34 Samstag, 12. Februar 2000
Ausland
Liechtensteiner Volksblatt
Nachrichten
Untersuchung von
Exekutionen
STRASSBURG: Der Präsident der Parlamen
tarischen Versammlung des Europarates, Lord
Russell-Johnston, hat die sofortige Untersu
chung angeblicher Exekutionen von tschet
schenischen Zivilisten durch russische Soldaten
gefordert. «Uns liegen alarmierende Berichte
aus glaubwürdiger Quelle vor, dass mindestens
38 Zivilisten hingerichtet wurden», hiess es ei
ner am Freitag in Strassburg veröffentlichten
Erklärung Russell-Johnstons. Ferner sei von
Gewalt, Plünderungen und Zerstörung zivilen
Eigentums und Häusern durch russisches Mi
litär die Rede. Die russischen Behörden wurden
aufgefordert, die Übeltäter vor Gericht zu stel
len und weitere Übergriffe zu verhindern. Erst
vor zwei Wochen hatte die Parlamentarische
Versammlung des Europarates Russland zur
strikten Einhaltung der Menschenrechte ge
genüber der Zivilbevölkerung in Tschetscheni
en aufgefordert.
Maschadow erklärt
Russen Guerillakrieg
MOSKAU: Mit pausenlosen Luftangriffen
und Dauerfeuer der Artillerie hat die russische
Armee am Freitag offenbar ihre Schlussoffen
sive gegen Tschetschenien vorbereitet. Der
tschetschenische Präsident Aslan Maschadow
seinerseits erklärte den russischen Truppen
den landesweiten Guerillakrieg. Die Russen
würden künftig von den Rebellen überall an
gegriffen, «in den Bergen, in der Ebene und in
jedem Dorf der Republik», drohte Maschadow
am Freitag im russischen Privatsender NTW.
Ein Kreml-Sprecher bezeichnete die Ankündi
gung als Propaganda. «Je mehr Kämpfer die
Rebellen verlieren, umso mehr Dampf lassen
sie im Propagandakrieg ab», sagte in Moskau
der für Tschetschenien-Informationen zustän
dige Sprecher des Kreml, Sergej Jastrschembs-
ki. Zur Vorbereitung der angekündigten
Schlussoffensive der russischen Armee ver
stärkte die russische Luftwaffe ihre Angriffe
gegen die Stellungen der Rebellen im Süden
der Kaukasus-Republik. Nach Angaben des
russischen Generalstabs flog die Luftwaffe in
nerhalb von 24 Stunden rund 160 Bomben-
und Raketenangriffe gegen Stützpunkte der
Rebellen im Argun-Flusstal und bei Wedeno.
Dabei wurden erneut 1,5-Tonnen-Bomben von
grosser Zerstörungskraft eingesetzt, so ge
nannte Vakuum-Bomben. Auch Artillerie kam
verstärkt zum Einsatz. Grössere Einsätze von
Bodentruppen wurden nicht gemeldet. Das
staatliche russische Fernsehen bezifferte die
Zahl der in der Gebirgsregion seit Donnerstag
getöteten Rebellen auf 160. Zu den russischen
Verlusten wurden keine genauen Angaben ge
macht.
Schlechte Noten für
Kosovo-Einsatz
GENF: Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNH-
CR) hat sich für seine Arbeit zur Bewältigung
des Massenexodus aus dem Kosovo selbst ein
schlechtes Zeugnis ausgestellt. Ein am Freitag
in Genf veröffentlichter Bericht unabhängiger
Experten, den das UNHCR in Auftrag gegeben
hatte, beklagt erhebliche Verzögerungen bei der
Entsendung von Notfall-Teams in die Region.
Auch seien die UNHCR-Lagerbestände der
wichtigsten Hilfsgüter zu niedrig und die ent
sandten Helfer zu wenig erfahren gewesen. Man
gelhaft waren nach Einschätzung der Experten
im vergangenen Frühjahr auch die diplomati
schen Initiativen der UNHCR-Führung zur Be
wältigung der Flüchtlingsproblematik in Maze
donien, Albanien und der serbischen Teilrepu
blik Montenegro. Vor Ort sei zudem oft unklar
gewesen, wer die Verantwortung für die Sicher
heit der Flüchtlinge und die Verteilung von
Hilfsgütern trug. In ihrem Bericht kommen die
Experten zum Schluss, dass die Glaubwürdig
keit der Organisation durch ihre in der Kosovo-
Krise demonstrierten Schwächen deutlich gelit
ten habe. Die Kosovo- Flüchtlinge seien aber,
angesichts des historischen Ausmasses der Kri
se, im Grossen und Ganzen nicht schlecht ver
sorgt worden. Auch habe das UNHCR in einem
extrem schwierigen Umfeld agieren müssen, da
viele Staaten und private Organisationen nicht
bereit gewesen seien, aktiv mit der UNO-Orga-
nisation zusammenzuarbeiten. Um der eigenen
Hilfe mehr Publizität zu verschaffen, hätten vie
le europäische Staaten Hilfsgelder lieber direkt
ausgegeben, anstatt ihre Massnahmen mit den
Vereinten Nationen zu koordinieren. So seien
etwa nur 3,5 Prozent der Beiträge der sechs
wichtigsten EU-Geberländer an das UNHCR
geflossen.
Krise in Nordirland
Provinz wieder direkt von London regiert
LONDON: Die britische Re
gierung hat am Freitagabend
wieder die Direktherrschaft
über Nordirland übernommen.
Damit sind die Vollmachten
der erst vor zwei Monaten ge
schaffenen Nordirland-Institu-
tionen aufgehoben.
Sie begründete den drastischen
Schritt mit der Weigerung der Un
tergrundorganisation IRA, ihre
Waffen-und Sprengstofflager auf
zulösen. In London verlautete, es
handle sich um eine Aussetzung der
Regierungsgewalt, nicht um deren
Annulierung.
Nordirland-Minister Peter Man-
delson sagte am Freitagabend in
Belfast: «Ich bedaure, diesen Schritt
tun zu müssen. Aber wir müssen in
der Frage der Waffen ein für alle
Mal Klarheit schaffen.» Die Regie
rung in London äusserte zugleich
die Hoffnung, dass es in den kom
menden Tagen doch noch eine Eini
gung geben werde.
Adams kündigte IRA-
Vorschlag an
Wenige Minuten vor der Ankün
digung hatte der Sinn Fein- Vorsit
zende Gerry Adams versucht, die
Krise abzuwenden. Die IRA habe
sich bereit erklärt, ihre Vorstellun
gen über eine Entwaffnung vorzule
gen, teilte Adams mit. Dabei wurde
nicht deutlich, ob es sich um einen
Zeitplan oder um eine allgemeine
Verpflichtung handelte. Adams be
zeichnete den Vorschlag der IRA
als einen «wichtigen Durchbruch».
Mandelson sagte dazu, er kenne die
Einzelheiten des Vorschlags nicht.
Falls er aber so gut sei, wie einige
sagten, könne er als Grundlage
dafür dienen, das Problem «ein für
alle mal» und «sehr schnell» zu lö-
.sen. Der Vorsitzende der unabhän-
Protestantenfiihrer David Trimble, der die erste gemeinsame protestantisch-katholische Regierung (Exekutivrat) von
Nordirland anführte, bedauerte die Suspendierung. «Es macht mir keine Freude», sagte er.
gigen Abrüstungskommission, John
de Chastelain, bestätigte am Abend
jedoch, dass die IRA bisher keinen
Hinweis auf einen Beginn der Waf
fenübergabe gegeben habe.
Trimble bedauert
Auch Protestantenführer David
Trimble, der die erste gemeinsame
protestantisch-katholische Regie
rung (Exekutivrat) von Nordirland
anführte, bedauerte die Suspendie
rung. «Es macht mir keine Freude»,
sagte er. Andererseits sei es ihm un
möglich, weiterhin zwei Sinn Fein-
Minister in seiner Regierung zu ha
ben; • während «Privatarmeen und
Waffenlager» weiter bestehen. Die
Partei Sinn Fein gilt als politischer
Arm der IRA.
Trimble hatte seiner Partei ver
sprochen, von seinem Amt zurück
zutreten, falls nicht bis Ende Januar
Fortschritte bei der Entwaffnung
der IRA und anderer paramilitäri
scher Gruppen erzielt würden. Der
Parteirat seiner Ulster Unionist
Party (UUP) hat für diesen Samstag
eine Sitzung einberufen, auf der
über Trimbles Zukunft abgestimmt
werden sollte.
Hektische Bemühungen ohne
Erfolg
Nicht zuletzt um Trimble zu
retten und zugleich den völligen Zu
sammenbruch der Nordirland-Re
gierung zu verhindern, hatte Man
delson vor einer Woche mit der Aus
setzung der Selbstverwaltung ge
droht. Hektische Bemühungen, den
Friedensprozess zu retten, blieben
ohne Erfolg.
Mit einem Vier-Punkte-Plan, der
weitgehende Zugeständnisse für die
katholische Seite enthält, versuch
ten die britische und die irische Re
gierung, die Zustimmung der IRA
in buchstäblich letzter Minute noch
zu bekommen.
Die Regierung von Irland, die So
zialdemokraten in Nordirland und
Sinn Fein hatten mehrfach vor einer
Suspendierung gewarnt. Nach ihrer
Ansicht wird es schwierig sein, die
Institutionen wieder einzusetzen.
Die Suspendierung der Institutio
nen ist nach dem Friedensabkom
men möglich, wenn einer der Unter
zeichner «in Verzug» gerät.
Ministerin isoliert
Österreich-Streit prägt EU-Ministertreffen
LISSABON/BRÜSSEL: Der Streit
um die neue Regierung Österreichs
prägt die ersten EU-Ministertreffen
nach der Regierungsbildung in
Wien. In Lissabon blieb am Freitag
die österreichische Ministerin Elisa
beth Sickl praktisch isoliert.
Bei der Zusammenkunft der Ar
beits* und Sozialminister der Eu
ropäischen Union (EU) in Lissabon
handelte es sich zwar nur um eine
informelle Begegnung. Indes war es
das erste Ministertreffen seit dem
Einzug der rechtspopulistischen
FPÖ in die österreichische Regie
rung und den Sanktionsdrohungen
der übrigen 14 EU-Staaten.
Frankreich und Belgien voran
Dabei wurden die Drohungen zur
politischen Ausgrenzung Öster
reichs unterschiedlich wahr ge
macht. Die Ministerinnen Frank
reichs und Belgiens, Martine Aubrey
und Laurette Onkelinx, boykottier
ten die Rede ihrer österreichischen
Kollegin Elisabeth Sickl von der
FPÖ und verliessen den Saal. Ande
re Minister folgten laut diplomati
schen Kreisen diesem Schritt offen
bar nicht. Gestrichen worden war in
des bereits das touristische Begleit
programm und das «Familienfoto».
Frankreich und Belgien hatten
schon am Treffen der Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE) am Donnerstag
in Wien die Rede der Aussenminis-
terin Österreichs, Benita Ferrero-
Waldner, boykottiert.
Weiterer Test am Montag
Ein weiterer Test steht am kom
menden Montag an, wenn sich in
Brüssel die EU-Aussenminister
treffen. Ferrero-Waldner will dabei
gegen die harte Haltung ihrer EU-
Kollegen angehen: Beim Mittages
sen will die ÖVP-Politikerin eine
Erklärung abgeben, wie der öster
reichische EU-Botschafter in Brüs
sel im Vorfeld sagte. Dabei werde
sie darlegen, dass Österreich «in
der EU weiterhin konstruktiv mit
arbeiten» werde; Wien erwartet
aber, dass ihm dazu auch die Mög
lichkeit gegeben wird. Der portu
giesische EU-Vorsitz will nach ei
genen Angaben darauf antworten.
Laut diplomatischen Kreisen ist in
des nicht sicher, ob ihm auch ande
re Staaten folgen. «Nicht mehr wie
früher» sind etwa die Beziehungen
zwischen Frankreich und Öster
reich, wie Diplomaten in Brüssel
sagten; dies ungeachtet, ob es sich
auf österreichischer Seite um FPÖ-
oder ÖVP- Politiker handelt. Ande
re Länder wie Deutschland oder
Grossbritannien sehen dagegen für
Montag kein besonderes Verhalten
vor.
Haider kommt nach Brüssel
An ihrem Treffen wollen die Aus-
senminister der EU formell den
Startschuss für die Regierungskon
ferenz geben, die die institutionel
len Reformen erarbeiten soll, mit
denen sich die EU zur geplanten Er
weiterung bereit machen will.
Ebenfalls offiziell eröffnet werden
die Beitrittsverhandlungen mit
sechs neuen Kandidaten.
Nach Brüssel kommt am näch
sten Donnerstag zudem FPÖ-Chef
Jörg Haider: Er vertritt als Regie
rungschef Kärnten beim Komitee
der Regionen der EU.
Klestil in München
Österreich und Bayern setzen auf Schulterschluss
Thomas Klestil traf Edmund Stoiber in München.
MÜNCHEN: Bei einem offiziellen
Besuch in München haben der
österreichische Bundespräsident
Thomas Klestil und der bayerische
Ministerpräsident Edmund Stoiber
die gute Nachbarschaft beider Län
der bekräftigt.
Klestil appellierte an die EU-Part
ner, der umstrittenen Koalition von
konservativer ÖVP und rechtsge
richteter FPÖ eine Chance zu ge
ben. Die Regierungsarbeit dürfe
nicht von vornherein mit Vorurtei
len belastet werden, sagte er am
Freitag nach seinem Eintrag ins
Gästebuch der bayerischen Staats
regierung.
Stoiber nannte die Massnahmen
der 14 anderen EU-Länder ge
genüber Österreich «völlig über
zogen». Die deutsche Regierung
aus Sozialdemokraten und Grünen
rief der Vorsitzenden der bayeri
schen Christlich Soziale Union
(CSU) Stoiber zu einem Kurs
wechsel auf.
«Gerade Deutschland hat eine
grosse Verantwortung, Misshellig
keiten und Meinungsverschieden
heiten nicht anzustacheln, sondern
vermittelnd tätig zu sein. Ich hoffe,
dass Berlin das noch einsieht.»
Den Vorwurf einer Nähe zum
FPÖ-Chef und Rechtspöpulisten
Jörg Haider wies Stoiber als diffa
mierend zurück. Ihm gehe es bei sei
ner Kritik um Europa - «nicht um
eine Person, mit der ich politisch
nichts gemein habe und nichts
gemein haben möchte». Stoiber hat
te der ÖVP unmittelbar nach der
Wahl in Österreich ein Bündnis mit
Haiders FPÖ empfohlen.