Liechtensteiner VOLKSBLATT
KULTUR
Dienstag, 12. Dezember 2000 21
«Ich bin so etwas wie eine
Ortsfetischistin»
Ein Gespräch mit der Erfolgsautorin Eveline Hasler
Schriftstellerin Eveline Hasler ist morgen zu Gast im TaK.
Im Rahmen der TaK-Ver
anstaltungen «Wegzei
chen» findet morgen Mitt
woch, 13. Dezember um
20.09 Uhr im TaK ein Ge
spräch statt zwischen der
Schriftstellerin Eveline
Hasler und Felizitas Grä
fin von Schönborn. Eveli
ne Hasler wurde nicht nur
bekannt durch ihre Kin
derbücher, sondern erreg
te internationales Aufse
hen mit ihren Romanen,
in denen sie gesellschaft
lich Ausgegrenzte ins
Zentrum stellt, z. B. in
«Anna Göldin, letzte He
xe», «Die Wachsflügel-
frau», «Der Zeitreisende»
oder ihr jüngster Roman
«Aline und die Erfindung
der Liebe».
Mit Eveline Hasler sprach
Gerol f Hauser
Volksblatt: Haben Ihre Roma
ne über Frauenschicksale au-
toblograflsche Züge?
Eveline Hasler: In meinen
Büchern gibt es aber auch
Männerschicksale, aber mir lie
gen Frauenschicksale beson
ders am Herzen. Ich bin selbst
eine Frau, versuche als Frau in
diesem Jahrtausend etwas zu
erfahren über die eigene Be
findlichkeit und über die Ge
sellschaft. Es ist eine Ambiva
lenz. Auf der einen Seite haben
wir eine vermeintlich starke
Gesellschaft, in der vor allem
Frauen einen ausgesparten
Raum darstellen. Zugleich er
weisen sie sich aber als die
Starken gegenüber der schwa
chen Gesellschaft.
Man findet nur kurze biografi
sche Angaben über Sie und
nichts über Ihre Familie. Ist
das System?
Mein Mann und meine Kin
der geben mir den Lebensraum,
in dem ich stehen darf, das ist
sehr wichtig für mich. Wenn
ich - schreibe, bin ich zwischen
den Wörtern zu Hause, da bin
ich selbst und was um mich
hemm ist, eigentlich ziemlich
unwichtig.
Sie sagten einmal, Golo
Mann zitierend, nicht die Au
toren kämen zu den Ge
schichten, sondern sie zu den
Autoren. Andererseits recher
chleren Sie akrlbisch histori
sche Hintergründe. Wie passt
das zusammen?
Die eine Wirklichkeit ist die,
dass irgendwann ein Funke
kommt, der einen begeistert.
Ich meine das wörtlich. Das al
te Wort «Begeisterung» ist ver
loren gegangen. Es ist dann wie
eine Art Obsession, die man ge
schenkt bekommt, eine Liebe.
Es ist ein Geschenk, von einer
Begebenheit oder einer Person
aus der Vergangenheit so ange
trieben zu werden, dass man
drei Jahre seines Lebens dafür
investiert. Und dann kommt
das andere dazu, dass man sich
gedrängt fühlt, das so intensiv,
so akribiseh wie möglich zu
machen; versucht eine Art Fak
tenteppich zu schaffen, auf
dem man gehen kann.
In diesen Teppich knüpfen Sie
dann das Eigene?
Das Fiktive, das dazu kommt,
ist kein Fettfleck, der oben
schwimmt. Luca z. B. in «Aline
oder die Erfindung der Liebe»
gibt es wirklich. Ich habe mit
ihm gesprochen, er ist heute 80
Jahre alt. Die Figur ist aber
dann von mir noch einmal neu
erfüllt worden, bekam sozusa
gen ein neues Leben. Was als
«Eigenes» dazu kommt, ist das
Besondere des Blicks, denn
mein Blick ist aus dem Jahr
2000, der Blick einer Frau, die
jnjt^hren besonderen Erlebnis
sen, ihrer besonderen Konstel
lation diese Dinge betrachtet.
Da webt sich ein Faden hinein,
der persönlich ist. Das finde ich
das Reizvolle an der Literatur,
dass sie nicht vorgibt, so kli
nisch rein zu sein wie die Wis
senschaft. Mir geht es darum,
einen inneren Dialog zu stiften
zwischen der damaligen Zeit
und der unsrigen. Es geht mir
also nicht darum, etwas Ge
schichtliches als etwas Abge
schlossenes darzustellen, das
nur von aussen, als liege es un
ter eine Glashaube, betrachtet
werden kann. Ich denke, die
Zeit ist ein Kontinuum, sie hat
immer zu tun mit uns, sie er
klärt uns heutige Muster. Das
suche ich: etwas erklärt bekom
men von meiner Gegenwart.
Wie finden Sie Formulierun
gen, z. B. In «Anna Göldin»
der Satz, dass der Glaube
Berge versetzen kann, In Gla-
rus das aber noch niemand
versucht hat?
Eine bedenkliche und freche
Aussage für alle Gegenden, die
Berge haben.
In «Die Wachsflügelfrau» heisst
es einmal vom Schreiben
auf einer Schreibmaschine:
«Die Hände kraulten das Wun
dertier...» Müssen sie an sol
chen Sätzen technisch fei
len?
Diese Beispiele gehören zu
jenen Dingen, die eipem zu-
fliessen durch die Konstellation
des Augenblicks. Sie sind ein
fach da, so wie man in einer
Wiese ein vierblättriges Klee
blatt entdeckt. Das kann man
mit keiner technischen Einstel
lung suchen. Und auch hier
wieder verbindet sich auf der
Spur der Zeit das Vergangene
mit dem Heutigen, mit mir. Ich
denke, Schriftsteller hatten oft
eine Art innere Beziehung zu
diesen damals ersten kleinen
mechanischen Wundem, den
Schreibmaschinen. Ich z. B.
hatte das mit den ersten Com
putern. Schon 1982, ich gehör
te zu den Ersten unter den
Schriftstellern, die das benutz
ten, schrieb ich mit einem ar
chaischen Computer. Meine
Verlegerin war damals völlig
begeistert. Es ist eine Art zärtli
cher Hinneigung zu diesen
kleinen technischen Wundern,
die uns helfen etwas sichtbar
zu machen von unseren Ge
fühlen und Gedanken.
Sie wollten einmal Malerin
werden?
Das ist eine Art Fusion mit
meiner Art zu schreiben, denn
ich sehe oft so etwas wie innere
Filme vor mir. Andere sehen
vielleicht mehr Intellektuell, er
leben so etwas wie Funken im
Hirn. Ich sehe innere Bilder. Da
zu kommen die Bilder anderer
Menschen und die realen Bilder.
Vielleicht gehört das zur Sin
nenfälligkeit des Schreibens,
dass man auch die Orte besucht,
über die man schreibt. Ich bin
so etwas wie eine Ortsfetischis
tin. Man sollte die örtlichen
Begebenheiten zu jeder Tages
und Nachtstunde aufsuchen,
denn jeder Ort atmet seine Ge
schichten aus seinen Poren aus.
Wie gehen Sie mit dem Erlolg
um?
Damit hatte ich lange Zeit
grosse Mühe. Ich bin in der
Schweiz geboren und aufwach
sen, in einem Land, in dem das
Mittelmass das Anständige ist,
in dem es gefährlich ist, den
Kopf aufzurecken, denn dann
gerät man in eine Abschusszo
ne. Und erst recht für eine Frau.
Dazu kommt, dass ich mich
über eine gewisse Anonymität
freue, dass ich gerne meinen
Capucdno unentdeckt in einem
Cafe trinken kann. Das hat
nichts mit Bescheidenheit zu
tun, sondern mit einem An
spruch auf Freiheit. Freiheit ist
für mich etwas ganz Wichtiges.
Und Erfolg bindet. Ich bin
glücklich, dass Schriftsteller
nicht so erfolgreich sind wie
Fussballer, weil es nur ein kiel
ner Teil der Menschheit ist, der
überhaupt noch Bücher liest.
Und jener Teil ist zum Glück
meist sehr diskret, kommt nicht
bedrängend auf einen zu. Ich
empfinde es nicht als etwas be
sonders Schönes, an meine ei
gene Existenz Erfolg zu knüp
fen. Dass die Bücher erfolgreich
sind, freut mich aber auch. Ich
denke, da springt dieser Funke,
der zuerst bei mir ist, auch auf
andere über. Es freut mich, dass
die Energie meines «Romanper-
sonals» sich manifestiert und
seine ganze Power anderen
Menschen entgegenbringt.
Bitterböse Kritik, die Lachen macht
Das «Chaos Theater Oropax» und sein Weihnachtsprogramm im Alten Kino Mels
Blasphemie pur, hätte man
sagen können bei «Buddabrot
im Christstollen», der ganz
speziellen Weihnachtsshow
der Kabarettbrüder und
Quatschköpfe Volker und Tho
mas Martins aus Deutschland,
die sich «Chaos-Theater Oro
pax» nennen.
Gerolf Häuser
Das «Chaos-Theater Oropax»
feierte sein eigenwilliges Weih
nachtsfest nicht nur als Gast
bei «Benissimo» und beim Aro-
ser Humorfestival, sondern
letzten Freitag auch im Alten
Kino in Mels. Da war mehr als
Blasphemie, da war viel mehr
als nur gekonnt vorgetragene
Wortspiele - da war ein bitter
böses Finger legen in die Wun
den des zum Konsumfest ver
kommenen Weihnachtsfestes.
Schlagfertigkeit
Da war z.B. das Wörtlich-
Nehmen des von Pfarrern ge
predigten «Wie diese Kerzen,
nehmt das Licht in euch auf»,
indem eine brennende Kerze
genommen und in den Mund
gesteckt wird, und nach einem
Rülpser gleich noch eine. Da
waren die hintergründigen
Wortspiele: «Ich muss als Pfar
rer auf jeden Fall dran glauben»
oder «da wurde mancher Leb
kuchen zum Todkuchen». Da
waren die Kalauer, von Oropax
selbst bezeichnet als «ausge
latscht wie die abgestandend-
sten Jesussandalen», als es z.B.
um Glaube und Aberglaube,
um Horoskope und Sternbilder
ging. Welches Sternbild bist du,
wird ins Publikum gefragt.
«Leu» ist die Antwort eines
Schweizers. «Richtig», heisst es
dann, «ihr sagt Leu zum Löwen.
Dann ist Leumund also Löwen
maul». Oder wenn einer der
beiden mit einem Adventskranz
auf dem Kopf über die Bühne
latscht und sagt: «Ich bin
krank, habe einen entzündeten
Adventskranz». Da waren ein
geschobene Improvisationsteile
mit dem Publikum. Schlagfer
tig wussten Volker und Thomas
Martins auf alles eine Bemer
kung. Nannte aus dem Publi
kum einer als Beruf Lokomotiv
führer, kam sofort: «Aha,
fährst du einen Triebwagen,
dann kommst
zum Zug».
du wohl öfter
Perfekter Nonsens
AU die vielen Hintergründig
keiten, die Anspielungen auf
unsere Konsumgesellschaft, das
ironische «wir wollen Weih
nachten nicht mehr nach
christlicher Art feiern, denn
Für zahlreiche Lacher sorgte das Chaos Theater Oropax im Alten Kino Mels.
(Bild: gh)
Weihnachten ist ein Fest der
Zukunft, und die gehört denen,
die noch an den Weihnachts
mann glauben, die Kinder, die
Weihnachten noch geniessen
können und nicht dem Kon
sumwahn verfallen sind» - all
das lässt sich kaum beschrei
ben, das muss man erleben.
«Jede Ähnlichkeit mit leben
den, toten oder bereits wieder
auferstandenen Personen wäre
rein zufällig», heisst es nach
dem Gespräch des Journalisten
mit Jesus. «Wie war das damals
am See Genezareth?» fragt der
Journalist. Antwort:
«Schwamm drüben. Oder: «Ich
bin bei McDonald's der Bürger
king, nächstes Jahr kommt der
Jesusking. Da ist der Käse an
der Boulette festgenagelt. Bei
dem modernen Management
muss ich allerdings aufipassen,
dass man mich nicht aufc Kreuz
legt.» Das ist kein besinnliches
Weihnachtsprogramm, - aber
auch keine Blasphemie, das ist
bitterböse Kritik, eingepackt in
perfekten Nonsens, bei dem
man Tränen lacht.