Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
BAUREPORTAGE KUNSTMUSEUM 
Mittwoch, 8. November 2000 23 
Vom Traum einer bescheidenen Vision 
Ein gelungener Dialog zwischen Architektur und Kunst inmitten der Liechtensteiner «Metropole» 
Geometrisch, scharfkantig 
und völlig kompromisslos 
prägt das neue Kunstmu 
seum Liechtenstein das 
Zentrum von Vaduz. Den 
monumentalen Neubau 
umgibt ein Hauch von 
Mystik, er wirkt ver 
schlossen und einladend 
zugleich, zwingt genauer 
hinzusehen, zu entdecken, 
zu staunen und einzutre 
ten. 
Mit den Architekten 
Meinrad Morger, Heinrich 
Degelo und Christian Kerez 
sprach Ursula Schlegel 
VOLKSBLATT: Die Architek 
tengemeinschaft Morger/De- 
gelo/Kerez hat sich am inter 
nationalen Architektenwett 
bewerb «Kunstmuseum Liech 
tenstein» beteiligt und wurde 
aus dem Kreis renommierter 
Architekten für die Planung 
ausgewählt. Welche Bedeu 
tung hat dies für Sie? 
Architektengemeinschaft: Der 
Traum eines jeden Architekten ist 
es wohl, einmal im Leben ein 
Museum planen zu können. Bei 
wenigen Bauaufgaben lassen 
sich sowohl die Handschrift der 
Architekten als auch Architektur 
tendenzen besser umsetzen als im 
Museumsbau, und kaum eine 
Gattung der Architektur kennt ei 
ne ähnliche Konjunktur. Es sind 
die Museen, die als Identität stif 
tender Wert in den Städten und 
Gemeinden Zeichen setzen, wie 
zu früheren Zeiten die Kirchen. 
Für uns ist mit der Planung unse 
res ersten Museums, des Kunst 
museum Liechtenstein, eben die 
ser sehnsüchtige Traum in Erfül 
lung gegangen. 
Die Fassade des Kunstmu 
seums Liechtenstein wird dis 
kutiert, weckt Interesse und 
lässt staunen. Welche plane 
rischen Ideen stehen dahin 
ter? 
Die Fassade entwickelt sich 
aus der städteräumlichen Ab 
sicht und aus der Typologie des 
Gebäudes. Die Körperhaftigkeit 
der Fassade entsteht durch eine 
tragende, fugenlose homogene 
Betonkonstruktion und durch 
wenige präzise Öffnungen in 
den Mauern. Uns interessierte 
der innere Reichtum und die 
Darstellung des inneren Aiif- 
baus. Wir veredelten die Fassa 
Die aus geschliffenem Beton bestehende Gebäudehülle dürfte mit tleh Massen 60 Meter Länge, 25 Meter Breite und 15 Meter Höhe, der 
grösste Kunststein der Welt sein. (Bilder: Ingrid Delacher) 
de weder durch irgend eine 
modische Applikation noch 
durch ein nachträgliches Deko 
rieren. Indem die oberste 
Schicht des Betons abgeschlif 
fen und poliert wurde, wird 
sein Innenleben, wie bei einem 
kostbaren Stein, sichtbar. 
Die Fassade gilt als eigentli 
che Neuheit in der Architek 
tur. Was ist das Besondere? 
Die Fassade besteht vorwie 
gend aus schwarzem, gebro 
chenem Basaltgestein aus Mit 
teldeutschland, aus farbigem 
Flusskies aus Untervaz und 
schwarz eingefarbtem Zement. 
Die mehrheitlich dunklen Be 
standteile verstärken die spie 
gelnde Wirkung der Fassade. 
Durch die Reflektierung wird 
die Umgebung Teil des Gebäu 
des und umgekehrt das Gebäu 
de Teil der Umgebung. Das 
scheinbar nicht Einfügbare fügt 
sich wahrnehmbar ein. 
Welcher städtebauliche 
Aspekt stand bei der Planung 
im Vordergrund? 
Wir wollten für Vaduz ein 
Museum entwerfen, das eher 
unscheinbar im Stadtgefüge la 
gert, sich jedoch durch seinen 
monolithischen Baukörper, 
durch seine Fassadengliede 
rung und Materialisierung von 
den umliegenden Gebäuden 
unterscheidet. Öffentliche Prä 
senz und einladende Wirkung 
signalisiert das Museumsge 
bäude nicht nur durch seine 
Grösse, sondern vielmehr durch 
die Geste der transparenten 
Öffnungen in den ringsum ge 
schlossenen Mauern. Das Mu 
seum schafft einen neuen Ort 
der Kontemplation und Orien 
tierung in der ansonsten unein 
heitlichen Siedlungsstruktur. 
Das neue Kunstmuseum soll 
auch Teil der Anstrengungen 
um eine innerstädtische Ver 
dichtung in Vaduz werden. 
Könnten Sie sich denselben 
Bau im offenen Gelände vor 
stellen? 
Nein. Wir entwickeln unsere 
Projekte streng kontextuell. 
Das Museumsprojekt wurde 
spezifisch für diesen Ort, re 
spektive aus diesem Ort heraus 
entworfen. Die räumliche Enge 
an der Städtlestrasse ist eben 
nicht dieselbe wie die räumli 
che Weite eines freien offenen 
Geländes. 
Wichtige Komponente eines 
Museums ist die Funktiona 
lität. Höchste Beweglichkeit 
und eine optimale Anpassung 
an die Ausstellungen werden 
seitens der Bauherrschaft ge 
fordert. Hatte dies planeri 
sche Einschränkungen zur 
Folge? 
Die Funktion ist der auslö 
sende Moment fast jeder archi 
tektonischen Aufgabe. Die ge 
wünschte Flexibilität für dieses 
Müseura hat uns sehr interes 
siert, das heisst, alle Innenräu 
me sind zusätzlich unterteilbar. 
Das Innere wird sich von Aus 
stellung zu Ausstellung verän 
dern können. Zusammen mit 
den frei wählbaren Rundgän 
gen hat der Ausstellungsma 
cher die einmalige Gelegenheit, 
unterschiedliche dramaturgi 
sche oder szenische Abläufe zu 
entwickeln. Was uns stört bei 
der Eröffnungsausstellung, ist 
der exzessive Gebrauch dieser 
Möglichkeit. Die räumliche 
Qualität der Ausstellungssäle 
und die Idee des Rundganges 
leiden stark darunter. 
Ein Interessantes Spiel mit 
dem Ucht prägt den Innenbe 
reich des Kunstmuseums. 
Welche Effekte wollten Sie 
damit erzielen? 
Die Raum-Typologie basiert 
auf einer differenzierten Aus- 
formulierung der Ausstellungs 
säle, um den Anforderungen 
gleich- oder wechselseitiger 
Präsentationen von Sammlung 
und Ausstellungsprogramm ge 
recht zu werden. Ähnlich gross, 
aber unterschiedlich in den 
Proportionen und der Licht 
führung sind das Foyer und die 
Ausstellungsräume ringförmig 
um das zentral gelegene Trep 
penhauspaar gefügt und zu ei 
nem Rundlauf verbunden. Der 
Foyer- und Eingangsbereich 
sucht mit der über Eck umlau 
fenden Öffnung die vitale Be 
ziehung zum öffentlichen Le 
ben, der Seitenlichtsaal im Erd- 
geschoss nach Norden hin mit 
gleichmässigem Licht erhellt, 
die Ruhe. Hinter der Fassade 
verborgen bleiben dagegen der 
Kunstlichtsaal, dem Seiten 
lichtsaal folgend, und die vier 
Oberlichtsäle im Obergeschoss, 
wo das natürliche Licht schat 
tenfrei und ohne Blendungen 
die Räume in idealer Art und 
Weise erhellen. 
Auf was sind Sie heute als Ar 
chitekten des Kunstmu 
seums Liechtenstein beson 
ders stolz? 
Wir träumten eine bescheide 
ne Vision. Wir wollten kein 
Museum schaffen, welches sich 
modisch schreiend aufplustert. 
Wir suchten vielmehr den Dia 
log zwischen Architektur und 
Kunst, zwischen Ästhetik und 
Funktionalität. Wir denken, 
dass uns dies gelungen ist, und 
wir sind der festen Überzeu 
gung, mit diesem Museumsbau 
einen Beitrag für das neue 
Jahrhundert und die Art der 
zeitgemässen Kunstpräsentati 
on entwickelt zu haben. Wir 
hoffen, dass der angelegte Dia 
log zwischen Architektur und 
Kunst auch in der Praxis seine 
Gültigkeit beibehalten kann. 
Überdies sind wir natürlich 
stolz, dass unser erstes grösse 
res Museum in Vaduz, im Fürs 
tentum Liechtenstein, steht. 
«Wir wollten kein Museum schaffen, welches sich modisch schreiend aufplustert. Wir suchten viel 
mehr den Dialog zwischen Architektur und Kunst, zwischen Ästhetik und Funktionalität», erklären 
die Architekten (von links) Heinrich Degelo, Meinrad Morger und Christian Kerez. 
Die Fassade entwickelt sich aus der städteräumlichen Absicht und aus der Typologie des Gebäudes. 
Die Körperhaftigkeit der Fassade entsteht durch eine tragende, fugenlose, homogene Betonkonstrukti 
on und durch wenige präzise Öffnungen in den Mauern.
	        

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