Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
AUSLAND Samstag, 22. Juni 2002 
41 Ob Attentate die Welt verändern, hangt von der Reaktion der Politiker ab WASHINGTON: Können Selbst­ mordattentate die Welt verän­ dern? Manchmal schon. Im Na­ hen Osten hängt dies weniger von den Tätern als vielmehr von der Reaktion der Politiker ab. Dass Israel jetzt wieder palästi­ nensisches Gebiet besetzen will und US-Präsident George W. Bush seine angekündigte Nah­ ost-Rede und Initiative erst ein­ mal verschoben hat, war genau das, was radikale Islamisten be­ absichtigten. Nicht in ihrem Sinne war hingegen die Er-, klärung palästinensischer Intel­ lektueller, in der die Anschläge verurteilt wurden. Ron Kampeas / AP Es sei wichtig, die Initiative zu ergrei­ fen, bevor die Ereignisse völlig unkon­ trollierbar würden, erklärt der frühere Unterstaatssekretär und Nahost-Ex­ perte Edward Walker. «Wenn der" Präsi­ dent es zulässt, dass ein Mann mit ei­ ner Bombe ihn zum Schweigen bringt, dann haben sie gewonnen.» Und der frühere Nahost-Gesandte von Präsi­ dent Bill Clinton, Dennis Ross, sagt, der Politiker, der jetzt den Ausschlag geben könne, sei Jassir-Arafat - wenn er sich entschliesse, gegen die militan­ ten Islamisten vorzugehen. Ein ermutigendes Zeichen ist da die Erklärung der palästinensischen Intel­ lektuellen, die die Beendigung der Selbstmordanschläge nicht nur des­ halb fordern, weil sie Israel Sympathi­sier 
palästinensische Präsident Jassir Arafat rief gestern erneut zum Ende der Attentate auf. Es reiche jetzt mit dem Krieg: *Zuviel ist zuviel», betonte Arafat in der israelischen Zeitung *Haaretz». (Bilder: Keystone) en einbringen, sondern auch wegen des Leids, dass sie den Menschen in Is­ rael zufügen. Einen Wandel in der Po­ litik haben Attentate im Nahen Osten schon öfters ausgelöst: Q Im Februar 1994 erschoss 
derjüdi- Israel startet neue Militaraktion a 
J JERUSALEM: Einen Tag nach einem blutigen Überfall auf eine jüdische Siedlung im Westjordanland hat Isra­ el eine neue Militäraktion in den palästinensischen Autonomiegebie­ ten gestartet. Die Streitkräfte beriefen Reservisten fiir die Operation ein, die laut Fernsehberichten «Entschlosse­ ner Weg» heissen soll. Bereits gestern rückten Truppen in Nablus ein. In Dschenin töteten Soldaten vier Paläs­ tinenser, darunter drei Kinder. Palästinensische Extremisten über­ fielen am Donnerstagabend ein Haus in der Siedlung Itamar bei Nablus und töteten fliinf Bewohner. Acht weitere wurden nach Armeeangaben 
verletzt. Wenige Stunden nach dem Überfall rückten Truppen in Nablus ein. Augenzeugen sprachen von rund 50 Panzern und einer Reihe gepan­ zerter Planierraupen. Erst am Don­ nerstag hatte Israel angekündigt, als Vergeltung für die jüngsten Selbst­ mordanschläge seine Militäroffensive in den palästinensischen Gebieten auszuweiten. In dem Dorf Hauara nahe Nablus töteten randalierende israelische Siedler gestern einen Palästinenser, als sie wahllos in den Strassen um sich schössen. Zwei Autos und ein Haus wurden angezündet, wie Be­ wohner mitteilten. 
sehe Siedler Baruch Goldstein in einer Moschee in Hebron 29 Muslime, bevor er selbst erschlagen wurde. Ein aufge­ wühlter israelischer Ministerpräsident Jizchak Rabin rief danach Arafat an und sagte ihm: «Als Israeli bin ich tief beschämt über diese Tat.» Auch wegen dieser Offenheit Rabins kamen ins Stocken geratene Gespräche wieder in Gang und am 1. Juli desselben Jahres • wurde Goldsteins Albtraum wahr: Jas­ sir Arafat 
übernahm in Gaza die Lei­ tung der palästinensischen Aufono- miebehörde. 9 Zwei Jahre später schlugen die po­ litisch an den Rand gedrängten mili­ tanten Islamisten zu und töteten in etwas mehr als einer Woche in vier Selbstmordattentaten 62 Menschen. Das Echo war unterschiedlich. Arafat ging hart wie nie zuvor gegen die Mi­ litanten vor 
und es dauerte mindestens zwei Jahre, bevor sie sich wieder etwas etabliert hatten. Auf der anderen Seite entschied sich eine schockierte israeli­ sche Öffentlichkeit für den Hardliner Benjamin Netanjahu als Ministerpräsi­ denten, was wiederum Wasser auf die • 
Mühlen der militanten Islamisten war, die eine Versöhnung mit Israel für un­ möglich halten. / Q Der militante Islamist, der 1981 den ägyptischen Staatspräsidenten Anwar Sadat erschoss, beeinflusst bis heute die Handlungen arabischer Politiker in Bezug auf Israel. Seitdem betonen sie alle - Arafat eingeschlossen - unter Hinweis auf diese Tat, das sie nur klei­ ne Konzessionen machen könnten. & Den vielleicht einschneidendsten Einfluss hatte die Ermordung Rabins im November 1995 durch einen jüdi­ schen Extremisten. Arafat weinte über den Verlust eines Freundes und ein tief schockierter Clinton sass auf dem Rückweg von der Beerdigung nur stumm im Flugzeug. Es dauerte Mona­ te, bevor er die Nahostpolitik wieder aufnahm. Der zu lebenslanger Haft verurteilte Attentäter Jigal Amir fand seine eige­ ne Genugtuung. Bei einer Anhörung fünf Jahre nach der Tat antwortete er auf die Frage eines Reporters, ob er et­ was bedauere: «Ja, warum haben wir das nicht schon früher getan?» Zwei Anschläge auf spanische Badeorte EU-Gipfel: Illegale Einwanderung und mehr Druck bei Zinsbesteuerung SEVILLA/MALAGA: Die EU behält sich im Kampf gegen illegale Ein­ wanderung Konsequenzen für Her- kunfts- und Transitländer vor. Zu­ dem zeichnete sich bei den EU-Fi­ nanzministern gestern in der Zinsbe­ steuerung stärkerer Druck auf die Schweiz ab. Überschattet wurde der Gipfel von zwei Anschlägen mit mehreren Verletzten; In Bezug auf die illegale Einwande­ rung werden in einem Entwurf der Ab­ schlusserklärung lediglich «Massnah­ men» gegen Länder gefordert, die ihre Grenzen nicht ausreichend bewachen und so den Weg für Flüchtlinge in die Europäische Union öffnen. Die angedrohten Massnahmen dürf­ ten die Entwicklung des betroffenen Landes nicht behindern. Zuvor hatte Spanien Sanktionen Wie etwa die Kür­ zung der Entwicklungshilfe gefordert. Dies hatten insbesondere Frankreich und Schweden, kritisiert. Im Zinssteuer-Streit zeichnete sich am EU-Gipfel mehr Druck auf die 
Wenige Stunden vor Beginn des EU-Gipfels wurden bei zwei Autobombenan- schlägen sechs Menschen verletzt. 
Schweiz ab. Die Finanzipinister der EU äusserten sich «tief besorgt», der deut­ sche Finanzminister Hans Eichel kriti­ sierte deutlich die Haltung der Schweiz. Die von der Schweiz angebo­ tene Quellensteuer zur Abwendung von Steuerflucht genügt laut Eichel nicht, weil damit EU-Bürger dem Be­ steuerungsprinzip ihrer Länder entzo­ gen würden. Beim Eidg. Finänzdepar- tement hiess es^daSs 
vergessen ging, dass die Schweiz mit der Quellensteuer ein grosszügiges und konkretes Ange­ bot gemacht habe. Sechs Verletzte bei zwei Anschlägen Kurz vor Beginn des EU-Gipfels wa­ ren bei einem Anschlag vor einem Fe­ rienhotel in Fuengirola bei Malaga sechs Menschen zum Teil schwer ver­ letzt worden. Einige Stunden später detonierte im Zentrum des nahe gele­ genen Badeortes Marbella eine zweite Autobombe. Dabei kamen nach Anga­ ben der Polizei keine Menschen zu Schaden. 
Deutscher Sieg bejubelt SEVILLA: Gebannt sassen die deut­ schen Politiker Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Hans Eichel vor dem Fernseher: Auf der Mattscheibe kickte gerade die deutsche Fussball- Nationalmännschaft auf dem Weg ins Halbfinale der Weltmeisterschaft. Der Kanzler und seine Minister Hessen es sich auf dem EU-Gipfel gestern nicht nehmen, das Spiel zu verfolgen. Als dann endlich das erlösende Tor von Michael Ballack fiel, sprang das Trio nach Berichten aus Delegationskreisen aus seinen Sitzen und 
jubelte lautstark «Tor.!».. Karsli erneuert Vorwürfe DÜSSELDORF: Der umstrittene nord- rhein-westfälische Landtagsabgeord­ nete Jamal Karsli hat der israelischen Armee erneut Nazi-Methoden vorge­ worfen, nachdem er sich zuvor dafür öffentlich entschuldigt hat. Er kündig­ te gestern in Düsseldorf ausserdem an, er werde gegen Spitzenvertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland klagen, weil diese ihm antisemitische Äusserungen vorgehalten hätten. Karsli beschuldigt Zentralratspräsi- dent Paul Spiegel und dessen Vize Mi­ chel Friedman der «Verleumdung und Ehrverletzung». Seine kritischen Aus­ sagen zum. Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser und der Vergleich mit Nazi-Methoden würden auch von israelischen Friedensaktivis­ ten geteilt. Villepin reist in den Nahen Osten PARIS: Der neue französische Ausseo- minister Dominique de Villepin reist aTn Sonntag in den Nahen Osten. Er werde bis Mittwoch Ägypten, Israel, die palästinensischen Gebiete und Saudi-Arabien besuchen, teilte das Pa­ riser 
Aussenministerium gestern mit. Villepin, der seit Anfang Mal im Amt ist, wolle dort mit den «Verantwortli­ chen Kontakt aufnehmen, ihre Analy­ sen hören und mit ihnen einen Dialog führen», hiess es. Zehn Jahre Haft BELGRAD: Ein jugoslawisches Gericht hat den ehemaligen Chef des staatli­ chen Fernsehens für den Tod von 16 seiner Angestellten verantwortlich ge­ macht und zu zehn Jahren Haft verur­ teilt. Dragoljub Milanovic habe die öf­ fentliche Sicherheit schwer gefährdet, als er den Sender während der NATO- Luftangriffe nicht evakuiert habe, hiess es in dem Urteil. Er habe damit gegen die Gesetze für 
den Schutz der Bevölkerung in Kriegszeiten Verstös­ sen. NATO-Raketen trafen am 23. April 1999 den Sitz des Senders in Bel­ grad; 16 Menschen wurden getötet, darunter Techniker, Sicherheitsleute und eine Visagistin. Die NATO hatte den Sender, der als Sprachrohr des da­ maligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic galt, mehrfach aufgefordert, sein Programm zu än­ dern, andernfalls könne er zum An­ griffsziel werden. Milanovic soll die Angestellten aufgefordert, haben, während der zahlreichen 
Angriffe das Gebäude auf keinen Fall zu verlassen Reform der Polizei KABUL: Der heue afghanische Innen­ minister Tadsch Mohammed Wardak hat gestern eine schnelle Reform der Polizei zugesagt. Falls es ihm in sieben Monaten nicht gelingen sollte, die kor­ rupte Mannschaft in eine professionel­ le Polizeieinheit umzuwandeln, werde er von seinem Amt zurücktreten, sagte Wanlak in Kabul. Wardak kündigte an, er werde sich bei der internationalen Gemeinschaft um Unterstützung für seine Reformen bemühen. «Die Welt ist bereit zu helfen», sagte er. «Aber wir müssen nun zeigen, dass wir bereit sind zu arbeiten.»
	        

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