30 Samstag, 30. Dezember 2000
ONLINE 2000
Liechtensteiner VOLKSBLATT
Der Internet-Hype weicht
der Normalität
Wettrennen um den Gigahertz-Chip - Dot-Com-Firmen in der Krise - Viren und Hacker schaffen Unruhe
Windows 2000, der Giga
hertz-Prozessor, Napster,
der Loveletter-Virus oder
die PlayStation 2 - diese
Stichworte zur Entwick
lung der Informations
technologie im Jahr 2000
klingen kaum noch be
sonders aufregend.
Peter Zschunke
Rund fünf Jahre nach Beginn
des Internet-Booms hat sich die
Gesellschaft an die neuen Mög
lichkeiten gewöhnt. Die Krise
der Computerfirmen an der
Börse zeigt, dass die überstei
gerte Euphorie, der «Hype» um
alles, was mit dem Internet zu
tun hat, inzwischen einer zu
nehmenden Normalität Platz
macht. Dazu gehört die eigent
lich selbstverständliche Erwar
tung, dass ein Computer auch
funktionieren und nicht dau
ernd abstürzen sollte.
Microsoft hat die PC-Nutzer
viele Jahre mit den Mängeln
seiner diversen Windows-Ver
sionen geärgert. Mit dem zur
Cebit im Februar eingeführten
NT-Nachfolger Windows 2000
gibt es jetzt erstmals ein Micro
soft-System, das sowohl in der
Benutzerfreundlichkeit als auch
hinsichtlich der Stabilität rund
um solide ist.
Als im September dann Win
dows Me, die «Millennium Edi
tion», als Nachfolger von Win
dows 95/98 eingeführt wurde,
fand dieses Ereignis kaum eine
grössere Resonanz. Das wird
sich 2001 ändern, wenn ver
mutlich in der zweiten Jahres
hälfte «Whistler» kommt - un
ter diesem Codenamen soll das
bisher noch in der DOS-Ver-
gangenheit verwurzelte Privat-
anwender-Windows die gleiche
technische Grundlage erhalten
wie das Profi-System Windows
NT/2000.
Da die Personalcomputer
zwar nicht billiger werden,
dafür aber immer bessere
Hardware-Bauteile erhalten,
laufen auch die Programme
auf den neuen Geräten sehr
viel flotter als im vergange
nen Jahr. Die beiden führen
den Chip-Hersteller Intel und
Eine »völlig neue Welt des Computer-Entertainment» versprechen die Hersteller der neuen Spielkonsole, die am 24. November 2000 auch auf dem schweizerischen und
liechtensteinischen Markt eingeführt wurde.
AMD lieferten sich im Früh
jahr ein spannendes Finish
um die Einführung des ersten
Prozessor mit einer Ge
schwindigkeit von einem Gi
gahertz (eine Milliarde Ar
beitstakte in der Sekunde).
Anfang März war dann AMD
zwei Tage eher fertig als
Marktführer Intel.
Von 100 Megahertz auf 1
Gigahertz
Die Entwicklung von 100
Megahertz auf 1 Gigahertz
nahm sechs Jahre in Anspruch.
Die weitere Verzehnfachung
von Geschwindigkeit und Leis
tung stellt Intel bis zum Jahr
2005 in Aussicht, nachdem im
Dezember ein Durchbruch in
der Fertigung winzigster Tran
sistoren auf dem Silizium-Chip
erzielt werden konnte.
Die Reibungsverluste der
«New Economy» zeigten sich
im Jahr 2000 nicht nur an der
Börse, sondern auch in der
wachsenden Sorge um di^üe-
schäftsgrundlage vieler E-
Commerce-Firmen. Der Tausch
von Millionen Musiksongs (m
Zusammenschluss Hunderttau
sender Computer zu eigenen
Netzen wie Napster oder Gnu
tella löste Existenzängste in der
Schallplattenindustrie aus. Die
Branche reagierte nicht nur mit
Klagen - im Oktober übernahm
Bertelsmann Napster und will
nun die Vorteile dieses Peer-to-
Peer-Vertriebswegs für einen
gebührenpflichtigen Dienst
nutzen.
Die Nachteile der vernetzten
Welt demonstrierte Anfang Mai
der Loveletter-Virus: Rund um
den Globus klickten neugierige
E-Mail-Nutzer auf den Datei-
Anhang mit der verlockenden
Botschaft «1 love you» - und
brachten damit Computersyste
me von zahllosen Firmen und
Behörden zum Zusammen
buk Der auf den Philippinen
entwickelte Schädling verbrei
tete sich in Windeseile als so
genannter Wurm, indem er sich
selbsttätig an die im Mail-Pro
gramm vorgefundenen Adres
sen weiterschickte. Immerhin
verstärkte der Liebesvirus das
Bewusstsein für die im Internet
lauernden Gefahren. Diese neh
men noch zu mit den Flaterate-
Verbindungen ins Internet, de
ren zunehmende Verbreitung in
diesem Jahr in Deutschland al
lerdings mit Hindernissen ver
bunden war.
Reihenweise Probleme
Nachdem Anbieter reihen
weise in wirtschaftliche Proble
me gerieten, verpflichtete die
Regulierungsbehörde im No
vember die Deutsche Telekom,
diesen von Februar an eine
zeitunabhängige Grosshandels-
Flatrate einzuräumen.
Von der verstärkten Verbrei
tung einer ständigen Internet-
Verbindung zum annehmbaren
Pauschalpreis versprechen sich
die Online-Shops einen steilen
Aufschwung ihres Geschäfts.
Bisher stecken die meisten E-
Commerce-Firmen im Geschäft
mit Endkunden noch in den ro
ten Zahlen.
Besser läuft offenbar das
«Business to Business» (B2B),
also das Online-Geschäft zwi
schen Unternehmen. Hier kreis
ten die wichtigsten Trends in
diesem Jahr um Schlagworte
wie BSB-Marketplaces (Online-
Foren für Hersteller, Lieferan
ten und Grosskunden), ASP
(Application Service Providing;
das Vermieten von Software
über das Internet) oder XML
(Extensible Markup Language;
Dateiformat für die strukturier
te Darstellung von Informatio
nen). Über steigende Umsätze
freute sich in diesem Jahr die
Computerspielbranche. Inzwi
schen entfallen mehr als 70
Prozent aller CD-ROM-Titel auf
Spiele, wovon auch die Hard
ware profitiert.
Dreidimensionale Spielland
schaften erfordern immer lei
stungsfähigere Grafikkarten
und Prozessoren.
Playstation wurde zum
absoluten Renner
Im Wettbewerb zwischen PC
und Spielkonsole richteten sich
die Blicke im November auf die
PlayStation 2, mit der ein noch
realistischeres Eintauchen in
virtuelle Welten möglich wird.
Da das Sony-Gerät auch DVD-
Spielfilme abspielt, sorgte die
PlayStation auch für einen ver
stärkten Absatz dieses Nachfol
gers für die Videokassette.
Rückblick auf ein bewegtes Jahr in der Computerwelt
Jahr-2000-Crash bleibt aus - Gates gibt Microsoft-Ruder ab - Virus verursacht Milliardenschäden
In der Informationstech
nologie ändert sich in ei
nem Jahr oft so viel wie in
anderen Branchen in drei
Jahren. Entsprechend
schnelllebig war auch
2000, wobei die folgen
den Ereignisse besonders
beachtet wurden.
JANUAR
BS 3 Der befürchtete Zusam
menbruch von Computersyste
men in aller Welt bleibt aus -
nach Vorbereitungen mit Milli
ardenkosten kommt es nur zu
kleineren Zwischenfällen. Ur
sache des Problems war die mit
Beginn des Jahres 2000 erfor
derliche Umstellung von zwei-
auf vierstellige Datumsformate
in älteren Programmen.
BSP 25 Jahre nach Gründung
von Microsoft gibt Bill Gates
den Vorstandsvorsitz ab und
tritt als Vorsitzender des Auf
sichtsrats in den Hintergrund.
Nachfolger wird Steve Ballmer.
Gates kümmert sich als Soft
ware-Chefdesigner um neue
technische Strategien.
B3f" Der Online-Dienst AOL
übernimmt den Medienkonzern
Time-Warner.
B3T Die kalifornische Chip-Fir
ma Transmeta stellt ihren Cru-
soe-Prozessor vor, der bei nied
rigem Stromverbrauch vor al
lem für Notebooks geeignet ist.
FEBRUAR
BSP Microsoft führt zur Cebit
sein Betriebssystem Windows
2000 ein, das für den Einsatz in
Unternehmen gedacht ist. Der
Nachfolger von Windows NT
zeichnet durch besonders gros
se Stabilität aus.
BSP Ford kündigt an, allen Mit
arbeitern weltweit einen PC zur
privaten Nutzung zur Verfu
gung zu stellen. Später folgen
andere Firmen diesem Beispiel.
1®° Mehrere führende E-Com
merce-Angebote werden durch
gezielte Überflutung mit An
fragen vorübergehend zum
Stillstand gebracht. Diese Deni-
al-of-Service-Attacken richten
sich unter anderem gegen
Amazon.com und Etrade.com.
Bertelsmann aus dem Online-
Dienst in Europa zurück. Grund
ist die Fusion des amerikani
schen Bertelsmann-Konkurren
ten Time-Warner mit AOL.
APRIL
BSP Microsoft stellt ein neues
Betriebssystem für Handheld-
Computer vor: Der «Pocket PC»
(Nachfolger von Windows CE)
soll dem Marktführer Palm Pa
roli bieten.
BS* Bei der Einführung des
ersten Prozessors mit einer
Taktrate von einem Gigahertz
(1000 Megahertz) ist AMD zwei
Tage schneller als Intel.
BS" Fünf Jahre nach seiner Be
teiligung an AOL zieht sich
B3f Der E-Mail-Virus «I LOVE
YOU» verbreitet sich von den
Philippinen aus in Windeseile
um die ganze Welt und verur
sacht Schäden von schätzungs
weise zehn Milliarden Dollar.
Der sich als Wurm fortpflan
zende Schädling löst eine Dis
kussion über die Sicherheit von
Windows und des Microsoft-
Programms Outlook aus.
BS* T-Online führt eine Flatra
te, also einen von der zeitlichen
Nutzungsdauer unabhängigen
Pauschaltarif fllr die Internet-
Nutzung ein; die Gebühr wird
mit 79 Mark im Monat festge
legt.
BS" Im Kartellverfahren ge
gen Microsoft ordnet Be
zirksrichter Thomas Penfield
Jackson die Zerschlagung des
Konzerns in zwei Firmen an.
Wegen Missbrauchs seiner
marktbeherrschenden Stel
lung soll Microsoft in ein
Unternehmen für das Be
triebssystem Windows und
ein Unternehmen für Anwen
dungssoftware aufgeteilt
werden. Microsoft kündigt
umgehend Berufung gegen
das Urteil an.
BS? Der Mobiltelefonhersteller
Ericsson stellt das erste Handy
mit Bluetooth-Technik für die
drahtlose Verbindung mit an
deren elektronischen Geräten
vor.
B3P Microsoft kündigt seine
neue .NET-Strategie an, die
nicht mehr das Betriebssystem,
sondern das Internet in den
Mittelpunkt stellt. Dazu gehört
auch die Einführung einer
neuen Programmiersprache,
die als C (ausgesprochen: C
Sharp) bezeichnet wird und
vermutlich Java Konkurrenz
machen soll.
BSP Wegen geringen Interesses
der Aussteller wird die Cebit
Home abgesagt, die wegen der
Expo in diesem Jahr in Leipzig
stattfinden sollte.