Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

4 Samstag, 15, Juni 2002 
INLAND Liechtensteiner VOLKSBLATT Weitere Missionen im Auge Interview mit Liechtensteins ständigem Vertreter beim Europarat, Botschafter Josef Wolf Mehr als zehn Jahre hat Bot­ schafter Josef Wolf Liechten­ stein beim Europarat vertreten. Zählreiche Anerkennungen und Preise haben ihm mit seiner Ar­ beit Recht gegeben. Jetzt zieht er sich aus Strassburg zurück, denkt aber noch lange nicht an Pensionierung. Mit Josef Wolf sprach Doris Meier Wieso wollen Sie genau jetzt Strass­ burg verlassen ? Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Man fühlt sich (ausgelaugt». Dies empfand ich insbesondere im Hinblick auf meine Funktion als Doyen des Di­ plomatischen Corps,-die ich sechs Jah­ re innehatte. Ich musste sehr viele Re­ den halten: Tischreden, Trauerreden, Reden im «Cercle Europeen» bei der Verabschiedung von Botschaftern (ich habe zirka 45 Botschaftern «Adieu» gesagt). Da besteht dann die Gefahr, dass man zum Schwätzer wird. Gefahr, dass man zum Schwätzer wird Als Doyen ist man auch in besonde.- rer. Weise in das jgesellschaftliche Le­ ben integriert. Man -erhält sehr viele Einladungen und ist ebenfalls ver­ pflichtet, solche auszusprechen., In diesem Bereich hat mich meine Frau tatkräftig unterstützt. Zu grossem Dank verpflichtet bin ich auch meiner langjährigen Sekretärin Frau Ingeborg Franck. In Politiker-Kreisen gehört man In Ihrem Alter bei weitem noch nicht zum alten Elsen. Können Sie sich vorstellen, an einem anderen Ort als Botschafter tätig zu.werden, zum Beispiel in Berlin oder Washington ? Ich stehe noch für bestimmte Mis­ sionen zur Verfügung, allerdings zeit­ lich befristet Ich hatte in den letzten Jahren eine berufliche Aufgabe, die mich weit mehr als 100 Prozent bean­ sprucht hat.. Das möchte ich nicht mehr. Auf der anderen Seite tann ich mir nicht vorstellen, mich schon jetzt ganz zurückzuziehen. Etwas mehr Freiraum für meine Hobbies, insbe­ sondere das Lesen, wäre mir sehr an­ genehm. Gäbe es da noch ein anderes politi­ sches Amt, das Sie reizen würde ? Nein, ich denke an kein anderes po­ litisches Amt. Liechtenstein hatte Ja bis vor kur­ zem den Vorsitz beim Europarat Inne. Das war wohl die wichtigste Zelt In Ihrer mehr als lOjährigen Karrlere als Botschafter In Strassburg. Wie haben Sie diese Zeit erlebt ? - Es war die strengste Zeit in meinem Leben. Oft habe ich bis Mitternacht die Dossiers für die Sitzungen des Minis­ terkomitees durchgesehen, State­ ments vorbereitet oder an Redetexten 
gefeilt. Stützen konnte ich mich dabei auf ein äusserst dienstfertiges Sekreta­ riat, mit dem ich mich auch auf menschlicher Ebene sehr gut verstand; Die Teamsitzungen in diesem kleine­ ren Kreis, zu dem auch mein Stellver­ treter Patrick 
Ritter sowie Dr. Philipp Mitteiberger gehörten, waren für mich als Vorsitzenden sehr wichtig. Ein Ko­ mitee 
mit 42 Delegationen zu präsi­ dieren, ist keine leichte Aufgabe. Bei solchen Sitzungen handelt es sich nicht um festliche Anlässe, sondern um Debatten über äusserst vielfältige Problemkreise. Die Sitzungen 
mussten sehr gründlich vorbereitet werden. Da­ zu gehörte vielfach das vorhergehende Gespräch mit einzelnen Delegationen. Oft musste man mehrere Male zusam­ menkommen, um die Lösung eines be­ stimmten Problems zu erreichen. Im Plenum kann man Erarbeitetes nur noch «absegnen». Änderungsanträge müssen vorher bearbeitet und dürfen nicht erst in letzter Minute vorgelegt werden. Als Schulkommissär hatte ich früher grosse Lehrerkonferenzen zu leiten. Die Erfahrungen, die ich mir dort ge­ sammelt hatte, kamen mir hier zugute. Es gibt eben diesen Transfer-Effekt von einem Beruf zum anderen. Sie haben In Ihrer Tätigkeit als Botschafter In diplomatischen und politischen Kreisen ein hohes Anse­ hen erlangt. Sie wurden sogar vom französischen Botschafter als «phä­ nomenales diplomatisches Genie» bezeichnet und haben zahlreiche wichtige Auszeichnungen bekom­ men. Wo, denken Sie, liegen Ihre Stärken?. Der französische Botschafter hat mich bei der Verleihung der Ehrenlegi­ on gelobt, vielleicht ein bisschen zu sehr.. Meine Stärke lag in der guten Kenntnis der Dossiers einschliesslich der Entstehungsgeschichte eines 
be- Die strengste Zeit meines Lebens stimmten Sachverhalts. Da kam mir die langjährige Tätigkeit zugute. So wurde ich gelegentlich auch als das le­ bendige Gedächtnis des Ministerkomi­ tees und Garant seiner Kontinuität be­ zeichnet. Wenn einem eine Aufgabe zusagt, setzt man sich voll dafür ein. Halbheiten, halben Einsatz hab' ich nie gemocht. Mein Einsatz für die kul­ turelle, geistige und 
religiöse Dimensi­ on der europäischen Einigung und die Ausprägung einer übergreifenden .eu­ ropäischen Identität wurde allgemein anerkannt. Ansehen zu erlangen, Au­ torität zu gewinnen, ist nur möglich, wenn man sich anderen nützlich er­ weist. Das habe ich versucht, indem ich zum Beispiel bereit war, zusätzli­ che Aufgaben zu übernehmen oder bestimmte Arbeitsgruppen und Son­ dersitzungen zu leiten. Wird Liechtenstein als 33 OOO-Ein-Inge 
Wolf kann sich wahrscheinlich nur kurz über die Rückkehr ihres Mannes freuen, denn Botschafter Josef Wolf betont, dass er noch für bestimmte Missio­ nen zur Verßigung stehe. wohnerStaat von den restlichen Mitgliedsstaaten des Europarates ernst genommen? Hier möchte ich Markus Seiler zitie­ ren, der an der Universität St. Gallen ei­ ne Dissertation über die Stellung der. Kleinstaaten im Europarat geschrieben hat. Er schreibt: «Das Image der Klein­ staaten und ihrer Mitarbeit im Europa­ rat hängt stark vom Beitrag einzelner Persönlichkeiten ab, welche für diese Staaten in Strassburg in Erscheinung treten. Durch die schmale personelle Basis im Europarat kommt der Arbeit jedes einzelnen Vertreters dieser Staa­ ten besonderes Gewicht zu. Das Verhal­ ten einzelner Vertreter aus den Klein­ staaten wird deshalb in der Praxis den Mitgliedsstaaten selbst zugerechnet. Insbesondere Luxemburg und Liech­ tenstein haben auf diese Weise über ih­ re Vertreter in Strassburg profitiert.» Ich war mir dessen voll bewusst und habe mich am Anfang recht wenig ge­ meldet. Es kam dazu, dass ich meine Fremdsprachenkenntnisse erst wieder auffrischen musste, und das dauerte eine gewisse Zeit. Dann aber habe ich mich ziemlich regelmässig zu Wort gemeldet und dabei zu grundsätzli­ chen Fragen Stellung bezogen, zu Menschenrechtsfragen, zu Wertfragen, zu ethischen Problemstellungen und so weiter. In diesem Zusammenhang, profitierte ich von meiner gründlichen philosophischen Schulung, die ich mir am Kollegium Schwyz und später an der Universität Fribourg aneignen durfte. Nun aber zu Ihrer Frage wegen des Ernstnehmens von Kleinstaaten: Sie werden durchaus ernst genom­men, 
wenn sie bescheiden und nicht grosssprecherisch auftreten und wenn sie sich anderen nützlich erweisen. In dem Jahrzehnt, .In dem Sie in Strassburg tätig waren, hat sich Eu­ ropa sehr gewandelt. Wie haben Sie diese Veränderungen miterlebt? . Ja, tatsächlich fanden grosse Verän­ derungen statt. Zu Beginn der Neunzi­ ger Jahre, als ich hier in Strassburg meine Tätigkeit aufnahm, zählte der Europarat 23 Staaten. Den in Mittel- und Osteuropa entstehenden neuen Demokratien diente er als Auffangla­ ger, stand er als erste europäische 
Or- Nur bescheidene Kleinstaaten werden ernst genommen ganisation offen, ehe sie um die späte­ re Mitgliedschaft in der EU ersuchen konnten. Immer mehr Länder wurden aufgenommen. Ein Höhepunkt war das Jahr 1996, als Russland beitrat. Damals meinten viele, dies sei der Ausverkauf des Europarats, und nah­ men eine sehr kritische Haltung ein. Heute spielt Russland eine konstrukti­ ve Rolle. Mit seiner Zugehörigkeit zum Europarat wird dessen gesamteuropä­ ische Dimension deutlich herausge­ strichen. Nach dem Beitritt der Kauka­ sus-Republiken 
und fast aller südost­ europäischen Länder ist der Europarat auf 43 Staaten angewachsen und um- fasst - bis auf Jugoslawien, Weissruss- land und Monaco - den gesamten Kontinent. ' 
Welches waren Ihre schönsten und wichtigsten Momente In Strassburg ? Zu den schönsten Momenten zählte der 8. November des letzten Jahres, als unser Aussenminister Dr. Ernst Walch den Vorsitz an Litauen übergab. Ich fühlte danach eine grosse Erleichte­ rung. Zu den schönen Erlebnissen zählt femer der Besuch des Fürsten, einer Abordnung des Landtages sowie von Regierungsvertretern am so ge­ nannten Liechtenstein-Tag, am 20. September 2001. Dies war ein Tag, den ich nicht so schnell vergessen werde. Gefreut habe ich mich ferner über die zahlreichen persönlichen Briefe, die ich anlässlich des Abschiedsempfangs erhielt. Den Vorsitz abzugeben war eine grosse Er­ leichterung Bei den wichtigsten Momenten möchte ich zwei Daten erwähnen: die Sitzung des Ministerkomitees am 12. September (einen Tag nach dem Ter­ roranschlag in New York), die ich mit einer Erklärung einzuleiten hatte, fer­ ner die Eröffnung der Europäischen Justizminister-Konferenz in Moskau, die ebenfalls" in die Präsidialzeit fiel. Trotzdem gab es bestimmt auch schwierige Zelten. Haben Sie In den letzten 10 Jahren auch mal daran gedacht, das Handtuch zu werfen ? Schwierige Momente gibt es in je­ dem Beruf. Momente, in denen man glaubt, dass man es nicht schafft, dass die Bürde zu gross sei. Dies führt dann gelegentlich zu schlaflosen Nächten. Während meiner Gymnasialzeit in Schwyz von 1954 - 1957 vertiefte ich mich in das Lebenswerk der Ordens­ gründerin von Ingenbohl Mutter Ma- ria-Theresia Scherer, die in schwieri­ gen Situationen stets gesagt haben soll: «Wenn wir alles tun, wird Gott uns helfen». Dieser Leitspruch einer le­ bensklugen Frau aus dem 19. Jahr­ hundert kam mir dann in den Sinn, aber ans Aufgeben habe ich nie ge­ dacht. Sie sind ja neben der Politik auch noch ein grosser Eisenbahnfan. Werden Sie die vielen Zugreisen von und nach Strassburg vermissen ? Ja, ich fahre oft mit dem Fahrrad auf die Strassburg gegenüberliegen­ de deutsche Seite. Es gibt dort sehr schöne Radfahrwege, aber vorbeirau­ schende Züge, vor allem ICEs, sind immer noch ein Anziehungspunkt für mich. Ich kenne zum Teil die Ab­ fahrtszeiten dieser Fernzüge und stelle mich zeitlich darauf ein, dass ich sie vorbeirauschen sehen kann. Übrigens fahre ich meistens, fast ausschliesslich mit dem Zug zurück nach Liechtenstein. Eines meiner nächsten Vorhaben, wird eine.Zug- fahrt in Norwegen sein, nämlich die berühmte Bahnstrecke von Oslo nach Bergen. Bewilligungspflicht für Tagesmütter Abänderung des Jugendgesetzes tritt am 1. Juli in Kraft Ab 1. Juli 2002 tritt die Abänderung des Jugendgesetzes in Kraft, wonach private Pflegeverhältnisse und Pfle­ geeinrichtungen künftig einer Bewil- ligungspflicht unterliegen. Eine Pfle­ gebewilligungsverordnung regelt die näheren Bedingungen und Voraus­ setzungen, unter welchen die Betreu­ ung von Minderjährigen stattfinden darf. Sinn dieser neuen Bestimmun­ gen ist es, die Qualität der Betreuung sicherzustellen. In Zukunft müssen private Pflegever­ hältnisse (z.B. Tagesmütter) und Ein­richtungen 
der ausserhäuslichen Pfle­ ge (z.B. Kindertagesstätten) vom Amt für Soziale Dienste vor Aufnahme des Pflegeverhältnisses 
bzw. des Betriebes bewilligt werden- Innerhalb eines Jah­ res 
nach Inkrafttreten dieses Gesetzes müssen Privatpersonen und Einrich­ tungen für bereits bestehende Pflege- verhähnlsse beim Amt für Soziale Dienste um eine Bewilligung ansu­ chen. Private Pflegeverhältnisse Bewilligungspflichtig ist ein Pflege­verhältnis, 
wenn das Kind von der Ta­ gesmutter gegen Bezahlung und min­ destens drei Monate lang während über 40 Stunden monatlich im eigenen Haushalt betreut wird. Von der Bewil­ ligungspflicht ausgenommen sind Ver­ wandte oder Verschwägerte bis und mit dem dritten Grad. Die Pflegeperson muss für jedes aufzunehmende Kind einen entsprechenden Antrag an das Amt für Soziale Dienste stellen. Sie muss nachweisen können, dass eine passende Familien- und Wohnsituati­ on sowie die persönliche erzieherische 
und gesw-tteHlkfu: Eignung gegeben ist- Dabti rd fcrfn« pädagogische Ausi)V.!izr.g cr/izmrt,' bcispiels- weiw d;s /ib-v/.'/lzmT.g eines Erste- Hiife-Kursss, Dzs Ami für Soziale Dienste prüft vor Aufnahme dts Pflegeverhältnisses das Vorliegen der Voraussetzungen. Tagesrnütter, Vielehe bei einer Einrich­ tung (Eltem-Kind-Forum) angestellt sind, werden bereits von dieser Ein­ richtung überprüft und müssen keinen Antrag an das Amt für Soziale Dienste stellen. 
Ausserhäusliche Pflege Pflegeeinrichtungen müssen künftig ebenfalls beim Amt für Soziale Dienste eine Bewilligung zur Betriebsaufnahme beantragen und entsprechenden Anfor­ derungen genügen. Der Antrag muss Angaben zum institutionellen Rahmen, zur Betriebsführung, zu den Räumlich­ keiten, 
zur Qualifikation und Anzahl des Personals sowie zu den pädagogi­ schen Grundsätzen enthalten. Genauere Auskünfte zur Bcwilligungspflicht 
von Pflegeverhältnissen kann das Amt für Soziale Dienste erteilen. (pqfl)
	        

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