Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
RH EIN DAMM BRUCH VOR 75 JAHREN Samstag, 17. August 2002 
7 asser, so weit das Auge reicht Am Tag nach dem Rheindammbruch, am 26. September 1927, war das ganze Ausmass der Katastrophe ersichtlich - Teil 2 In der Luft liegt ein seltsamer Geruch. Es riecht nach Kadaver. Vom Bodensee kommen Möven angeflogen, die im neuentstan­ denen See reichlich Nahrung finden. Mäuse, die sich vor dem Ertrinken retten konnten, bela­ gern dahintreibende Holzstücke. Wesentlich gelassener ist das schwimmende Huhn, das see­ lenruhig an seinen Körnern pickt. Doch die Menschen stan­ den an diesem Tag vor schier unlösbaren Problemen. Mario Hee b «Heute fliesst der ganze Rheinstrom durch Liechtenstein - hinunter durchs Ried, bei Bendern stauen sich die Wo­ gen zu einem engen Strudel und zie­ hen hinunter gegen Ruggell, das ganze Dorf überschwemmend und verhee­ rend - hier ist das Elend am grössten und Hilfe am dringensten», hiess es damals im Volksblatt. Am Tag danach befanden sich in Ruggell immer noch über 300 Bewoh­ ner in ihren Häusern, ausserdem zahl­ reiches Vieh, Schweine, Hühner und andere Haustiere. Schon am frühen Montagnachmittag traf Hilfe ein; 174 österreichische und 210 Schweizer Soldaten unterstützten das von der Katastrophe heimgesuchte Land. 
Am Tag nach der Katastrophe befanden sich in Ruggell immer noch über 300 Bewohner in ihren Häusern. Sie wurden mit Schiffen abgeholt und an trockenes Land gebracht. (Bild: Gemeinde Ruggell) 'Zeitzeugen ; Seit letztem Oktober arbeitet der 
j | Ruggeller Arno Oehri mit einem ; I Filmteam an einer Dokumentation 
j I über die Ereignisse rund um die ; Rheinkatastrophe; In diesem, rund ; |vierzig Minuten langen 
Dokumeri-j ; tarfilm geht es in erster Linie darum, j i einige der noch lebenden Zeitzeu- ] i gen zu Wort kommen zu lassen. Da- j { zu wurden 24 Personen aus den be- 1 troffenen Gemeinden interviewt. Ei- j f xie Auswahl. der Aussagen wird im.! ; Film zu sehen sein. Umrahmt wird 
j | die Handlung von einigen Spielsze- ! i nen mit dem Ruggeller Schauspieler j 1 Alex Biedermann. Gezeigt wird der! i Film anlässlich der Gedenkftlerlich- 
j ; keiten zur Rheinnot am Samstag, 128. September in Ruggell. An- j schliessend finden zusätzliche Auf- : ftihrungen im TaKino in Schaan ; [statt . /-J Idyllisches Andenken Eingezwängt zwischen dem Esch­ nerberg und dem Rheindamm konnte 
das Wasser zu einem wild-reissenden Fluss anwachsen. Leicht gebaute Häu­ ser waren innert Kürze ein Raub der Wassermassen. Aber auch die massi­ ven Steinbauten des Zollhauses und der Mühle wurden beschädigt und zer­ stört. Eindrückliche Spuren der Gewalt hat das Wasser durch die Vertiefung des Gampriner Seeleins hinterlassen. Der ganze See wurde buchstäblich aus dem - vor der Katastrophe ebenen - Feld in der Gampriner Au herausgewaschen. Eschnerberg als letzte Rettung Die Sturmglocken der Eschner St. Martinskirche riefen die Bewohner am Abend des 25. September auf, sich in Richtung Eschnerberg in Sicherheit zu begeben, nachdem die Hiobsbotschaft von Schaan eintraf. Viele Bewohner unterschätzten auch hier die Gefahr und waren schnell von den steigenden Fluten eingeschlossen. Am Montag­ morgen ragte der Fluxbüchel wie eine Halbinsel aus dem Wasser, denn beim Gasthaus Eintracht kam das Wasser von Osten und Westen bis gegen weni­ ge Meter zusammen. Die Häuser ent­ lang der Landstrasse und am Kohl­ platz, ebenso die Eschen-Werke (heute ThyssenKrupp Presta AG) standen zum Teil bis zu zwei Meter unter Wasser. 
See zwischen Mauren und Schaanwald Am Montagmorgen schien die Son­ ne und die Auswirkungen waren auch hier sichtbar. Ein See trennte Mauren von Schaanwald. Es ragten nur noch die höchsten Baumwipfel aus dem Wasser. Um sich heute ein Bild der Wasserhöhe zu machen, zeigt eine Ta­ fel beim «Brünnele» zwischen Mauren und Schaanwald (von Mauren kom­ mend auf der linken Seite) die Höhe des Wasserspiegels an. Die Schlamm­ schicht auf den Feldern erwies sich in den drauffolgenden Jahren als Vorteil, denn sie wirkte wie Dünger. Die Landeshilfskommission wurde gegründet Gleich am Morgen wurden die ersten Vorbereitungen zur Schliessung der Dammlücke in Schaan getroffen. Unter der Leitung yon Fachleuten leisteten schweizerische und österreichische Soldaten, gemeinsam mit liechtenstei­ nischen Feuerwehrleuten, wesentliche Vorarbeiten zum Notwuhrbau. Gleich­ zeitig wurde auf Vorschlag von Regie­ rungschef Schädler eine «Landeshilfs­ kommission» gegründet, deren 
Aufga­ be es war, für Verpflegung und Unter­ kunft der Beschädigten zu sorgen und 
das In- und Ausland um Spenden zu bitten. Am 10. Oktober verliessen die Sol­ daten unser Land, denn die Arbeiten waren bereits so weit fortgeschritten, dass. mit Zivilarbeitern weitergemacht werden 
konnte. Aus Vertretern beider Parteien ist kurz darauf die Baukom­ mission gegründet worden. Sie tagte allein oder gemeinsam mit dem Land­ tag und war für die Leitung der Wie­ derherstellungsarbeiten 
an den Däm­ men zuständig. Nach verschiedenen Unstimmigkei­ ten zwischen der Baukommission sei­ tens der Schaaner gegen deren techni­ schen Leiter, aber auch gegen die Re­ gierung, wurde das Schaaner Hoch- wuhr im Frühjahr 1928 endlich fertig­ gestellt. Im Winter 1929/30 ist der Damm auf die gleiche Höhe gebracht worden wie auf der schweizerischen Seite. Die Kosten für die Schliessung der Dammlücken bei Schaan und im Unterland sowie die Erhöhung der Wuhre beliefen sich auf über zwei Mil­ lionen Franken. Die vielen Schäden in den betroffenen Gemeinden waren auf zirka zehn Millionen Franken ge­ schätzt worden. Durch den Einsatz zahlreicher Freiwilliger aus den ver­ schiedensten europäischen Ländern und mit schweizerischen Pfadfindern 
konnten die Kosten im Rahmen gehal­ ten werden. Hilfe aus Europa und Übersee Unerwartet gross war das Echo auf die Hilferufe der Landeshilfskommissi­ on. An der Spitze der Spender war Fürst Johannes II., der als Soforthilfe 100 000 Franken und ein Jahr später eine Million Franken spendete. Am Neubau der Schaaner Brücke beteiligte er sich ebenfalls mit 120 000 Franken. Hilfe kam aus ganz Europa, den USA und ganz besonders aus der Schweiz und Österreich. Eine Reihen von Schweizer Zeitungen forderten ihre Leser auf, finanzielle Hilfe zu leisten. Der grösste Erfolg verzeichnete die Neue Zürcher Zeitung, die aus Tausen­ den von Spenden über 100 000 Fran­ ken, gefolgt von den Basler Nachrich­ ten mit 40 000 Franken, überweisen konnten. Heute, 75 Jahre später, ist der Rhein gebändigt und stellt keine Gefahr ihehr dar. Infolge der Dammerhöhun­ gen und der Kiesgewinnung hat das Flussbett bei Schaan ein Fassungsver­ mögen von 
3500 Kubikmetern pro Se­ kunde, der Hochwasserspiegel von 1927 würde mehr als zwei Meter unter der Dammkrone liegen. Die Sicherheit hat ein Maximum erreicht, sein Unter­ halt wird jedoch weiterhin grosse Geldsummen beanspruchen. Vor siebzig Jahren errichtete die Ge­ meinde Mauren direkt an der Strasse zwischen Schaanwald und Mauren (von Mauren kommend auf der linken Seite, Höhe Vogelparadies) eine Mar­ kierung des Wasserstandes von 1927. (Bild: Paul Trümmer) «Mir war es in der Kirche unheimlich zumute» Vom Buchserberg aus war das Ausmass der Katastrophe auf einen Blick ersicht­ lich. (Bild: Gemeinde Ruggell) 
| Karolina Büchel-Hasler aus Gamprin I schrieb am 6, Dezember 1927 an ihren t Onkel Ulrich Oehri in Fairfax, US- [Bundesstaat South Dakota, folgende, • Zeilen: | «... wir waren ganz erstaunt, als wir ; läsen, ihr habet es schon am Dienstag '^vernommen, dass der Rhein alles  ; ; überschwemmt habe, ja ihr würdet 5euch nicht mehr äuskennen,.; so schrecklich sieht es bei uns aus, .ich will wetten, nicht einmal Onkel 
And- j reas, der doch erst letztes Jahr hier ' war, würde sich bei Bendern und bei i Gamprin auskennen... In Bendern ' wurden die Strassen und Brücken al- ! Je fortgerissen. Das Zollamt stürzte • zusammen. Beim : Gasthaus - zum Deutschen Rhein riss es die Kegel­ bahn und die ganze Baumanlage ne- ; ben dem Garten weg. Die Strasse von ! Bendern bis zur Mühle, samt Damm j und Auwald, sind gänzlich ver- fschwunden. Das Rheihbett liegt ; trocken und viel höher als der Was- : j serspiegel des; neuen ' Rheins ». Das ; | Anwesen des Martin Sentl Ist ..'.voll-: ? ! ständig verschwunden^ sowie die ; Werkstätte des Adam Näscher. Das j Haus steht noch, aber ist umundum 
von einem Kies- und Lettenbank um­ geben und für immer unbewohnbar... in Ruggell stehen .bis auf etwa 15 bis 20 Häuser alle heute noch im Was­ ser... Ihr könnt euch gar keinen Be­ griff machen, wie es in den Bündten und Häusern aussieht, was da alles angeschwemmt wurde. In Tante Kresenzas BÜndt hat es zum Beispiel einen Sessel, mehrere Fässer, eine Badwanne, eine Stande, Zeihen, Kübel, eine Stiege, eine gros­ se Brandweinflasche und weiss Gott,! was noch alles zum Vorschein kommt" unter dem vielen Holz, das herum­ liegt... Zu Tantes Haus kann man Jetzt : noch nicht, ohne das Schift Die Ruggeller waren die allermeis­ ten noch in; den Häusern, als der Rhein einbrach und mussten nachher! mit, Schiffen geholt werden ... In: Gamprin fQrchtete man. sich viel mehr, man sah halt eben besser wie schrecklich hoch der Rhein ging an ; jenem Sonntag. Ich war gm Vormittag im. Amt. Schon vor dem Gottesdienst war der Rhein ziemlich hoch, mein Mann sag­ te noch,wirst sehen, heute müssen wir , noch auf den Rheindamm, es regnet 
schreckllch. Mirwar es so unheimlich 1 zumute in der Kirche, ich meinte, ich müsse heim, clerin es rausdhte immer fürchterlicher. In der Zeit von 9 bis halb elf Uhr stieg das Wasser, wie man beobachtete, um mehr als einen Meter und am Nachmittag sagte jedermann, den man hörte, heute gebe es noch ei­ nen, Einbruch, es sei nicht andere möglich. "...was für eine Angst ich In jener. Nacht ausgestanden, kann ich euch garnicht schildern, ich lief Immer in' die Küch^ um sw horcHeii, ob es nodi - iaus^^Vlia^|ti|u|abelt oder oh der Rhein schon durchs Feld herunterge­ he; auf 
unserem Feld 
mit dem fart rei­ fen Türken und den 
schönen Kartof-' fein. Heute muss ich noch weinen, wenn ich daran denke und doch kam es noch schlimmer; als man fürchtete, denn dass es noch Kiesbänke gebe auf unseren 
Ackern, hätte 
niemand ver­ mutet. Nun will -ich' 
schliessenVes würde 'mich Und alle zusammen freu­ en, so ihr wieder bald etwas hören lassen würdet yon euch.. Bleibt alle gesund und seid: alle , herzlich gegrüsst von Karolina und Familie.» ' ' ' *, -•.U-Arf,: , V-y tl'n'ilf.-'-••--
	        

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