Liechtensteiner Volksblatt
Österreich
Freitag, 4. Februar 2000 33
Klestil stimmt ÖVP-FPO-Regierung zu
Regierungsbildung in Österreich erfolgt heute - Portugal kündigt im Namen der EU Massnahmen an
WIEN: Der Machtkampf zwi
schen Österreichs Bundespräsi
dent Klestil und der rechtskonser-
vatiyen Koalition aus ÖVP und
FPÖ ist entschieden: Klestil gab
gestern Abend grünes Licht für
die Vereidigung der neuen Regie
rung heute Freitag.
Die konservative ÖVP und die rechts
populistische FPÖ hatten das Regie
rungsprogramm bereits am Nachmittag
vorgestellt. Es enthält eine Grundsatz
erklärung, in der sich die beiden Partei
en zu den Werten der EU bekennen.
Portugal kündigte am Abend an, dass
am Freitag die von den 14 EU-Staaten
beschlossenen Massnahmen in Kraft
gesetzt würden.
Der designierte Bundeskanzler des
künftigen Kabinetts ist der ÖVP-Chef
und langjährige Aussenminister Wolf
gang Schüssel. FPÖ-Chef Jörg Haider
wird der Regierung nicht angehören.
Den Posten des Vizekanzlers über
nimmt die FPÖ-Politikerin Susanne
Riess-Passer. Finanzminister soll der
31-jährige Karl-Heinz Grasser (FPÖ)
werden. Das Büro des Präsidenten teil
te am Abend mit, Klestil habe gegen die
Ernennung von zwei Ministern, die
Haider vorgeschlagen hatte, sein Veto
eingelegt. Thomas Prinzhorn, den Spit
zenkandidaten der FPÖ bei der Parla
mentswahl, habe Klestil wegen verbaler
Entgleisungen abgelehnt.
Beim Chef der Wiener FPÖ, Hilmar
Kabas, nannte Klestils Büro die Wahl
kampfführung in Wien als Begründung.
Die Wiener FPÖ hatte mit der auslän
derfeindlichen Forderung nach einem
«Stopp der Überfremdung» um Stim
men geworben. Die Erklärung zu den
Werten der EU wurde dem Programm
der Mitte-Reehts-Koalition vorange
stellt. Darin hiess es, die Regierung sei
gemeinsamen Grundsätzen wie Frei
heit, Demokratie, Achtung der Men-
des Regierungsprogramms ist die Erwei
terung von Familienzulagen für Familien
mit Kindern bis zu drei Jahren. Bisher
gab es nur Zulagen bis zum Alter von 18
Monaten. Vor allem Haiders FPÖ hatte
sich im Wahlkampf dafür stark gemacht.
Händedruck zwischen Jörg Haider (links) und Wolfgang Schiissel: FPÖ und ÖVP unterzeichneten gestern eine gemeinsame
Koalitionserklärung. Die schwarz-blaue Regierung wird heute Freitag angelobt. (Bild: Keystone)
schenrechte und Rechtsstaatlichkeit
verpflichtet. «Die Bundesregierung ar
beitet für ein Österreich, in dem Frem
denfeindlichkeit, Antisemitismus und
Rassismus keinen Platz finden», hielten
ÖVP und FPÖ fest. Ein Schwerpunkt
Abschied von der Macht
SPÖ: «Zeit zum Fürchten» oder Chance für Erneuerung
SPÖ-Chef Viktor Klima wird auf der
Strecke bleiben.
WIEN: Mit gemischten Gefühlen tre
ten Österreichs Sozialdemokraten den
Gang in die Opposition an. 30 Jahre
lang waren sie ununterbrochen an der
Macht - eine ganze Generation von
Österreichern kennt nichts anderes als
sozialdemokratische Kanzler.
KimRahir
Und diese werden mit allen Schwächen
des Systems identifiziert: Kungelei,
Parteienwirtschaft, Proporz, kurz mit
dem, was die Freiheitliche Partei
(FPÖ) aus der Opposition so wirkungs
voll kritisierte. Doch das wird jetzt an
ders. Offen ist, ob die Sozialdemokra
ten die Zeit ohne Regierungsverant
wortung zu einer inhaltlichen Regene
ration nutzen können, oder ob sie sich
in Flügelkämpfen aufreiben. Es sei eine
«gemischte Lage», sagt SPÖ-Fraktions-
chef Peter Kostelka. Es gebe in der Par
tei durchaus Erleichterung, dass die
Regierungsvereinbarung mit der kon
servativen Volkspartei (ÖVP) nicht zu
stande gekommen sei, die die Sozialde
mokraten «bis an die Grenze des Er
träglichen gebracht und sicherlich in
nerparteiliche Auseinandersetzungen
ausgelöst hätte».
Andererseits werde das tägliche Le
ben jetzt natürlich schwieriger. «Wir
können nicht mehr einfach einen Mi
nister anrufen und um eine Stellung
nahme bitten. Wir werden es auch
schwerer haben,in den Medien unseren
Weg zu finden.» Die schmerzliche Wahl
zwischen pragmatischer Politik und tra
ditionellen Werten der Sozialdemokra
tie wird der Partei aber auch in der Op
position nicht erspart bleiben.Trotz Op
positionsrolle werde die SPÖ bei allen
ihren Vorschlägen und Forderungen die
«Finanzierbarkeit» im Auge behalten,
kündigt Kostelka an.
Der Grund: Er gehe davon aus, dass
seine Partei nach einer Legislaturperi
ode von vier Jahren wieder an die
Macht zurückkehre, und dann müssten
die SPÖ-Vorschläge auch umsetzbar
sein. Ob aber dieser Kurs mit den tradi
tionellen, gewerkschaftsnahen Teilen
der Partei durchsetzbar ist, bleibt frag
lich. Wahrscheinlicher ist, dass ohne den
«Kitt der Macht» heftige Flügelkämpfe
ausbrechen. Nach Auffassung der öster
reichischen Medien sind die Messer im
linken und rechten Lager der Partei
dafür schon gewetzt: Da ist einmal Karl
Schlögl, zuletzt Innenminister und Ver
treter einer Öffnung der Sozialdemo
kraten in Richtung FPÖ.
Er gilt als Pragmatiker und wird
«nicht eben geplagt von hemmenden
Grundsätzen», so die Zeitschrift «For
mat». Weiter links angesiedelt steht
Noch-Verkehrsminister Caspar Einem
für die klassischen Werte der SPÖ, der
die «traditionelle Partnerschaft» zwi
schen der Partei und den Gewerkschaf
ten nicht aufgeben will.
Dass Parteichef und Noch-Kanzler
Viktor Klima dabei auf der Strecke
bleibt, bezweifelt kaum jemand. «Die
SPÖ steht vor einem Dilemma», be
schreibt der Politikwissenschaftler Em
merich Talos die Situation. «Der Regie
rungspragmatismus hat die Partei in
haltlich entleert.»
«Die SPÖ ist stets dafür gut, nach ei
ner vierjährigen Oppositionsrolle
zurückzukommen», sagt Kostelka und
verweist auf das einzige Oppositions-
Zwischenspiel seiner Partei seit dem
Ende des Zweiten Weltkriegs in den
Jahren 1966 bis 1970.
Doch die Rückkehr an die Macht
dürfte diesmal ungleich schwieriger
werden. Die SPÖ verlor bei den Wah
len im Oktober mehr Wähler an die
FPÖ als die anderen Parteien. Fast je
der zweite Arbeiter und ein Drittel der
unter 29-Jährigen stimmten für die
Rechtspopulisten.
Ehemalige Splitterpartei wird Nr. 2
FPÖ: Haiders Stammwähler sind junge Arbeiter
WIEN: Die bevorstehende Rechtsko
alition bedeutet für die FPÖ einen vor
läufigen Höhepi^kt beim steilen Auf
stieg der einst unbedeutenden Splitter
partei. Architekt der Erfolgsgeschichte
ist vor allem der rhetorisch geschickte
Rechtsaussen Jörg Haider.
Emmanuel Serot
Bei den Wahlen im vergangenen Okto
ber fuhren die «Freiheitlichen» mit 29,6
Prozent ein triumphales Ergebnis ein
und wurden zur zweitstärksten politi
schen Kraft im Parlament. Ihren Erfolg
verdankt die FPÖ der Zustimmung aus
dem Arbeitermilieu: fast jeder zweite
Arbeiter gab Haider seine Stimme.
Nach der Studie des Zentrums für Po
litikforschung profitierte die FPÖ vor
allem von der Schwäche der grossen
Volksparteien, 37 Prozent ihrer Anhän
ger sind Wechselwähler. Als wichtigsten
Grund, FPÖ zu wählen, nannten die Be
fragten die Skandalgeschichten und
Klüngeleien der konservativen ÖVP
und der Sozialdemokraten.
Weitere Argumente für Haider wa
ren den Aussagen zufolge «Lust auf
Veränderung», «Respekt meiner Inte
ressen und der Tradition» und der «Wi
derstand gegen die Immigration». Hai
der konnte demnach mit seinen rabia
ten Parolen zur Ausländer-Thematik
den Sozialdemokraten entscheidende
Teile ihrer traditionellen Arbeiter-
Wählerschaft abringen. Von den zur
FPÖ abgewanderten Wählern gaben 61
Prozent an, die SPÖ nehme «das Prob
lem der Ausländer nicht ernst». Bei den
Oktoberwahlen hielten die «Freiheitli
chen» nicht nur fast ihre gesamte An
hängerschaft von den Parlamentswah
len 1995 bei der Stange, sondern war
ben zehn Prozent der SPÖ- und neun
Prozent der ÖVP-Wähler ab.
Zudem ist die Wählerschaft Haiders
auffallend jung: Einer von drei Wählern
ist unter 29 Jahren alt, bei der ÖVP und
der SPÖ steht die Alterspyramide ge
nau umgekehrt. Bei Frauen ist jedoch
Haiders Erfolg deutlich geringer als
bei Männern. Die Freiheitliche Partei
Österreichs wurde 1956 als Nachfolge
rin der «Organisation der Unabhängi
gen» gegründet. Heimat für viele mili
tante Neo-Nazis, bemühte sich die Par
tei um die Rehabilitierung ehemaliger
Nationalsozialisten.
Vorarlberg: ÖVP-FPÖ seit 30 Jahren
ÖVP-FPÖ-Koalition: In Vorarlberg regiert Schwarz-Blau seit bald 30 Jahren
BREGENZ: Seit fast 30 Jahren wird
Vorarlberg von einer ÖVP/FPÖ-Koali-
tion regiert. Der Erfolg Jörg Haiders
auf Bundesebene.hat auch Auswirkun
gen auf die Machtverhältnisse im
«Ländle».
Bis September 1999 verfügte die ÖVP
über die absolute Mehrheit im Vorarl
berger Landesparlament. Um demo
kratische Gesinnung zu demonstrieren,
überliess die ÖVP seit 1945 freiwillig
immer einen Regierungssitz der frei
heitlichen (FPÖ) und einen der sozial
demokratischen Fraktion (SPÖ). 1974
gab es Krach mit dem SPÖ-Landesrat
(Regierungsmitglied), worauf die ÖVP
die Sozialdemokraten aus der Regie
rung warf. Seither war nur noch die
FPÖ mit einem Landesrat in der Lan
desregierung vertreten.
Der Aufstieg Jörg Haiders zum Bun-
despartei-Obmann der FPÖ 1986 blieb
in Vorarlberg vorerst ohne Auswirkun
gen. Grosse Teile der Vorarlberger FPÖ
konnten mit seinem populistischen, lär
menden Stil nichts anfangen.
Die blauen Wähler in Vorarlberg wa
ren vor allem liberale Unternehmer
und Selbständige die mit der konserva
tiv-klerikalen Einstellung der ÖVP
Mühe hatten. Die FPÖ war für die ÖVP
keine bedrohliche Konkurrentin, denn
der Stimmenanteil der «Blauen» lag
stets zwischen 13 und 21 Prozent und
fiel bei der Landtagswahl 1984 sogar
auf 10,5 Prozent.
1989 kam die FPÖ auf 16,1 Prozent
der Stimmen, 1994 lag ihr Anteil bei
18,4 Prozent. «Unsere Freiheitlichen
haben nichts mit Jörg Haider am Hut»,
beruhigte die ÖVP-Regierungsmehr-
heit immer wieder und hielt treu daran
fest, einen «blauen» Landesrat freiwil
lig in die Regierung zu holen.
Das unangenehme Erwachen kam für
die ÖVP bei der Landtagswahl 1999. Die
FPÖ legte neun Prozent zu und erreich
te 27,4 Prozent Stimmenanteil.
In Vorarlberg regieren ÖVP und FPÖ schon seit fast 30 Jahren gemeinsam in einer
Koalition. Der starke FPÖ-Mann in unserem Nachbarland heisst Hubert Gorbach.