Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
INLAND Donnerstag, 19. September 2002 
3 Fürst und Erbprinz steht Initiativrecht zu Die Regierungsentscheidung zur Abstimmungsbeschwerde gegen die Verfassurigsinitiative Die Regierung hat die Abstim­ mungsbeschwerde von 28 Bür­ gerinnen und Bürgern gegen die bei der Regierung angemel­ dete Volksinitiative des Fürs­ tenhauses auf Abänderung der Landesverfassung vollumfäng­ lich aus formellen Gründen zurückgewiesen. Die Regierung habe sich mit der Be­ schwerde auf Nichtigerklärung der Verfassungsinitiative sehr eingehend auseinandergesetzt, erklärte Regierungs­ chef-Otmar Hasler an einer Pressekon­ ferenz. Den nun getroffenen Entscheid begründete er gestern im Detail wie lolgt: Zum Initiativrecht des Fürsten und des Erbprinzen Vorerst rügten die Beschwerdefüh­ rerinnen und Beschwerdeführer, dass Fürst Ilnns-Adam II. und Erbprinz Alois nicht legitimiert seien, eine Volksinitiative zu lancieren. Die Re­ gierung wies die Beschwerde in die­ sem Punkt mangels Beschwerdelegiti­ mation der 28 Beschwerdeführer zurück. Das Gesetz sieht im Stadium der Gesetzniiissigkeitsprüfung einer angemeldeten Initiative durch die Re­ gierung eine Besehwerde an die Ver- waltungsbeschwerdeinstanz (VBI) nur fiir den fall vor, dass die Regierung ei­ ne Initiative wegen formellen oder materiellen Mängeln zurückweist. Der Beschwerdeweg steht dabei nur den Initiantcn selbst offen. Unabhängig davon ist die Regierung der Auffassung, dass dem Fürsten und dem Erbprinzen als Landesangehörige gemäss Art. 
20 der Landesverfassung alle politischen Rechte zukommen. Weder die Verfassung noch das Volks- reehtegesetz bestimmen etwas Gegen­ teiliges. 
Im Übrigen kommt eine Volksinitiative dann zustande, wenn 1500 stimmberechtigte Landesan­ gehörige das Begehren mit ihrer Un­ terschrift unterstützen. Sobald also 1500 Stimmberechtigte die angemel­ dete Verfassungsinitiative unterzeich­ net haben, handelt es sich ohnehin um ein Volksbegehren. Zum Grundsatz der Einheit der Form Weiters rügten die Beschwerdefüh­ rer, dass der Grundsatz der Einheit der Form verletzt sei, weil die «mündliche Initiative» der Wohnsitzverlcgung nicht Gegenstand des schriftlichen In­ itiativtextes sei. Auch die Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Ein­ heit der Form fällt unter die Gesetz- mässigkeitspriifung einer Initiative durch die Regierung. Hinsichtlich der Bescliwerdclegitimation gilt deshalb das bereits oben gesagte. Daher war auch dieser Beschwerdegrund mangels Beschwerdelcgitimation der Be­ schwerdeführer zurückzuweisen. 
Regierungschef Otmar Hasler:«Die Regierung ist der Auffassung, dass dem Fürs­ ten und dem Erbprinzen tils l.andesangehörigc alle politischen Rechte zukommen. Weder die Verfassung noch das Volksreehtegeseti bestimmen etwas Gegenteili­ ges.» Abgesehen davon ist die Regierung der Auffassung, dass der Grundsatz der Einheit der Form nicht verletzt ist. Die angemeldete Initiative liegt ein­ heitlich in Form eines ausgearbeiteten Entwurfes vor. Die Frage der Wohn­ sitzverlegung ist nicht Gegenstand der Initiative. Zur gerügten Verletzung der Wahl- und Abstimmungsfreiheit Die Beschwerdeführer machen gel­ tend, dass die durch Art. 29 der Lan­ desverfassung gewährleistete Wahl- und Abstimmungsfreiheit und der dar­ aus fliesscnde Anspruch auf eine un­ verfälschte Willenskundgabe verletzt seien. Dies einerseits durch die Verbin­ dung der Verfassungsänderungsvor­ schläge mit der angekündigten Wohn­ sitzverlegung Im Falle der Ablehnung der Initiative, andererseits durch 
cin-(Bild: 
Paul Trümmer) seitige und parteiliche Meinungsäus­ serungen des Landesfürsten in dieser Angelegenheit. Der hier geltend gemachte Bc- sehwerdegrund ist nach' Ansicht der Regierung dem Grundsatz nach zwar klassischer Gegenstand einer sog. Ab- siimmungsbeschwerde nach Art. 74 in Verbindung mit Art. 64 des Volksrcch- tegesetzes. Die Regierung ist grund­ sätzlich für. die Prüfung solcher Besehwerden auf Nichtigerklärung ei­ ner Abstimmung zuständig, und das Beschwerderecht steht grundsätzlich allen stimmberechtigten Landesan­ gehörigen zu. Aber: Anfechtungsobjektc der Abstim- mungsbeschwerdc können nur eine Abstimmung bzw. ein Abstimmungs­ ergebnis sowie allfällige gesetzwidrige Einwirkungen auf den oder grobe Un­ regelmässigkeiten im Abstimmungs­ vorgang im Sinne der diesen Punkt betreffenden Beschwerdegründe sein, -u •TTiT« Die Beschwerdeführer beantragten, ihrer Beschwerde hinsichtlich des Vorprüfungsverfahrens an den Land­ tag aufschiebende Wirkung zu ge­ währen. Mit anderen Worten sollte das weitere Verfahren betreffend die Initiative des Fürstenhauses solange . unterbrochen werden, bis eine defini­ tive Entscheidung über die gegen­ ständliche Beschwerde vorliegen würde. Dazu Regierungschef Otmar Hasler am gestrigen Mediengespräch: «Die Regierung konnte diesem Antrag nicht stattgeben, nachdem sie die Be­schwerde 
vollumfänglich als un­ zulässig zurückwies. Einer unzulässi­ gen 
Beschwerde kann aber keine auf­ schiebende Wirkung zukommen. Umgekehrt hat die Regierung einer allfälligen Beschwerde an die Verwal­ tungsbeschwerdeinstanz gegen die Entscheidung der Regierung die auf­ schiebende Wirkung entzogen. Die Regierung ist der 
Auffassung, daSs im Sinne einer. Güterabwägung das In­ teresse an der 
Ausübung des Initiati­ vrechts schwerer wiegt, als das Inter- . esse der Beschwerdeführer.! : 
nicht aber die Initiative selbst. Inso­ fern sind die von den Beschwerdefüh­ rern angerufenen Art. 74 i.V.m. Art. 64 Abs. 3 des Volksrechtsgesetzes nur dafür geeignet, die Verletzung der. Wahl- oder Abstimmungsfreiheit ge­ mäss Ari. 29 Landesverfassung gel­ tend zu machen. Für das von den Be­ schwerdeführern beantragte Ziel, nämlich die Nichtigkeit der. Initiative selbst, eignet sich die Beschwerde hin­ gegen nicht. Auch unter der Annahme einer Verletzung der Abstimmungs­ freiheit sind keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit'der Initiative möglich. Diese zwei Fragen sind voneinander zu trennen. Ferner war die Beschwerde verfrüht. Nach ständiger Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes gibt das verfas­ sungsmässig gewährleistete Stimm­ recht dem Stimmbürger einen An­ spruch darauf, dass kein Abstim­ mungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbe­ rechtigten zuverlässig und unver­ fälscht wiedergibt. So der Staatsgc- richtshof in seinem viel zitierten Urteil vom 21. 6. 1993 und weiter: «Eine Ver­ letzung der Pflichten im Abstim­ mungskampf hat nicht automatisch zur Folge, dass die Ergebnisse des Ur­ nengangs aufzuheben sind. Vielmehr sieht Art. 64 Abs. 3 Bst. d des Volks- rcchtegesetzes vor, dass Mängel im Abstimniungskampf nur dann zur Nichtigkeit des Volksentscheides füh­ ren, wenn diese auf das Abstim­ mungsergebnis einen erheblichen Ein- fluss gehabt haben oder haben konn­ ten. Dabei ist insbesondere auf die Grösse des Stimmenunterschiedes, die Schwere des festgestellten Mangels und auf dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Abstimmung abzusehen. Bei einer Gesamtbewertung dieser Kri­ terien ist stets der Grundsatz der Ver­ hältnismässigkeit zu beachten.» Vorerst wäre demnach theoretisch in einem ersten Schritt zu prüfen gewe­ sen, ob das von den Beschwerdefüh­ rern gerügte Junktim zwischen Ver­ fassungsänderungsvorschlägen • und «Wien-Drohung», oder die gerügten ein­ seitigen und parteilichen Meinungs­ äusserungen des Landesfürsten als ge­ setzwidrige Einwirkungen oder allen­ falls grobe Unregelmässigkeiten im Sinne von Art. 64 Abs. 3 Bst. b und d VRG qualifiziert werden können. Die­ se Frage konnte die Regierung jedoch offen lassen. Denn, selbst wenn davon ausgegangen würde, dass es sich hier um unzulässige Einwirkungen auf den freien Willen der Stimmberechtigten handelte, so könnte im derzeitigen Verfahrensstadium in keiner Weise ge­ prüft werden, ob diese Einwirkungen auf das Abstimmungsergebnis einen erheblichen Einfluss gehabt haben oder haben konnten. Um dies einiger- massen zuverlässig beurteilen zu kön­ nen, muss zumindest ein Abstim­ mungsergebnis vorliegen, was unbe- strittenermassen nicht der Fall ist. Fer­ ner könnte derzeit nicht einmal die Bedeutung der gerügten Mängel im «Diese Staatsform ist Teil unserer Identität» Regierungschef. Otmar Hasler zur Position der Regierung in der Verfassungsfrage In einer Welt, die sich mit grösser Geschwindigkeit ändere, sei die Dis­ kussion über die Erneuerung der Verfassung nicht nur als Belastung, sondern auch als Chance zu erken­ nen, hielt Regierungschef Otmar Hasler gestern bei der Bekanntgabe der Entscheidung zur Abstimmungs- beschwerde fest. «Die Regierung hat stets deutlich ge­ macht», so Otmar Hasler in seinen grundsätzlichen Ausführungen, «dass sie die demokratischen Rechte ebenso verteidigt wie die Rechte der Monar­ chie. Sie hat sich stets zur Beibehal­ tung der heutigen Staatsform bekannt. Beides, Demokratie und Monarchie, 
sind bestimmende Teile der Verfas­ sung, die aus dieser Besonderheit ihre Einmaligkeit bezieht. Ich lehne es da­ her ab, wie aus dem Ausland sugge­ riert, es handle sich bei der Diskussion um die Verfassungsäbänderung um ei­ nen «Kampf um den Älpenthrom, Da wird schlichtweg die Verfassung von 1921 
und die Besonderheit unseres Staatsaufbaus nicht verstanden.» Liechtenstein solle für alle Bürgerin­ nen und Bürger und alle Menschen, die. mit uns in unserem Land lebten, Heimat sein, bemerkte der Regierungs­ chef. Die Verfassung sei der Raum, der die Voraussetzung für unsere Heimat schaffe! ' Otmar Hasler: «Niemand wird be­zweifeln, 
dass uns dies in unserer liechtensteinischen Besonderheit gut gelungen ist. Ich bin auch überzeugt, dass uns das in Zukunft gelingen wird.» Teil unserer Identität sei die Staats­ form und damit auch das Fürstenhaus. Diese Staatsform werde von der über­ wiegenden Mehrheit der Bevölkerung gewünscht. Es wäre laut Otmar Hasler «ein Zeichen der Schwäche, wenn wir am Ende, einer zugegebenermassen kontroversen Diskussion uns nicht über unsere Vorstellungen des Zusam­ menlebens einig werden könnten». Deshalb rief er dazu auf, in der Aus­ einandersetzung auch in dieser Frage Mass zu halten, nicht auszugrenzen. 
«Stellen wir das Verbindende über das Trennende. Es geht allen, die sich en­ gagieren, um das Wohlergehen unse­ res Landes. Dds Engagement und die Tüchtigkeit der Menschen in unserem Land wie auch das Wirken des Fürs­ tenhauses und der Fürsten von Liech­ tenstein, das Zusammenwirken der Staatsorgane haben zum 'heute Er­ reichten geführt», so der Regierungs­ chef. Das Engagement, die Tüchtigkeit der Menschen, aber auch das Wirken des Fürstenhauses und der Fürsten von Liechtenstein könne nicht hoch genug eingeschätzt werden. «Wir leben in ei­ ner politischen Symbiose miteinander, die in der Welt ihresgleichen sucht.» 
Rahmen des gesamten 
Abstimmungs­ kampfes beurteilt werden, weil ein sol­ cher noch gär nicht stattgefunden hat und in keiner Weise absehbar ist, auf welche Weise die Gegnerschaft der Verfassungsinitiative die Stimmbe­ rechtigten davon zu überzeugen ver­ suchen wird, der Initiative nicht zuzu­ stimmen. Aus diesem Grunde können die Be­ schwerdeführer zumindest im derzeiti­ gen Verfahrensstadium noch gar keine Beschwerde einreichen, da die Be­ schwerde in diesem Punkt schon man-" gels Beschwerde zurückzuweisen war. Zur Völkerrechts­ konformität Die Entscheidung über die Frage, ob die angemeldete Initiative mit den be­ stehenden Staatsverträgen überein­ stimmt, liegt gemäss Art. 70b des Volksrechtegcsetzes unzweifelhaft in der Zuständigkeit des Landtages. Die Regierung hat hier lediglich vorberei­ tende Funktion, indem sie hierüber ei­ nen Bericht an den Landtag zu verfas­ sen hat, aber keine Entscheidungs­ kompetenz. Dass die Regierung in die­ sem Punkt ferner zur Entscheidung über eine diesbezügliche Beschwerde unzuständig ist, ergibt sich aus Art. 70b Abs. 3 Volksrechtegesetz, wonach sich eine Beschwerde gegen eine Nich­ tigerklärung durch den Landtag an den Staatsgerichtshof zu richten hat. Schliesslich sieht auch hier das Gesetz nur eine Beschwerde gegen die Nichtigerklärung einer Initiative vor. Das Beschwerderecht richtet sich dem­ nach nur an die Initiantcn. Die Beschwerde war daher in diesem Punkt bereits mangels Zuständigkeit, aber auch mangels eines Anfech­ tungsobjekts (Landtagsbeschluss) so­ wie wegen Unzulä'ssigkeit des Rechts­ weges zurückzuweisen. ANZ.niGE Raumplanung. Die Chance Liechtensteins «Die wirtschaftliche und bauliche Entwicklung haben Natur und Landschaft in den letzten Jahren einschnei­ dend verändert. Wir brau­ chen ein Raumplanungs­ gesetz, um weitere Fehler zu vermeiden und bei der künftigen Entwicklung„ unserer 
Kulturlandschaft die notwendige Rücksicht auf unsere Lebensgrundlagen zu nehmen.» Josef Biedermann, Rektor des Liechtensteinischen Gymnasiums und Vorstandsmitglied der CIPRA
	        

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