30 Samstag, 5. Februar 2000
Österreich
Liechtensteiner Volksblatt
Nachrichten
Diplomatische Isolie
rung verwirklichen
LISSABON/HAMBURG: Die von 14 EU-Staa-
ten angedrohte diplomatische Isolierung Öster
reichs soll jetzt in die Tat umgesetzt werden. Ein
zig Dänemark scheint damit nicht einverstan
den. Eine offizielle Stellungnahme der EU gab
es nicht. Der portugiesische Ministerpräsident
und derzeitige EU-Ratspräsident Antonio Gu-
terres deutete an, dass die Strafmassnahmen mit
dem Amtsantritt der Koalitionsregierung zwi
schen der konservativen Volkspartei (ÖVP) und
den rechtspopulistischen Freiheitlichen (FPÖ)
«automatisch» in Kraft träten. Der aussenpoliti-
sche Koordinator der Europäischen Union
(EU), Javier Solana, zeigte sich am Freitag mit
den Reaktionen der EU-Institutionen sehr zu
frieden. Die EU habe damit ein gutes Beispiel
gegeben: «Es gibt in dieser Frage keine Mög
lichkeit für Kompromisse». Deutschland wird
seine bilateralen Beziehungen zu Österreich na
hezu einfrieren. Man werde sich an die von den
14 EU-Staaten angekündigten Strafmassnah
men gegen Österreich halten, verlautete aus Re
gierungskreisen in Berlin. Auch in einer Stellun
gnahme des französischen Aussenministeriums
hiess es: «Frankreich setzt mit sofortiger Wir
kung die von der EU beschlossenen Massnah
men gegen Österreich um: Suspendierung offizi
eller, bilateraler Begegnungen, Empfang öster
reichischer Botschafter nur auf technischer Ebe
ne und keine Unterstützung für österreichische
Kandidaten in internationalen Organisationen.»
Die britische Regierung halte am Isolierungsbe-
schluss der EU fest, erklärte ein Sprecher des
Aussenministeriums in London. «Wir werden
Österreich an seinen Taten und nicht an seinen
Worten messen.» Finnland stoppt ab sofort alle
Kontakte zu Wien auf Ministerebene. Der spani
sche Aussenminister Abel Matutes sagte, Mad
rid werde sich in vollem Umfang an die gemein
same Linie halten. Portugals Staatspräsident
Jorge Sampaio erwägt zusätzlich, seinen für An
fang März geplanten Staatsbesuch in Wien ab
zusagen. In Italien und den Benelux-Ländern
gab es keine neuen Stellungnahmen. Der israeli
sche Botschafter Nathan Meron verliess Wien
noch vor der Vereidigung der neuen Regierung,
wie das israelische Aussenministerium bestätig
te. Jerusalem wolle die Beziehungen zu Öster
reich neu bewerten. Russland bringt Österreich
nach den Worten von Aussenminister Igor Iwa
now «eine grosse Vertrauenreserve» entgegen,
werde aber die weitere Entwicklung aufmerk
sam beobachten. Die EU-Beitrittskandidaten
Polen, Ungarn, Tschechien, Bulgarien und Slo
wenien verhalten sich abwartend. Einzig die dä
nische Regierung scheint zu einer Aufhebung
des Isolierungsbeschlusses der EU bereit.
Das Regierungs
programm der Koalition
WIEN: Das Programm der neuen schwarz
blauen Regierung in Österreich ist umstritten,
zumal es nach Ansicht österreichischer Medien
in grossen Teilen den Eckpunkten entspricht,
die schon zuvor ÖVP und Sozialdemokraten
(SPÖ) verabredet hatten. Die Grundzüge des
Regierungsprogramms:
Zehn Milliarden Schilling (1,1 Milliarden
Franken) jährlich sollen im öffentlichen Dienst
gespart, mehr als 9000 Stellen gestrichen
werden. Die Tabaksteuer wird ebenso erhöht
wie die Stromsteuer. Die Autobahnvignette
(»Pickerl») wird von 550 auf 1000 Schilling (117
Franken) angehoben. Ab 2002 kommt die
Schwerverkehrsabgabe von zwei Schilling pro
Kilometer.
Bundesweit sollen private Radio- und Fern
sehsender erstmals in der Geschichte des Lan
des erlaubt werden. Der bisherige Quasi-Mono-
polist ORF muss sein zweites Programm für pri
vate regionale Programmfenster zur Verfügung
stellen.
Das früheste Renteneintrittsalter (55 Jahre
bei Frauen, 60 bei Männern) wird schrittweise
um 18 Monate angehoben.
Der Mutterschaftsurlaub wird von eineinhalb
auf zwei Jahre verdoppelt, das Kindergeld von
5600 auf 6000 Schilling (680 Franken) angeho
ben.
Die Neutralität wird aufgegeben. Österreich
tritt einem geplanten europäischen Sicherheits
system mit Beistandspflicht bei. Sollte ein sol
ches System nicht zu Stande kommen, ist ein
NATO-Beitritt geplant. Der endgültige Kurs
der Sicherheitspolitik soll durch eine Volksab
stimmung festgelegt werden.
Familienzusammenführung vor Neuzuzug
von Ausländern: Staatsbürgerschaft nach zehn
Jahren, wenn ausreichende Deutschkenntnisse
nachgewiesen sind. In den Schulen soll der Aus
länderanteil auf ein Drittel begrenzt werden.
3
EU: Beziehungen eingefroren
Osterreich: FPO-OVP-Regierung im Amt
WIEN: Begleitet von massiven
Protesten hat in Wien die erste
Nachkriegsregierung unter Be
teiligung von Rechtspopulisten
ihr Amt angetreten. Präsident
Thomas Klestil vereidigte am
Freitag das Kabinett der Mitte-
Rechts-Regierung.
Bundeskanzler der Koalition aus
konservativer Volkspartei (ÖVP)
und rechtspopulistischer Freiheitli
cher Partei (FPÖ) ist ÖVP-Chef
Wolfgang Schüssel. Der FPÖ-Vor-
sitzende Jörg Haider gehört dem
Kabinett nicht an. Die OVP hat im
ÖVP-FPÖ Kabinett fünf Ressorts
inne, darunter das Aussenministe
rium. Zu den fünf Ministerien der
FPÖ zählt das Finanzministerium.
Beide Parteien entsenden jeweils
zwei Staatssekretäre. Mit Schüssel
kehrt nach langer Zeit ein ÖVP-
Politiker in das Bundeskanzleramt
zurück. Die vergangenen 30 Jahre
hatten stets Sozialdemokraten den
Regierungschef gestellt. Im Bun
deskanzleramt bat Bundeskanzler
Viktor Klima in seiner Abschieds
rede vor den Mitarbeitern: «Soweit
es in Ihrer Macht steht, passen Sie
mir auf auf unser Land.» Bundes
präsident Thomas Klestil, der die
Bildung der blau-schwarzen Koali
tion vergeblich zu verhindern ver
suchte und die Vereidigung von ei
nem Bekenntnis der Koalitions
partner zu demokratischen Werten
abhängig machte, verlangte auf
grund der zahlreichen Proteste im
Ausland eine Chance für die neue
Regierung.
5000 Demonstrierende
Die Mitglieder der neuen ÖVP-
Unter massiven Protesten wurde die Regierung in Wien feierlich in ihr Amt eingesetzt.
FPÖ Regierung betraten wegen der
Demonstration von rund 5000 Per
sonen die Präsidentschaftskanzlei in
der Hofburg durch einen unterirdi
schen Gang, «Schämt euch!» und
«Nieder mit der FPÖ» riefen die De
monstranten und skandierten «Hai
der ist ein Faschist» und «Wider
stand, Widerstand». Polizisten wur
den mit Eiern und Obst beworfen
und gingen vereinzelt mit Schlag
stöcken gegen Personen vor, die sich
vor den Absperrungen drängte.
Am Nachmittag besetzten Demons
tranten das Sozialministerium.
EU-Sanktionen zeigen
Wirkung
An der Wiener Börse drückte die
neue Regierung schwer auf die Ak
tien. Der Leitindex ATX sank auf
den tiefsten Stand seit zwölf Mona
ten. Als Auslöser galt, dass die EU
begann, ihre Sanktionen gegen
Österreich umzusetzen. «Die wol
len unsere Regierung niqht, und un
sere Aktien schon gar nicht», sagte
ein Händler. In einem Beschluss zu
Österreich hatten sich 14 EU-Mit
glieder am Montag zu einer Hal
tung zu ihrem 15. Mitglied festge
legt. Danach wollen die EU-Staa
ten auf politischer Ebene keine bi
lateralen offiziellen Beziehungen
mit einer Regierung fördern oder
akzeptieren, an der die FPÖ betei
ligt sei. Damit seien künftig offiziel
le Besuche österreichischer Regie
rungsmitglieder ausgeschlossen.
Österreichische Kandidaten für in
ternationale Organisationen wür
den nicht mehr unterstützt. Darü
ber hinaus würden Botschafter
Österreichs nur noch auf techni
scher Ebene, also von Beamten
empfangen.
Qi ;
Deiss gegen Vorverurteilung
Bundesrat nimmt neue Regierung beim Wort
BERN: Der Bundesrat will die Ent
wicklungen in Österreich «auf
merksam weiterverfolgen», eine
«Vorverurteilung Österreichs»
lehnt Aussenminister Deiss aber ab.
Für die Aussenpolitische Kommissi
on gibt es keinen Grund zur Einmi
schung.
Der Bundesrat sei zuversichtlich,
dass die Politik der neuen Regie
rung in Wien die Weiterpflege der
traditionell guten nachbarlichen
Beziehungen erlauben werde, heisst
es in einer am Freitag veröffentlich
ten Erklärung. Der Bundesrat erin
nerte daran, dass er jede von Intole
ranz und Fremdenfeindlichkeit ge
prägte Haltung strikt ablehne, wo
immer diese auftrete.
Die Einschätzung des Bundesra
tes teilt auch die Aussenpolitische
Kommission (APK) des Ständerats.
Es gebe keinen Grund für eine Ein
mischung in die Angelegenheiten
Österreichs, erklärte APK-Präsi-
dent Bruno Frick (CVP/SZ). Die
neue Regierung erfülle demokrati
sche, rechtstaatliche und humanitä
re Grundsätze, erklärte Frick auf
Anfrage.
Deiss gegen Vorverurteilung
der Regierung
Aussenminister Joseph Deiss
lehnte vor den Medien eine «Vor
verurteilung» Österreichs ab. Die
neue Regierung müsse an ihren Ta
len gemessen werden. «Der Dialog
bewirkt mehr als die Ausgren
zung.»
Als Nicht-EU-Mitglied habe die
Schweiz die Sanktionsdrohungen
der 14 EU-Staaten nicht zu beurtei
len, sagte Deiss. Befremdet zeigte er
sich darüber,dass die Referendums
komitees mit dem Hinweis auf die
se Länder für ein Nein zu den bila
teralen Verträgen werben. Die «Bi
lateralen» und ein EU-Beitritt seien
Die Demonstranten bewarfen die Polizei in Wien mit Farbbeuteln.
•fWffiN: Nach der* Vereidi^trifl
der: rechtsgerichteten:?,'Regier
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'' der Österreidlüß^e^|&de^i^£l^
dent Thomas Westü^j^ejtag^
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| ÖVP und FPÖ angelobt.fi[eftiw!
innen- und au$^QpoliÜ£»he|>i$^
kussionen '-'sind/ ^Mer?;'jR'e^1
' rungsbildung 1 VQrangegianj^
- die mich mitiSorge/un,d;Qett|t, f ? ,
. fenheit ; erfüllen. -Monatelang^
Bemühungen, "ein^^pififig^,
personell^ erneuerte K§äÜfioi@
zwischen SPÖ und ÖVP '
de zu bringen,1sind.geSche|fe1
' nicht zuletzt an der
einer berei#söit*13t
; stehenden' JPartn^d _ _ ^
und FPÖ haben leuie. j^ätid$tt||
mehrheit
ner Demolaratie s^üfesge
völlig verschiedene Dinge. Sein
Kollege Pascal Couchepin lehnte
es ebenfalls ab, die bilateralen
Verträge mit den aktuellen Prob
lemen zwischen der EU und
Österreich zu vermischen. Cou
chepin glaubt auch nicht, dass es
zu einer Einmischung kommen
könnte wie sie in Österreich er
folgte.
Weder die Person Christoph Blo
chers noch die Art der Beziehungen
zwischen der Schweiz und der EU
würden eine Intervention rechtfer
tigen. Blocher sei nicht Haider, sag
te Couchepin.
Skeptische Parteien
Skeptischer beurteilen die Bun
desratsparteien die innenpoliti
schen Folgen der Spannungen zwi
schen Brüssel und Wien. Eine Ver
schärfung der Krise könnte die Ab
stimmung Uber die bilateralen Ver
träge negativ beeinflussen. Darauf
wollen sie sich, ohne in Panik auszu
brechen, vorbereiten.
Auf die Regierungsbildung in
Österreich selbst hatten die bürger
lichen Bundesratsparteien am Don
nerstag gelassen reagiert. Lediglich
die SP hatte sich beunruhigt gezeigt,
doch auch sie will vorläufig abwar
ten.
Verständnis für die Reaktionen
der EU auf die Regierungsbeteili
gung der FPÖ Jörg Haiders zeigte
am Freitag die Gesellschaft Minder
heiten in der Schweiz. Die EU er
fülle ihre Verpflichtung, über die
Einhaltung der Menschenrechte ih
rer Mitglieder zu wachen.
Kritik an der «widernatürlichen»
Koalition der ÖVP mit der FPÖ
äusserte auch der Europäische Jüdi
sche Kongress (EJC). Er bezeichne
te FPÖ-Chef Haider als «Nazi-Sym
pathisanten». Auch die Schweizer
Juden geben ihrer Besorgnis Aus
druck.
/tieue TR0ei5n|fdte
* Arbeitsantritts bedeutetCfdri;
t Österreich eine grosse polfo&frIP
| Verände^üh^ie yonOyiel^g^
rWünschtwurde,.bei: Viei«mraber|
faMajjske^'pdef^^bM^
pung st&sUDie ReaktiQii^Xi r<
< diese Regierungsbildung sind^