Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Freitag, 11. Februar 2000 35
Nachrichten
Türkei testet
Kurzstreckenraketen
ANKARA: Die Türkei hat am Donnerstag erst
mals zwei im eigenen Land hergestellte Boden-
Boden-Kurzstreckenraketen getestet. Wie die
Nachrichtenagentur Anadolu meldete, wurden
die Raketen von einem Militärstützpunkt in
Sile nahe Istanbul abgeschossen. Den Angaben
zufolge erreichten beide Kurzstreckenraketen
mit einer Reichweite von 65 und 100 Kilome
tern ihre Ziele. Ein Sprecher des am Projekt be
teiligten Ingenieursteams sagte Anadolu, Anka
ra wolle sich mit einer eigener Waffenprodukti
on unabhängiger machen. Die Toros-Raketen
sollen auch ins Ausland verkauft werden. In den
kommenden 30 Jahren will die Türkei rund 150
Milliarden Dollar in die Modernisierung ihrer
Waffenarsenale investieren.
Lehrerinnen wegen
Kopftüchern entlassen
ANKARA: In der Türkei sind mehr als 300
Lehrerinnen wegen des Tragens von Kopf
tüchern während des Unterrichts entlassen wor
den. In welchen Zeitraum die Entlassungen fie
len, wurde nicht bekannt. Die Lehrkräfte hätten
gegen das Gesetz Verstössen, das das Tragen von
Kopftüchern in öffentlichen Gebäuden verbie
tet, meldete die türkische Nachrichtenagentur
Anadolu am Donnerstag unter Berufung auf
Bildungsminister Metin Bostancioglu. Das
Kopftuchverbot in Schulen, Universitäten und
sonstigen öffentlichen Einrichtungen soll die
Trennung zwischen Politik und Religion zum
Ausdruck bringen. Im vergangenen Jahr warder
islamisch-fundamentalistischen Abgeordneten
Merve Kavakci die türkische Staatsbürger
schaft aberkannt worden, weil sie im Parlament
ein Kopftuch getragen hatte.
Wahlkampf in Iran
eröffnet
TEHERAN: Im Iran hat am Donnerstag der
Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 18.
Februar begonnen. Um die 290 Sitze in der
Madschlis bewerben sich über 6000 Kandida
ten. Dabei wird das Abschneiden in der Haupt
stadt Teheran sowie in Meschhed, lsfahan und
Schiras über das Wahlergebnis entscheiden. Der
Wahlkampf endet, am kommenden Mittwoch
um Mitternacht. Drei der vier wichtigsten Par
teien stehen auf Seiten des liberalen Staatsprä
sidenten Mohammed Chatami: die sozialdemo
kratisch ausgerichtete Partei der kollektiven
Zusammenarbeit (IIPP), die gemässigte Partei
für Entwicklung und Fortschritt (G6) und die
linksgerichtete Genossenschaft des Klerus
(MRM). Die konservativen Gegner Chatamis
sind in der Vereinigung des Klerus (JRM) ver
sammelt.
Tschetschenisches
«Geheim-Lazarett»
MOSKAU: Mehrere Tage nach der Eroberung
von Grosny haben russische Truppen in der
tschetschenischen Hauptstadt am Donnerstag
ein verstecktes Lazarett der Rebellen entdeckt.
In den Räumlichkeiten fanden die russischen
Soldaten eine nicht näher genannte Zahl von
schwer verwundeten Rebellen, erklärte der
für Tschetschenien-Informationen zuständige
Kreml-Sprecher Sergej Jastrschembski. Nähere
Angaben über das weitere Schicksal der Ver
wundeten machte er nicht. Nach Schätzungen
russischer Militärs halten sich in Grosny noch
rund 200 Rebellen versteckt.
Montenegriner wollen
Unabhängigkeit
BELGRAD/PODGORICA: Fast die Hälfte
der Bevölkerung der kleineren jugoslawischen
Teilrepublik Montenegro befürwortet die Los
trennung von Serbien und eine staatliche Un
abhängigkeit. Genau 45 Prozent von 1000 Be
fragten sprachen sich für eine solche Lösung
aus. 37 Prozent lehnten dies ab, 13 Prozent wa
ren unentschieden.
Friedliches Ende
Längste Flugzeugentführung Grossbritanniens friedlich beendet
%
LONDON: Die längste Flug
zeugentführung der britischen
Geschichte ist auf dem Flugha
fen London-Stansted ohne
Blutvergiessen zu Ende gegan
gen. Nach vier Tagen ergaben
sich die Luftpiraten und Hessen
alle 151 Geiseln frei.
Die Polizei nahm 21 Insassen des
Flugzeugs fest. Dies erhärtete den
Verdacht, dass ein Teil der Passagie
re mit den Entführern zusammen
gearbeitet hatte, um in Grossbritan
nien Asyl zu bekommen. 60 Flug
zeuginsassen stellten sofort nach
der Freilassung einen Asylantrag.
Die Polizei versicherte, dass nie
mandem an Bord Asyl versprochen
worden sei. Weitere Festnahmen
wurden nicht ausgeschlossen.
Die am Sonntag auf einem In
landsflug von Kabul nach Masar-i-
Scharif im Norden Afghanistans
entführte dreistrahlige Boeing 727
war am Montagmorgen nach einem
Irrflug über Usbekistan, Kasachstan
und Moskau in Stansted gelandet.
Erst nach mehrtägigen Verhandlun
gen gaben die Entführer am
Donnerstagmorgen auf.
In zwei grossen Gruppen Hessen
sie ihre Geiseln frei. Zunächst
konnten gegen 04.00 Uhr 85 Gei
seln das Flugzeug verlassen. Drei
Stunden später verliessen sie selbst
sowie die restlichen Passagiere und
Besatzungsmitglieder die Maschine
über eine Treppe am Heck.
Nach Recherchen britischer Me
dien ist etwa ein Drittel der Passa
giere mit den Kidnappern ver
wandt. Der Pilot, der sich am Diens-
Glilckliches Ende der längsten Flugzeugentführung in der britischen Geschichte. Ein Mädchen geniesst die wieder
erlangte Freiheit. 21 Geiselnehmer wurden festgenommen. (Bild: Keystone)
tagabend aus dem Cockpit abgeseilt
hatte, berichtete von einem sehr
vertrauten Umgang zwischen Ent
führern und Passagieren. Sie hätten
zusammen gegessen, gelacht und
geplaudert.
Als Hochzeitsgesellschaft ge
tarnt, sei die «Grossfamilie» mit
Kisten und Koffern für ein neues
Leben im Westen an Bord der Ma
schine gegangen. Einige Frauen hät
ten die Waffen der Entführer unter
ihren Gewändern in die Maschine
geschmuggelt. Am Donnerstag setz
te eine politische Diskussion ein,
wie mit den Afghanen umgegangen
werden soll. Innenminister Jack
Straw sagte, er wolle dafür sorgen,
dass alle unverdächtigen Passagiere
der Maschine möglichst rasch aus
Grossbritannien ausreisen. Dabei
werde das Asylgesetz selbstver
ständlich eingehalten.
Er wolle verhindern, dass Ent
führungen genutzt würden, um in
ein Asylland zu gelangen. Der Par
teichef der Konservativen, William
Hague. sagte, den Luftpiraten dürfe
auf keinen Fall Asyl gewährt wer
den. Es könne nicht angehen, dass
Asylsuchende sich per Entführung
in das gewünschte Land begeben.
In der Vergangenheit hatten meh
rere Entführer in Grossbritannien
nur kurze Gefängnisstrafen absit
zen müssen, bevor ihnen Asyl ge
währt wurde.
Der afghanische Taliban-Führer
Mullah Mohammad Omar forderte
die Rückkehr der befreiten Geiseln.
Mit den Entführern könnten die
Briten dagegen machen, was sie
wollten. Die Taliban-Regierung hat
te Verhandlungen mit den Luftpira
ten abgelehnt.
Angriffe in Libanon
Einwohner Nordisraels verläs^en Bunker
BEIRUT: Israels Luftwaffe hat wie
der Ziele in Libanon beschossen.
Die Menschen in Nord-Israel erhiel
ten dennoch Entwarnung. Nach 80
Stunden Alarmbereitschaft konnten
sie die Unterstände verlassen.
Dies folgte auf die Ankündigung des
stellvertretenden Generalsekretärs
der pro-iranischen Hisbollah-Miliz,
Naim Kassem, seine Organisation
plane keinen Beschuss Nord- Israe
ls. Einen Verzicht auf Katjuscha-Ra-
keten in Zukunft schloss er aber aus.
Im Norden Israels sollten Schulen
und Unternehmen am Donnerstag
wieder ihren normalen Betrieb auf
nehmen, teilte ein israelischer Ar
meesprecher mit. Anfang der Wo
che waren die rund 300 000 Bewoh
ner der Region aufgerufen worden,
angesichts weiterer möglicher Ra
ketenangriffe der Hisbollah die
Schutzräume aufzusuchen.
Die israelische Luftwaffe feuerte
erneut auf Ziele im Südlibanon.
Tote bei Gewalttaten
Neun Tote in indonesischer Unruheprovinz Aceh
JAKARTA: Das Blutvergiessen in
der indonesischen Unruheprovinz
Aceh nimmt kein Ende. Bei neuen
Gewalttaten sind mindestens neun
Menschen ums Leben gekommen.
Die Opfer wurden von den örtli
chen Militärbehörden als vier an
gebliche Rebellen und fünf Zivi
listen identifiziert, wie indonesische
Zeitungen meldeten. Damit hat sich
die Zahl der Todesopfer bei bluti
gen Zusammenstössen zwischen
Militär und Separatisten der Bewe
gung «Freies Aceh» seit Anfang der
Woche auf mindestens 19 erhöht.
Bei der neuerlichen Welle der
Gewalt wurden den Angaben zufol
ge am Mittwoch im Norden Acehs
vier Rebellen bei Feuergefechten
mit Regierungstruppen getötet.
Acht Soldaten wurden verletzt. In
derselben Region stiessen Dorfbe
wohner auf die Leichen zweier Zivi
listen, die zuvor entführt worden
waren.
Boykott und Tadel für Österreich
Widerstand im EU-Parlament
WIEN: Der schwarz-blauen Regie
rung in Österreich bläst auf dem in
ternationalen Parkett ein kiihler
Wind entgegen. Diplomaten aus
Belgien und Frankreich boykottier
ten in Wien die Rede der neuen
Aussenministerin Benita Ferrero-
Waldner vor der OSZE.
Die Plätze der beiden Delegierten
seien während der Rede leer geblie
ben, sagte ein OSZE-Sprecher.
Österreich hat zur Zeit den Vorsitz in
der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
inne. Aus diplomatischen Kreisen in
Wien verlautete, es sei das erste Mal,
dass Frankreich und Belgien bei ei
nem Treffen der 54 Mitglieder nicht
anwesend gewesen seien.
Nachdem die amtierende OSZE-
Vorsitzende Ferrero-Waldner ihre
Rede beendet und den Saal verlas
sen hatte, kehrten die Diplomaten
in die Sitzung zurück. Der Boykott
wurde von französischen Diploma
ten damit begründet, dass gegenü
ber der Wiener Koalitionsregierung
aus konservativer ÖVP und rechts
gerichteter FPÖ «Missfallen und
Distanz» zum Ausdruck gebracht
werden sollte. Belgien und Frank
reich waren von FPÖ-Chef Jörg
Haider heftig angegriffen worden.
Der belgischen Regierung hatte er
Bestechlichkeit vorgeworfen. Dem
französischen Präsidenten Jacques
Chirac hielt er vor, er habe «so
ziemlich alles falsch gemacht, was
man falsch machen kann».
Der US-Botschafter bei der OS
ZE, David Johnson, warf Österreich
Führungsschwäche vor. Über die
vergangenen Monate habe Öster
reich nicht die Kraft gezeigt, die an
der Spitze der OSZE nötig sei, sag
te Johnson. Die USA gingen davon
aus, dass sich das ändere.
Ohne Haider namentlich zu nen
nen, äusserte Johnson vor der OS
ZE Vorbehalte. Die USA seien be
sorgt, dass der österreichischen Re
gierung nun eine Partei angehöre,
deren Chef Äusserungen getätigt
Jörg Haider (rechts) und Finahzminister Karl-Heinz Grasser: Haider fuhr
mit grossen Geschützen gegen Frankreich auf.
habe, die in Österreich und im Aus
land als Sympathiebekundungen
für die Nationalsozialisten verstan
den wurden, sagte er. Dazu gehörte
etwa die Verharmlosung des Holo
caust, oder sogar dessen Entschuldi
gung. Auch im EU-Parlament weht
Österreich ein rauher Wind entge
gen. In der Europäischen Volkspar
tei (EVP) - dem Zusammenschluss
der konservativen und christdemo
kratischen Parteien in der Europäi
schen Union (EU) - regt sich wach
sender Widerstand gegen die Be
reitschaft der ÖVP, die rechtsge
richtete Haider-Partei an der Regie
rung zu beteiligen.
Drei konservative Parteien aus
Frankreich, Italien und Belgien be
antragten, die ÖVP zumindest zeit
weise aus dem Parteienbund auszu-
schliessen. Die CDU/CSU-Gruppe
im Europaparlament vertritt hinge
gen die Position, ein Ausschluss sei
nicht zu rechtfertigen. Die Entschei
dung darüber soll erst in einigen
Wochen fallen. Die EVP stellt mit
232 Abgeordneten die grösste Frak
tion im Europa-Parlament. Sollte
die ÖVP aus dem Parteienverbund
ausgeschlossen werden, wären auch
die sieben ÖVP-Parlamentarier
zunächst nicht mehr Mitglied der
Fraktion.