsge­ walt gefunden werden muss. Der als Volksinitiative einge­ reichte Kompromiss-Entwurf hält sich streng an die Prinzipien unse­ rer dualen Verfassungsstruktür und beinhaltet neue 
Kompetenzzuwei- MACHTGLEICHGE- WICHT WIRD NICHT VERÄNDERT sungen und Kompetenzverlagerun­ gen, die alle sachlich begründet sind und das in der Verfassung von 1921 geschaffene Machtgleichge­ wicht nicht verändern. Ich möchte dies anhand von zwei Regelungs­ bereichen der Volksinitiative ver­ deutlichen. Der erste .Regelungsbereich betrifft die Auswahl und die Bestel­ lung der Richter. Gemäss gelten­ dem Recht werden die meisten Richter über Vorschlag des Land­ tags vom Landesfürsten ernannt. Die vom Landesfürsten und vom Erbprinzen eingereichte Volks­ initiative sieht die Schaffung eines Gremiums für die Auswahl der Richter vor. In diesem Gremium, in dem die obersten Organe des Staa­ tes vertreten sind, solidem Fürsten das Recht zukommen, gegen einen Kandidaten ein Veto einzulegen. Diese Regelung stösst bei der Geg- ' nerschaft auf Kritik. Es wird dabei allerdings verschwiegen, dass der Fürst gemäss geltender Verfassung heute schon das Recht besitzt, die Emennyng eines ihm vom Landtag vorgeschlagenen Richters abzuleh­ nen, d.h. ein Veto einzulegen. In der Volksinitiative wird das derzeit in der Ernennungsphase der Richter bestehende Vetorecht des Fürsten in die Phase der Richter­ auswahl vorverlegt. Das Ernen­ nungsveto des Fürsteh. existiert, gemäss Volksinitiative nicht mehr. Es ist weitaus fairer, gegen einen Richterkandidaten in der Auswahl- ' phase ein Veto einzulegen, als ihn zuerst vom Landtag wählen zu las­ sen und erst dann mit einem Veto zu Uberraschen. Rechtlich gesehen ist der Land­ tag heute die Auswahl-Instanz für die Richter. In Wirklichkeit wurde 
Alt Regierungschef Or. Walter Kieber. die Auswahl der Richter schon seit Jahrzehnten von den Funktionärs- «X gremien der politischen Parteien'. getroffen, an deren Vorschlüge sich die Fraktionen im Landtag gebun­ den fühlen. Aufgrund dieser partei­ politischen Bindungen kam es ver­ einzelt zu Fehlbesetzungen mit schwerwiegenden Auswirkungen. Mit der Schaffung eines Richter- Auswahlgremiums, in welchem . Fürst, Landtag und Regierung ver­ treten sind, findet eine Entpolitisie- rung und Objektivierung der Rich­ terauswahl 
statt. Die Unabhängig­ keit der' Gerichtsbarkeit* und das Vertrauen in diese Unabhängigkeit sind damit besser gewährleistet. Die vom Auswahl-Gremium vor­ geschlagenen Kandidaten unterlie­ gen einem Wahlverfahren im Land­ tag. Lehnt der Landtag einen der vorgeschlagenen Richter-Kandida- ten ab, so kommt es, wenn sich das Auswahl-Gremium und der Land­ tag nicht auf einen anderen Kandi­ daten verständigen, zu einer Volks­ abstimmung. In diesem Falle haben die Stimmberechtigten Uber die personello Besetzung der. noch offenen Richterstelle zu entschei­ den. Gemäss Volksinitiative sollen künftig die Auswahl und die Bestel­ lung aller Richter, gleichgültig bei welchem Gericht sie tätig sind, nach denselben Grundsätzen von- statten gehen. Bisher wurdien einige . Richterkategorien im Bereich der Straf- Verwaltungs- und Verfas— sungsgerichtsbarkeit vom Laindtag gewählt, ohne dass .eine landes­ fürstliche Ernennung oder Bestäti­ gung stattzufinden hatte. Die vorstehende Neuregelung der Richterauswahl und Richterbe­ stellung 
bewirkt in keiner Weise eine Veränderung des in der Verfas­ sung von 1921 geschaffenen " Machtgleichgewichts. Der zweite Regelungsbercich betrifft die Amtsenthebung der ' Regierung. Bis zum Jahre 1921 hatte der Fürst das uneingeschränk­ te Recht zur Ernennung und Ent­lassung 
der Regierung. Bei der Schaffung der Verfassung von 1921 forderten die Reformkräfte ein par­ lamentarisches Regierungssystem. Danach hätte die Regierung zurücktreten müssen, wenn sie das Vertrauen des Landtags verliert. Es kam zu einem Kompromiss, der heute noch in Art. 80 der Verfas­ sung verankert ist. Der Landtag erhielt, wenn er das Vertrauen in die Regierung verloren hat, nur das Recht, beim Landesfürsten die Amtsenthebung der Regierung zu beantragen. In den Jahren nach 1921 war unbestritten, dass der Fürst weiter­ hin die Kompetenz besitzt, die Regierung des Amtes zu entheben, ansonsten der Landtag beim Fürs­ ten logischerweise keine Amtsent­ hebung hätte beantragen können. Unterschiedlich beurteilt wurden aber die beiden Fragen, ob der Fürst eine Amtsenthebung vorneh­ men 
muss, wenn der Landtag einen Antrag stellt und, ob der Fürst die Regierung auch ohne Antrag des Landtags des Amtes entheben darf. Um diese Zweifel zu beseitigen, wurde im Jahre 1965 von der Regierung, vom Landtag und vom Landesfürsten eine 
einvernehmli- REGIERUNG BEDARF EINES DOPPELTEN VERTRAUENS che Auslegung der Verfassung vor­ genommen. Diese hatte zum Ergeb­ nis, dass die Regierung stets eines doppelten Vertrauens bedarf, näm­ lich jenes des Fürsten und jenes des Landtags. Wenn auch nur ein Teil, der Fürst oder der Landtag, der Regierung das Vertrauen entzieht, ist sie des Amies zu entheben. Die Regelung in der vom Fürsten und vom Erbprinzen eingereichte. Volksinitiative, dass sowohl der Fürst als auch der Landtag das Recht haben sollen, der Regierung 
das Vertrauen zu entziehen und damit ihre Amtstätigkeit zu been­ den, ist nichts anderes als eine ver­ fassungsgesetzliche' Festschrei­ bung der 1965 zwischen den obers­ ten Organen des Staates- getroffe­ nen Übereinkunft. Eine Verände-. rung des Machtgefüges der Verfas­ sung von 1921 ist beim besten Wil­ len nicht zu erkennen. Für den Regierungschef wurde in der Volksinitiative sogar eine Sonder­ regelung getroffen", die seine Stel­ lung massgeblich stärkt. Seine Amtsenthebung ist nur möglich, Wenn zwischen dem Fürsten und dorn Landtag darüber ein Konsens hergestellt wird. Das Bedeutsame an der Regelung gemäss Volksinitiative liegt darin, • dass die Konsequenzen des Vertrau­ ensverlustes der Regierung genau geregelt sind. Für die Zeit bis Zum Antritt der neuen (ordentlichen) Regierung hat der Landesfürst eine. Übergangsre'gierang mh fünf zum Landtag wählbaren Liechtenstei­ nern zur interimistischen Besoldung der gesamten Landesverwaltung zu bestellen. Aus den 
Begriffen «Übcr- • gangsregierung» und «interimisti­ sche Besorgung» ergibt sich zwin­ gend, dass Fürst und Landtag die - Verpflichtung haben, ohne Verzug aufgrund der Verfassung eine neue (ordentliche) Regierung zu bestel­ len: ' Die Übergangfcrcgierung hat sich noch vor .Ablauf einer Frist von vier Monaten im Landtag einer Vertrauensabstimmung zu stellen. Nach dem normalen Lauf der Dinge dürfte es zu einer solchen Vertrauensabstimmung gar nicht kommen, weil es nach den 
Erfah- NIE EINE REGIE­ RUNGSLOSE ZEIT rangen der letzten Jahrzehnte • innerhalb dieser vier Monate zur Bestellung einer neuen Regierung kommt. Sollte es zu eiri6r Vertrauensab­ stimmung kommen, und die Über- gangsregierung diese überstehen, hat sie ihre Tätigkeit als (jbergangs- regierung weiter auszuüben, bis die . neue (ordentliche) Regierung ihr Amt antritt. Die Übei?angsregie- rung kann selber nie ZUF 
ordentli­ chen Regierung werden, weil eine gewonnene Vertrauensabstimmung den Bestellungsvörgang gemäss Art. 79 Abs. 2 der Verfassung nicht ersetzen kann. Sollte die Über- gangsregierung die Vertrauensab- , Stimmung 
nicht überstehen, hat der Landesfürst eine neue Übergangs­ regierung zu bestellen. Was aufgrund der geltenden Ver­ fassung von M921 im Falle einer Amtsenthebung der Regierung infolge Vertrauensverlustes immer zu befürchten gewesen wäre, näm­ lich eine. Notrechtsituation im Sinne von Art. 10 der Verfassung, ist gemäss dem neu vorgeschla­ genen Art. 80 ausgeschlossen. Es gibt nie eine regierungslöse Zeit und, es gibt immer einen Regie­ rungschef, der das Gcgenzeich- nungsrecht ausübt. Dieses neue Verfassungskonzept trügt, wesent­ lich zur Stabilität unseres Regie­ rungssystems bei.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.