Liechtensteiner VOLKSBLATT
AUSLAND
Freitag, 10. November 2000 33
Nahostgespräche überschattet
Drei Palästinenser bei Raketenangriff getötet - Arafat in Washington
JERUSALEM: Ein israeli
scher Raketenangriff hat
am Donnerstag die neuen
Bemühungen um ein Ende
der Gewalt im Nahen
Osten überschattet. Ein is
raelischer Kampfhub
schrauber feuerte über ei
nem Vorort von Bethle
hem im Westjordanland
eine Rakete auf ein Auto
ab, in dem eine Gruppe
bewaffneter Palästinenser
sass.
Dabei wurden nach Angaben
von Ärzten ein Fahrzeuginsas
se getötet und ein weiterer
schwer verletzt. Ausserdem
wurden zwei Passanten getötet
und elf weitere verletzt. Der
palästinensische Präsident Jas
sir Arafat traf unterdessen in
Washington zu Gesprächen mit
US-Präsident Bill Clinton zu
sammen. Die israelischen
Streitkräfte beschrieben den
Angriff in Beit Sahur als Teil
einer Aktion gegen die Urheber
der Gewalt der vergangenen
Wochen. Von Beit Sahur aus
beschossen palästinensische
Kämpfer in der Vergangenheit
mehrfach einen israelischen
Armeestützpunkt. Bei dem To
ten, Hussein Abajat, handelte
es sich nach Militär- und Kran
kenhausangaben um einen be
kannten palästinensischen
Kämpfer. Die israelischen
Streitkräfte machen ihn für drei
tödliche Anschläge verant
wortlich. Der Schwerverletzte
sei ein hochrangiges Mitglied
des palästinensischen Geheim-
Militärreform in
Russland
MOSKAU: Russland will sei
ne Streitkräfte um fast ein
Fünftel verkleinern. Rund
600 000 der derzeit 3,1 Mil
lionen Stellen sollen in den
kommenden Jahren im mi
litärischen und zivilen Be
reich gestrichen werden. Da
mit sollen die Streitkräfte be
weglicher und effektiver
werden. Bei dem Treffen in
Moskau war es vor allem
darum gegangen, in welchen
Bereichen die, grössten Ein
schnitte erfolgen sollten. Der *
Sicherheitsrat sei übereinge
kommen, dass eine Militärre
form im weiten Sinne nötig
sei, sagte Iwanow. Einzelhei
ten wurden nicht bekannt.
Vor der Sitzung hatte Präsi
dent Wladimir Putin eine
starke Verkleinerung der
Streitkräfte und deren Um- ,
bau in eine Berufsarmee an
gemahnt. Über die Militärre
form wird seit Jahren gestrit
ten. Putin hat vorgeschlagen,
bis 2005 rund 365 000 der
1,2 Millionen Soldaten
des Verteidigungsministeri
ums zu entlassen. Der stell
vertretende Sekretär des Si
cherheitsrats, Wladimir Pota-
pow, sagte vor der Sitzung,
bei Truppen anderer Ministe
rien würden 105 000 Solda
ten entlassen und 130000 !
Zivilstellen gestrichen. .Bis
herige Versuche, die Militär
reform durchzusetzen, schei
terte bislang vor allem am
Widerstand des Offizierskor
ps. Von den Stellen, die abge
baut Werden ' sollen, sind
240 000 Offiziersstellen,
auch 380 Generäle sollen
ihren Posten verlieren.
Ein israelischer Kampßiubschrauber feuerte im Westjordanland eine Rakete auf ein Auto ab, in dem
eine Gruppe bewaffneter Palästinenser sass. (Bild: Keystone)
dienstes, hiess es.
Der palästinensische Anfüh
rer Hussein el Scheich sagte
dem israelischen Radio, Israel
werde mit einer harten Reakti
on rechnen müssen. «Sie haben
ohne Grund das Feuer auf das
Auto eröffnet», erklärte er. Bei
einem weiteren Gefecht im Ga
za-Streifen erschossen israeli
sche Soldaten am Donnerstag
einen 14-jährigen Jungen. In
den vergangenen Wochen wur
den fast 180 Menschen in den
Kämpfen getötet.
Neue Vermittlungs
bemühungen
Bei ihren Gesprächen in Wa
shington wollen Arafat und
Clinton Möglichkeiten erörtern,
die blutigen Auseinanderset
zungen in den Autonomiege
bieten zu beenden und den
Friedensprozess aus der Krise
zu führen. Es wurde erwartet,
dass Arafat erneut auf die Sta
tionierung einer UN-Schutz-
truppe in den Autonomiegebie
ten dringen würde. Arafat
sprach zuvor in London mit
dem britischen Premierminister
Tony Blair. Wie ein Sprecher
Blairs mitteilte, unterstrich
Arafat, dass Grossbritannien
und die EU im Nahost-
„Friedensprozess eine wichtige
Rblle einnehmen könnten. Aus
Angst vor weiteren Unruhen
untersagte die israelische Mi-
litärftihrung zunächst die für
Donnerstag geplante jährliche
Versammlung von jüdischen
Gläubigen am Grab der Rachel
in der Nähe von Bethlehem; ge
statteten aber dann das Gebets
treffen. Jüdische Siedler im
Westjordanland warfen Barak
vor, er halte sie von ihren heili
gen Stätten fem und gewähre
ihnen keine Sicherheit.
Nahostmission
Unterdessen traf die UN-
Hochkommissarin für Men
schenrechte, Mary Robinson, zu
einer einwöchigen Nahostmis
sion in Jerusalem ein, nachdem
ihre Kommission Israel wegen
übermässiger Gewalt gegenüber
den Palästinensern verurteilt
hatte. Der israelische Aussen-
minister Schlomo Ben Ami sag
te ein Gespräch mit Robinson
ab, nachdem diese Treffen mit
dem Jerusalemer Bürgermeister
und dem konservativen Opposi-
tionfiihrer Ariel Scharon von
ihrer Reiseroute gestrichen hat
te. Robinson begrilsste die Ein
setzung eines Komitees unter
der Leitung des ehemalige US-
Senators George Mitchell, das
die Ursachen für die Gewalt er
mitteln soll. Der palästinensi
sche Kabinettsminister Nabil
Schaath sagte, Arafat fordere,
dass dem Komitee auch ein
Afrikaner angehöre, bevorzug
terweise der ehemalige südafri
kanische Präsident Nelson
Mandela. Die Palästinenser
wollten so die Vormachtstel
lung der USA brechen, die pro
israelisch eingestellt sei.
Hundeangriffe auf Schwarze
In Südafrika wird gegen weisse Polizisten ermittelt
PRETORIA: Eine Videoaufnah
me von Hundeangriffen auf
Schwarze hat in Südafrika zu
Ermittlungen wegen versuch
ten Mordes gegen sechs weisse
Polizisten geführt. Der Haft
richter in Pretoria verweigerte
ihnen am Donnerstag die Frei
lassung auf Kaution.
Polizeidirektorin Sharon
Schutte sagte, es gebe unbe
stätigte Berichte über die Aus
sagebereitschaft von mindes
tens einem der drei Opfer. Der
staatliche Fernsehsender SABC
hatte den Behörden am Diens
tag ein Video übergeben und
später gesendet, in dem Hunde
auf Schwarze gehetzt wurden.
Die Polizisten waren an
schliessend festgenommen
worden. In den Aufnahmen ist
zu sehen, wie die drei
Schwarzen auf die Halde einer
Goldmine getrieben werden.
Dort werden die Hunde unter
Anfeuerungsrufen und dem
Gelächter weisser Polizisten
eine Stunde lang auf die Opfer
gehetzt, die schreien und um
Gnade flehen. Wenn die Opfer
versuchen, sich zu wehren,
werden sie von den Polizisten
geschlagen. Bei den Schwarz
en soll es sich um illegale
Einwanderer halten. Der Sen
der erhielt nach eigenen An
gaben in den ersten zwölf
Stunden nach der Ausstrah
lung mehr als 15 000 Anrufe
von entsetzten Zuschauern.
Eiiie Videoaufnahme von Hundeangriffen auf Schwarze löste in
Südafrika grosses Entsetzen aus.
«Der Markt ist so gut wie verloren!»
Frankreich sucht nach einem Ausweg aus der BSE-Krise
PARIS: Frankreich sucht ange
sichts hoher Umsatzeinbussen
bei Rindfleisch einen Ausweg
aus der BSE-Krise. Nach An
gaben von Gewerkschaften
und Berufsverbänden sind in
der Branche Tausende Ar
beitsplätze bedroht.
1000 Beschäftigte seien bereits
in Kurzarbeit, berichtete die Ge
werkschaft CFDT am Donners
tag. Die Fleischindustrie klagte
über hohe Exporteinbrüche.
Deutschland etwa nehme selbst
hochwertige Markenrinder
nicht mehr ab, sagte der Präsi
dent des Verbands des französi
schen Fleischgrosshandels,
Laurent Spanghero. «Der Markt
ist so gut wie verloren.» Weit
Die Fleischindustrie Frankreichs klagt über hohe Exporteinbrüche.
schwerwiegender sind jedoch
die Einbussen in Frankreich
selbst, die nach Angaben aus
den landesweit 447 Schlacht
höfen rund 50 Prozent betra
gen. Die Berufsverbände kriti
sierten dabei eine verwirrende
Informationspolitik der Behör
den, die die Verbraucher stän
dig verunsichere.
Politiker und Medien spra
chen einhellig von einer «Psy
chose», die mit jeder Äusserung
weiter verschärft werde. «Wir
sind in eine unkontrollierbare
Krise geraten, zwischen den
Konsumenten und unseren Pro
dukten ist ein tiefer Graben
entstanden», sagte der Chef des
Rindfleischverbandes, Pierre
Chevalier.
NACHRICHTEN
Türkei kritisiert
EU-Dokument
ANKARA: Einen Tag nach
der Veröffentlichung des
Dokuments zur Beitritts
partnerschaft des Landes
zur EU hat die Türkei kriti
siert, dass die EU-Mitglied
schaft des Landes darin an
die Zypern-Frage gekoppelt
worden sei. In Athen hinge
gen wurde das Dokument
begrüsst. Die Bemühungen
der Türkei um eine EU-Mit
gliedschaft hätten nichts
mit dem Zypern-Problem zu
tun, sagte der türkische Re
gierungssprecher Sükrü Si-
na Gürel. «Je schneller die
Türkei verschiedene Proble
me löst, desto rascher wer
den wir Griechen und die
anderen Staaten der EU der
Türkei entgegenkommen»,
sagte der griechische Aus-
senminister Giorgos Pa
pandreou seinerseits.
Männer im Koso
vo erschossen
PRISTINA: Unbekannte ha
ben im Kosovo vier Männer
der Ashkali-Minderheit kurz
nach deren Rückkehr in ihr
Heimatdorf ermordet. Die
Opfer seien offensichtlich
nur wegen ihrer ethnischen
Herkunft erschossen wor
den. Internationale Organi
sationen reagierten
schockiert und mit Abscheu
auf die Tat in der Ortschaft
Dosevac. «Wer immer diese
Männer nur 48 Stunden
nach der Rückkehr in ihren
Häuser ermordet hat, wollte
die Fortschritte des letzten
Jahres - insbesondere der
letzten Wochen - im Kosovo
zunichte machen», erklärte
der UNO- Verwalter der
Provinz, Bernard Kouchner,
in Pristina.
Schlag gegen
Grapo
PARIS: Der französischen
Polizei ist ein Schlag gegen
die linke spanische Terror
gruppe Grapo gelungen. Ins
gesamt gingen den Fahn
dern nach Behördenangaben
acht Personen ins Netz, da
runter die mutmasslichen
Spitzenkräfte der Grapo.
Unter den Festgenommen
sind die mutmasslichen
obersten Grapo-Anftihrer
Fernando Silva Sande und
Manuel Perez Martinez alias
«Kamerad Arenas». Sie zähl-
| ten zu den meistgesuchten
| Terroristen Spaniens.
EU zahlt 39 Mio.
Franken an Kiew
BRÜSSEL: Nach Abschalten
des Atomkraftwerks Tscher
nobyl will die EU der
Ukraine zunächst mit 39
Mio. Fr. über die entstehen
de Energie-Lücke helfen.
Mit dem Geld könne fast •
die Hälfte der dann fehlen
den Energieproduktion aus
geglichen werden. Das sag
te ein Sprecher der EU-
Kommission am Donnerstag
in Brüssel. Die Ukraine will
das Atomkraftwerk Tscher
nobyl, wo sich im April
1986 der bislang schwerste
nukleare Unfall ereignete,
am 15. Dezember endgültig
stilllegen. Die EU-Gelder
sollen noch vor dem nächs
ten Winter ausgezahlt wer
den, so dass das Land aus
reichend Brennstoff für
übrige Kraftwerke kaufen
kann.