Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

4. Dienstag, 9. Juli 2002 
INLAND Liechtensteiner VOLKSBLATT Interessante Podiumsdiskussion der Industrie- und Handelskammer zum Thema «Bildungsperspektiven für das 21. Jahrhundert» Eine vernünftige Schule zu ent­ wickeln ist gar nicht so einfach, auch für Fachleute nicht. Ges­ tern Abend diskutierten ver­ schiedene Vertreter aus Politik und Schulwesen über Bildung, Wettbewerb, Konkurrenzden­ ken und das Tempo der heuti­ gen Zeit. Doris Meie r Damjt die Schule allen gestellten An­ forderungen entspricht, müsste sie ei­ gentlich eine eierlegende Woll- milchsau sein. Fazit, die Schule kann * den Anforderungen gar nicht gerecht werden, so die Hypothese der Moderia- torin Ingrid Thurnher, ORF Wien. Mar­ gret Ruep; Präsidentin des Oberschul­ amtes Tübingen vertrat die Meinung, dass man die Schule entschleunigen müsse, damit die-Schüler überhaupt noch profitieren könnten. Die Welt werde immer komplexer und die Ent­ wicklungen gingen immer schneller. Laut Margret Ruep versuchen die Bil­ dungsverantwortlichen immer mehr diese Dynamik und Komplexität in die Klassenzimmer zu bringen. «Irgend­ wann sind die Menschen aber einfach nicht mehr leistungsfähig», so Margret Ruep, deswegen sei es wichtig, dass die Lehrpläne entschleunigt würden, denn weniger sei manchmal mehr. Wettbewerb fördern? «Entschleunigen ist eine Illusion», setzte der Rektor der Universität St. 
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion: v.l. Peter Gomez (Rektor der Universität St. Gallen), Margret Ruep (Präsidentin des Oberschulam­ tes Tübingen), Rita Kieber-Beck (Bildungsministerin), Ingrid Thümher (Modera­ torin ORF), Egon Blum (Geschqflsleitungsmitglied der Int. Blum-Gruppe), Anton Strittmatter (Dachverband der schweizerischen Lehrerinnen und Lehrer). • (Bilder: Brigitt Risch) Gallen, Peter Gomez dagegen. Die Langsamen würden einfach abgekop­ pelt und 
wenn man dabeibleiben wol­ le, dann müsste man dieses Spiel halt mitspielen, das sei einfach so, meinte er achselzuckend. In den Schule sei eine gewisse Konkurrenz wichtig, denn sonst seien die Schüler auf das spätere Leben nicht vorbereitet, beton­ te Peter Gomez weiter. «Wir fordern und fördern Persönlichkeiten, lautet 
das Motto der Uni St. Gallen, wenn wir als Universität ein solches Motto haben müssen, dann ist vielleicht auch in den unteren Etagen etwas nicht in Ordnung», so Peter Gomez weiter. Kaum ausgesprochen gab es auch schon Gegenrufe von anderen Podi­ umsteilnehmern. Anton Strittmatter vom Dachverband der schweizeri­ schen Lehrerinnen und Lehrer konter­ te, dass es auch Kinder und Jugendli­che 
mit «Klumpfiissen» gebe, die viel­ leicht im Wettbewerb nicht überall mithalten könnten. «Solche Jugendli­ che finden es zynisch, wenn man ver­ sucht sie mit .Wettbewerb zu motivie­ ren.» Der Wettbewerbsgedanke habe in der Wirtschaft sowieso schon kabaret­ tistische Züge angenommen, es gehe zii und her wie in einem Spielcasino. Wichtiger sei es, den Jugendlichen ei­ nen Sinn zu vermitteln, so Anton Strittmatter. Überhaupt fragte er sich, wer denn die Besten seien. Die Besten im Fussball oder die Besten in der Ma­ thematik oder die Besten im Bezug auf Bankenmoral? Auch Egon Blum, Ge- schäftsleiturigsmitglied und Ausbil­ dungsverantwortlicher der internatio­ nal tätigen Blum-Gruppe Österreich warnte vor einem übertriebenen Wett­ bewerbsgedanken. «Wir sollten uns nicht so Vorgaben geben, zum Beispiel dass wir unter die ersten fünf in der Pisa-Studie kommen müssen oder ähnliches. Überlegen Sie sieh mal, was da bei den Lehrern und Schülern los wäre», gab er dem Publikum zu beden-. ken. «Wir sollten unsere Jugendlichen nicht in einen'noch grösseren Stress versetzen, sondern gute Standards le­ gen und versuchen diese so gut als möglich zu erreichen. Auch die liech­ tensteinische Bildungsministerin Rita Kieber-Beck betonte, dass Noten nicht aussagen würden, wie gut man das Le­ ben meistere. Wichtiger sei es in den Schulen Zusammenhänge zu vermit­ teln, die Kinder müssten ganz einfach lernen zu lernen, denn wenn jemand das könne, dann habe er auch die 
Kompetenz sich in der schnelllebigen Zeit anzupassen. Schule hat keinen Förderungs­ auftrag Mit einer provokanten These brach­ te Anton Strittmatter weitere Emotio­ nen in die ohnehin schon heisse Dis­ kussion. «Die Schule hat nie den Auf­ trag bekommen Kinder zu fordern», betonte - er. Eigentlich müssten die Lehrer hingehen und jeden Schüler einzeln genau unter die Lupe nehmen und prüfen, wie hoch sein individuel­ les Förderungspotential ist. Eine Schu­ le könne erst dann als gut bezeichnet werden, wenn von jedem einzelnen Kind das Förderungspotential ausge­ schöpft sei. Unsere Schule sei im Ge­ gensatz dazu eine Fliessbandabferti- gung, gleiche Jahrgänge würden ein­ fach zusammengefasst, unabhängig vom Bildungsstand der einzelnen. Bei 14-jährigen Jugendlichen hocke also der unreife Kindskopf in der gleichen Klasse, wie eine bereits reife junge Da­ me, das könne ja nicht funktionieren. Ausserdem verglich er das Notensys­ tem mit dem mittelalterlichen Ablass­ wesen. «Wenn ich irgendwo eine Drei habe und in einem anderen Fach eine Fünf, dann habe ich mich so quasi freigekauft ohne dass ich das nötige Wissen dazu habe», so Anton Stritt­ matter. Peter Gomez konterte, dass dies in der Kompetenz des Lehrers lie­ ge zu beurteilen, wer begabt und wer weniger begabt sei und dass der Lehrer diese Schüler dann halt auch individu­ ell fördern müsse. Bessere Bildung durch Regionale Zusammenarbeit? Radiodisskussion anlässlich der Lehrerbildungskurse «Liecht-Bild 2002» Wie können Liechtenstein, die Schweiz, Österreich und Deutschland das Schul- und Bildungssystem ge­ meinsam verbessern? Was unterneh­ men die einzelnen Länder nach dem schlechten Abschneiden in der PISA- Studie? Diese Fragen wurden in der Radiödiskussion «Bildung, unser ge­ meinsames Kapital - eine Eureglona- • le Standortbestimmung» diskutiert. Manuela Schädle r Rita Kieber-Beck, Regierungschef- Stellvertreterin und Bildungsministe- rin, Hans Ulrich Stöckling, Regie­ rungsrat und Präsident der Erzie­ hungsdirektorenkonferenz, Margret Ruep, Präsidentin des Tübinger Ober- schulamtes, Sigi Sterner, Landesrat und Landesschulrat des Bundeslandes Vorarlberg, Claudio Lardi, Regierungs­ rat und Vorsteher des Erziehungsde- partementes des Kantons Graubünden und Karl Freiler, Staatssekretär für Un­ terricht und Kultus des Freistaates Bayern diskutierten über das gemein­ same Vorgehen im Schulsystem. Wal­ ter Bruno Wohlwend und Günther Meier moderierten die Radiosendung. Ursache suchen «Wir sind dabei zu ergründen, wes­ halb wir in der PISA-Studie so schlecht abgeschnitten haben. Wenn wir das wissen, werden wir die entsprechen­ den Massnahmen ergreifen», sagte 
Ri-Hahs 
Ulrich Stöckling, Margret Ruep, Sigi Sterner, Günther Meier, Walter Bruno Wohlwend, Rita Kieber-Beck, Karl Frel- ler und Claudio Lardi (von links) nahmen an der Radiodiskussion teil. ta Kieber-Beck auf die Frage, was die Regierung gegen das schlechte Ab­ schneiden in der PISA-Studie unter­ nehmen wolle. Auch die anderen Podi­ umsteilnehmer waren derselben Mei­ nung. «Es macht erst 
Sinn zu reagie­ ren, wenn wir die Gründe kennen», sagte Hans Ulrich Stöckling und Sigi Sterner meinte: «Man muss die Studie tiefgründiger betrachten. Wir wollen uns vor allem dem Prozentanteil, der weniger gut war, zuwenden.» Claudio Lardi denkt, dass die Änderungen, die im Schulsystem vorgenommen wur­den, 
noch reifen werden: «Ich bin überzeugt, dass in vier bis fünf Jahren die Änderungen ihre Wirkung zeigen.» Das Bundesland Bayern und Ba- den-Württemberg in Deutschland ha­ ben in der Pisa-Studie gut abge­ schnitten. Was ist ihr Rezept? «Es ge­ lingt uns besser, schlechte Schüler zu fordern», meinte Margret Ruep. Karl Freller fügte hinzu, dass sie nach dem Grundsatz «fordern fördert» arbeiten. «Man muss gezielt die schlechten, aber auch die guten Schüler fordern.» Für den Staatssekretär ist die Grund­schule 
der wichtigste Teil der Bildung. Denn: wenn dort schon versagt wer­ de, wäre das später nicht mehr gutzu­ machen. Zusammenarbeit Neben der PISA-Studie diskutierten die Podiumsteilnehmer über die Zu­ sammenarbeit in der Zukunft. «Wir haben schon einige Schulen, die grenz­ übergreifend sind», sagte Hans Ulrich Stöckli und zählte die Lehrerbildungs­ stätte in Vorarlberg und die Lehrerse­ minare im Kanton St. Gallen auf. Sigi 
Sterner war der Meinung, dass man die Kontakte zwischen den Ländern noch intensivieren sollte: «Dazu müs­ sen wir aber zuerst analysieren wie unterschiedlich unsere Schulsysteme sind.» «Wir haben den Vorteil, dass wir von allen Ländern profitieren können, da wir keine Lehrerausbildung in Liechtenstein haben», sagte Rita Kie­ ber-Beck zu diesem Thema. «Doch was ist mit dem Schulsystem, ist dort eine Zusammenarbeit mög­ lich?», fragte Günther Meier. Da waren sich die Diskussionsteilnehmer nicht einig. «Das kann ich mir kurzfristig nicht vorstellen, da alle eine andere Kultur haben. Wir können aber von­ einander lernen», sagte Margret Ruep und Karl Feller meinte: «Wir lehnen den Harmonisierungszwang ab. Trotz­ dem schauen wir, wie andere Schulsysteme funktionieren. Wichtig ist aber, dass ein Bildungsstandard vorhanden ist und dieser gegenseitig angenommen wird.» Hans Ulrich Stöckli ist da anderer Meinung: «Wir sind viel näher, zusammen als viele denken. Es würde uns mehr gelingen, wenn wir zusammenarbeiten würden.» «Wir müssen davon wegkommen, nur Fachwissen vermitteln zu wollen. Die Schüler müssen auch auf das wei­ tere Leben Vorbereitet werden», sagte Rita Kleber-Beck. In diesem Punkt stimmten ihr alle zu. «Was die Sozial­ kompetenzen der Schüler angeht, da haben wir alle noch einiges nachzuho­ len», sagte Sigi Sterner. ANZEIGE ITOXilTO garagelampertag Inhaber: „Max Büchel Schaanerstrasse 17 • 9490 Vaduz T+423/232 35 81 F +423 / 233 30 46 V40 T4, V70 XC und viele 
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