Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

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Liechtensteiner VOLKSBLATT 
75 JAHRE STAATSGERICHTSHOF 
Samstag, 16. Dezember 2000 7 
Die «Krönung» der Verfassung 
Dr. Hilmar Hoch: Schwerpunkte in der Entwicklung der Grundrechtsprechung des Staatsgerichtshofes 
«Der Staatsgerichtshof 
wird in der Literatur ver 
schiedentlich als «Krö 
nung» der liechtensteini 
schen Verfassung von 
1921 angesehen», erklärte 
Dr. Hilmar Hoch, Rechts 
anwalt und Mitglied des 
Staatsgerichtshofes, ge 
stern Abend. Anlässlich 
des 75-Jahr-Jubiläums des 
Staatsgerichtshofes lud 
das Liechtenstein-Institut 
zu einer akademischen 
Feier nach Bendern. 
Iris Frick-Ott 
Hilmar Hochs Referat befasste 
sich mit den wichtigsten Ent 
wicklungen der Grundrecht 
sprechung des Staatgerichtsho 
fes. Er habe, als Mitglied des 
Verfassungsgerichts, in den 
letzten Jahren eine sehr dyna 
mische Phase der Grundrecht 
sprechung mitgestalten dürfen, 
so der Redner. Bei seinem 
Rückblick auf 75 Jahre Staats 
gerichtshof ging Hilmar Hoch 
auf den langwierigen Prozess 
steinischen Verfassung von 
1921 werde der Staatsgerichts 
hof in der Literatur angesehen, 
erklärte Hilmar Hoch und führ 
te die zahlreichen Gäste im Ka 
pitelsaal des Pfarrhauses in 
Bendern weiter zurück an die 
Anfänge: «Der Staatsgerichts 
hof bezeichnet sich selbst als 
«Hüter der Verfassung). Seine 
verfassungsgerichtlichen Kom 
petenzen sind geradezu umfas 
send. Zwar Ist die liechtenstei 
nische Verfassungsgerichtsbar 
keit klar von der österreichi 
schen Verfassung von 1920 in 
spiriert: Trotzdem gehen die 
Kompetenzen beträchtlich über 
jene des österreichischen Vor 
bildes hinaus». Der österreichi 
sche Verfassungsgerichtshof 
könne nämlich die Verfas 
sungsmässigkeit von Entschei 
dungen der Zivil- und Strafge 
richte nicht überprüfen, 
während in Liechtenstein sämt 
liche letztinstanzlichen Ent 
scheidungen der Verfassungs 
beschwerde an den Staatsge 
richtshof unterlägen. 
Die Rechtsprechung des 
Staatsgerichtshofes sei 
während Jahrzehnten, konkret 
Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes hat unter anderem 
auch Auswirkungen auf die Politik. Im Vordergrund der FBP- 
Landtagsabgeordnete Alois Beck aus Triesenberg. 
einer zunehmenden Sensibili 
sierung im Zusammenhang mit 
dem Grundrechtsschutz ein. 
Ein besonderes Augenmerk 
richtete er auf die Entwicklung 
materieller Kriterien für die 
Zulässigkeit von Grundrechts 
eingriffen sowie den damit 
zusammenhängenden Funkti 
onswandel des Willkürverbots. 
Grundrechtsprechung 
zurückhaltend 
Als «Krönung) der liechten- 
bis etwa Ende der 50-er Jahre, 
von grösster Zurückhaltung 
geprägt gewesen, so Hilmar 
Hoch. Und dies wiederum hatte 
zur Folge, dass der Grund 
rechtsschutz nur sehr einge 
schränkt gewährleistet worden 
sei: «In die Zivil- und Strafge 
richtsbarkeit griff der Staatsge 
richtshof während dieser Zeit 
nicht ein einziges Mal ein. Fak 
tisch beschränkte sich der 
Staatsgerichtshof somit freiwil 
lig auf den reduzierten Kompe- 
Dr. Hilmar Hoch referierte über die *Schwerpunkte in der Entwicklung der Grundrechtsprechung des 
Staatsgerichtshofes». (Bilder: Daniel Büchel und Klaus Schädler) 
tenzbereich des österreichi 
schen Verfassungsgerichtsho 
fes. Hier spielte offensichtlich», 
so der Referent weiter, «der Re 
spekt gegenüber den Berufs 
richtern in der Zivil- und Straf 
gerichtsbarkeit eine wichtige 
Rolle». Anfang der 60-er Jahre 
zeigten sich jedoch erste Anzei 
chen dafür, dass der liechten 
steinische Staatsgerichtshof ge 
willt war, die Normierungskraft 
der einzelnen Grundrechte 
ernster zu nehmen - er begann 
seinen Prüfungsmassstab für 
die Zuverlässigkeit von Grund- 
rechtseingriffen in mehrfacher 
Hinsicht zu verfeinern. Dies 
galt zunächst einmal für das 
Willkürverbot, indem sich der 
Staatsgerichtshof nunmehr zu 
einem objektiven Willkürbe 
griff bekannte, was auch 
prompt zur ersten Aufhebung 
einer Entscheidung eines 
Obersten Gerichtshofes führte. 
Ein weiterer Schritt 
Einen weiteren Schritt tat der 
liechtensteinische Staatsge 
richtshof anfangs der 70-er 
Jahre: Analog der schweizeri 
schen Rechtsprechung wurde 
bei der Prüfung der Zulässig 
keit von gesetzgeberischen Ein 
griffen in die Eigentumsfreiheit 
neben dem öffentlichen Inter 
esse erstmals auch auf den Ver 
hältnismässigkeitsgrundsatz ab 
gestellt Rund zehn Jahre 
später schwenkte der Staats- 
gerichshof Liechtensteins zu 
nächst bei der Handels- und 
Gewerbefreiheit ganz auf die in 
der Schweiz und in Deutsch 
land schon seit langem fest eta 
blierten materiellen Prüfungs 
kriterien für Grundrechtsein 
griffe ein. «Die Hinwendung zu 
einer modernen Grundrechts 
doktrin war wesentlich durch 
die Europäische Menschen 
rechtskonvention beeinflusst, 
welche für Liechtenstein im 
Jahre 1982 in Kraft trat», führ 
te Hilmar Hoch aus. 
Langer Weg 
Zusammenfassend erklärte 
Hilmar Hoch gegen Ende seines 
aufschlussreichen Vortrages: 
«Der Weg des Staatsgerichtsho 
fes hin zu einer verstärkten 
Grundrechtssensibilisierung 
war lang und durchaus be 
schwerlich. Während Jahr 
zehnten verlief diese Entwick 
lung ausgesprochen schlep 
pend. Erst zu Beginn der 60-er 
Jahre waren in einer Annähe 
rung an die schweizerische 
Rechtsprechung erste Ansätze 
einer stärkeren Normierungs 
kraft der Grundrechte auch 
dem Gesetzgeber gegenüber zu 
verzeichnen. 
In den letzten 15 Jahren war 
die Grundrechtsprechung des 
Staatsgerichtshofes unter dem 
Einfluss des Europäischen Men 
schenrechtskonvention sogar 
von einer beträchtlichen Dyna 
mik geprägt. In all den Jahren 
gab es auch immer wieder 
Rückschritte und sich wider 
sprechende Entscheidungen, 
auf die im Rahmen dieses Refe 
rates nicht eingegangen werden 
konnte. Inzwischen hat sich in 
der Rechtsprechung allerdings 
ein materielles Grundrechtsver 
ständnis mit differenzierten 
Eingriffskriterien etabliert: Auf 
diese solide Grundlage lässt 
sich auch in Zukunft bauen!» 
Höhepunkt des Jubiläum-Anlasses am Abend war das festliche 
Bankett im Hotel Kulm in Triesenberg. 
Lauschen gespannt den Ausßhrungen der Referenten, von links Dr. Martin Schubarth, Dr. Jentsch, FBP-Regierungschtfkandidat Otmar 
Hasler und Prof. Dr. Daniel Thürer von der Universität Zürich.
	        

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