Liechtensteiner Volksblatt
Inland
Samstag, 5. Februar 2000 3
«Man muss auch einen Beitrag leisten»
Der designierte Parteipräsident der Bürgerpartei, Dr. Ernst Walch, stand dem Volksblatt Rede und Antwort
Am Mittwoch dieser Woche ver
kündete die FBPL die Neuigkeit
der Woche: Dr. Ernst Walch soll
am Parteitag vom 20. März zum
neuen Präsidenten der Bürger
partei gewählt werden. Was ist sei
ne Motivation, dieses wichtige
Amt zu übernehmen und welche
Visionen hat er für unser Land im
3. Jahrtausend? Ernst Walch stand
dem Volksblatt Rede und Ant
wort.
Mit Ernst Walch sprach
Alexander Batliner
Volksblatt: Im Namen des Liechten
steiner Volksblatts möchte ich Ihnen
zuerst zur Kandidatur als Parteipräsi
dent der Bürgerpartei gratulieren. Was
hat Sie bewogen, für dieses Amt zu kan
didieren?
Dr. Ernst Walch: Wer meine Vergan
genheit kennt, weiss, dass ich mich für
die verschiedensten Bereiche der Öf
fentlichkeit engagiert habe und mich
verpflichtet gefühlt habe, mich zu enga
gieren. Wir leben in einem kleinen
Land, in welchem wegen seiner Eigen
ständigkeit viel Aufgaben wahrgenom
men werden müssen. Dies, obwohl die
Ressourcen nicht beliebig abgerufen
werden können. Ich habe mich immer
verpflichtet gefühlt, auch einen Beitrag
zu leisten. Ich bin überzeugt, dass jeder
Es reicht nicht nur zu
kritisieren, sondern
man muss auch einen
Beitrag leisten.
in einer Gemeinschaft etwas zu dieser
Gemeinschaft beitragen sollte. Ich habe
in unserem Land viel erleben dürfen,
und ich habe viel erhalten - beruflich
und privat. Deshalb finde ich es wichtig,
dass man etwas zurückgibt und zur Ge
staltung der Zukunft unseres Landes
beiträgt. Ich bin 1989 zur Politik ge
kommen. Es waren turbulente Zeiten,
die ich damals erlebt habe. Während je
ner Zeit habe ich viel Erfahrung gesam
melt. Dann zog ich mich aus der Politik
Dr. Ernst Walch: «Die Biirgerpartei ist eine Volkspartei. Das heisst: Ich erwarte, dass das Gedankengut einer breiten Schicht un
seres Landes formuliert und umgesetzt werden kann.»
bringen. Ich bin der Meinung, dass in
letzter Zeit einiges nicht so gelaufen ist,
wie es hätte sein sollen und können. Es
reicht nicht nur zu kritisieren, sondern
man muss auch einen Beitrag leisten.
Mit welchen Erwartungen würden Sie
dieses Amt antreten, wenn die Delegier
ten des Parteitages Sie wählen sollten?
Ich gehe davon aus, dass dies eine
zeitintensive Aufgabe ist. Es wird viel
Organisatorisches auf mich zukommen.
Auf der einen Seite möchte ich auf
Leute hören und zugleich eigene Ideen
einbringen. Die Bürgerpartei ist eine
Volkspartei. Das heisst: Ich erwarte,
dass das Gedankengut einer breiten
Schicht unseres Landes formuliert und
umgesetzt werden kann. Auf der ande
ren Seite hat es in letzter Zeit in Liech
tenstein einige Veränderungen gege
ben. Bezüglich Parteipolitik haben wir
uns mit der Opposition der FBPL ein
grundsätzlich neues System auferlegt.
zurück. Mir wurde sehr oft zugetragen,
wieder, in irgendeiner Form, in die Poli
tik zurückzukehren. Dank unserem
Land hatte ich die Möglichkeit, längere
Zeit im Ausland zu leben. Ich habe ge
sehen, was es alles braucht, damit so ein
System erhalten und weiterentwickelt
werden kann. Da ich die Grundhaltung
besitze, dem Land etwas zurückzuge
ben, habe ich mich dazu entschlossen,
als Parteipräsident der FBPL zu kandi
dieren und meine Erfahrungen einzu-
Dr. Ernst Walch: «So wie die FBPL nicht in der Lage war, gute Oppositionspolitik
zu betreiben, war auch die VU nicht in der Lage, eine alleinige gute Führung unse
res Landes zu übernehmen. Dies zeigen die grossen Probleme, mit welchen sich un
ser Land heute auseinandersetzen muss.»
Darin gibt es viel Neues zu machen und
vieles zu erarbeiten. Es müssen neue
Ideen entwickelt und diese auch umge
setzt werden. Ich erwarte zudem, dass
politisch ein steifer Wind blasen wird.
Ich habe eine Vergangenheit, welche
dem politischen Mitbewerber nicht im
mer angenehm war. Es stehen auch
grosse Aufgaben an. Verfassung, die
Angriffe von aussen wegen dem BND-
Dossier, die innenpolitischen Probleme
wie Polizei und Teiefonie, Gesundheits
wesen und Bildung - Sie sehen, es gibt
viel zu tun. Darin sehe ich auch eine
Chance. Man kann helfen, vieles zu ge
stalten und aufzubauen.
Sie haben die Oppositionsrolle der
Bürgerpartei angesprochen. Die Bür
gerpartei ist nun seit drei Jahren in der
Opposition. Sie konnten objektiv und
mit dem nötigen Abstand vom politi
schen Alltag diese für Liechtenstein
neue Situation beurteilen. Was ist Ihre
Meinung zu dieser für unser Land
neuen Gegebenheit? *
Es müssen neue
Ideen entwickelt und
diese auch umgesetzt
werden.
Man muss zwei Ebenen betrachten:
Die eine ist jene der Partei selber. Es ist
eine neue Rolle, die niemand mehr ge
kannt hat. Wir haben während 63 Jah
ren eine Koalition gehabt. Man hat auf
Regierungs- und Parlamentsebene zu
sammengearbeitet. Niemand hatte mit
der Oppositionsrolle eigene Erfahrung
gehabt. Man konnte nur die Oppositi
onsrollen in anderen Ländern beobach
ten. Diese kann man für Liechtenstein
höchstens vergleichen, jedoch nicht
nachahmen. Man vergisst nämlich, dass
unser Sozialgeflecht viel engmaschiger
ist als im Ausland. Dies gepaart mit der
Unerfahrenheit in einer; Oppositions
rolle war eine schlechte Voraussetzung.
Mit allem Respekt vor dem Geleiste
ten, es Hesse sich vieles besser machen.
Man musste sich auch an die neue Si
tuation gewöhnen. Oppositionspolitik
beinhaltet andere ^Mechanismen, als wir
uns gewöhnt sind. Ich bin der Meinung,
dass der Wille für eine Oppositionsrolle
Oppositionspolitik
beinhaltet andere
Mechanismen, als wir
uns gewöhnt sind.
vorhanden gewesen,war, bber die Basis
weder mental nod) ideologisch noch fi
nanziell vorhanden gewesen ist. Die an
dere Ebene ist jene des Landes. So wie
die FBPL nicht in der Lage war, gute
Oppositionspolitik -zu betreiben, war
auch die VU nicht ifi der Lage, eine al
leinige gute Führung unseres Landes zu
übernehmen. Dies feigen die grossen
Probleme, mit weiefien sich unser Land
heute auseinandersetzen muss. Bei der
VU kommt hinzu jetass sie mit der allei
nigen Macht nicht umgehen kann.
(Bilder: Brigill Risch)
Sie übernehmen dieses politische Amt
in einer Zeit, in welcher der politische
Alltag von Wirren gekennzeichnet ist.
Hierbei nenne ich unter anderem nur
die Stichworte BND, Polizeiskandal,
Teiefonie, Veifassungsrevision und
Krankenkassenexodus. Wie beurteilen
Sie generell diese Situation, in welcher
Liechtenstein zur Zeit steckt?
Meines Erachtens ist unser Land in
einer Phase grosser Veränderungen, die
sehr tief gehen. Sie haben verschiedene
Aspekte genannt. Es gibt noch einen
ganz anderen Aspekt nämlich den Reli
giösen - also die Kirche. Für viele Men
schen, wahrscheinlich für alle Men
schen, ist dieser Aspekt in irgendeinem
Zeitpunkt im Leben ein wichtiger
Aspekt. Diese Veränderungen sind von
einer materiellen Sorglosigkeit gekenn
zeichnet. Die Grundbedürfnisse sind
für alle gedeckt. Darunter verstehe ich:
Wir haben alle ein Dach über dem
Kopf, wir haben alle zu essen, wir haben
alle eine Schulausbildung. Das sind für
mich die ersten Grundbedürfnisse. Die
se sind bei uns abgedeckt. Das sieht
schon in unseren Nachbarstaaten an
ders aus. Wir haben eine Gesellschaft,
die sehr schnelllebig ist. Darin unter-
Innenpolitisch haben
wir keinen Konsens.
Mich wundert es
nicht, dass nach
aussen so chaotisch
reagiert wird.
scheiden wir uns von den Nachbarlän
dern nicht. Das heisst: Vieles ist sehr
oberflächlich. Wenn wir nun diese ober
flächliche Grundhaltung nehmen und
mit diesen enormen Veränderungen
vergleichen, ist es für mich verständlich,
dass die Leute dies teilweise nicht ver
stehen. Das heisst: Man denkt gar nicht,
dass vieles gravierende Konsequenzen
für kommende Generationen, also für
die nächsten 25 bis 30 oder 40 Jahre, in
sich birgt. Wir nehmen uns wenig Zeit,
tiefer Uber verschiedene Dinge nachzu
denken. Dies kann man auf verschie
denste Bereiche der Politik beziehen.
Hierin sehe ich eine Diskrepanz. Das
braucht Gespräche mit Leuten, die sich
damit auseinandersetzen und sich dafür
einsetzen. Es braucht Leute, die sich
dem bewusst sind und bewusst machen,
um was es geht. Dies betrifft unter an
derem die von Ihnen genannte Ebene
Verfassung, aber auch Kirche und Bil
dungspolitik. Innenpolitisch haben wir
keinen Konsens. Das sieht man in der
Problematik um das BND-Dossier und
in der Verfassungsproblematik. Wenn
wir innenpolitisch stärker wären, könn
ten wir nach aussen stärker auftreten.
Mich wundert es überhaupt nicht, dass
nach aussen so chaotisch reagiert wird.
Die Regierung sucht nicht aktiv den
Konsens der Nation und kann daher
nach aussen auch nicht geschlossen auf
treten. Sie macht etwas von sich aus und
grenzt die anderen aus.
Sie haben sich vor einigen Jahren aus
der nationalen Politik zurückgezogen.
Sie wollen nun als Präsident der gross-
ten Oppositionspartei in die Politik
zurückkehren. Wenn Sie einen Ver
gleich zwischen der Politik von damals
und heute ziehen - erkennen Sie Unter
schiede?
Ich glaube, und das ergibt sich aus der
Oppositionsrolle der FBPL, dass das
Politisieren kantiger geworden ist. Das
ergibt sich aber auch aus dem Verhalten
der Regierung, welches viele Leute als
arrogant empfinden. Ich habe offiziell
nie beobachtet, dass die Regierung und
die Regierungspartei auf die Oppositi
on zugeht und die Kräfte bündelt. Vor
her hat man dies angestrebt. Die Regie
rung hat Vorstellungen von Grössen-
ordnungen, die wir nicht durchstehen.
Man kann jetzt sagen, dass der EWR
hierfür der Grund ist. Aber innerhalb
eines Systems gibt es auch immer zwei
Wege. Man kann auch mit dem Ausland
anders umgehen. Dies ist vor 10 Jahren
noch weniger aufgefallen. Konkret
So wie es war, wird
und kann es nicht
weitergehen.
spreche ich hier das Verhältnis zur
Schweiz an. So zum Beispiel in der Me
dienpolitik und dem Verhältnis zum
Schweizer Fernsehen und in der Teiefo
nie - was man früher aufgebaut hat,
wurde jetzt in Frage gestellt. Die Regie
rung hat immer betont, wie nahe wir der
Schweiz stehen. Jetzt spüren wir die
Nachteile. Wenn wir gewillt wären, die
auszutragen, also wenn das Volk das
möchte mit dem Wissen um die Nach
teile, habe ich nichts dagegen. Dann ist
es unser Wille. Die offizielle Politik hat
uns etwas anderes vorgeschaukelt. Da
rin sehe ich grosse Unterschiede zu
früher. Auch das Verhältnis der zwei
Souveräne Fürst - Volk, Landtag, Par
teien und Einzelpersonen ist auch an-
ders'geworden. Es sind Sündenfälle ge
schehen, egal bei wem die Schuld liegt.
Das offene und vertraute Verhältnis mit
gegenseitigem Respekt ist heute zu ei
nem rechten Teil nicht mehr gegeben.
Das gemeinsame Verständnis und die
gemeinsame Basis in diesem kleinen
Land ist in verschiedenen Bereichen
nicht mehr vorhanden. Es ist ein Miss
trauen auf beiden Seiten vorhanden.
Das ist sicher nicht gut. Leider zum
Nachteil von uns allen.
Das neue Jahrtausend hat vor gut ei
nem Monat begonnen. Welche Visionen
haben Sie bezüglich Liechtenstein im
3. Jahrtausend?
Ich bin ein Mensch, der grundsätzlich
positiv denkt. Vor diesem Hintergrund
hoffe ich, dass auf der Basis dessen, was
momentan geschieht, dies uns zum Gu
ten gereicht. Ich hoffe, dass wir diese
wohl notwendige Phase von Unsicher
heit und Veränderung positiv abschlies-
Ich besitze die
Grundhaltung, dem
Land etwas
zurückzugeben.
sen können und zu einer neuen Stufe
unseres Staatswesen kommen. So wie es
war, wird und kann es nicht weiterge
hen. Menschen und Umstände ändern
sich. Ich hoffe, dass wir den materiellen
Segen sinnvoll einsetzen und uns nicht
selbst kaputt machen. Dafür zu arbeiten
ist es wert.
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