Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
MAGAZIN 
Samstag, 30. Dezember 2000 25 
l 
Das Wissenschaftsjahr 2000 
Meilensteine in der Gentechnologie und der Raumfahrt 
HAMBURG: Die Wissen 
schaft ist im Jahr 2000 
vom Wettlauf um die Ent 
zifferung des Erbguts ge 
prägt gewesen: Forscher 
präsentierten das Genom 
von Mensch, Fliege und 
Pflanze. 
Damit vervollständigten sie das 
Fundament für die Zukunft von 
Medizin und Biotechnik. Immer 
wieder gelang es dabei dem 
einfallsreichen Genetiker und 
Unternehmer Craig Venter in 
den USA, die staatlichen Wis 
senschaftler zu überholen. Im 
Januar schockiert Venter die 
öffentliche Forschergemein 
schaft mit der Nachricht, sein 
Unternehmen habe eine Skizze 
von 90 Prozent des menschli 
chen Erbguts vorliegen. 
Rennen um Entzifferung 
des Erbguts 
Am 6. April trifft Venter die 
staatlichen Forscher hart mit der 
Nachricht, sein Team habe 99 
Prozent des menschlichen Erb 
guts entziffert. Allerdings seien 
noch einige Wochen nötig, um 
die Gen- Bausteine komplett zu 
ordnen. Im Mai setzen staatlich 
V>'\ i: 

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Neben der Gentechnologie prägte vor allem die Raumfahrt das Wissenschaftsjahr 2000. 
finanzierte Forscher aus 
Deutschland und Japan ihre 
Daten dagegen: Sie präsentie 
ren das Erbgut des menschli 
chen Chromosoms 21. Dieser 
zweite entzifferte Erbgutträger 
des Menschen spielt beim 
Down-Syndrom eine Rolle. Von 
103 der 225 Genen des Chro 
mosoms ist bereits die Funktion 
bekannt. Im Dezember schliess 
lich präsentieren staatliche und 
private Labors aus sieben Län 
dern gemeinsam das Erbgut ei 
ner Pflanze, der Acker-Schmal- 
wand. 
Krebstherapie 
In der Krebstherapie bringt 
die Firma Roche «Herceptin» als 
erstes ein Medikament auf den 
Markt, das gezielt nur bei 
Brustkrebs mit einer speziellen 
Erbgutveränderung wirkt. 
Zumindest im Tierversuch 
ist die Stammzell-Forschung 
erfolgreich: Forscher züchten 
aus Stammzellen von erwach 
senen Tieren unter anderem 
Nervenzellen und reparieren 
Herzmuskeln. Kürzlich wurde 
zudem bekannt, dass es US- 
Forschern erstmals gelang, 
Stammzellen in einem Labor 
herzustellen. 
Das Jahr bringt viele ethische 
Diskussionen: In den USA 
wählen Eltern erstmals ein 
künstlich gezeugtes Embryo 
gezielt aus, um Zellen aus des 
sen Nabelschnurblut auf die 
kranke Tochter übertragen zu 
lassen. Das britische Parlament 
stimmt für das Klonen mensch 
licher Embryozellen und löst 
damit eine heftige Debatte aus. 
Auch die Raumfahrt kommt 
im Jahr 2000 einen mächtigen 
Schritt voran. In die internatio 
nale Raumstation ISS zieht 
erstmals eine Langzeitbesat 
zung ein. Im Dezember erhält 
die Station grosse Solarsegel 
und ist als «fliegender Stern» 
von.der Erde aus sichtbar. 
Immer schon gewusst 
Frauen sind die besseren «Zuhörer» 
Was so manche Frau immer 
schon geahnt hat, wird nun 
wissenschaftlich gestützt: 
Männer sind die schlechteren 
Zuhörer als Frauen. Der Grund 
hierfür liegt nach Auffassung 
der Wissenschaft darin, dass 
Männer beim Zuhören nur die 
linke Gehirnhälfte benutzen, 
wohingegen Frauen dazu bei 
de Gehirnhälften verwenden. 
«Du hörst mir ja gar nicht rich 
tig zu!», wird so manchem 
Mann in der Diskussion mit 
seiner Frau immer wieder vor 
geworfen. Wer bis anhin in die 
ser Situation trotz des schlech 
ten Gewissens nicht so recht 
wusste, was er eigentlich falsch 
gemacht hat, wird in Zukunft 
eine gute Ausrede haben, denn 
gemäss einer Untersuchung der 
Indiana University School of 
Medicine hat das vermeintliche 
Fehlverhalten der Männer eine 
biologische Ursache. 
Beide Gehirnhälften 
Anders als bei Frauen, bei 
denen beim Zuhören scheinbar 
Areale in beiden Gehirnhälften 
verwendet werden, ist bei Män 
nern in der gleichen Situation 
lediglich ein Areal in der linken 
Gehirnhälfte aktiv. Das bedeu 
tet nach Aussagen der Forscher, 
die diese Untersuchung durch 
geführt haben, aber nicht, dass 
Frauen die «besseren» Zuhörer 
sind: Männer und Frauen hören 
bloss jeweils «anders» zu. Je-' 
denfalls zeigt diese Untersu 
chung abermals, dass sprachli 
che Verarbeitung im männli 
chen und Weiblichen Gehirn 
verschiedenartig organisiert ist. 
Damit erleidet das alte Dogma, 
nach welchem es beim Gehirn 
keine geschlechtsspezifischen 
funktionalen Unterschiede gibt, 
einen weiteren Rückschlag. 
Interpretation ungewiss 
Die korrekte Interpretation 
der Ergebnisse dieser Untersu 
chung ist derzeit noch unge 
wiss, aber es scheint plausibel, 
dass daraus Rückschlüsse auf 
die Sprachentwicklung bei 
Mann und Frau gewonnen wer 
den können. Zudem ist hier 
eventuell auch eine Antwort 
auf die Frage zu finden, wes 
halb es Frauen wesentlich 
leichter fallt, sich gleichzeitig 
mit verschiedenen Aufgaben zu 
beschäftigen, beispielsweise ei 
nem Familienmitglied zu 
zuhören und nebenbei der Ar 
beit nachzugehen. 
Ungeachtet der Resultate, die 
aus solcherlei Untersuchungen 
zu gewinnen sind, wird sich der 
Laie fragen, weshalb die Wis 
senschaft so lange braucht, um 
etwas zu erkennen, das sich im 
Alltag so offenkundig zeigt: 
Frauen und Männer funktio 
nieren einfach anders. 
PlayStation 2 für Bagdad 
Ein Spielzeug als Kriegsgerät: Zeitungsente oder Realität? 
-\C" 
Dass Sonys neue WunaerKon- gendhafter Verkleidung, am 
sole über bis anhin ungeahnte Einfiihrungstag der Konsole 
vor den Elektromärkten 
Rechenkraft verfügt, ist 
längerer Zeit bekannt, 
neu ist, dass nach FBI- 
ben nicht nur Jugeni 
sondern auch Iraks Di! 
Saddam Hussein davon' 
brauch machen will. 
vScfrknge stehen lassen. Immer- 
„ hm^entspräche die erwähnte 
.fcfengej an Geräten einem be- 
i^arfitiichen Anteil am Gesamt- 
'Icofitii^gent fiir den US-Markt. 
Verwendung unbekannt 
Was Saddam und seine Ge 
folgschaft mit diesem «Wun 
derkind »modernster Unterhal 
tungselektronik letztlich an 
fangen könnten, ist mehr oder 
weniger ungewiss. Am plausi 
belsten scheint eine Verwen 
dung in der irakischen Rüs- 
tungs- und Militärindustrie, 
doch fragt man sich diesbezüg 
lich; weshalb der politisch iso 
lierte und boykottierte Diktator 
auf Kinderspielzeug auswei 
chen sollte, wo er doch gemäss 
Zeitungsberichten ungeachtet 
der verhängten Sanktionen ge 
gen 1 sein Land auch herkömm 
liche Computertechnik impor 
tieren könnte. 
Will Saddam eventuell sich 
selbst oder gar die Kinder Bag 
dads mit dem neuen Spielzeug 
bjeglücken, sozusagen um von 
der Misere im eigenen Land ab 
zulenken? So schreibt die 
frankfurter Allgemeine lako 
nisch: «Wessen Kampfmaschi- 
scheint. ^ ! V| nerie tatenlos vor sich hin ros- 
Es sei denn, Saddam hat sejji s tet, der mag sich an der Kon- 
Agentenheer, natürlich in j|J- i sole austoben». Dafür hat sich 
* vi 
Tino Quaderer 
Bereits bei der Marktein 
führung der Playstation 2 in 
Japan wurde in Fachkreisen 
über mögliche Exportbeschrän 
kungen der Wunderkonsole in 
Krisengebiete diskutiert, denn 
die hochgezüchtete Hardware 
ist gemäss Insidern leistungs 
fähig genug, um im Prinzip 
auch für die Steuerung von Ra- 
ketenleitsystemen und derglei 
chen eingesetzt zu werden. 
Kinderspielzeug als Waffe 
Mit diesen mannigfaltigen 
Einsatzmöglichkeiten vor Au 
gen soll sich Saddam Hussein 
in Amerika rund 4000 Stück 
der neuen Konsole beschafft 
haben, was aber in Anbetfacht* 
der für den amerikanischen 
Markt an sich schon sehr knapp 
bemessenen Gesamtstückzahl 
als recht unwahrscheinlich er 
Saddam aber dann doch das 
falsche Gerät ausgesucht, denn 
wenn er den Golfkrieg nach 
spielen und diesmal eventuell 
gar gewinnen will, hätte er sich 
besser einen Computer gekauft: 
Kriegssimulationen spielen sich 
am PC einfach bequemer. 
Bloss eine Zeitungsente? 
Auf Grund dieser zahlreichen 
offenen Fragen muss man die 
Möglichkeit ins Auge fassen, 
dass die ganze Geschichte, von 
einem amerikanischen Nach 
richtendienst unter Berufung 
auf FBI-Quellen in die Welt ge 
setzt, nicht der Wahrheit ent 
spricht. 
Es ist sehr gut vorstellbar, 
dass clevere Marketingprofis 
bei Sony die Geschichte gezielt 
in Umlauf gebracht haben. 
Quasi als geschickt platziertes 
Gerücht, mittels welchem man 
die neue Konsole in den Köpfen 
der Konsumenten mit dem 
Nimbus der brachialen und un 
schlagbaren Leistungskraft 
umgeben will. 
Wie dem auch sei, dem Frie 
den im Nahen Osten wäre es 
zuträglicher, wenn der Diktator 
sich in seiner Freizeit allenfalls 
mit Lara Croft durch deren 
Abenteuer spielt, als die Spiel 
konsole durch die irakische 
Rüstungsindustrie auf eine 
mögliche militärische Verwen 
dung hin prüfen zu lassen. 
Kreatives Chaos am |lrbeitsplatz 
Grossraumbüros setzen sich in der Wirtschaft immer mehr durch 
Wo früher jeder sein eigenes 
kleines Büro hatte, in dem er 
ungestört seiner Arbeit nach 
gehen konnte, da halten heute 
Grossraumbüros Einzug in die 
Arbeitswelt. Wenn auch oft 
mit anfänglicher Skepsis sei 
tens der Betroffenen. 
In einem modernen Büro kann 
man sich nicht mehr hinter 
dem eigenen Schreibtisch ver 
stecken, stattdessen versam 
meln sich ganze Abteilungen in 
Grossraumbüros. Mit dieser 
Veränderung der Arbeitsumge 
bung bezwecken die Arbeitge 
ber eine Steigerung der Pro 
duktivität und der Kreativität. 
Auch wenn die Produkti 
vitätszahlen diese Veränderung 
stützen, haben viele der betrof 
fenen Mitarbeiter zunächst ge 
wisse Vorbehalte gegen solche 
Grossraumbüros. Eine Studie 
der University of Michigan be 
schäftigt sich daher mit der 
Frage, ob diese Bedenken ange 
bracht sind. Die erstaunliche 
Erkenntnis aus dieser Studie ist 
zunächst, dass trotz dert an 
fänglichen Bedenken der Mit 
arbeiter die neuen ArbeitSr 
strukturen nach einer kurzen 
Umstellungsphase auf recht 
grosse Akzeptanz stossen. ■* 
Als Grund hierfür nennt die 
Studie die von den Angestell 
ten als überaus positiv bewer 
tete Steigerung der Kooperati 
on: Probleme werden verstärkt 
gemeinsam gelöst und der iri- 
formationsfluss erheblich in 
tensiviert. Während die Ver 
drängung des klassischen 
Büros durch Grossraumbüros 
folglich durchaus positive Sei 
lten hat, sind dieser Verände 
rung der Arbeitsstrukturen kla 
re Grenzen gesetzt. Ein mini 
males Mass an Privatsphäre 
muss den Mitarbeitern auch in 
Zukunft zugestanden werden. 
Beispielsweise durch dafür vor 
gesehene «Schutzräume», in die 
sich die Mitarbeiter für persön 
liche Gespräche und derglei 
chen zurückziehen können, 
oder durch eine fixe Zuteilung 
von Büroplätzen, die so den 
Angestellten einen gewissen 
Freiraum an individueller Ge 
staltung des Arbeitsplatzes er 
möglicht. Zahlreiche Versuche 
von Unternehmen, eine solche 
Zuteilung der Büroplätze zu 
verbieten, sind bei den Betrof 
fenen auf Missbilligung gestos- 
sen. Viele Mitarbeiter sind 
nämlich nicht bereit, jeden Tag 
in einem anderen Raum, umge 
ben von jeweils anderen Perso 
nen, an einem Pult zu arbeiten, 
das jegliche persönliche Fär 
bung vermissen lässt. 
NACHRICHTEN 
Zunehmende 
Resistenz gegen 
Antibiotika 
TRENTON: Amerikanische 
Forscher haben in einer Re- 
gierungsstudie eine zuneh 
mende Resistenz von Bakte 
rien gegen Antibiotika fest 
gestellt. Die Forscherin Cyn- 
thia G. Whitney vom Zen 
trum fiir Krankheitskontrol 
le und Vorbeugung sammel 
te zwischen 1995 und 1998 
von Patienten mit Lungen 
entzündung mehr als 
12 000 Proben mit Strepto 
kokken, wie die Zeitschrift 
«New England Journal of 
Medicine» in ihrer jüngsten 
Ausgabe berichtet. Jede 
Probe wurde mit neun Ar 
ten von Antibiotika behan 
delt. Während der drei Jahre 
stieg der Prozentsatz von 
Streptokokken, die gegen 
drei oder mehr Antibiotika 
resistent waren, von neun 
auf 14 Prozent. Der Pro 
zentsatz von Streptokokken, 
der gegen Penizillin resi 
stent war, stieg von 21 auf 
25 Prozent. Die Forscher 
äusserten in einem Kom 
mentar Besorgnis über die 
Entwicklung und forderten 
zu einem verantwortungs- 
bewussten Umgang mit An 
tibiotika auf. 
Mit Maschinen 
sprechen 
Seit Jahren versucht die 
Wissenschaft, Computer 
und Roboter zu bauen, wel 
che die menschliche Spra 
che «verstehen». Dadurch 
soll die Verwendung der 
Maschinen für den Benutzer 
vereinfacht werden. Doch 
die Schwierigkeiten, die 
durch dieses Projekt aufge 
worfen werden, wurden an 
fangs stark unterschätzt. 
Erst während der letzten 
Jahre setzte sich die Er 
kenntnis durch, dass dazu 
mühselige Kleinarbeit not 
wendig ist. Nun will die 
Wissenschaft mit neuen 
Technologien Programme 
erzeugen, die mit natürli 
cher Sprache umgehen 
können. 
Stammzellen im 
Labor hergestellt 
BALTIMORE: US-Forschern 
ist es erstmals gelungen, 
Stammzellen in einem La 
bor herzustellen. Damit ver 
bessert sich die Aussicht 
darauf, Nervenleiden, ver 
schlissene Organe und 
Rückgratverletzungen ein 
mal mit Stammzellen be 
handeln zu können. Bisher 
war dieser vielversprechen- , 
de Zelltyp vor allem aus 
dem Gewebe von Embryos 
und in seltenen Fällen auch 
aus dem von Erwachsenen 
gewonnen worden. Nun ge 
lang John Gearhart und 
Kollegen an der Johns-Hop- 
kins- Universität in Balti 
more also die Herstellung 
von Stammzellen in einem 
Labor. Die Stammzellen aus 
dem Labor dürften nach 
Überzeugung von Gearhart 
zum «Zugpferd fiir die neu 
en Behandlungen mit trans- 
plantiertem Gewebe wer 
den», so der Forscher. 
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