Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

40 Donnerstag, 31. Oktober 2002 
AUSLAND Liechtensteiner VOLKSBLATT Rücktritte erschüttern grosse Koalition in Israel - Sechs Minister der Arbeitspartei verlassen Scharons Kabinett JERUSALEM: Die grosse Koaliti­ on in Israel .ist am Mittwoch nach dem Rücktritt von sechs Ministern der gemässigten Ar­ beitspartei nahezu zusammen­ gebrochen. Ministerpräsident Ariel Scharon bekräftigte un­ mittelbar danach in der Haus­ haltsdebatte des Parlaments sei­ nen Führungsanspruch; in ers­ ter Lesung wurde der Etat mit den umstrittenen Millionenzu­ wendungen für jüdische Sied­ lungen ohne die Stimmen der Arbeitspartei verabschiedet. Zwei weitere Lesungen sind noch er­ forderlich, damit er in Kraft treten kann. Die Koalition wankte am Mitt­ woch bedenklich, sie ist aber nach Ein­ schätzung von Beobachtern noch nicht endgültig beendet: Die Demissi­ on der Arbeitsparteiminister tritt erst nach 48 Stunden in Kraft, was eventu­ ell Zeit für weitere Verhandlungen läs- st. Bei einem Ausscheiden der Arbeits­ partei behält Scharon eine knappe Mehrheit im Parlament, ist dann aber noch mehr als bisher auf die Unter­ stützung kleiner rechtsgerichteter und ultrareligiöser Parteien angewiesen, die noch mit seinem Likud-Block ver­ bündet sind. Mit einem Stillstand in den internationalen 
Nahost-Ein 
nachdenklicher Verteidigungsminister Ben Eiieser: Er ist zusammen mit fünf weiteren Ministern zurückgetreten. Bemühungen wäre dann wohl zu rech­ nen. Scharon könnte bei einem Schei­ tern des seit 20 Monaten bestehenden Regierungsbündnisses innerhalb von 90 Tagen Neuwahlen ansetzen. 
Während aus ihm nahe stehenden Kreisen verlautete, dies sei die wahr­ scheinliche Lösung, bekräftigte er in der Knesset, er wolle Israel «verant­ wortlich und mit klarem Kopf» weiter 
führen - offenbar also ohne Neuwah­ len. Scharon droht Gefahr aus dem ei­ genen Lager: Sein Likud-Blöck würde zwar wahrscheinlich wieder stärkste Partei, sein innerparteilicher Rivale 
Benjamin Netanjahu könnte ihn aber als Likud-Führer und dann auch Re­ gierungschef ablösen. Gespräche zur Rettung der Koalition waren am Mitt­ wochabend gescheitert. Ben Eiieser und Scharon verhandelten mehrere Stunden in einem Nebenzimmer des Parlaments über einen Kompromiss. Dabei kam es zu lautstarken Ausein­ andersetzungen, die bis vor die Tür zu hören waren, wie aus Verhandlungs­ kreisen verlautete. Einmal stürmte Ben Eiieser wütend aus dem Raum. Peres, Befürworter der «Regierung der natio­ nalen 
Einheit», versuchte erfolglos, Ben Eiieser zum Einlenken gegenüber Scharon zu bewegen. Dann trat er zu­ sammen mit ihm und vier weiteren Ministern zurück. Ben Eiieser hatte von Scharon gefordert, die umgerech­ net 150 Millionen Euro an Finanzmit­ teln für die umstrittenen Siedlungen zu kürzen. Kritiker Ben Eliesers, der Vor­ sitzender der Arbeitspartei ist, warfen dem Minister jedoch vor, den Konflikt künstlich zu schüren, um sich drei Wo­ chen vor den Parteivorwahlen gegen seine innerparteilichen Rivalen zu pro­ filieren. Beim Überfall auf eine jüdi­ sche Siedlung im Westjordanland er- schoss ein bewaffneter Palästinenser am Dienstagabend zwei Mädchen und eine Frau. Drei weitere Menschen wur­ den verletzt, als der Angreifer zunächst auf offener Strasse das Feuer eröffnete und dann auf ein Haus schoss. Rätselraten um Moskauer Gas geht weiter Nach Moskauer Angaben wurde Fentanyl eingesetzt - Münchner Ärzte weisen Narkosegas nach MOSKAU: Trotz erster offizieller Auskünfte russischer Behörden über das beim Moskauer Geiseldrama ein­ gesetzte Gas dauert das Rätselraten um die genaue Zusammensetzung an. Wie die russischen Nachrichtena­ genturen ITAR-TASS und Interfax unter Berufung auf Gesundheits­ behörden meldeten, wurde eine Fen- tanyl-Verbindung in" das Musical- Theater geleitet. • Der Stoff werde zur Betäubung einge­ setzt und könne nicht zum Tod führen. Münchner Ärzte wiesen bei den deut­ schen 
Geiseln dagegen das Narkosegas Halothan nach. 
Die russischen Angaben folgten scharfer Kritik aus dem Ausland an der Geheimhaltung der Zusammenset­ zung des Gases/ Zahlreiche Ärzte hat­ ten gefordert, zur besseren Behand­ lung der befreiten Geiseln über den eingesetzten Stoff informiert zu wer­ den. Münchner Toxikologen vermu­ ten, dass in Moskau Halothan einge­ setzt wurde. Der Stoff habe sich im • Blut der beiden deutschen Geiseln nachweisen lassen, sagte ihr behan­ delnder Arzt, der Toxikologe Thomas Zilker. Er nahm aber an, dass bei der Befreiungsaktion am Samstag noch weitere Mittel verwendet wurden. Nach Angaben des Anästhesisten 
Eberhard Kochs konnten die Experten ' das Opioid Fentanyl nicht nachweisen, obwohl sie gezielt danach fahndeten. Es sei allenfalls denkbar, das ein «Ab-, kömmling» des Stoffes, das so ge­ nannte Carfentanyl, verwendet wor­ den sei. Anders als bei Fentanyl ver­ liere man damit garantiert das Bewusst- sein. Opioide sind Kochs zufolge mit Opiaten verwandte Stoffe, die das Be- wusslsein ähnlich stark trüben wie Morphine. Sie existierten aber bislang nicht in Gasform, sondern würden in die Venen gespritzt. Nicht auszü- schliessen sei, dass Carfentanyl zu­ sammen mit Halothan eingesetzt wor­ den sei, erklärte der Arzt. Dies sei je­doch 
«rein spekulativ». Kochs zufolge wird Halothan bereits seit den fünfzi­ ger Jahren als Narkosegas verwendet. Es gelte als sicher und habe bei richti­ ger Dosierung keine schädlichen Fol­ gen. Da es aber schlecht steuerbar sei, werde es heute immer seltener verab­ reicht. Für einen so grossen Raum wie das Musicaltheater sei es «nicht das optimale Gas», da es sich viel zu lang­ sam verteile, betonte der Mediziner. Um eine schnelle Wirkung zu erzielen, hätte man Halothan in einer sehr ho­ hen Dosis versprühen müssen, erklärte Kochs. Dies allerdings könne zu Herz- rhythmusstörungen, Erbrechen und Atemnot führen. Dänemark verhaftet tschetschenischen Politiker Russland hatte die Festnahme von Achmed Sakajew gefordert KOPENHAGEN: Dänemark hat den prominenten tschetschenischen Poli­ tiker Achmed Sakajew in Kopenha­ gen verhaftet. Russland hatte laut Polizeiangaben seine Festnahme so­ wie seine Auslieferung schon am vergangenen Freitag gefordert. Die dänische Polizei nahm Sakajew in einem Hotel in Kopenhagen fest, Vor der Festnahme hatte der 1959 Gebore­ ne zwei Tage lang unbehelligt an ei­ nem «Tschetschenischen Weltkon- gress» in der dänischen Hauptstadt teilgenommen. Russland wirft Sakajew vor, an der Vorbereitung der Moskauer Geiselnah­ me beteiligt gewesen zu sein. Ihm wer­ den zudem weitere Vergehen in den Jahren 1996 bis 1999 zur Last gelegt. Moskau verlangt Auslieferung Moskau habe dem dänischen Justiz­ ministerium bereits ein Auslieferungs- gesuch übermittelt, wie die Nachrich­ tenagentur Itar-Tass unter Berufung auf den Leiter der internationalen Ab­ teilung der russischen - Generalstaats­ anwaltschaft, Robert Adelchanjan, meldete. Da sowohl Dänemark als auch Russland ein europäisches 
Aus-Der 
prominente tschetschenische Politiker Achmed Sakajew wurde verhafiet. 
lieferungsabkommen unterzeichnet hätten, müsse Kopenhagen der Auffor­ derung nachkommen, sagte Adelchan­ jan. Dem widersprach Dänemarks Bot­ schafter in Russland. Sakajew könne nach dänischem Recht nicht an Russ­ land ausgeliefert werden. Kein Abkommen Es gebe keine Auslieferungsabkom­ men zwischen beiden Ländern. Und selbst wenn es solche Abkommen ge­ ben würde, käme eine Abschiebung Sakajews nach Russland aber nicht in Frage, weil dort noch immer die To­ desstrafe verhängt werden könne. Verhaftung: «absurd» Die Festnahme wurde in Moskau be- grüsst. Als «absurd» dagegen, bezeich­ nete sie der dänische Mitveranstalter des «Tschetschenischen Weltkongresses». Der dänische Ministerpräsident An­ ders Fogh Rasmussen erklärte, die Festnahme sei eine «völlig normale Polizeiaktion» gewesen. Sie garantiere in keiner Weise eine. Auslieferung. Hierüber muss die Justizministerin nach einer umfassenden Prüfung ent­ scheiden. 
FDP-Spendenaffäre weitet sich aus BERLIN: Die FDP-Parteispendenaffäre um den zurückgetretenen nordrhein- westfälischen Landeschef Jürgen Möl­ lemann zieht weitere Kreise. Bundes­ schatzmeister Günter Rexrodt räumte am Mittwoch in Berlin Unregelmässig­ keiten auf dem offiziellen Parteikonto des Landesverbandes ein. FDP-Chef Guido Westerwelle gab ausserdem zu, dass sein Büro bereits am 6. September von den Plänen Möllemanns über die Verteilung des umstrittenen israelkriti­ schen Flugblatts erfahren habe. Justiz­ kreise in Düsseldorf deuteten unter­ dessen an, dass die Staatsanwaltschaft voraussichtlich am Montag 
ein Ermitt­ lungsverfahren gegen Möllemann we­ gen des Verdachtes des Verstosses ge­ gen das Parteiengesetz einleiten wer­ de. Vor Beginn ihrer Ermittlungen muss die Staatsanwaltschaft allerdings die Immunität Möllemanns als Abge­ ordneter des Bundestages und des nordrhein-westfälischen Landtages aufheben lassen. Schwerpunkt der Er­ mittlungen werde wahrscheinlich der Vorwurf der Verschleierung der Her­ kunft von Spenden sein, sowie die Möglichkeit, dass Parteispenden • nicht unverzüglich an den Schatzmeister der FDP weitergeleitet worden seien. Unterdessen reichte die FDP Aus­ kunftsklage gegen Möllemann ein. Die Partei will auf diesem Weg ihren. früheren Vizevorsitzenden dazu zwin­ gen, die Namen der anonymen Spen­ der zu nennen, die das Geld für das Flugblatt gegeben haben sollen. Nordkorea bleibt hart KUALA LUMPUR: Nordkorea und Japan haben keine Lösung im Konflikt um Pjöngjangs Atomwaffenprogramm er­ zielt. Zum Abschluss ihrer Normalisie­ rungsgespräche in Kuala Lumpur ver­ ständigten sie sich lediglich auf einen Sicherheitsdialog im November. Ein Vertreter Pjöngjangs sagte nach den zweitägigen Gesprächen am Mittwoch laut Medienberichten, Nordkorea habe es nicht nötig, sein Atomprogramm zu offenbaren. Denn die USA hätten Nord­ korea zum 
Ziel eines möglichen atoma­ ren Präventivschlags erklärt.
	        

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