Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

10 Montag, 28. Oktober 2002 
INSERATE Liechtensteiner VOLKSBLATT mmsfems ODER 
ONFLIKT Heute vor genau zehn Jahren passierte in Liechtenstein Ungewöhn­ liches: Rund 2000 Menschen gingen auf die Strasse, um an den Fürsten zu appellieren, den Landtag nicht aufzulösen, sondern mit ihm einen Kompromiss über einen Abstimmungstermin zu finden. Fürst: «Folge leisten oder zurücktreten!» Regierung und Landtag wollten, dass die EWR-Abstimmung 1992 nach derjenigen in der Schweiz stattfinden sollte. Der Fürst wollte, dass vor der Schweiz abgestimmt werde. Obwohl die Regierung für die Festsetzung des Abstimmungstermins zuständig war, forderte der Landesfürst die Regierung auf, seiner Forderung Folge zu leisten, oder aber zurückzutreten. Fürst: «Landtag entlassen, Notrecht!» Ebenso drohte der Fürst, den Landtag aufzulösen. Danach wollte er via Fernsehansprache der Bevöl­ kerung mitteilen, dass er mit Notverordnung zu regieren gedenke - und das alles wegen der Fest­ setzung eines Abstimmungstermins. 
28. Oktober 1992: Fürst Hans-Adam und Otto Hasler, Mitglied der Ver­ handlungsdelegation, gratulieren sich zum gefundenen Kompromiss. Geltende Verfassung: Konsens und Kompromiss So ging es am 28. Oktober 1992 unter der geltenden Verfassung weiten Da der Fürst wusste, dass er die Regierung 
nicht ohne Mitwirkung des Landtages entlassen konnte und die Regierung sich standfest zeigte, musste ein 
Kompromiss zwischen den Staatsorganen Fürst, Landtag und Regierung gefunden werden. .Der 
erfolgreiche Kompromiss bestand darin, dass sich Fürst und Landtag auf eine 
gemeinsame Erklärung einigten und dass über den EWR nach der Abstimmung in der Schweiz - 
erfolgreich - abge­ stimmt wurde. Die geltende Verfassung hat die Streitparteien zu einem guten Kompromiss gezwungen. Davon hat Liechtenstein profitiert. 
Fürstenverfassung: Konflikt und Streit So hätte es weiter gehen können, wenn am 28. Oktober 1992 die Fürstenverfassung in Kraft gewesen wäre: Der Fürst könnte die 
Regierung unter Druck setzen, sich seiner For­ derung zu beugen, ansonsten er sie - ohne Angabe von Gründen 
- entlassen 
1 könnte und statt dessen eine ihm 
gefügige Obergangs­ regierung installieren. Missfällt dem 
Landtag die Übergangsregierung, könnte er ihr zwar das Vertrauen entziehen 
2, muss dann aber 
Neuwahlen in Kauf nehmen - wegen des Datums eines Abstimmungstermins! Und wenn der Landtag der Übergangsregierung des Fürsten das Miss- •' trauen ausspricht, könnte der 
Fürst trotzdem seinen 
Abstimmungs­ termin durchdrücken, weil es keinen Regierungschef mehr gibt 
3 und der 
Fürst allein, mit Notverordnung regieren könnte. Ein Konflikt ungeahnten Ausmasses wegen eines Abstimmungs­ termins. Wollen wir das wirklich? 1) Art. 80 der Fürsteninitiative: .Verliert die Regierung das Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages, dann erlischt Ihre Befugnis zur Ausübung des Amtes...." Der Fürst hat also ein hervorra­ gendes Druckmittel gegen die Regierung in der Hand: .Entweder ihr macht, das'was Ich von euch verlange, oder ich entziehe euch das Vertrauen" • und dann müsste die Regierung automatisch zurücktreten. Eine eigenständige Regierung, die auf ihren Beschluss in Sachen Abstimmungstermin pocht, muss damit rechnen entlassen zu werden. Eine schwache Regierung wird sich dem Druck des Fürsten ohnehin beugen. Eine solche Regierung schwächt aber den Souverän Volk. 2) Die Übergangsregierung ernennt der Fürst ganz allein. Der Landtag kann lediglich innert vier Monaten ihr das Vertrauen aussprechen. Dies wird der Landtag tun müssen, will er Neuwahlen 
verhindern. Spricht der Landtag der Übergangsregierung das Misstrauen aus, muss die Regierung abtreten • und es gibt in Liechtenstein keine Regierung mehr. Wenn keine Regierung mehr da ist, funktioniert der Staat nicht mehr und der Fürst kann sich auf den Notstand berufen. 3) Der Kommentar des Fürsten zu seinem Vorschlag zur Abänderung der Notverordnung (Art. 10) ist eindeutig: .Ist kein Regierungsmitglied zur Ausübung des Amtes befugt, dann kann der Landesfürst in dringenden Fällen das Nötige zur Sicherheit und Wohlfahrt des Staates vorkehren." Genau dies wäre der Fall, wenn der Landtag der Übergangsregierung das Vertrauen entzieht. Es gibt dann nämlich kein Regierungsmitglied mehr, das zur .Ausübung des Amtes" befugt Ist. Der Fürst allein regiert das Land. Keine Spur mehr von Dualismusl Demokratie Sekretariat 
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