Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT AUSLAND Samstag, 16. März 2002 
39 Frankreich kompromissbereit EU-Gipfel in Barcelona: Jospin fordert gemeinsames Mindestmass an Verpflichtungen BARCELONA: Frankreich will sich der von den restlichen EU- Staaten angestrebten Öffnung der Energiemärkte grundsätz­ lich nicht länger widersetzen. Staatspräsident Jacques Chirac sagte beim EU-Gipfel in Barce­ lona am Freitag, unter be­ stimmten Bedingungen sei eine Liberalisierung akzeptabel. Bundeskanzler Gerhard Schrö­ der zeigte sich zuversichtlich, dass die Staats- und Regierungs­ chefs einen Kompromiss erzie­ len würden. Finanzminister Hans Eichel sagte: «So etwas wie eine stufenweise Öffnung wird sicherlich ein Ergebnis sein.» Frankreich blockiert seit Jahren die von allen anderen Mitgliedstaaten be­ fürwortete Liberalisierung. Der franzö­ sische Premierminister Lionel Jospin sagte, ein Zeitplan für die Liberalisie­ rung rciche nicht aus. Es müsse ein ge­ meinsames Mindestmass an Verpflich­ tungen für die öffentliche Versorgung definiert werden, die das Recht auf Zu­ gang zum Strommarkt und angemes­ sene Tarife für alle Verbraucher garan­ tierten. Eine Rcgulicrungsbehörde müsse dies gewährleisten. Schröder sagte, er sei sich sicher, dass ein Kom­ promiss mit Frankreich möglich sei: «Die Richtung muss stimmen, und das scheint erreichbar.» Die EU-Kommission hat vorgeschla­ gen, dass Unternehmen ihren Strom­ anbieter 2003 und 2004 auch ihren Gasanbicter frei wählen können. 2005 will die Behörde diesen Zugang allen Verbrauchern ermöglichen. Frankreich aber will allenfalls die Märkte für Ge­ schäftskunden öffnen, weil Paris bei der völligen Liberalisierung den Ab­ bau von Arbeitsplätzen und einen zu grossen Einfluss ausländischer Firmen auf die heimische Energieversorgung befürchtet. NeuordnungJugos- BELGRAD: Der serbische Justizmi­ nister Viadan Batic hat die geplante Umstrukturierung Jugoslawiens in zwei nahezu unabhängige Staaten Serbien und Montenegro als «un­ haltbar» kritisiert. «Diese Imitation eines Staates kann nicht lange über­ leben», sagte Batic am Freitag. Solch ein Staatsgebilde gebe es bisher we­ der in der Praxis, geschweige denn in der Theorie. Die Vereinbarung über die Neu­ ordnung Jugoslawiens war am Don­ nerstag von Vertretern Serbiens und Montenegros unterzeichnet worden. Sie kam unter Vermittlung der Eu­ ropäischen Union zu Stande. Die Bundesrepublik Jugoslawiens soll danach in Serbien und Montenegro umbenannt werden. Mit dem Ab­ kommen, das noch vom Bundespar­ lament und den Parlamenten der beiden Republiken ratifiziert werden muss, soll ein Aüseinanderbrechen des Balkanstaates verhindert wer­ den. Die Aussen- und Verteidi­ gungspolitik soll in gemeinsamer Verantwortung bleiben. Währung, Zollsystem und Wirtschaftspolitik sollen aber künftig in eigener Regie betrieben werden. Das Abkommen sieht jedoch auch die Möglichkeit einer völligen Unabhängigkeit der Republiken Serbien und Montene­ gro nach drei Jahren vor. Der jugoslawische Staatspräsident Vojislav Kostunica sprach von ei­ nem endgültigen Bruch mit dem Re­ gime seinen Vorgängers Slobodan Milosevic. Auch der serbische Fi­ nanzminister Bozidair Djelic äusserte sich positiv. Dies werde zu einer ra­ scheren wirtschaftlichen Entwick­ lung Serbiens beitragen, sagte er zu Journalisten. 
Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac (links) sagte, das unter bestimmten Bedingungen die Öffnung der Energiemärkte akzeptabel sei. (Bilder: Keystone) 
gleichberechtigten Staat neben Israel zeichnete. Am Mittag wurden die Staats- und Regierungschefs der 13 Beitrittskandi- daten in Barcelona empfangen. Sie nahmen erstmals an einer Diskussion des Europäischen Rates teil, bei der es um Themen ausserhalb des Beitritts- prözesses ging. Am Rande des Gipfels vereinbarten Schröder und EU-Kom­ missionspräsident Romano Prodi regel­ mässige Konsultationen vor europä­ ischen Räten. Schröder machte dabei klar, dass er weiterhin deutsche Interes­ sen mit Nachdruck in der EU vertreten werde. Während am Donnerstag in Bar­ celona 
rund 50 000 Globalisierungs- gegner friedlich demonstriert hatten, kam es am Freitag zu Krawallen. In de­ ren Verlauf wurden mindestens fünf Personen festgenommen. Die spanische Polizei leitet für den Gipfel ihren grös- sten Einsatz seit den Olympischen Spie­ len in Barcelona 1992. Eichel zeigte Verständnis dafür, dass Frankreich sich vor den Präsident­ schafts- und Parlamentswahlen kaum bewegen könne. Demgegenüber sagte der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, es gehe nicht an, dass einzelne Länder ihre Märkte ab­ schotteten und mit der Monopolrendi­ te in anderen Ländern auf Einkaufs­ tour gingen. EU fordert volle Bewegungs­ freiheit für Arafat Die Staats- und Regierungschefs wollten ferner Israel auffordern, dem palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat wieder unbegrenzte Bewe­ gungsfreiheit zuzugestehen. Dies ging aus dem Entwurf einer Nahost-Er­ klärung hervor, die der Gipfel verab­ schieden wollte. Darin fordert die EU Israel auf, «unmittelbar alle noch be­ stehenden Einschränkungen ... aufzu­ heben». Zugleich stellte sich die EU in dem Entwurf hinter die jüngste Reso­ lution des UN-Sicherheitsrats, die erst­ mals 
die Vision von Palästina als 
- -Hrf? >4»! Rande des EU-Gipfels ist es am Freitag zu Ausschreitungen zwischen De­ monstranten und der Polizei gekommen. US-Gesandter Zinni sehr zuversichtlich hage in Nahost etwas entspannter JERUSALEM: Der US-Sondergesandte Anthony Zinni hat sich am Freitag nach ersten Gesprächen mit Israelis und Palästinensern sehr zuversicht­ lich gezeigt, dass sich beide Seiten in den kommenden Tagen auf einen Waffenstillstand verständigen. Die israelische Armee zog sich nach ihrem grössten Einsatz seit der Inva­ sion Libanons 1982 aus mehreren besetzt gehaltenen Städten im West­ jordanland zurück. Bei anhaltenden Gefechten und einer Explosion ka­ men aber auch wieder mindestens neun Palästinenser ums Leben, da­ runter vier Kinder. Zinni, der zuerst mit dem israelischen Verteidigungsminister Binjamin Ben Elieser und Aussenminister Schimon Peres gesprochen hatte, sagte am Frei­ tagabend nach einer 90-minütigen Unterredung mit dem palästinensi­ schen Präsidenten Jassir Arafat, seine bisherigen Treffen seien «sehr positiv» •gewesen. «Ich denke, wir können in den kommenden Tagen mit der Umset­ zung des Plans beginnen, den wir mit­ gebracht haben.» Ähnlich optimistisch äusserten sich auch Ben Elieser und Peres. Zinnis Mission sei schwierig, ein Erfolg aber möglich, sagte Peres, «denn beide Seiten wollen ihn und brauchen ihn». ~ •%• Die israelischen Truppen begannen am Donnerstag wenige Stunden nach der Ankunft Zinnis mit ihrem Rückzug aus Ramallah, Tulkarem und Kalkilja und hatten ihn am Freitag abgeschlos­ sen. Sie blieben "aber in Bethlehem und Beit Dschalla und hielten die Flücht­ lingslager Dheischeh und Aida mit 
Der amerikanische Nahostbeauftragte Anthony Zinni (links) hat sich nach sei­ nem Treffen mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat in Ramallah sehr ermutigt über seine bisherigen Gespräche geäussert. Panzem umstellt. Israel erfüllte damit die nachdrückliche Forderung der USA nach einem vollständigen Rückzug nicht. Ministerpräsident Ariel Scharon sägte, die Truppen würden sich zurückziehen, sobald die Operationen zur Terrorbekämpfung beendet seien. Der palästinensische Unterhändler Sajeb Erakat betonte vor der Unterre- 
X dung Arafats mit Zinni, die Palästi­ nenser bestünden darauf, dass sich die israelischen Truppen vor der Aufnah­ me von Waffenstillstandsverhandlunr gen aus den Autonomiegebieten voll­ ständig zurückziehen müssten. Diese Forderung wiederum wurde von Israel zurückgewiesen. Die Europäische Union fordert für Arafat eine unbegrenzte Reisefreiheit.' Dies ging aus dem Entwurf einer Nah­ ost-Erklärung hetvor, den die Staats­ und Regierungschefs bei ihrem Gipfel­treffen 
in Barcelona erörterten. Darin wird Israel aufgerufen, «unmittelbar alle noch bestehenden Einschränkun­ gen von Arafats Bewegungsfreiheit aufzuheben». Frau und vier Kinder bei Explosion getötet Bei den anhaltenden Auseinander­ setzungen erschossen israelische Sol­ daten im Gazastreifen drei Palästinen­ ser. Einer von ihnen soll versucht ha­ ben, eine Bombe zu legen. Bei einer Explosion am Rande des Flüchtlings­ lagers Bureidsch im Gazastreifen wur­ den eine Frau und vier Kinder getötet. Die Palästinenser warfen der israeli­ schen Armee vor, den Sprengsatz dort deponiert zu haben. Israel wies diese Darstellung zurück. Im Westjordan- land wurde ein mutmasslicher palästi­ nensischer Kollaborateur erschossen. 
Falun-Gong- Anhänger demon­ strieren weiter HONGKONG: Wenige Stunden, nach ihrer Freilassung haben die vier / Schweizer Falun-Gong-Anhänger ihren Hungerstreik vor der chinesi­ schen Vertretung in Hongkong wieder aufgenommen. Sie wollen ihre Pro­ testaktionen bis am Samstag weiter­ fuhren. «Wir verbrachten neun Stun­ den in Haft», sagte Eric Bachmann, ei­ nes der Schweizer Falun-Gong-Mit- glieder der Nachrichtenagentür sda am Freitag. Neue US-Angriffe GARDES: Die Offensive gegen El-Kai- da- und Taliban-Kämpfer in den Ber­ gen Ostafghanistans ist am Freitag mit neuen 
Bombenangriffen fortgesetzt worden. Nach Einschätzung der US- Armee ist der Kampf noch lange nicht beendet. «Der Kampf geht in den be­ nachbarten Zonen des Tals Schahi Kot weiten», sagte ein Kommandant der an der Seite der US-Truppen kämpfenden afghanischen Streitkräfte in Gardes. Die Basis der El Kaida und der Taliban sei zerstört. Tsvangirais Be­ teiligung verlangt JOHANNESBURG/HARARE: Südafri­ kas Präsident Thabo Mbeki drängt sei­ nen Kollegen Robert Mugabe in Sim­ babwe, die Opposition an der Regierung zu beteiligen. Das soll die internatio­ nale Kritik an Verlauf und Ergebnis der Präsidentenwahl entschärfen. Mbeki habe Mugabe am Donnerstag einen Vorschlag überbringen lassen, der da­ rauf hinauslaufe, den Wahlverlierer Morgan Tsvangirai in eine Regierung der Nationalen Einheit aufzunehmen, verlautete in Pretoria. Verlegung der Hindu-Zeremonie AYODHYA/INDIEN: Der Disput um ei­ ne umstrittene Hindus-Zeremonie in der indischen Stadt Ayodhya scheint entschärft: Der zuständige Hindupries­ ter Ramchandra Das kündigte am Freitag unerwartet an, die Feierlichkei­ ten auf ein Gelände ausserhalb des Tempelareals verlegen zu wollen. Ei­ nen für das Tempelgelände bestimm­ ten Pfahl könne er ausserhalb des Geländes an einen Mittelsmann über­ geben, sagte Das. Anklage gegen Dutroux BRÜSSEL: Einer Anklage gegen, den Kinderschänder Marc Dutroux steht nichts mehr im Wege. Die belgischen Behörden schlössen die, Faktensamm­ lung zur Entführung von sechs Mädchen, von denen vier starben, ab. Dies bestätigte Untersuchungsrichter Jacques Langlois der belgischen Nach­ richtenagentur Belga am. Freitag. Das Dossier, das ursprünglich schon Ende Februar fertig sein sollte, werde in Kürze an die Staatsanwaltschaft ge­ hen. Diese kann dann ihre Anklage formulieren. US-Atompläne kritisiert SEOUL: Die nordkoreanische Regie­ rung hat die US-Geheimpläne für möglichem Atomwaffeneinsätze gegen sieben Länder, einschliesslich Nord­ korea, heftig kritisiert. Washington setze seine Politik der «atomaren Er- ' pressung» fort, hless es am Mittwoch in der ersten nordkoreanischen Stel-. lungnahme zu entsprechenden Berich­ ten. Die US-Regierung verfolge einen «grausamen Plan» für ein erneutes weltweites Wettrüsten.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.