Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
SPORT Donnerstag, 10. Januar 2002 
1 9 Volksblatt-Gespräch mit dem ehemaligen Weltklassespringer Stefan Zünd An der diesjährigen Vierschan­ zentournee wurde durch Sven Hannawald ein Mythos ge­ knackt. Die Skisprungszene fei­ ert einen neuen König und das «Volksblatt» spricht mit einem Kenner dieser Szene, dem in Eschen wohnhaften ehemaligen Schweizer Weltklassespringer Stefan Zünd. Mit Stefan Zünd sprach Rene Schacre r In den letzten Tagen standen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen vier grosse Skisprungschanzen, mit dem Deutschen Sven Hannawald aber zweifelsohne nur ein grosser Springer im Zentrum des Sport-Interesses. Nach Hannawalds vierfachem Triumph an der 50. Vicrschanzentournee betitelten ihn die Medien als «Flugsaurier», als «Svenomenal», «Svensationell» und die Ulmcr Südwest Presse gar als «Flieger in die Unsterblichkeit». Dies veranlas- sie das Volksblatt, mit einem kompe­ tenten Kenner der internationalen Ski­ sprungszene einmal etwas «Fach zu simpeln» und auch einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Die Schweiz hat im Skispringen und in vergangenen Zeiten immer wieder Spitzenathleten mit grossen Namen hervorgebracht. Man erinnere sich diesbezüglich an einen Andreas Dii- scher, einen Walter Steiner, Hans Schmid, Hansjörg Sumi oder beispiels­ weise auch an einen Stefan Zünd. Und gerade bei diesem viermaligen Welt­ cup-Sieger Stefan Zünd war das «Volksblatt» zu Gast, wohnt er heute doch in Eschen. Ich fühlte mich plötz­ lich wie ein Auto mit einigen zusätzlichen PS Volksblatt: Stefan Zünd, es sind ziemlich genau zehn iahre her, seit Sie internationale Skisprungge­ schichte geschrieben haben. Was macht der einstige Weltklasse-Flie­ ger heute In Eschen? Stefan Zünd: Ich geniesse das Leben mit meiner jungen Familie, mit meiner Frau Christine, meiner Tochter Isa-So- phie (2 Jahre) und meinem Sohn Sera- fin (3 Monate), ich geniesse die Part­ nerschaft und auch das Leben in Liechtenstein. Daneben arbeite ich als Jurist in einer Anwaltspraxis aber auch an meiner beruflichen Zukunft. Welches waren die grössten Erfolge in Ihrer Sportkarriere? Insgesamt holte ich vier Weltcup- Siege im Springen und einmal gewann ich den Gesamtweltcup im Skifliegen. Es gab auch vier Titel an Schweizer Meisterschaften und eine 
Olympiateil- Nach Stefan Zünd können leichte Ski­ springer weiter fliegen. Dies hat der heute in Eschen lebende Schweizer zu seiner Aktivzeit am eigenen Körper erfahren. 1986 lernte Zünd vom der­ zeitigen Wildhauser Skiflieger Walter Steiner, dass die Ernährung im Spit­ zensport eine mit entscheidende Rolle spiele. Das Vorbild sprach damals je­ doch das richtige Essen und nicht et­ wa das Hungern an. Doch Zünd ging von der Meinung aus, dass weniger Gewicht auch mit grösseren Sprung­ weiten verbunden sei. Zur Gewichts­ reduktion strich sich Zünd seinen Ernährungsplan zusammen, er ver­ zichtete auf alles Unnötige und später selbst auf das Brot. Eine gewisse Zeit lang lebte Zünd als Klosterschüler in Einsiedeln praktisch nur von Mineral­ wasser, bis Symptome typischer Störungen auftraten: täglich zweimal 
Stefan Zünd wechselte nach Stabilitätsproblemcn in der Paralleltechnik als einer der ersten Springer überhaupt zum V-Stil. nähme in Albertville. Wie oft ich im Springen und Fliegen an Europa- und Weltmeisterschaften teilgenommen habe, weiss ich nicht mehr. Die «Ära Zünd* war jene Zelt, in der vom Parallelsprung zum V-Stil ge­ wechselt wurde. Sie haben be­ stimmt beide Techniken miterlebt. Wo lagen die Vorteile des einen oder des andern Stils? Ja, vorerst bin ich in der Parallel­ technik gesprungen, wobei ich immer wieder.Stabilitätsprobleme hatte.- Mei­ ne 
Skier drifteten häufig zur Seite. Da­ her wechselte ich als einer der ersten Springer überhaupt zum V-Stil, der mir bedeutend mehr Sicherheit und auch mehr Aerodynamik brachte. Die­ se Wechselphase war sehr spannend, denn ich fühlte mich plötzlich wie ein Auto mit einigen zusätzlichen PS. Gab es seit Ihrem Rücktritt vom Ski­ sprungsport im Jahre 1996 auch materialtechnische Veränderungen? Ja. Die Anzüge sind heute enger ge­ schnitten und die Skier sind etwas schmaler geworden. Es gab auch eini­ ge regeltechnische Korrekturen, um Leichtgewichtler nicht allzu sehr zu bevorteilen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es beim Skispringen in diesem Zusammenhang dereinst sogar einmal verschiedene Gewichtsklassen geben wird. Vater Hannawald hat seinen Sohn nach der Vierschanzentournee als eine «wilde Sau» bezeichnet. .Wür­ den Sie heute noch einen Sprung von einer Grossschanze wagen? Oder anders gefragt: Wo würden Sie etwa landen, wenn Simon Ammann 120 Meter springt? auf der Waage stehen, den Kameraden skeptisch in den Teller schauen, feh­ lende Trainingsmotivation und Unlust auf alles, 
ausser aufs Essen. Im De­ zember 1992 erfolgte Zünds physi­ scher und psychischer Zusammen­ bruch. Es mangelte an Kondition, an Muskulatur und Körperstärke. Zünd benötigte ein ganzes Jahr, um sich wieder hochzurappeln. Stefan Zünd heute: «Während die­ ser Akutphase des Hungerns hätte ich das Einmischen von Trainerseite als Misstrauensvotum betrachtet, denn die ganze Angelegenheit war weit diffiziler als sie tatsächlich erschien.» Die Schweizerische Arbeitsgemein­ schaft für Sportpsychologie sorgte in der Folge für Lösungsansätze zur Sensibilisierung vori Trainern, um Es- sstörungen bei Athleten vorzeitig er­ kennen zu können. 
Dies ist eine schwierige Frage. Wenn man zuoberst auf einer Schanze steht, muss grundsätzlich jeder Skispringer eine «wilde Sau» sein. Aber dennoch würde ich heute ohne 
Trainingssprün-mann 
hat aber ohne weiteres das Zeug, um einen Hannawald, einen Hautamäki oder einen Schmitt abzulö­ sen. Bis Jetzt haben sich In der Schweiz ge wohl kaum über eine Grossschanze 
erst Simon Ammann, Sylvain Jurist und glücklicher Familienvater: Stefan Zünd mit seiner Tochter Isa-Sophie. springen. Ich sage es einmal so: Mit 20 Sprüngen von einer 60 m Schanze und 30 Sprüngen von einer Grossschanze dürfte vielleicht noch ein 80- bis 90- m-Satz drinliegen. In Liechtenstein hät­ ten wir für ein Ski­ sprungteam günstige Voraussetzungen Simon Ammann hat eigentlich erst diese Saison so richtig den Knopf aufgemacht. Ist er ein Zünd-Nachfol- ger oder Ist 
dies gar der Beginn ei­ ner neuen Schweizer Skisprung-Ära? Für den Schweizer Skisprungsport ist typisch, dass ungefähr alle zehn Jahre ein Athlet kommt, der vorne mitmischen kann. Das war von Dä- scher zu Steiner so, von Steiner.zu Schmid u.s.w. und zieht sich praktisch wie ein roter Faden durch die Ge- • schichte. Simi Amrpann passt genau in diesen Rhythmus. Ohne ihn wäre das Schweizer Skispringen vom Ausster­ ben bedroht, denn die Schweiz verfügt einfach nicht über das notwendige Nachwuchspotenzial wie beispielswei­ se Deutschland, Österreich oder Japan, um immer vorne dabei zu sein. 
Am-Frelholz 
und Andrea? Küttel für Olympia qualifizieren können. Mei­ nen Sie, dass es Marco Steinauer auch noch schaffen wird und die Schweiz In Salt Lake auch als Team antreten kann? Meiner Meinung nach ist es egal, ob Steinauer die verbandsinternen Quali- fikationsvorgaben erfüllt oder nicht. Bei der jetzigen Konstellation sollte man ihn einfach mitnehmen, um ein besseres Team bilden zu können. Im Teamwettbewerb werden nur die drei , besten Resultate gewertet. Wenn die Schweiz also nur mit drei Springern nach Salt Lake reist, kann sie sich kein Streichresultat leisten. Gibt es ein Patentrezept, um ein guter Skispringer zu werden? Wie kann man das Skispringen lernen? Als wichtigste Komponenten be­ trachte ich einen leichten Körperbau und die Möglichkeit, in jungen Jahren mit einem gezielten Aufbautraining. beginnen zu können. Hierzu werden kompetente Jugendtrainer benötigt, um einen stabilen Grundstein zu legen. In Liechtenstein haben wir einige gutö Alplnfahrer und einige gute Langläufer. Es gibt aber keine Ski­ springer. Wie würde sich ein Stefan Zünd verhalten, wenn er. mit dem 
Aufbau eines liechtensteinischen Sklsprung-Teams konfrontiert wäre? Diese Frage ist mir bis jetzt noch nie gestellt worden. Eine solche Aufgabe wäre, für mich natürlich reizvoll und daher wäre ich auch zu Gesprächen bereit. Nur nicht gerade von heute auf morgen. In Liechtenstein hätten wir für ein solches Projekt sogar noch günstige Voraussetzungen, da man al­ lenfalls mit Vorarlberg oder dem Si­ mon Ammann-Verein Wildhaus unter der FL-Flagge eine Trainingsgemein­ schaft bilden könnte. Ich wollte einfach meine 60 Kilogramm halten, aber mein Kör­ per liess dies nicht zu Der heute 22-jährige Simon Am­ mann ist 170 Zentimeter gross und wiegt nur gerade 50 Kilogramm. In einem andern Zusammenhang ha­ ben wir vorhin von einer «wilden Sau» gesprochen, wir kennen aber die Philosophie, dass leichte Ski­ springer weiter fliegen können. Wie bezeichnen Sie heute einen «Stefan Zünd 
1992», der aus sportlichem Ehrgeiz und aus Liebe zur Leistung bis zum Zusammenbruch sogar auf das Brot verzichtet und sich nur mit Wasser ernährt hat? Dies war kein Fehltritt, sondern ein Experiment. Allerdings wäre es besser gewesen, wenn ich früher gemerkt hätte, dass es genug war. Ich wollte einfach meine 60 Kilogramm halten, aber mein Körper liess dies nicht zu. Trotz meines Gewichts konnte ich da­ mals vorne' mithalten, also war mir klar, dass ich mit weniger Kilos besser hätte sein können als die andern. Im übrigen zeigt eine Statistik, dass die Springer seit 1992 immer leichter ge­ worden sind. Mit der zunehmenden Professionalisierung innerhalb des Skisprungsportes hat sich in den ver­ gangenen zehn Jahren der Leicht­ gewicht-Flieger immer mehr als Idealtyp herauskristallisiert. Schwere Springer haben es auch deutlich schwerer. Wohin führt der heutige Skisprung­ sport? Sind diesem Sport keine Grenzen gesetzt? Irgendwo muss es unbekannte Gren­ zen geben. Bestimmt werden dereinst aber 250 m, dann 280 m, dann 300 m und eines Tags vielleicht auch 500 m gesprungen. Hierzu benötigte man vielleicht metallisierte Anzüge, ver­ stärkte Skier, noch grössere Schanzen, noch mehr km/h. aüf dem Schanzen­ tisch und noch mehr Risikobereit­ schaft. Die Zukunft wird es weisen.
	        

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