Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

I iechiensteiner VOLKSBLATT 
KULTUR Samstag, 4. Mai 2002 1 5 «Schneeweisse 
Gebilde in meinem Inneren» Martin Negele aus Gamprin schafft lichtvolle Objekte aus Alabaster • * . '«* . * .• •* Im ehemaligen Wasehhäuschen- arbeitet Martin Negele an seinen Objekten, iin Reinigungspnucss der anderen Art. 
Seil gut 20 Jahren widmet sich Mar­ tin Negele dem dreidimensionalen Gestalten. Mehr oder weniger auto­ didaktisch versucht er sich an Email, Ton, Speckstein und Marmor. Bis ei­ ne leinkörnige Gipsvarietät alle an­ deren Materialien verdrängt. Dagmar üehr i Die pudrtge Samlheit vor dem letzten Sihlill. der sanfte Schimmer, wenn er S<innenIu ht 
getrocknet und poliert ist Marlin Ncgeles Leidenschaft heisst Alabaster. Sein Atelier ist ein altes Waschhäus- i hen. m dem die Bauernfrau früher mühsam ihre Wasche wusch. Auf dem rhemaliueii Ölen mit kuplcrkessi la­ uem seine Werkzeuge. Sage. Raspel. Sc 
hmirüclpapier. Die einzige Maschine eine Diamantsi lineide «geht wie durch Butter», wenn er sie auf seinem I lelilmustnaterial ansetzt. I rklärt das Martin Mcgeles Begeisterung für Ala- hasicr ' Die Arbeit mit dem weichen Material, das einen so geringen lecli- iiisi heri Aulwand erfordert, behagt ihm Die erste [ ormgehung mit grob c.i zahnten Sägeblättern nennt er «eine u n nder liare latigkeit». den letzten Schliff mit in warmem Wasser ge­ tunkten Schmirgelpapier ein «sinnli­ ches Vcmtuigeii". Vielleicht fesselt am Ii die Überraschung. die |eder der weissen Sieine mehr oder weniger 1 insc 
blosse in sich birgt? Therapie der Seele (lb Martin Negele mit Alabaster ar- heitci oder gelegentlich auf Ion oder Mannen zuruckgreift, die Ideen tau- c hen \oi seinem inneren Auge auf. Oft inspiriert durch irgendwelche formen oder Gegenstände, durch fluchtige licht und Schaltenspiele. «Plötzlich Die I ichtobiekte ans Alabaster tragen keine Namen. Ihre Schönheit und Aus- siige liegt ganz im Auge des Betrachters. 
sind da schnccwcissc Gebilde in rtici nen Inneren.» Oder er stosst beim Steinhandler auf einen Brocken Ala­ baster. in dem er grob eine form er­ kennt. Der Stein habe dann sozusagen ein «Mitspracherecht», lasse bestimmte formen zu und andere nicht. Oder ei­ ne form verlange geradezu danach, aus dem Block herausgearbeitet zu werden. So oder anders, Hauptsache dreidimensional, «für mich heule ein grosses Bedürfnis, ich mochte behaup­ ten eine 
Art Therapie der Seele». Drei­ dimensionales könne man aus tausend verschiedenen Blickwinkeln anschau­ en, sagl der Gampriner. dessen kunst lerisches Talent mit bis heute grade mal zwei Ausstellungen eher im Ver­ borgenen blubt. Der riiclu nur weiche, runde, von Hand gestaltete I ormen mag, sondern auch von der konkreten Kunst eines Max Bills laszinicrt ist. 
Von technischen Konstruktionen, wo nichts dem /ulall überlassen bleibt. Den immer noch das Gestalten mit plastischem Material, vor allem mit Ion reizt, den er selber brennt urul mit einer selbst entwickelten Technik in kaltem Zustand etnlarbt. Und das eine oder andere auch in Bronze giessen lasst. Der politisch interessiert ist, sich vom Weltgeschehen' berühren lasst und sich in seinen Skulpturen und In­ stallationen mit der Brutalität ausein­ andersetzt, mit der Menschen mitein­ ander umgehen. I iir seine Skulptur «In mir? In dir?» hat er auf einem Sockel aus einem echten fragment der Berli­ ner Mauer - uhers Internet organisiert die Aufschrift «In Bellast, in Pristiria, in Grosny?; In . in mir? In Dir?» angebracht. Gekrönt von einem Gebil­ de aus rostigem Slacheldraht. Seine frage: Ist Gewaltbereitschaft und Bru-talitiit 
nicht latent in uns allen vor­ handen? Seine lichtvollen Alabaster­ objekte sieht er als Gegenpole. Licht - gefasse, die das Gute, das Helle im Menschen, an das Martin Negele trotzdem glaubt, einlangen und (auf)bcwahrcn. Yin und Yang Wir fragen: Hat sieh Martin Negele sein Kunsthandwerk wirklieh ganz al­ leine beigebracht? Antwort: Nun, sei­ ne Grundausbildung zum Maschinen­ ingenieur helfe sicher soweit, dass er ein gutes räumliches Vorstellungsver-mögen 
und kaum technischc Proble­ me habe. Dazu kämen ein paar Grund­ kurse in plastischem Gestalten und in Bildhauerei. Und natürlich bcsuche er Ausstellungen, interessiere sich für moderne Architektur. Und wieso hat er den Keller voll von Kunstobjekten? Will er nicht davon leben? «Auf kei­ nen Fall», betont der 62-jährige, der in seiner Brotarbeit Ausbildungsberater für technische Berufe ist. «Nur schon, damit ich frei bleibe. Ich mache, was ich wiil und was mir Spass macht, in meinem Tempo». Um den Preis feilschen? «Njet» winkt er ab. «Take it or leave it. Es gibt Unverkäufliches, klar, aber meist bin ich froh, wenn Leute auf mich zukom­ men und sagen, das habe sie wahnsin­ nig angesprochen. Dann weiss ich, es wird auch aufgestellt.» Bis zur Pensio­ nierung wird er wohl weiterhin einen Grossteil seiner Freizeit im Waschhäus­ chen verbringen. Ideen hat er genug. Zu viele, um sie alle realisieren zu können. «Da muss ich 95 werden», scherzt Martin Negele. Beim Wünschen bleibt er beschei­ den: Wieder eine Schulklasse oder ei­ ne Gruppe von Erwachsenen in die faszinierende Welt des dreidimensio­ nalen Gestaltens begleiten dürfen - und einen Sponsor finden für die Ver­ wirklichung der grossen Würfelskulp­ tur Yin und Yang, Symbol für den «grossen Uranfang», die Schöpfung, in schwarz-weissem Marmor. «Das Mo­ dell ist sehr gut gelungen. Es enthält alles, was in Zusammenhang mit kon­ kreter Kunst verlangt wird». Sagt's und zieht den Kittel aus, mit dem er sich vor eben jenem Puder schützt, den der Alabaster bei seiner Bearbei­ tung freisetzt. Den könne er seiner Trau, seiner grössten Kritikerin und Quelle von Anregungen, bei aller Lie­ he nun doch nicht zumuten. ~ 
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rtÜ Der Stier - eine Ibntirbeit. die Martin Negele als Multiple in liron/e giessnt licss. 
Sponsor gesucht! Auf welchem grösseren Platz, vor welchem Gebäude wird •Yin und Yang', dann aus Marmor und in Lebensgrösse, von der Sonne beschienen werden ? IBilder: Paul Trümmer) TAKINO The Royal Tenenbaums Royal lenenhaum und seine Trau I thclinc hatten drei Kinder - Chas, Ri- chic und Margot - und dann trennten sie sich. Chas entdeckte seine Begeiste­ rung für den Immobilienhandel, bevor er seinen Stimmbruch hatte. Sein Ver­ ständnis für die Gesetzmässigkeiten des internationalen Finanzmarkts war ausserordentlich. Margot war eine ge­ leierte Autorin und gewann ihre ersten Preise, noch bevor sie ins Gymnasium kam. Kichie zeigte schon im Kindesal­ ter ein ungewöhnliches Talent für Ten­ nis. Spater gewann er die amerikani­ schen Meisterschaften dreimal in Fol­ ge. Alle Brillanz, alles Genie der Kinder scheint in den nächsten zwei Jahr­ zehnten in einer ungewöhnlichen Ansammlung von Niederlagen und Unglück beinahe verloren. Doch dann setzt Royal Tenenbaum, der nichts mehr liebt als seinen Martini, alles da­ ran seine Kinder zurückzugewinnen... Nach seinem viel beachteten Kulter- lblg «Rushmore» präsentiert Wes An­ derson mit «Die Royal Tenenbaums» 
eine herrlich skurrile Komödie voller schräger Vogel über den verrücktesten Familienclan der Tilmgeschichte. Gleichzeitig unglaublich witzig und bewegend traurig, wird Andersons ebenso hinreissend wie eigenwillig be­ bilderte Verbeugung vor New York von einem sensationellen Ensemble getragen, an dessen Spitze der zweifa­ che Oscar-Gewinner Gene Hacknian steht. Ausserdem mit dabei: Oscar-Ge­ winnerin Gwyrieth Pallrow, Komö- dienass Ben Stiller, Shooting Star Owen Wilson und Weltstar Anjeliea Huston, sowie Luke Wilson, Hill Mur­ ray und Danny Glover. «The Royal Te­ nenbaums» - ein aussergewöhnliches Filmerlebnis voller Schönheit, Wahr­ heit und stiller Komik, das den Zu­ schauer nicht kalt lassen wird. Mit einer Fülle von Momentaufnah­ men entwirft der Film das distanzierte Bild eines gesellschaftlich-familiären Universums, dessen introvertierte Be­ wohner er einfühlsam kariert und hin­ ter ihren absurden Fassaden dezente Trauer über vertane Lebensehancen aufspürt. «The Royal Tenenbaums» ist noch 
bis kommenden Montag jeweils um 20 Uhr im TaKino zu sehen. The man who wasn't there Line kalifornischen Kleinstadt Ende der vierziger Jahre: Der schweigsame Barbier Fd (,'rane hadert mit der Mo­ notonie seines Lebens. Unzufrieden mit Job und Ehe, scheint sich ihm plötzlich eine neue Chance zu bieten, als ein Kunde von dem Erfolg seiner Trockenreinigung erzählt und ihm an­ bietet, mit 10 000 Dollar Geschäfts­ partner seines florierenden Unterneh­ mens zu werden. Ed besehliesst, das ihm fehlende Geld von Kaufliaushesit- zer Big Dave zu erpressen, der ein Ver­ hältnis mit Eds Frau hat. Doch Big Da­ ve bekommt heraus, dass Ed der Er- j>resser ist und verwickelt ihn in ein tödliches Handgemenge .. . «The man who wasn't there» ist eine pechschwarze Ballade über Leiden­ schaft, Eifersucht, Verbrechen und Be­ trug. Fotografiert in glorreichem Schwarzweiss, kehren Joel und Ethan Coen mit ihrem neunten Spielfilm iji die wohlvertraute Welt des Film Noir 
zurück und erzählen die aberkomische Tragödie eines einfachen Friseurs. Wie immer bei den stilistisch perfekten Fil­ men des Brüderpaars ist die Besetzung hochkarätig: Billy Bob Thornton, Frances McDormand und James Gandolfini spielen die Hauptrollen in diesem faszinierenden Film. «The man who wasn't there» ist heu­ te Samstag um 22 Uhr im TaKino zu sehen. Domesticas In Brasilien gibt es so etwas wie ein unsichtbares zweites Land, jenes der Domesticas, der Hausangestellten. Sie heissen Cida, Roxanne, Quiterla oder Raimunda und sind tagaus tagein da­ mit beschäftigt, anderen den Haushalt zu besorgen und das Haus sauber zu halten. Alle (räumen sie von einer glücklichen Heirat, einem besseren Mann oder einer Karriere als Manne­ quin. «Domesticas» ist nun nicht etwa ein dokumentarischer Report über Hausangestellte, es ist vielmehr ein schmissiger Spielfilm voller Witz und Humor, der für einmal ganz einfach 
Menschen hinter den Kulissen einer lateinamerikanischen Grossstadt (in diesem Fall ist es Säo Paolo) zu Haupt­ figuren macht. Es ist eine Komödie mit hervorragenden Schauspielerinnen, die so echt wirken, dass man mitunter das Gefühl bekommt, sie alle seien längst wieder in den Küchen am Put­ zen. «Domensticas» ist auch ein starkes Stück lateinamerikanischer Realität. Die brasilianische Autorin Renata Me- lo hat sich intensiv mit den Dom&ti-^ cas auseinandergesetzt und schafft es, das Leben hinter den Kulissen auf amüsante und dennoch vielschichtige An zu beschreiben. Während die «Herrschaften» gar nicht sichtbar wer­ den, sind wir ganz auf der Seite der Hausangestellten. Ihr Lebensrhythmus prägt den Film. Ihre Statements über Gott und die Welt kommentieren das Geschehen. Auf alle Fälle schliessen wir sie unverzüglich ins Herz, Cida, Roxane, Quitdria, Raimunda, Creo und die anderen. Der Film überzeugt, weil er bei allem Unterhaltungswert ein ho­ hes Mass an Authentizität behält. «Domesticas» ist morgen Sonntag um 18 Uhr im TaKino zu sehen.
	        

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