Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
AUSLAND 
Donnerstag, 9. November 2000 33 
NACHRICHTEN 
«Wahlthriller» sorgt für Spannung 
Dramatischste Wahlnacht der US-Geschichte - Wahlsieger von Florida wird 43. Präsident 
Zu früh gefreut! Die Nachricht der amerikanischen Fernsehsender, George W. Bush habe die Präsi 
dentschaftswahl gewonnen, setzte in der ganzen Welt Druckerpressen in Gang. Mickey Borges sitzt im 
wahrsten Sinne des Wortes auf den Zeitungen. (Bilder: Keystone) 
WASHINGTON: Der 43. 
Präsident der USA wird in 
einem an Dramatik nicht 
zu übertreffenden Finale 
ermittelt. Die Stimmen 
aus dem alles entschei 
denden Bundesstaat Flo 
rida müssen nachgezählt 
werden. Wer dort siegt, ist 
neuer Präsident. 
Das Rennen um die Nachfolge 
von Bill Clinton wurde in der 
Nacht auf Mittwoch nach dem 
vermeintllichen Sieg von Geor 
ge W. Bush plötzlich wieder 
spannend, als die Ergebnisse 
aus Florida korrigiert werden 
mussten. Schliesslich hiess es, 
die Stimmen müssten noch ein 
mal ausgezählt werden. 
Stimmen noch einmal 
auszählen 
Der Republikaner Bush kam 
auf 2 909 136, der demokrati 
sche Kandidat AI Gore ver 
zeichnete 2 907 331 Stimmen. 
Damit erlangte Bush einen 
hauchdünnen Vorsprung von 
1805 Stimmen. Da dies weniger 
als 0,5 Prozent der Stimmen 
sind, musste in Florida automa 
tisch eine Neuauszählung 
durchgeführt werden. Gemäss 
Wahlkommission liegt das Re 
sultat erst am Donnerstag 
(Ortszeit) vor. Erschwerend 
kommt hinzu, dass die Auszäh 
lung der Stimmen der Brief 
wähler aus dem Ausland nach 
Angaben der Wahlkommission 
bis zu zehn Tage dauern könn 
te. Es soll sich dabei um bis zu 
2300 Stimmen handeln. Die 25 
WASHINGTON: Die Republika 
ner haben bei den US-Wahlen 
ihre ohnehin knappe Mehrheit 
in beiden Häusern des Kon 
gresses wahrscheinlich hauch 
dünn verteidigt. Ähnlich wie 
bei der Wahl des Präsidenten 
gab es noch Unklarheiten in 
einigen Bezirken. 
Im Senat standen 34 der 100 
Sitze zur Wahl. Nach unbe 
stätigten letzten Zählungen 
schmolz die Mehrheit der Re 
publikaner im Oberhaus auf 
50:49, wobei ein Mandat noch 
offen war. Sollte sich ein Stand 
von 50:50 ergeben, entscheidet 
bei Abstimmungen das Votum 
des Vizepräsidenten. Im Fall 
des Sieges von George Bush 
wäre dies Richard Cheney. Soll 
te AI Gore die Wahl gewinnen, 
würde sein Vizepräsident Joe 
Elektorenstimmen, die in Flori 
da dem Sieger zustehen, ma 
chen ihn zugleich zum neuen 
Präsidenten. Ohne Florida hatte 
Gore 260 und Bush 246 Elekto 
renstimmen. Für den Wahlsieg 
sind mindestens 270 der insge 
samt 538 Stimmen der Wahl 
männer nötig. Neben Florida 
stand noch das Ergebnis aus 
Oregon aus. Dessen sieben 
Elektoren spielten aber keine 
Rolle mehr. 
Lieberman seinen Senatssitz 
aber aufgeben. Dieser dürfte 
dann wahrscheinlich einem Re 
publikaner zufallen. Damit wä 
re wieder eine knappe republi 
kanische Mehrheit im Senat. 
Geringer Abstand auch 
im Repräsentantenhaus 
Im Repräsentantenhaus stan 
den alle 435 Mandate zur Wahl. 
Auch hier haben die Demokra 
ten wahrscheinlich zwei Sitze 
hinzugewonnen und damit den 
Abstand zu den Republikanern 
auf elf verringert. Mehrere 
Wahlbezirke waren am Mitt 
woch aber noch nicht zuverläs 
sig ausgezählt. Zu den heraus 
ragenden Ergebnissen zählte 
die Wahl von First Lady Hillary 
Clinton als demokratische Se 
natorin von New York. Sie 
stach ihren republikanischen 
Vor dem Wahlkrimi in Flori 
da war zuerst Gore als Sieger 
des «Sunshine State» genannt 
worden. Später schlugen die 
Fernsehgesellschaften den 
Bundesstaat dem Republikaner 
Bush zu und riefen ihn zum de 
signierten Präsidenten aus. Vi- 
ze-Präsident Gore gratulierte 
Bush kurz darauf telefonisch. 
Doch zehn Minuten später 
griff der Demokrat wieder zum 
Telefon. Er richtet Bush au$, 
Kontrahenten Rick Lazio aus. 
«Ich wäre nicht hier ohne mei 
ne Familie», rief sie in New 
York den versammelten An 
hängern zu. «Ich möchte mei 
nem Mann und meiner Tochter 
danken.» 
Wahl eines Toten 
In Missouri wurde zum ers 
ten Mal in der Geschichte der 
USA ein Toter in den Kongress 
gewählt. Der Demokrat Mel 
Carnahan war vor drei Wochen 
bei einem Flugzeugabsturz ums 
Leben gekommen. Sein Name 
stand aber weiter auf dem 
Wahlzettel und wurde häufiger 
angekreuzt als der des republi 
kanischen Senators John Ash 
croft. Der Gouverneur von Mis 
souri will die Witwe Carna- 
hans, Jean, mit dem Mandat 
betrauen. 
seine Wahlniederlage erst ein 
zugestehen, wenn das Resultat 
aus Florida klar sei. Dies sei 
aber «überhaupt nicht klar». 
Beide Kandidaten strichen in 
der Folge Auftritte vor ihren 
Anhängern und vor den Medi 
en. 
Gore national in Führung 
Auf nationaler Ebene lag 
Gore nach Auszählung von 
99 Prozent der Stimmen mit 
NEW YORK: Trotz aller Kon 
troversen sind sich Gegner 
und Anhänger in der Bewun 
derung für Hillary Rodham 
, Clinton einig. Die Frau, die am 
Dienstag souverän für den 
US-Staat New York in den Se 
nat gewählt wurde und damit 
als erste First Lady in der Ge 
schichte der USA von den 
Wählern ein öffentliches Amt 
erhielt, scheint derzeit nichts 
stoppen zu können. 
Bei Kritikern und Freunden 
wird sie bereits als möglicher 
erster weiblicher Präsident der 
USA gehandelt, obwohl sie 
Ambitionen auf diesen Job bis 
her immer bestritten hat. Auch 
bei der Feier ihres Triumphes 
sprach sie nur über New York. 
«Ich verspreche euch heute 
jAbend, dass ich über alle Par 
teigrenzen hinweg Fortschritt 
für alle New Yorker Familien 
234 008 Stimmen vor Bush. 
Entscheidend für einen Sieg ist 
aber die Zahl der Wahlmänner, 
die ein Kandidat auf sich 
vereinen kann. Bush konnte 
mindestens 30 Staaten über 
wiegend im konservativen 
mittleren Westen für sich ent 
scheiden und verbuchte auch 
im Heimatstaat seines Gegners, 
Tennessee, einen Erfolg. 
Gore setzte sich vor allem in 
den industriellen Bundesstaa 
ten, sowie in New York und Ka 
lifornien durch. Mit dem Foto 
finish in dem von George W. 
Bushs Bruder Jeb regierten Flo 
rida wurden die Wahlen 2000 
zum knappsten Rennen um das 
Präsidentenamt seit der Wahl 
1960 zwischen John F. Kenne 
dy und Richard Nixon. 
Macht bei einer Partei? 
Im Schatten des beispiellosen 
Duells der Präsidentschaftskan 
didaten verteidigten die Repub 
likaner offenbar ihre knappen 
Mehrheiten im Senat und im 
Repräsentantenhaus. First Lady 
Hillary Clinton gewann in New 
York den Senatssitz gegen den 
Republikaner Rick Lazio. 
Mit einem Wahlsieg von 
Bush könnten die drei wichtigs 
ten politischen Machtzentren 
der USA zum ersten Mal seit 
1953 wieder in der Hand einer 
einzigen Partei liegen. Die Grü 
nen kamen mit ihrem Spitzen 
kandidaten Ralph Nader auf 
drei Prozent und verfehlten die 
für Wahlkampfgelder nötige 
Fünf-Prozent-Marke. Nader 
kostete Gore in einigen Staaten 
aber Stimmen. 
erreichen will. Heute haben wir 
als Demokraten und Republi 
kaner gewählt, morgen begin 
nen wir neu als New Yorker», 
rief die frisch gebackene Sena 
torin am Dienstag aus. Nach 
dem sie jahrelang an der Seite 
ihres Mannes Bill buchstäblich 
durch dick und dünn gegangen 
war, begann die 53-jährige 
Tochter eines kleinen Ge 
schäftsmannes aus einem Chi 
cagoer Vorort jetzt ihre eigene 
politische Laufbahn. Das Ge 
heimnis ihres Erfolges liegt 
nach Ansicht von Beobachtern 
nicht zuletzt in ihrer eigenwil 
ligen Persönlichkeit. Dabei 
sprach Hillary Clinton schon 
immer allen verbreiteten Ste 
reotypen Hohn. Ihre Kindheit 
in den 50er Jahren beschrieb 
sie als idyllisch ohne jedoch 
das damals dominierende Ideal 
einer Hausfrau und treu sor 
genden Mutter anzunehmen. 
Wahlurne 
vergessen 
' MIAMI: Bei der Auszählung 
! des extrem knappen Wahl 
ergebnisses in Florida ist 
! am Dienstag offenbar eine 
Wahlurne vergessen wor 
den. Die noch versiegelte 
Urne wurde der zuständi 
gen Wahlkommission über 
geben. Sie war am Mitt 
wochmorgen vom Personal 
eines Kindergartens in Mia 
mi entdeckt worden. Der 
Kindergarten hatte am Vor 
tag als Wahllokal gedient. 
, Wegen des knappen Aus 
gangs der US-Präsident- 
j schaftswahl im Bundesstaat 
\ Florida werden alle hier ab- 
: gegebenen Stimmen noch 
; einmal nachgezählt. So 
wohl der republikanische 
Präsidentschaftskandidat 
George W. Bush als auch 
i sein demokratischer Kon- 
• trahent AI Gore schickten 
am Mittwoch Rechtsanwäl 
te als Beobachter zur neuen 
Stimmenauszählung nach 
Florida. 
Gesetzesvor 
haben standen 
zur Abstimmung 
; NEW YORK: Neben der 
Wahl eines neuen Präsiden 
ten, eines neuen Repräsen- 
i tantenhauses und 34 Sena 
toren sowie der Gouverneu- 
: re einer Anzahl von Staaten 
standen am Dienstag auch 
zahlreiche Gesetzesvorha 
ben zur Abstimmung. In 42 
Staaten der Union waren 
i die Wähler aufgerufen, mit 
ihrer Stimme insgesamt 204 
Gesetzesvorlagen anzuneh 
men oder abzulehnen. Diese 
gingen von einer Lockerung 
i des Verbots von Marihuana 
bis zum Votum über die 
Rechtmässigkeit so genann 
ter Homosexuellen-Ehen 
; oder Sterbehilfe. In Alaba 
ma kippten die Wähler ein 
99 Jahre altes Gesetz aus 
< der Zeit der Rassentren- 
> nung, das Ehen zwischen 
Weissen und Schwatzen 
j verbot. Die Wähler billigten 
in Nevada und Colorado 
Gesetze, die es Ärzten er- 
i lauben, schwerkranken Pati 
enten Marihuana zu verab 
reichen. Im kalifornischen 
• Bezirk Mendocino wurde es 
j jedem Erwachsenen erlaubt, 
25 Marihuana-Pflanzen für 
den eigenen Verbrauch zu 
besitzen. 
; Voreilige 
Glückwünsche 
; WASHINGTON: Politiker aus 
; vielen Ländern standen am 
Mittwoch plötzlich im Re- 
, gen, weil sie George W. 
5 Bush zu früh zum Sieg bei 
der Präsidentenwahl in den 
USA gratulierten. Der Repu 
blikaner Bush schien nach 
i den Hochrechnungen der 
\ US-Fernsehsender als neuer 
< Präsident festzustehen, als 
eine Neuauszählung des al 
les entscheidenden Bundes 
staates Florida nötig wurde. 
Dies irritierte eine ganze 
; Reihe von Ländern, hatten 
sie Bush doch bereits ihre 
Glückwünsche zukommen 
lassen. Frankreichs Staats 
präsident Jacques Chirac 
■ rühmte dabei bereits Bushs 
«besondere Fähigkeit zum 
Dialog und zum Zuhören». 
EU-Kommissar Romano 
! Prodi sagte: «Wir freuen uns 
sehr auf die Zusammenar 
beit mit Herrn Bush.» 
Hillary Clinton freut sich als frischgebackene Senatorin zusammen 
mit Tochter Chelsea über den errungenen Wahlsieg. 
Mehrheit verteidigt? 
Republikaner halten knapp die Mehrheit im Kongress 
Schon in der Nacht auf Mittwoch warteten die Amerikaner ungeduldig auf das Wahlergebnis. Geduld 
ist gefragt, denn die Wahlzettel müssen in Florida noch einmal gezählt werden. 
Nicht zu stoppen 
Hillary Clinton zur Senatorin gewählt
	        

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