Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

DIENSTAG, 19. NOVEMBER 2002 VOLKS I 
IIVII A IVin PLATTFORM BLATT I IIMLMIMU VERFASSUNG 
9 VERFASSUNG Das Fürstentum VADUZ - In der geltenden Verfassung von 1921 wird Liechtenstein als ein Staatsgebiet definiert, das unteilbar und vcräusserlich ist: «Das Fürstentum Liechtenstein bildet-in der Vereinigung seiner beiden Landschaften Vaduz und Schellenberg ein unteilbares-und unveräusserliches Ganzes; die Landschaft Vaduz (Oberland) besteht aus den Gemein­ den Vaduz, Balzers, Planken, Schaan, Trie- sen und Triescnberg, die Landschaft Schcl- lenberg (Unterland) aus den Gemeinden Eschen, Gamprin, Mauren, Ruggell und Schellenbcrg.» Der Initiativvorschlag von Fürst Hans-Adam II. lautet: «Das Fürstentum Liechtenstein ist ein Staatsverband voil zwei Landschaften mit elf Gemeinden. Das Fürstentum Liechten­ stein soll den innerhalb seiner Grenzen lebenden Menschen dazu dienen, in Frei­ heil und Frieden miteinander leben zu können. Die Landschaft Vaduz (Oberland) besteht aus den Gemeinden Vaduz, Bal- zers, Planken, Schaan, Tricsen und Trie­ scnberg, die Landschaft Schellenbcrg (Unterland) aus den Gemeinden Eschen, Gamprin, Mauren, Ruggell und Schellen­ bcrg.» . ' Die gehende Verfassung schreibt in Art. 4 die Änderung der Grenzen folgendermassen fest: «Die Änderung der  Greii7.cn  des Staatsge­ bietes oder einzelner Genieinden desselben, die Schaffung neuer und die Zusammenle­ gung bestehender Gemeinden können nur durch ein Gesetz erfolgen.» Fürst Hans-Adam II. schlägt für den Art 4 folgende neue Fassung vor: 
SERIE VERFASSUNG •m esWjfrh* « . «V i 1 Vt* r-j 'A' i V •A 1) «Die Änderung der Grenzen des Staatsgebietes kann nur durch ein Gesetz erfolgen. Grenzändörungen zwischen Ge­ meinden, die Schaffung neuer und die Zusammenlegung bestehender Gemeinden bedürfen überdies eines Mehrheitsbe­ schlusses der dort ansässigen wahlberech­ tigten Landesangehörigen.» 2) «Den einzelnen Gemeinden steht das Recht zu, aus dem Staatsverband auszutre­ ten. Über die Einleitung des Austrittsverfah­ rens entscheidet die Mehrheit der dort ansüssigen wahlberechtigten Landesan­ gehörigen. Die Regelung des Austritts erfolgt durch Gesetz öder von Fall zu Fall durch einen Stäatsvertrag. Im Falle einer staatsvertraglichen Regelung ist nach Abschluss der Vertragsverhandlungen in der Gemeinde eine zweite Abstimmung abzu­ halten.» 
Treten die Gemeinden aus? Serie, Teil 3: Das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden VADUZ - Die geltende Verfas­ sung von 1921 sieht Liechten­ stein als. «ein unteilbares und unveräusserliches Ganzes». Fürst Hans-Adam II. betont in seinem Verfassungsentwurf den «Staatsverband von zwei Landschaften mit elf Gemein­ den». Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, soll der neue, umstrittene Artikel ausdrücken, dass die «Mitgliedschaft im Fürstentum Liechtenstein auf Freiwilligkeit beruht». • Günther Meie r  ' Soll Planken aus dem Fürstentum Liechtenstein austreten können? Was würde passieren, wenn Vaduz den Austritt aus dem Fürstentum beschlicssen würde - ein 'selbst- stiindiges Vaduz als Stadtstaat und der Rest ein zweigeteiltes Liech­ tenstein? Könnte sich Balzers der Bündner Herrschaft anschliessen? Mit solchen Fragen wurde Fürst Hans-Adam II. konfrontiert, als er. die Bevölkerung aufs Schloss zur Diskussion Uber seine Verfassungs­ vorschläge eingeladen hatte. Viele wollten nicht verstehen, warum der Fürst das unbestrittene Selbstbe- stimmungsrecht der Völker genau in unserer künftigen Verfassung einführen wollte. Auch im Land­ tag, als die Verfassungsvorlage der Regierung in erster Lesung im Dezember 2001 zur Debatte stand, konnte sich kaum einer der Völks­ vertreter für das Recht der Gemein­ den, künftig aus dem Staats verband austreten zu können, erwärmen. In der Praxis dürfte das Bedürfnis auf eine Gemeindesezession, gestand allerdings VU-Fraktionssprecher Peter Sprenger zu, nicht sehr gross sein. In diesem Zusammenhang erwähnte Sprenger das Ergebnis einer Umfrage des Demokratie- Sekretariats, wonach drei Viertel der Befragten eine solche Austritts­ idee ablehnten. Selbstbestimmungsinitlative bei der UNO Für Fürst Hans-Adam II. ist diese umstrittene Verfassungsbe­ stimmung die konsequente Fort­ führung seiner Gedanken, die hin­ ter der Initiative «Recht der Völker auf Selbstbestimmung» stehen, die vom Mitgliedland Liechtenstein 1991 bei der UNO eingebracht wurde. Noch 1996 lobte die dama­ lige Aussenministerin Andrea Willi am Liechtenstein-Institut, die Selbstbestimmungsinitiative des Fürsten könne «ein wertvoller Bei­ trag Liechtensteins» werden im Bereich der Menschenrechte und der friedenserhaltenden Massnah­ men: «Die Initiative steht gerade unserem kleinen Land gut an und sie kann als Dank Liechtensteins an die internationale Staatenge­ meinschaft verstanden werden für das Liechtenstein seit fast 300 Jah­ ren gewährte und dank seiner bei­ den Nachbarstaaten und den europäischen Partnern auch bewahrte Selbstbestimmungs­ recht.» Claudia Fritsche, bis vor kurzem UNO-Botschafterin Liech­ tensteins in New York, ging in einem Vortrag zur Aussenpolitik noch einen Schritt weiter: «Die liechtensteinische Initiative zum Seibstbestjmmungsrecht sollte 
Die Gemeinden (unsere Flugauf nähme zeigt Bendern-Gamprin) sollen selbst über den Verbleib oder den Aus­ tritt aus dem Fürstentum entscheiden können. weiter entwickelt, und im Rahmen •dieser Weiterentwicklung sollte das Thema und der damit verbundene liechtensteinische Ansatz in Liech­ tenstein selbst aufgearbeitet wer­ den.» Günther Unser, Autor des Standardwerks «Die UNO», der .Liechtenstein.sehr gut kennt, ist der Ansicht, dass die Initiative des Fürs­ ten «zur Profilierung des Kleinstaa­ tes in der Weltorganisation» beitra­ ge, da sie «vor dem Hintergrund einer Renaissance des Selbstbe­ stimmungsrechts in vielen Teilen der Welt» eingebracht worden sei. Droht die Atomlsiening Liechtensteins? Was Günther Unser mit «Neuin­ terpretation und Kodifizierung des Selbstbestimmungsrechts der Völ­ ker» umschreibt, lässt sich nach. Ansicht des FL-Abgeordneten Paul Vogt nicht mit dem Vorschlag des Fürsten zur Abänderung der Ver­ fassung vergleichen. Der UNO- Konventionsentwurf wolle ein Selbstbestimmungsrecht für «dis- tinet communities», was eiwa mit «deutlich abgrenzbaren Gemein­ schaften» übersetzt -werden könne, aber sicher nicht für die liechten­ steinischen Gemeinden zutreffe. Um die politische Freiheit des Volkes gegen aussen demokratisch abzusichern, hatte die Regierung in ihrem Antrag an den Landtag aus­ geführt, müsse das Austrittsrecht der Gemeinden eingeführt werden. Das sei rechtlich und völkerrecht­ lich «ziemlicher Unsinn», konterte Landtagsvizepräsident Peter Wolff im Landtag, weil damit das Selbst- bestimmungsrecht gewisser Volks­ gruppen mit den Souveränitäts­ rechten eines völkerrechtlich aner­ kannten Staates verwechselt werde. VU-Fraktionssprecher Peter Spren­ ger machte sich Gedanken wegen der Grösse des Kleinst- oder Mikrostaates, wenn das Austritts- recht in der Verfassung verankert werde: Jeder Abgang einer Gemeinde stelle das Weiterbe­ stehen des Landes fundamental in Frage, es drohe die Atomisierung Liechtensteins.- Lautete die Regierungsvorlage 2001 noch «Das Fürstentum Liech­ tenstein ist ein Staatsverband von zwei Landschaften mit elf Gemein­den, 
in dem die Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit beruht», so hat Fürst Hans-Adam II. in seiner Initiative eine Korrektur angebracht, indem der Halbsatz «in dem die Mitglied-; schaft auf Freiwilligkeit beruht» wegfiel. Freiwilligkeit statt Zwang In der Erläuterung zur Abände­ rung aber wird unterstrichen, dass die Änderung gegenüber der gel­ tenden Verfassung zum Ausdruck bringen sollte, «dass die Mitglied­ schaft im Fürstentum Liechtenstein auf Freiwilligkeit beruht».- Das Fürstenhaus sei der Auffassung, hatten Fürst und Erbprinz .im «roten Büchlein» ihren Vorschlag begründet, der Staat solle dazu die­ nen, dass die Menschen innerhalb seiner Grenzen in Freiheit und Frieden miteinander leben können. Ein Zusammenleben in Frieden und Freiheit sei aber nur möglich, wenn die Mitgliedschaft im Staat auf Freiwilligkeit beruhe. «Wenn wir unsere Interpretation des Selbstbestimmungsrechtes auf Gemeindeebene in der Verfassung verankern», lautet eine weitere Begründung des Fürstenhauses, «so erhöhen wir nicht nur unsere Glaubwürdigkeit gegenüber ande­ ren Staaten'und in der Völkerrechts­ gemeinschaft, sondern wir leisten auch einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Absicherung des Selbstbestimmungsrechtes unserer eigenen Bevölkerung im Europa der Zukunft.» Gemeinden können entscheiden Fürst Hans-Adam II. möchte den Gemeinden das Recht zugestehen, selbst über den Verbleib oder den Austritt. aus dem Fürstentum zu entscheiden. In seinem Initiati­ vvorschlag heisst es: «Den einzel­ nen Gemeinden steht das Recht zu, aus dem Staatsverband auszutre­ ten.» Gegenüber dem «roten Büchlein» und der Regierungsvor­ lage sind, wohl 'als Ergebnis der Verhandlungen zwischen dem Für­ sten und der Verfassungskommis­ sion des Landtags im Anschluss an die erste parlamentarische Behandlung, einige Präzisierungen vorgenommen worden. Gerard Batliner hatte nach der Version des 
«roten Büchleins» seine Vorbehal­ te ausgedrückt, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten einer Gemeinde über den Austritt ent­ scheiden könnten: Ein solches Ver­ fahren könnte «fatale Folgen für die Gesamtheit des Staatsverban­ des» haben. Ein Austritt von Schaan oder Vaduz könnte den bestehenden Staatsverband zer­ stören. «Eine Minderheit würde, in einer neoliberalen Absolutsetzung ihrer Rechte», gibt Gerard Batliner zu bedenken, «über das Schicksal der weit überwiegenden demokra­ tischen Mehrheit des Gesamtstaa­ tes befinden.» Zur Begründung seiner Vorbehalte greift Gerard Batliner in die Geschichte zurück, in die Zeit der Bedrohung Liech­ tensteins durch den Nationalsozia­ lismus von innen und von aussen. Während des Zweiten Weltkriegs hätte die verfassungsmässig dar­ gebotene Verfahrensmöglichkeit einer Austritt-Abstimmung als Einladung zu einem Versuch njit verheerenden Folgen dienen kön­ nen. Gesetz oder Staatsvertrag als Hürde Regierungschef Otmar Hasler zitierte gegenüber solchen und ähnlichen Vorbehalten die geltende Verfassung von 1921, die dazu festlegt: «Die Änderung der Gren­ zen des Staatsgebietes oder einzel­ ner Gemeinden desselben, die Schaffung neuer und die Zusam­ menlegung bestehender Gemein­ den können nur durch Gesetz erfol­ gen.» Daraus könne die Schlussfol­ gerung gezogen werden, dass bereits die heutige Verfassung es ermögliche, die .Grenzen des Staatsgebietes zu ändern. Eine Gemeinde allein, unterstreicht auch Fürst Hans-Adam II. in sei­ nem Kommentar zur Verfassungs­ initiative, könne den Austritt nicht allcine durchführen. Vielmehr brauche es neben der durch Abstimmung erfolgten Willens­ kundgebung der Gemeinde noch ein Gesetz oder einen Staatsver- trag. Ob Gesetz oder Staatsvertrag - beide Arten der Regelung des Austritts bedürfen der Zustimmung des 
LandesfUrsten, des Landtags und allenfalls auch des Volkes.
	        

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