Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
KULTUR 
Freitag, 27. Oktober 2000 1 5 
Liechtensteiner und Berliner 
«Kulturfäden» 
Künstlerinnen aus Berlin-Treptow in der Galerie Tangente in Eschen 
Berliner Künstler stellen in der Tangente aus: (i'.l.n.r) Galerist Karl Gassner, Yvonne Jeske, Elli Graetz, Martin Lötz, Henry Ruck, Rudolf J. Kaltenbach und die Treptower Kulturamtsleiterin Doris Thyrolph. 
Die Entdeckung und Wie 
derherstellung einer 90 
Jahre alten gusseisernen 
Steindruckpresse vor über 
10 Jahren durch Künstler 
in Berjin-Treptow war der 
Auslöser für das Projekt 
«Werkstatt Künstlerische 
Lithographie Berlin», das 
vom Kulturamt Berlin- 
Treptow unterhalten wird 
und das zu einem künstle 
rischen Zentrum und Aus- 
bildungsort wurde. Die 
Tangente in Eschen zeigt 
Arbeiten, die dort entstan 
den sind. Das Volksblatt 
sprach mit den Künstlern. 
Mit den Künstlern 
sprach Gerolf Hauser 
Wie entstand die Verbindung 
nach Liechtenstein? 
Doris Thyrolph (Kulturamts 
leiterin Treptow, Berlin): «Aus 
unseren Kontakten zu öster 
reichischen Künstlern entstand 
die Verbindung zu Evelyne Bcr- 
mann, die dann in Berlin-Trep 
tow ihre Arbeiten zeigte. So 
entstand ein künstlerische Aus 
tausch, denn nach der ersten 
Ausstellung 1998 hier in der 
Tangente, kamen letztes Jahr 
Beatrice Kaufmann, Marco 
Eberle und Stefan Sude nach 
Berlin und jetzt sind wir wieder 
hier - ein harmonisches Mitein 
ander Arbeiten der Liechten 
steiner und Berliner «Kulturfa- 
den». Die Begegnungen mit den 
liechtensteinischen Künstlern 
sind eine Bereicherung für uns.» 
Wie kam es zu dieser Werk 
statt? 
Martin Lötz: «Die Anlange 
gehen zurück in die Zeit, als 
Treptow noch ein Bezirk in Ost 
berlin war. Der Leiter der Werk 
statt, Michael Dieckmann, ent 
deckte damals eine alte Litho 
graphie-Presse und machte sie 
zusammen mit Druckfachleu- 
tpn wiedej" funktionstüchtig. 
Nachdem der Steindruck in den 
50er-Jahren durch den Offset 
druck abgelöst wurde, standen 
eben irgendwo noch die alten 
gusseisernen Druckpressen und 
Lithosteine herum. Das haben 
wir zusammengetragen und so 
entstand Anfang der 90er die 
Werkstatt, in der wir die Tech 
nik nicht nur nutzen, sondern 
das Wissen auch vermitteln. 
Heute haben wir zwei ca. 100 
Jahre alte Pressen, die per Hand 
bedient werden müssen, und 
eine etwas neuere hydraulische 
Druckpresse. Durch die gross 
zügige Unterstützung des Kul 
turamts Treptow haben wir 
jetzt auch eine Hochdruck-, ei 
ne Radierpresse, um im Bereich 
Tiefdruck arbeiten zu können. 
Heute haben viele junge Künst 
ler, die von der Hochschule 
kommen, aber auch Künstler, 
die sich für diese Verfahren in 
teressieren, bei uns die Mög 
lichkeit Erfahrungen zu sam 
meln. Dafür bieten wir in der 
Werkstatt Kurse an und betreu 
en sie individuell. Mit der Li- 
tho-Technik kann man keinen 
schnellen Erfolg erzielen. Das 
ist in einer Zeit, in der man 
schnell die schillernde Ober 
fläche haben will, für viele eine 
Herausforderung, der nicht an 
gewachsen sind. Die dabei blei 
ben haben allerdings einen 
grossen Gewinn.» 
Dann ist diese Werkstatt für 
viele Künstler Heimat, Ar 
beltsmöglichkeit, Wiederbe 
leben einer alten Technik und 
zugleich ein pädagogisches 
Zentrum? 
Henry Ruck: «Das ist im Lau 
fe der Jahre so gewachsen. Z. B. 
haben viele Jugendliche aus 
den Schulen ihre Projektwo 
chen bei uns gemacht. Dann 
gibt es Kurse für Leute, die ihr 
Studium erst beginnen, und für 
solche, die an die Kunst über 
haupt herangeführt werden 
wollen, Kurse für Kinder oder 
die «Meditativen Steindruck- 
Wochenenden» , für gestresste 
Menschen, aber auch Kurse für 
neue Druckgrafik usw. Die 
Bandbreite der Werkstatt ist 
sehr gross. Der Schwerpunkt 
liegt aber bei der Lithografie. 
Einer der Gründe ist, dass die 
ses Gebiet besondere Möglich 
keiten bietet. Z. B. muss man 
schon beim Schleifen der Stei 
ne wissen, zumindest ahnen, 
was man machen will, welche 
Tusche oder Kreide ich verwen 
de, ob ich eine Stahlfeder- oder 
Pinselzeichnung mache - da 
muss der Stein entweder poliert 
oder gekörnt werden usw. An 
ders als beim Computer kann 
man Fehler nicht einfach lö 
schen. Wenn man sich ver 
zeichnet hat, sind eben eine 
oder zwei Wochen Arbeit, übri 
gens auch körperlich harte Ar 
beit, verloren.» 
Martin Lötz: «Ausserdem 
sind Steine ein Stück Natur, die 
sich je nach Temperatur und 
Feuchtigkeit verändern. Da 
muss man manchmal zu der 
Einsicht kommen, dass der 
Stein heute einfach nicht will. 
Neben dem Steindruck pflegen 
wir auch den Tiefdruck und 
Holzschnitt. Elli Graetz ist hier 
in der Tangente mit mehrfarbi 
gen Holzschnitten vertreten. 
Überhaupt ist die Ausstellung 
repräsentativ für die Vielfalt 
unserer Werkstatt.» 
Und Frau Jeske zeigt Drucke 
mit Berliner Stadt-Motiven. 
Fühlen Sie sich streng als 
Berlinerin? 
Yvonne Jeske: «Nein, ich 
könnte auch an anderen Orten 
arbeiten. Aber natürlich gibt es 
nach so viel Jahren Zusam 
menarbeit und guter Atmos 
phäre ein Sich-Zu-Hause- 
Fühlen, eine Verbundenheit. 
Ausserdem gibt es in der Werk 
statt gute Begegnungen mit 
Menschen und verschiedenen 
Arbeitsweisen.» 
Doris Thyrolph: «Die Werk 
statt wird kommunal geführt, 
d.h. es ist eine Anerkennung 
durch die kommunale Kultur 
forderung. Das motiviert, aber 
auch die Beziehungen zu 
Liechtenstein, die ermöglichen, 
dass Künstler aus Berlin hier 
arbeiten und ausstellen können 
und umgekehrt. Unser Interesse 
ist die Öffnung. Das zeigt sich 
auch am Einbeziehen der 
Steinskulpturen von Rudolf J. 
Kaltenbach. Hier entsteht ein 
«Gedankenwechselspiel» zwi 
schen der Lithographie und der 
Art, wie er dem Stein seine 
Sprache verleiht.» 
Wie fühlt man sich als «staat 
lich subventionierter» Künst 
ler? Werden Bedingungen ge 
stellt? 
Henry Ruck: «Nein. Ich fände 
das auch nicht klug vom Geld 
geber, denn der Kopf sollte frei 
sein dürfen zum Arbeiten, zum 
ernsten Arbeiten. Frau Thy 
rolph und das Kulturamt schaf 
fen uns diese Möglichkeit.» 
Wie war das zu Zeiten der 
DDR? 
Martin Lötz: «Da wollte der 
Staat mit Kunst seine Ideologie 
transportieren. Einerseits sorgte 
der Staat für eine sichere mate 
rielle Existenz, man hatte nicht 
diese Nöte, die heute oft eine 
Rolle spielen und viele Kolle 
gen an den Rand des Ruins 
führen, wenn sie nicht soge 
nannte Highlights produzieren. 
Da haben wir mit unserer 
Werkstatt in Treptow grosses 
Glück, weil das nicht erwartet 
und nicht verlangt, sondern die 
Basis guter Kunst gefördert 
wird. Andererseits erhielt man 
nur mit ideologischen Begrün 
dungen Mittel, um arbeiten zu 
können. Heute ist die Ideologie 
durch das Geld ersetzt worden, 
man muss Sponsoren finden, 
um Projekte machen zu kön 
nen. Aber in den zehn Jahren, 
die ich jetzt Bundesbürger bin, 
habe ich mich nie ideologisch 
bevormundet gefühlt. Die geis 
tige Freiheit zu haben, Iiier in 
Liechtenstein mit Kollegen zu 
sammen sein können, mitein 
ander reden, sich über die Ar 
beit austauschen, dass freund 
schaftliche Beziehungen ent 
stehen können, das ist grossar 
tig.» 
Doris Thyrolph: «Natürlich 
geht es uns in Berlin wie übe 
rall: Es gibt Kürzungen. Also ist 
es unser Arbeitsgebiet, die Lob 
by zu schaffen für die Kunst, 
für die Künstler, ihnen Arbeits 
bedingungen und Öffentlich 
keit zu bieten, möglichst viele 
mit ins Boot zu holen, um ein 
Netzwerk aufzubauen. Dazu 
gehört auch das Kulturaus 
tauschprogramm, das von der 
kommunalen Politik unter 
stützt wird. Die künstlerische 
Arbeit, das Bringen von Ideen, 
das müssen die Künstler leis 
ten.» 
Martin Lötz: «Wir haben das 
besondere Glück, dass Siegfried 
Stock, der immer ein Herz für 
Kunst hat, sie fördert, Bezirks 
bürgermeister von Treptow ist. 
Solche Menschen braucht es, 
denn in Deutschland wird 
Kunst nicht als staatliche 
Pflichtaufgabe im Sinne einer 
gesetzlichen Festschreibung 
verstanden. In Frankreich z. B. 
sind ein Prozent des Staats 
haushaltes festgeschrieben als 
Ausgaben für Kunst. Wenn wir 
von Subventionen oder Ausga 
ben der öffentlichen Hand für 
Kunst sprechen, geht es ja nicht 
um Almosen für Künstler, son 
dern darum, Kunst einen Nähr 
boden zu schaffen, auf dem sie 
wachsen und gedeihen kann. 
Wenn unsere Werkstatt eigen- 
wirtschaftlich arbeiten müsste, 
was sie vielleicht, bedingt, so 
gar könnte, würde das bedeu 
ten, dass der Kern unserer Ar 
beit, nämlich Jungkünstlern 
günstige Möglichkeiten zum 
Arbeiten zu bieten, nicht mehr 
möglich wäre. Damit wäre auch 
eine wichtige gesellschaftspoli 
tische und pädagogische Idee 
gestorben.» 
Rudolf J. Kaltenbach: «Dazu 
möchte ich als Beispiel ein Pro 
jekt nennen, dass ich mit 
rechts- und linksradikalen Ju 
gendlichen machen konnte. Sie 
konnten an bis zu fünf Tonnen 
schweren Steinen bildhauern, 
die einen auf der einen, die an 
deren auf der anderen Seite des 
Steins. Als sie Durchbrüche 
schafften, mussten sie sich sozu 
sagen ins Gesicht schauen. Das 
schuf Annäherungen. Sie haben 
nicht nur gesehen, wie viel Kraft 
sie haben und wie man sie sinn 
voll einsetzt, ohne etwas zu zer 
stören. Sic hatten auch keine En 
ergien und keine Lust mehr, 
Randale zu machen. Hier hat 
Kunst eine gesellschaftspolitisch 
wichtige Funktion.» 
Die Ausstellung in der Tan 
gente in Eschen ist bis zum 12. 
November zu sehen. Öffnungs 
zeiten: Freitag 17 bis 20 Uhr, 
Samstag und Sonntag 15 bis 18 
Uhr. 
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