Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2002)

22 Dienstag, 12. Februar 2002 
EXTRA Liechtensteiner VOLKSBLATT no 
«Der Pakt der Wölfe» Milos Forman ist 70 Film-Hitparade Ein Wolf im 
Kung-Fu-Pelz «Der Pakt der Wölfe» ist der erste französische Kostüm-Martial-Arts-Film Von einer unsichtbaren Furie gehetzt, flieht ein Bauern­ mädchen über nebelverhangene Felder, bevor es von dem Üntier, von dem man nur das Fauchen hört, zerfleischt wird. Gut ge­ brüllt: Schon beim adrenalin­ trächtigen Auftakt stürzt einen der französische Actionfilm «Der Pakt der Wölfe» in Verwir­ rung. Das Mädchen sieht aus wie aus einem teuren Kostüme- pos, doch sein Tod ist so blut­ rünstig voyeuristiSch inszeniert wie in einem Splatterfilm - und so hektisch wie bei MTV. Zwischen den Jahren 1765 und 17.68 tötete in der südfranzösischen Provinz eine Bestie Hunderte von Menschen. Der nie aufgeklärte Fall dient als Inspi­ ration für ein wüstes Schauermärchen, bei dem beherzt in die Mottenkiste der Genres gegriffen und alles mit einer Überdosis der angesagten filmischen Beschleunigungstechniken aufgetunt wurde - noch schneller, noch lauter, noch blutiger. Dekadente Adelige, abergläubische Leibeigene, intrigante Kleriker und viele Wölfe treiben ihr Unwesen in der abgeschiedenen Region. Der Naturwis­ senschaftler Grtgoire de Fronsac (Sa­ muel Le Bihan), der im Auftrag von Louis XV. die Gräueltaten aufklären soll, macht sich mit seinen aufkläreri­ schen Meinungen schnell Feinde. Vor allem aber provoziert sein Blutsbruder Mani, ein Indianer, der mit Bäumen spricht. Gleich zu Anfang gibt der an­ sehnliche Irokese einen politisch-kor­ rekten Vorwand her für eine ausufern­ de Martial-Arts-Schlägerei mit illitera- tem Gesocks, das gestylt ist wie Skinheads des Ancien Regime. 
Schauspieler Samuel Le Bihan In der Rolle des Natuni'issenschaftlers Gregoire de Fronsac im Film «Der Pakt der Wölfe. De Fronsac versucht in dem Film eine unheimliche Mordserie aufzuklären. (Bild: Keystone) Mark Dacascos, der durch Christo­ pher Gans' Martial-Arts-Melodram «Crying Freedom» bekannt wurde, hat mit 18 Jahren die Europameisterschaft in Kung-Fu gewonnen - als edle Rot­ haut mit esoterischem Naturverständ- nis und Kampfsportkünsten passt er iu den reaktionären Provinzburschen wie die Faust aufs Auge. Neben weiteren bizarren Dingen gibt es auch noch ei­ne 
geheimnisvolle Kurtisane und Agentin, Star des ortsansässigen Bor­ dells (Monica Bcllucci diesmal gänz­ lich nackt), deren einziges Charakteris­ tikum in ihrer Glutäugigkeit besteht. Weder die mit heftigen Hin- und Hergezoom gefilmte Kung-Fu-Szcne noch die Fleischbeschau im Bordell machen dramaturgisch Sinn - Regis­ seur Christopher Gans fand es wohl an 
der Zeit, etwas Haut zu zeigen. Es ist geradezu entwaffnend, mit welcher Unbekümmertheit er disparate Story- Elemente zusammenpappt und noch nicht einmal davor zurückschreckt, dein hanebüchenen Genre-Mix - das europäische Erbe verpflichtet halt doch - einen Hauch von Rousseau und eine philosophische Message überzu­ stülpen: Der Mensch ist dem Mensch 
ein Wolf. Reisserisch ist gar kein Aus­ druck für diese hochtourige und zeit­ weise hochpubertäre Mischung aus Kostümfilm, Special-Effects-Spekta- kel, Horror, Kung-Fu, Werwolf-Mär- chen und Sex, deren horror vacui in jeder Sekunde spürbar ist. Das Merk­ würdigste daran ist, dass diese Mi­ schung funktioniert: Zwar fühlt man sich fortwährend wie im falschen Film, kapituliert aber bald angesichts des wilden Gebräus, das durch viel stilisti­ sches Fingerspitzengefühl zusammen­ gehalten wird und einen mit düster- berauschenden Bildern immer wieder in seinen Bann zieht. B-Movie mit A-Ausstattung «Der Pakt der Wölfe» ist ein B-Movie mit einer A-Ausstattung, die vor allem atmosphärisch 
viel hermacht, eine 200-Millionen-Franc-Anstrengung der französischen Filmindustrie, die ihre Muskeln zeigt. Wer hat da Angst vorm bösen Wolf aus Hollywood? Seht her, ihr Amis, scheint jede angeberi­ sche Einstellung zu rufen, auch wir können lausig teure und lausig schlechte Filme machen, und unsere Schlösser sind echt und unsere Schau­ spielerinnen erotischer als eure. Christopher Gans, vor seiner Rcgis- seurskarriere Filmmagazin-Verleger, der sich verkannten Horror- und Science-Fiction-Streifen widmete, scheint sich mit seiner an angelsächsi­ schen Filmen wie «Matrix» und Tim Burtons «Sleepy Hollow» geschulten Extravaganza einen Spass daraus zu machen, weltweit Cineasten vor den Kopf zu stossen, die von französischen Filmen viel Reden, subtile Psycholo­ gie, aber gewiss keine Action erwarten. Das Ergebnis dieser filmischen Kraft­ anstrengung könnte man auch als - unterhaltsame - Identitätskrise be­ zeichnen. Zwei Welthits, zwei Oscars, etwas Glück Tschechisch-amerikanischer Regisseur Milos Forman wird 70 Jahre alt 
FILMHITPARADE Der Schweizerische Kino-Verband er­ mittelt jeden Freitag die Liste der 20 meistbesuchten Filme der vergange­ nen Woche in den Kinos der deutschen Schweiz. Die repräsentativen Angaben stammen aus. 85 Kinobetrieben in al­ len wichtigen Städten der deutschen Schweiz. Die Filmhitparade nennt den Rang dieser Woche, den VoTwoqhenrang (in Klammer), den Filmtitel sowie den Re­ gisseur des Films. «Neu» 
heisst neu auf der Liste, «ern» heisst emeut auf der Liste. 1 (1) OCEAN'S ELEVEN Steven Soderbergh 2 (2) VANILLA SKY Cameron Crowe 3 (3) THE LORD OF THE RINGS Peter Jackson 4 (4) THE MAN WHO WASNT THERE Joel Coen-Brothers 5 (neu) MONSTERS INC. P. Docter/D. Silverman fr (neu) MONSOON WEDDING Mira N'air 7 (9) L'ULTIMO BACIO Gabriele Muccino 8 (10) MULHOLLAND DRIVE David Lynch 
9 (neu) 0 Tim Blake Nelson 10 (5) THE OTHERS Alejandro Amcnäbar 11 (neu) WAS TUN WENN'S BRENNT Gregor Schnitzler 12 (8) LE PEUPLE MIGRATEUR Jacques Perrin 13 (7) HARRY POTTER Chris Columbus 14 (6) DONT SAY A WORD Garry Fieder 15 (neu) BEHIND ENEMY LINES Jöhn Moore 16 (13) AMELIE DE MONTMARTRE J.-P. Jeunct 17(neu)MOMO Enzo D'Alo 18 (11) THE PRINCESS DIARIES Gariy Marshall 19 (15) LUCIA Y EL SEXO Julio Medem 
FRANKFURT/MAIN (AP): Etwas Glück gehört wohl zu jeder Karriere in der Filmbranche. Denn Begabung und Können allein machen einen Re­ gisseur nicht automatisch zum zwei­ fachen Oscar-Preisträger und Schöp­ fer der Kinoklassiker «Einer flog über das Kuckucksnest» und «Amadeus». Milos Forman, der am 18. Februar 70 Jahre alt wird, hatte dieses Glück 1975 in Form eines Päckchens, in dem ein Buch lag, «von dem ich noch nie gehört hatte, verfasst von einem Autor, den ich nicht kannte», wie der gebürtige Tscheche, der Amerikaner wurde, später erzählt hat. Mit dem für heutige Hollywood-Ver- hältnisse lächerlich geringem Etat von 2wei Millionen Dollar und Jack Nicholson in der Hauptrolle wurde der Film über'eine Psychiatrie-Station in den fünfziger Jahren 1976 mit den fünf wichtigsten Oscars ausgezeich­ net, ein fast beispielloser Triumph. Doch Forman gelang neun Jahre spä­ ter noch mehr: Mit acht Auszeichnun­ gen der US-Filmakademie für seinen mitreissenden Mozart-Film «Amade­ us» stieg er endgültig in den Regie- Olymp auf. Beide Filme waren nicht nur künst­ lerisch überzeugend, sondern auch weltweite Kassenschlager. Forman hatte bewiesen, wie man auf dem schmalen Grad zwischen Kunst und Kommerz balancieren kann, v ' 
Nicht nur im kulturellen Bereich er­ wies sich der Regisseur als Wanderer zwischen den Welten. Geboren 1932 im mittelböhmischen Caslav, verliert Forman den Vater in Auschwitz, die Mutter stirbt im KZ Buchenwald. Im zarten Alter von 18 Jahren schreibt sich der verwaiste Jüngling an der Prager Filmakademie ein, wird Dramaturg beim Fernsehen und legt 1963 mit der Komödie «Der schwarze Peter» seinen ersten Spielfilm vor. Die Filme «Die Liebe einer Blondinen» (1965) und «Der Feuerwehrball» (1967), bissige Kleinbürgersatiren, machen auch auf westlichen Festivals Furore. Nach den Kinohits folgten Kassenflops Die militärische Niederschlagung des «Prager Frühlings» treibt auch For­ man aus dem Land, er wandert in die USA aus und will Hollywood erobern. Dort aber hat niemand auf ihn gewar­ tet, schwere Jahre folgen für den Emigranten. Als er 1971 schliesslich mit der sar­ kastischen Drogenchronik «Take Off» seinen ersten amerikanischen Film vollendet hatte, Wurde der in Europa bejubelt, in den USA selbst aber woll­ te ihn niemand sehen. Nach dem sensationellen Durch- brucli mit «Einer flog übers Kuckucks­ nest» landete Forman 1979 mit der Leinwandversion des Hippie-Musicals 
«Hair» einen Flop. Gleiches geschah auch nach «Ama­ deus», als sein historisches Sittendra­ ma «Valmont» 1989 in direkter Kon­ kurrenz mit Stephen Frears «Gefahrli­ che Liebschaften» - beide Filme ba­ sierten auf der selben literarischen Vorlage - zu spät in die Kinos kam und ausserdem nicht von gleicher Qualität War. Nach langer Pause meldete sich For­ man 1996 spektakulär mit dem Strei­ fen «Larry Flint» zurück, der authenti­ schen Geschichte des legendären Por- no-Verlegers. Und 1999 porträtierte der Regisseur in dem Fernsehkomiker-Drama «Der Mondmann» einen weiteren Aussen­ seiter. Beide Filme wurden heftig dis­ kutiert, Kassenmagneten waren sie nicht. Aber Milos Forman, in dritter Ehe verheiratet und Vater von vier Söh­ nen, kann inzwischen für den Nachruhm arbeiten. Seine Memoiren, 1994 in Deutschland unter dem Titel «Rückblende» erschienen, hat er be­ reits verfasst, die tschechische Stadt Podebrady ernannte ihn, der einstmals dort zur Schule ging, 1999 zum Eh­ renbürger und überall auf den grossen Festivals der Welt ist Forman ein will­ kommener, hoch geachteter Gast. Und für einige ungewöhnliche Filme ist der Mann, dessen Weg von der Moldau nach Hollywood führte, gewiss noch gut. 
20(16) EU, TU, ELES Andrucha Waddington
	        

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