Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
AUSLAND Mittwoch, 6. Februar 2002 21 «Eine andere Welt ist möglich» Dem Weltsozial forum in Brasilien droht Instrumentalisierung durch Politiker PORTO ALEGRE: Das 2. Weltso­ zialforum ist nach sechs Tagen am Dienstag im brasilianischen Porto Alegre mit einer gestärk­ ten Opposition gegen den Neoli­ beralismus zu Ende gegangen. Das Forum droht allerdings durch Politiker instrumentali­ siert zu werden. Jeait-Yres Clemenz o Tausende Menschen versammelten sich zur Abschicdszeremonie in der katholischen Universität in Porto Ale­ gre. Die Fahnen wehten und dabei sangen die Teilnehmer «Eine andere Welt ist möglich». Die zweite Ausgabe des Weltsozialforums lockte während den sechs Tagen 60 000 Teilnehmerin­ nen und Teilnehmer an - darunter IS 000 Delegierte aus 123 Ländern und 3000 Journalisten aus der ganzen Welt. In 700 Workshops. 100 Semina- rien und 28 Vollversammlungen wur­ de diskutien. Dabei kamen vor allem die Auswir­ kungen der neoiiberalen Globalisie­ rung, die Aussenschuld, eine sozialere Wirtschaft, Fragen um das öffentliche Gut Wasser und die Ablehnung einer weiteren Verhandlungsrunde der Welt- handelsorganisation 
(WTO) zur Spra­ che. Die Krise in Argentinien, die Welt nach den Terroranschlagen vom II. September und die bevorstehenden Wahlen in Brasilien prägten die 
Debat-Tausende 
Menschen versammelten sich zur Abschiedszeremonie des 2. Weltsozialforums in Porto Alegre. (Bild: Key} ten. Den zahlreichen aufgeworfenen Ideen stehen die wenigen konkreten Umsetzungen gegenüber - doch ein Anfang ist gemacht. Einer der konkretesten Vorschläge ist die Realisierung der Revision der Auslandsschulden der Entwicklungs­ länder. Diese belasten etliche Länder wie zum Beispiel Brasilien, das die Hälfte seines Budgets zur Tilgung sei­ ner Schulden braucht und unter einer enormen Kapitalflucht leidet. Ein an­ derer Vorschlag könnte Erfolg haben: Die Einstufung des Wasser als öffentli­ ches Gut. Da die Verwaltung dieser 
Ressource zu einer der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhun­ derts gehört, ist es laut zahlreichen Teilnehmern an der Zeit, allen Men­ schen genügend Wasser zu sichern. Auf der einen Seite präsentierte sich das Forum als eine ausgezeichnete Ideenfabrik. Auf der anderen Seite aber droht ihm eine zunehmende In­ strumentalisierung durch Politiker. Die im brasilianischen Teilstaat, wo Porto Alegre liegt, regierende Arbeiterpar­ tei vergrösserte ihre Medienpräsenz spürbar. Brasilien steckt mitten im Wahlkampf. Der Kandidat der 
Arbei­terpartei 
präsentierte sich zum vierten Mal. Aus Schweizer Sicht weitete sich die Teilnehmerliste aus, und verschie­ denste gesellschaftliche Gruppierun­ gen waren vertreten: Politiker, Ge­ werkschafter, Journalisten, Genossen­ schafter und Kirchenleute. Rund dreis- sig Leute reisten mit der Schweizer Delegation an. Die offizielle Schweiz sandte lediglich zwei Leute nach Porto Alegre. Im Gegensatz zur Präsenz von drei Bundesräten am WEF-Jahrestref- fen in New York, wirkt die Teilnahme in Porto Alegre äusserst bescheiden. Rückkehrer sorgt für erheblichen Wirbel Ex-Abgeordneter der RPR droht Chirac in Schmiergeldaffäre schwer zu belasten PARIS: Ein mutmasslicher Schwarz- geldfunktionär der RPR-Partei des französischen Präsidenten Jacques Chirac ist am Dienstag nach Paris zurückgekehrt. Seine Rückkehr sorgt zweieinhalb Monate vor der Präsi­ dentschaftswahl für erheblichen Wirbel. Der 54-jährige Didier Schuller wurde aus der Dominikanischen Republik kommend nach seiner Landung in Pa­ ris festgenommen und dem zuständi­ gen Ermittlungsrichter vorgeführt. Schuller wurde seit sieben Jahren we­ gen Veruntreuung per internationalen Haftbefehl gesucht. Der ehemalige Abgeordnete der RPR (Rassemblement pour la Republique) belastete Chirac und seine Partei be­ reits früher: «Ich habe lange genug den Kopf für andere hingehalten; ich will jetzt alles erklären.» Schon vor Schullers Rückflug hatten seine 
Äusserungen den Vorwahlkampf ver­ schärft. Gelder abgepresst Schuller war von-1986 bis 1994 Lei­ ter der Behörde für sozialen Woh­ nungsbau im Departement Hauts-de- Seine bei Paris. Er wird beschuldigt, im Gegenzug für die Vergabe öffentli­ cher Bauaufträge den Unternehmen Gelder abgepresst und in die Kassen der RPR gelenkt zu haben. Schuller gab bereits zu, dass die Firmen im Grossraum Paris jahrelang für die Aufträge bezahlen mussten. «Diese Summen flössen in die Kassen der na­ tionalen RPR und in die Kassen des Verbandes in Hauts-de-Seine», sagte er. Vorsitzender der RPR und Bürger­ meister von Paris war damals Chirac. Die neogaullistische RPR steht seit langem im Verdacht, während Chiracs Zeit als 
Parteivorsitzender und Pariser Bürgermeister illegal Millionenbeträge 
•!&X v/ST' • > < Rückkehrer Didier Schüller: «Ich will jetzt alles erklären.» {Bild: Key) 
von Bau-Unternehmen kassiert zu ha­ ben. Die Ermittlungen konnten Chirac bisher jedoch nichts anhaben, da er als Präsident Immunität geniesst. «Schmutzkampagne» Auf die Spur Schullers kamen die französischen Fahnder durch Enthül­ lungen seines Sohnes vor zwei Wo­ chen in der Presse. In der vergangenen Woche beantragte Frankreich seine Auslieferung; Schuller entschloss sich dann jedoch zur freiwilligen Rückkehr. Der neogaullistische frühere Premier­ minister Alain Jupp£ warf den regie­ renden Sozialisten vor, wegen der Prä­ sidentenwahlen jetzt eine Schmutz­ kampagne gegen Chirac zu führen. «Die Rückkehr Schullers ist von der Regierung Lionel Jospin ausgehandelt worden», kritisierte RPR-Berater Pa­ trick Devedjian. Der Sozialist Jospin ist der absehbare Herausforderer Chi­ racs in den bevorstehenden Wahlen. NeuefEUlRichtlime iFürlLkw-Fährer STRASSBURG: Bus- und Lastwa­ gen-Fahrer dürfen künftig EU-weit maximal 60 Stunden pro Woche hinter dem Steuer sitzen. Dies sieht eine Richtlinie vor, die das Europa­ parlament am Dienstag in abschlies­ sender Lesung verabschiedet hat. Das Gesetz schreibt weiter vor, dass die durchschnittliche Arbeitszeit in einem Zeitraum von vier Monaten nicht mehr als 48 Stunden pro Wo­ che betragen darf. Spätestens nach 6 Stunden müssen 30 
Minuten Pause 'eingehalten werden, bei einer „Ar­ beitszeit über 9 Stunden sind 45 
Mi-' : nuten Pause Vorschrift. Als Nacht­ arbeit wird die Zeit zwischen Mjtter- nacht und 7.00 Uhr definiert Die iEU-Staaten haben nun drei Jahre : Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Für selbstständi­ ge Fahrer 
wird die Richtlinie aller- i dings erst ab -2009 gelten. Darauf ; hatte der Ministerrat in einem Ver­ mittlungsverfahren mit dem Strasse burger Parlament bestanden. 
Irak zur Wiederaufnahme des Dialogs mit Vereinten Nationen bereit Arabische Liga übermittelt Botschaft Saddam Husseins NEW YORK: Nach deutlichen Dro­ hungen der USA hat die irakische Regierung ihre Bereitschaft zur Wie­ deraufnahme des Dialogs mit den Vereinten Nationen erklärt. Wie die Weltorganisation mitteilte, wurde das Angebot vom Generalse­ kretär der Arabischen Liga, Amr Mus- sa, überbracht. Dabei stelle Irak kei­ nerlei Vorbedingungen, hiess es. Ob Bagdad auch über eine Rückkehr der UN-Rüstungsinspcktoren verhandeln will, ging aus dem Angebot nicht her­ vor. Russland begrüsste die irakische Initiative. UN-Generalsekretär Kofi Annan er­ klärte, er sei berdit, eine Delegation aus Bagdad zu empfangen. Zuletzt hatte Annan im Februar 2001 im Ge­ spräch mit irakischen Regierungsver­ tretern vergeblich versucht, die Sack­gasse 
im Verhältnis beider Seiten zu überwinden. Seit der Invasion Kuwaits im August 1990 steht Irak unter stren­ gen Sanktionen der Vereinten Natio­ nen. Nach dem Golfkrieg gegen eine von den USA angeführte internationa­ le Allianz Hess Irak, den Bestimmun­ gen des Waffenstillstands folgend, Kontrolleure der Vereinten Nationen ins Land. Diese sollten die zugesagte Zerstörung von Massenvernichtungs­ waffen überwachen. Nach schweren Luftangriffen der USA und Grossbri­ tanniens im Dezember 1998 wurde den UN-Inspektoren dann die Einreise ver­ weigert. US-Präsident George W. Bush hat Irak in der vergangenen Woche zu­ sammen mit Iran und Nordkorea als einen Staat auf der «Achse des Bösen» bezeichnet. Zuvor war wiederholt öf­ fentlich darüber spekuliert worden, 
dass Irak das nächste Ziel im Krieg ge­ gen den Terrorismus sein werde. Ame­ rikanische und britische Flugzeuge bombardierten am Montag Flugab­ wehrstellungen im Norden Iraks; nachdem sie nach US-Angaben ange­ griffen worden waren. Nach einem Be­ richt der amtlichen irakischen Nach­ richtenagentur INA wurden bei dem Angriff vier Personen in der Stadt Mossul getötet. Das russische Aussen- ministerium erklärte, man habe die Idee eines direkten Dialoges zwischen Bagdad und den Vereinten Nationen stets unterstützt. Russland hat sich im­ mer wieder für eine Aufhebung der Sanktionen ausgesprochen, nicht zu­ letzt aus Interesse an lukrativen Ab­ kommen mit irakischen Ölfirmen. Zu­ dem hofft Moskau auf die Rückzah­ lung von sieben Milliarden Dollar Schulden aus Sowjetzeiten. 
Rückkehrpakete für Afghanen GENF: Die Welle zurückkehrender Flüchtlinge nach Afghanistan schwillt an. 
Allein im Januar waren es über 105 000, wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Dienstag in Genf erklärte. Die UNO-Organisatiön sei nun so weit, in den nächsten zwei Monaten etwa 250 000 in Pakistan oder in Iran le­ bende Afghanen mit so genannten Rückkehrpaketen auszustatten, hiess es. Diese Pakete enthalten Plastikpla­ nen, Kanister, Decken, Eimer und Küchenausrüstungen. Insgesamt wird in diesem Jahr damit gerechnet, dass etwa 800 000 der auf 1,2 Millionen ge­ schätzten Flüchtlinge zurückkehren können. 400 000 im Lande selbst Ver­ triebenen soll ebenfalls geholfen wer­ den. Das UNO-Kinderhilfswerk UNI­ CEF gab derweil bekannt, dass es mit einer breit angelegten Aktion zur Bekämpfung von Masern bei Kindern in ganz Afghanistan begonnen habe. UNICEF hoffe, dadurch in diesem Jahr mindestens 35 000 Kindern das Leben retten zu können, sagte eine Spreche­ rin. Die Impfaktion soll zehn Millionen Kinder im Alter von sechs Monaten bis 12 Jahren erreichen. Das sind etwa 40 Prozent der Bevölkerung. Senat für Ende der Verbannung ROM: Der italienische Senat hat sich am Dienstagabend mit grosser Mehr­ heit filr ein Ende der Verbannung des ehemaligen Königshauses Savoyen ausgesprochen. 235 Senatoren stimm­ ten filr ein Rückkehrrecht der Savoyer, nur 19 waren dagegen. 15 Senatoren, unter ihnen jene der zur Regierungsko­ alition gehörenden Liga Nord, enthiel­ ten sich der Stimme. Noch ist der Ent­ scheid nicht definitiv. Beide Parlament­ skammern müssen je zwei Mal über die Aufhebung der seit 56 Jahren gelten­ den Verfassungsbestimmung abstim­ men. Eist dann können die männlichen Nachkommen des letzten italienischen Königs Umberto II. wieder nach Italien einreisen und ihr Wahlrecht zurücker­ halten. In einer Umfrage vor der Ab­ stimmung im Senat sprach sich eine grosse Mehrheit der Italienerinnen und Italiener dafür aus, dass die Angehöri­ gen des ehemaligen Königshauses Savoyen in Ihre Heimat zurückkehren dürfen. 77 Prozent sprachen sich dafür, 21 Prozent dagegen aus, berichtete die römische Zeitung «La Repubblica». Karl-Schmid-Preis für Adolf Ogi ZÜRICH: Alt Bundesrat Adolf Ogi er­ hält den Karl-Schmid-Preis 2002. Da­ mit würden seine «wertvollen Dienste für die Öffentlichkeit in Bezbg auf die Schweizerische Sicherheitspolitik» an­ erkannt, heisst es in einer Mitteilung vom Dienstag. Gewürdig werde mit dem Preis aber auch «sein grosses En­ gagement fiir eine. Öffnung der Schweiz», schreibt die Karl-Schmid- Stiftung. Do­ tiert ist die Auszeichnung nach Auskunft von Stiftungs­ präsident Hans Künzi mit 
min­ destens 20 000 Franken. Die öffentliche Preis­ verleihung fin­ det am 26. Februar 2002 im Auditorium Maximum der ETH Zürich statt. Der Karl-Schmid- Preis wird alle zwei bis drei Jahre einer Person verliehen, die sich «in kon- stniktiver Weise mit einem der Haupt­ themen Schmitts befasst hat». Zu die­ sen Themen gehören der Dialog zwi­ schen den Geistes--und Naturwissen­ schaften, die Auseinandersetzung mit den Problemen einer schweizerischen Identität und Integration, Grundfragen der Sicherheits- und Friedenspolitik sowie das Engagement des Einzelnen für die Gemeinschaft.
	        

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